II.

Die »Altenburg«.

[33] Fortsetzung des vorigen Kapitels. Die Wohnung der Fürstin – die Altenburg. Liszt's Gemächer; seine Arbeitszimmer. Die geheime Tragödie der Altenburg; briefliche Äußerungen an K. Wagner. Das Kunstleben auf der Altenburg. Geselligkeit; Haushalt – Stellung der Fürstin zu Liszt's Kindern und Mutter. Ihre Einwirkung auf Liszt's Schaffensthätigkeit; die damalige Auffassung über diese. Raff. Die Altenburg als erster Herd des musikalischen Fortschritts.


In dem Moment aber, da die Fürstin nach Weimar gekommen, um sich unter den Schutz der Großherzogin Marie Paulowna zu stellen, ahnte Niemand, was hinter dem Riegel der Zukunft lag. Sie fühlte sich in Weimar geborgen und betrieb von hier aus voll Zuversicht ihre Angelegenheit. Sie glaubte daran, daß ihr Recht ihr werden würde. Anfangs sogar hoffte sie auf ein baldiges Erreichen ihres Zieles.

Dabei machte sich das Bedürfnis nach entsprechenden Wohnräumen geltend. Für den Sommer hatte sie die erste Etage eines frei gelegenen Gebäudes dicht bei Weimar gefunden, welche von den damaligen Besitzern an Private vermiethet wurde und unter dem Namen »Altenburg« bekannt ist. Der Weg dahin führt rechts vom Schlosse über die Ilm eine Anhöhe hinan, die, eine Fortsetzung des Parkes, dem Wanderer Schatten bietet. Oben an der Jenaer Straße liegt das herrschaftlich angelegte, zweistöckige Haus, das nach der Südseite von einem Garten, dessen dichte Hecken gleichsam Verwahrung gegen das Eindringen von außen einlegen, umgeben ist. Weltabgeschieden, ein Ort der Ruhe und Sammlung – so zeigt sich die Altenburg.

Nach einiger Zeit kaufte die Großherzogin das Haus mit seinem Komplex von Nebengebäuden nebst Garten, und stellte es der Fürstin zur Verfügung. Durch die Lage ihrer Verhältnisse[34] gleichsam an Weimar gebunden, übernahm sie allmählich, wenn auch auf unbestimmte Zeit, die ganze Altenburg. Bei seiner Doppelbeziehung zum Hof und zur Fürstin wohnte Liszt ebenfalls in Weimar; zuerst im »Erbprinzen« und dann, als die von Mme. la Prsse. Maréchale (der Titel, mit welchem die Fürstin in dem hierher bezüglichen weimar-russischen Notenwechsel benannt wird, obwohl sie keinen Anspruch auf ihn besaß) dem Kaiser Nicolaus I. wiederholt ausgesprochene Bitte: sie nicht zu ungeregelten Verhältnissen zu zwingen, keine Berücksichtigung erfuhr, bezog er als Mitbewohner die Altenburg.

Die großen Räumlichkeiten derselben entsprachen dem Sinne der Fürstin. Sie richtete sie ihrem jetzigen Lebensziel entsprechend ein. Aus den wesentlichen Anordnungen, die sich im Laufe der ersten Jahre ihres Dortseins vollzogen, war ersichtlich, daß innere Nothwendigkeit und auf breiter Basis sich bewegende Gewohnheit, ihnen das Gepräge einer idealen Pflege- und Werkstätte der Kunst gegeben und diese sich in allen Einzelheiten auf den Künstler bezogen, dessen Namen zu tragen, sie alle Wege einschlug. Die Privatgemächer der Fürstin lagen im ersten Stock und entzogen sich zum Theil dem allgemeinen Blick. Was sich diesem aber darbot an Musiksalons, Bibliothek, Kabinette für Kunstgegenstände, Wohn- und Arbeitsgemächern, erschien zweckmäßig, vornehm, durchdacht und doch so natürlich. Mit Sorgfalt geordnet und gruppirt, zeigten sich die hunderte von Gegenständen, die der Bewunderung und Huldigung während der Virtuosenperiode des Künstlers Ausdruck geliehen, und bis jetzt zerstreut in Paris, Pest, Wien und andern Städten aufbewahrt gelegen hatten. Im Erdgeschoß, im ersten, im zweiten Stock enthielten sie an Musikinstrumenten und musikalischen Werken, sowie an Kunstgegenständen des Bedeutenden so viel, wie kein zweites Musikerasyl.

Wohnungen sind wohl immer ein physiognomisches Abbild ihrer Bewohner. Das glanzvolle fürstliche Gepräge der Weimarperiode Liszt's läßt sich ohne sie nicht vorstellen. Durchwandern wir darum, wenn auch im Eilschritt, die insbesondere auf den Künstler sich beziehenden Räume der Altenburg.

Im Salon des Erdgeschosses, dessen Vorderzimmer ausschließlich zum Herrengebrauch ihre Bestimmung gefunden, stand ein Wiener Flügel, rings umgeben von Quartettpulten und Notengestellen, bedeckt mit Partituren jeder Gattung in Stich und in Manuskript.[35] Hohe Stöße von Musikalien: Sonaten, Trios, Klavierstücke, dem Künstler gewidmet, lagen auf Seitentischen längs der Wände, von wo die Bildnisse großer Tonmeister herabsahen, deren Mittelpunkt die Original-Todtenmaske Beethoven's bildete. Medaillons seiner Freunde Hector Berlioz und Richard Wagner, auch Robert Schumann's, befanden sich dazwischen und hoben sich von den Bildnissen ab. Drei Zeichnungen größerer Dimensionen zierten eine der Wände. Sie waren von der Hand Genelli's. Eine derselben – der Entwurf zu einem großen Theatervorhang – deutete in reicher Allegorie auf seine Bestimmung hin; die andern beiden stellten Scenen aus dem »Oedipus« dar. Über der Eingangsthüre befand sich ebenfalls eine Handzeichnung: Amoretten, die mit Noten spielen, darunter die Worte: »Eljen Liszt!« Diese war ein Geschenk von Bettina.

Der Nebensalon – das sogenannte Waffenzimmer – enthielt nur ein Kunstwerk: Hänel's Modell zu seiner Karl August-Statue. Dagegen barg er eine reiche Sammlung kunstvoller Dinge anderer Art. An den Wänden Waffengruppen, Prachtexemplare seltener Klingen europäischer und asiatischer Arbeit, in den Fensternischen Glasschränke zur Aufbewahrung der Rauchutensilien: kunstvoll geschnittene Pfeifenköpfe aus Meerschaum, Bernsteinspitzen mit feinster Einlegearbeit, Pfeifenrohre, türkische Rauchapparate, darunter ein kostbarer Tschibuk, – in einer Ecke des Zimmers ein türkisches Mokkaservice mit Tisch in Perlmutter und Silber: alles Geschenke ungarischer Magnaten, spanischer, russischer, türkischer Großen.

Ein einziges Bildnis hing an der Wand. Es war das wohlgelungene Porträt seines unglücklichen Freundes, des Fürsten Felix Lichnowsky.

Im Musiksaal des zweiten Stockwerks stand neben einem Erard das Rieseninstrument, gebaut von Alexandre et fils in Paris, das nach Liszt's Idee und Anregung eine Vereinigung von Pianoforte und Orgel erstrebte, dessen Bau aber ein Geheimnis, die Journale jener Zeit auf das Eifrigste beschäftigt hatte. In der Form eines immensen Koncertflügels, dessen Seitenwände anstatt der Beine bis zum Boden herabreichen, enthält es 3 Manuale, 16 Register und gleich der Orgel ein Pedal nebst vielen anderen Vorrichtungen zur Veränderung des Klanges. In seiner Gesammtheit trägt es ein kleines Orchester in sich, welches aus[36] dem Pianoforte, der Vox humana und dem Klang sämmtlicher Holzblasinstrumente besteht. Dieses Instrument war und blieb das einzige seiner Art.1 – In diesem Musiksaal befand sich als Reliquie das Instrument Mozart's.2 Zu der riesigen Pianoforte-Orgel bildete es einen merkwürdigen Kontrast, der den Fortschritt des Pianofortebaues des 18. und 19. Jahrhunderts veranschaulichte, und damit auf die großartige Entwickelung des Klavierspiels hinwies.

Auch im Bibliothekzimmer der Altenburg, das einen nicht unbeträchtlichen Raum im ersten Stock einnahm, befanden sich zwei Flügel: ein Erard und ein Broadwood. Letzterer, ebenfalls eine von dem Meister ganz besonders hochgehaltene Reliquie, hatte er von einem seiner Wiener Verleger zum Geschenk erhalten. Es war Beethoven's letzter und von ihm noch kurz vor seinem Ende benutzter Flügel.3 – Wie aber in den unteren Räumen das Waffenzimmer, so erweckte hier ein Seitenkabinett die Aufmerksamkeit der Besucher. Die Fürstin hatte es in ein Liszt-Museum verwandelt, in welchem von ihr gesammelte Portraits und Portraitskizzen, Büsten und Medaillons in Bleistiftzeichnungen, in Stich, Öl, Gips und Marmor von den Kinderjahren des Künstlers bis herauf zur Mannesblüte – eine lebenswahre Biographie im Bild – zusammengestellt waren. Unter denselben befanden sich die von Bartolini, Schwanthaler und Rietschel gearbeiteten Büsten und Medaillons, desgleichen das Ölbild von Ary Scheffer, das, wie die Büste des italienischen Meisters, den Künstler in seinen Jünglingsjahren darstellt.4 In Eckschränken aber befanden sich Liszt's Pretiosen, Ehrengeschenke von Kaisern, Königen und Großen, von Städten und Korporationen europäischer Länder. Sie bestanden aus dem ungarischen Ehrensäbel, aus schweren auf ihn geprägten Goldmünzen, aus goldenen Ehrenketten, vielen Brillianten und anderen zu Ringen und Busennadeln verarbeiteten[37] Edelsteinen, aus mit Diamanten besetzten und emaillirten Dosen, kostbaren Taktirstäben, dem silbernen Notenpult, kunstvollen Schreibservicen, einem Briefbeschwerer in Form eines kalifornischen Goldfundes und anderen Dingen. Die Ehrenbürger-Dokumente, als auch sein Reisepaß durch Südrußland nach dem Orient, fehlten ebenfalls nicht diesem Liszt-Museum, das mit seinem handgreiflichen Wert in den Augen der Berechnung späterer Jahrzehnte eine verständlichere Beweisführung von der außerordentlichen Wirkung des Künstlers führen dürfte, als alle über sie geschriebenen Abhandlungen und Biographien. – Eine Sammlung von Handschriften, Partituren von Bach, Haydn, Mozart, Beethoven u.A. – unter ihnen das früher erwähnte Flötenkoncert Friedrich's des Großen5 – schlossen die Denkwürdigkeiten des Kabinetts. Einen besonderen Platz aber nahmen unter den Handschriften diejenigen ein, mit denen Liszt's Weimarperiode für alle kommenden Zeiten auf das engste verwachsen bleibt: die Originalpartituren von Richard Wagner's Opern.

Das Bibliothekzimmer führte zu einem im orientalischen Geschmack ausgestatteten Ecksalon der Fürstin. Ein Jahrzehnt hindurch sah er die glänzendsten Geister der Zeit kommen und gehen. Hier hing Ary Scheffer's Bild »die Weisen aus Morgenland«, dessen einem – dem Sternsucher – der Künstler die Züge des jungen Liszt eingeheimnist hat. Die Fürstin hatte dieses Meisterwerk von einem Mitglied des holländischen Königshauses erworben.

Mehr aber, wie alle diese auf den Künstler Bezug habenden Einrichtungen, wurde ein außerhalb derselben liegendes Zimmer von historischer Bedeutung. Es war das »blaue Zimmer«, wie es in der Altenburger Zeit genannt wurde. Abgetrennt von allen übrigen, lag es in dem alten, dicht an das Hauptgebäude stoßendem Hinterhaus, mit dem Eintritt vom Hofe aus. Eine offene schmale Holztreppe, die in einem kleinen würfelförmigen Vorbau lag, führte direkt zu dessen Thüre. In Quadratform, eher niedrig als hoch, dabei aber geräumig, empfing es sein ruhiges Licht durch ein dreigliedriges Fenster vom Garten aus: es war des Meisters Arbeitszimmer. Kein Geräusch von außen drang herein, eine geheimnisvolle Stille waltete. Die Einfachheit der Einrichtung, die alles ausschloß, was nicht zu seiner Bestimmung diente, erhöhte den[38] Ernst und die Weihe des Zimmers. Seine Wände, mit blauer Tapete bekleidet, deren matter Golddruck sich dem Auge kaum bemerkbar machte, die Decke weiß, die Mullgardinen ebenfalls weiß mit blauem Unterstoff, Sopha und Stühle überzogen mit Glanzkattun, graugrundig und Rosen darauf, bestanden die übrigen Möbel in der Ecke der Fenster- und Seitenwand rechts: aus einem Flügel in Mahagoni,6 neben ihm an derselben Seitenwand aus einem Schreibpult, an welches sich ein kleines Tischchen reihte, das eine Sanduhr – das Sinnbild der Beschäftigung – trug, und von dem Meister in dem Fugenthema der symphonischen Dichtung »Die Ideale« verewigt worden ist. Über der Sanduhr an der Wand hing der einzige Wandschmuck des Zimmers: ein Holzschnitt, die »Melancholie« von Albrecht Dürer darstellend. – Ein zweites Bild stand während der letzten Jahre auf einem Schreibtisch (einem sogenannten Herrenschreibtisch), der gleichfalls noch Platz im »blauen Zimmer« fand: eine Liszt gewidmete Zeichnung von Steinle, seinen Schutzpatron Franziscus v. Paula aus den Wogen schreitend mit der Devise »Charitas«7

In der Ecke der Fenster- und Seitenwand links stand ein Schreibpult, ganz wie das erstere; ihm folgte eine Tapetenthür, die nur zu Liszt's Gebrauch in sein Schlafgemach führte; nach ihr kam ein großer Bücher- und Notenschrank. An der Wand vis-à-vis dem Fenster stand in der Mitte ein eiserner Ofen, vor ihm ein langes Sopha, bequem zum Liegen mit einem größeren Tisch davor. Das war der Tisch, an dem Liszt meistens in Gemeinschaft mit der Fürstin seinen Frühkaffee trank. Noch eine chaise longue, freistehend in der Nähe des zweiten Pultes, befand sich im Zimmer; beide waren zum Gebrauch der Fürstin bei gemeinschaftlichen literarischen Arbeiten.

An der Ofenwand, in der Ecke links, befand sich die Eingangsthür. Eine zweite Thür, in der Ecke rechts, führte in ein kleines Gemach, das in dem Vorbau neben der Treppe lag und nur diesen einen Eingang besaß. Mattes Licht fiel durch ein kleines Fenster nach dem Hofraum auf eintönig getünchte Wände, deren eine ein Heiligenbild8 und ein Crucifix trug. Nicht größer, wie eine enge[39] Mönchszelle, hatte es genugsam Raum für zwei Betstühle. – Dieses bescheidene Oratorium betraten nur Liszt und die Fürstin. Desgleichen benutzten nur sie eine Verbindungsthür zum Vordergebäude, die am Ende der Sanduhrwand mit der Thür des kleinen Betgemachs zusammentraf.9

Das Schlafzimmer war gleichfalls von äußerster, ja primitiver Einfachheit. Hinter der Tapetenthür, links vom Studierzimmer, stand das Bett, neben der Thür rechts, ein tief in das Zimmer reichender Kachelofen; in der Ecke zur Fensterwand ein stummes Klavier, zwischen zwei Fenstern der Waschtisch. Hinter einer Gardine waren Musikalien auf einem Regal hoch aufgeschichtet, eine andere Gardinenwand barg die Garderobe. Die Eingangsthür befand sich am Ende des Zimmers, wohin ebenfalls vom Hof aus eine zweite Treppe führte. –

Als die unglückliche Situation der Fürstin sich mehr und mehr entwickelte, ertrug sie mit Seelengröße und anscheinend heiterer Ruhe den Schein, welchen die Ausnahmsform ihrer Beziehung zu Liszt auf letztere warf. Was diese Frau aber litt, deren Stolz das Bluten und die Verzweiflung ihres Herzens den menschlichen Blicken zu verbergen suchte, erschließt sich aus den Korrespondenzen während der Jahre 1848–1861, welche sie mit den Spitzen des großherzoglichen Hofes zu Weimar, mit dem russisch-kaiserlichen Kabinett (durch den russischen Gesandten Herrn v. Maltiz), mit dem Metropolitan zu St. Petersburg, mit dem damaligen Bischof zu Fulda und anderen kirchlichen und weltlichen Behörden pflog. Dieselben, nebst römischen Akten, deren Veröffentlichung einer späteren Zeit nicht vorenthalten bleiben dürfte, werden darlegen, welches[40] Martyrium der Absolutismus und der Haß ihr geschaffen hatten. Mancher Privatbrief deutet auf dasselbe hin. In einem solchen an R. Wagner, dankt sie ihm nach der ersten Aufführung des »Tannhäuser« in Weimar auch


»für die Verzweiflung, welche uns ohne Furcht den Schwertern entgegenwirft, wenn die Seele von einem gar anderen Schwerte des Leidens durchbohrt ist.«10


Liszt stand während dieser zwölfjährigen Periode seiner Freundin treu zur Seite. Einem Brief an R. Wagner fließen ihrerseits die Worte unter (4. Januar 1852, Weimar):


»Ich könnte diese Zeilen nicht beschließen ohne Ihnen gesagt zu haben, wie sehr mich die Art und Weise bewegt, mit der Sie von ihm reden, dessen ruhmvollen Namen ich bald tragend werde. Wer spräche nicht von seinem Geist, seinem Genie, seiner Intelligenz. Aber welch' hohe und zarte Seele muß man haben, um auch diese »unendliche Zärtlichkeit« der seinigen zu verstehen, die so Wenige zu fühlen und zu ahnen wissen.11


In einem der Briefe Liszt's an denselben (27. December 1852) findet sich folgende Stelle vor:


»Ich bleibe hier und kann nicht anders als hier verbleiben. – Das mich Bestimmende zu diesem reiflich überlegten Entschluß kannst Du leicht errathen. – Ich habe vor allem eine ernste Pflicht getreu zu erfüllen. – In diesem Gefühl der innigsten und standhaftesten Liebe, die meiner ganzen Seele Glauben erfüllt, muß meine äußerliches Leben entweder auf – oder untergehen – Gott schütze meinen redlichen Willen!«12


Vordem aber, als er den Klagerufen seines großen Freundes nur mit dem Zuruf: »Dulden und Gedulden!« begegnen konnte, heißt es:


»Von allem dem Betrübenden und Verdrießlichen, was ich zu ertragen habe, spreche ich Dir nicht –«


Was aber nicht in Worten über seine Lippen kam, davon sprechen um so beredter seine in jener Periode entstandenen Werke, von denen im Vorübergehen nur der »Festklänge«, des Psalm: »Herr, wie lange willst Du meiner so gar vergessen?« und der »Seligpreisungen« gedacht sein soll, die, wie viele andere seiner Kompositionen, Blutzeugen seelischer Leiden sind.[41]

Das Trauerspiel, welches den Hintergrund des Lebens auf der Altenburg bildete, wurde verhüllt von dem glänzenden Kunstleben, das von hier seine Reflexe nach außen warf. Es glich einer künstlerischen Hofhaltung, zu deren Nimbus es gehörte, daß Liszt als Privatmann künstlerisch thätig war. Seine officiellen Verpflichtungen für den Hof gingen nicht über die Grenze hinaus, die sein Dekret als Hof-Kapellmeister »in außerordentlichen Diensten« vom Jahr 1842 festgestellt hatte. Bald aber dehnte er seine freiwilligen Dienste auf die Oper und das gesammte Musikleben Weimars aus. Sie schufen hier, auf das Verständnisvollste von Marie Paulowna und ihrem Sohne, dem späteren Großherzog Alexander, beschützt und gefördert, eine musikalische Kunstperiode, welche durch ihre, die Pflege und das Schaffen der Kunst verbindenden, Principien auf das gesammte Musikleben Deutschlands in intensivester Weise einwirkte, und dem Fortschritt der Tonkunst – wenn auch in harten Kämpfen – den Durchbruch in nicht mehr zurückzuhaltender Weise errang.

Liszt's Person stellte die geistige Großmacht dar, die nach allen Seiten belebte und befruchtete. Weimar wurde ein künstlerischer Wallfahrtsort, dessen Gral, die Altenburg, von hunderten und hunderten von Künstlern, Dichtern und Literaten ganz Europas besucht ward. Angehende, wie bewährte, Komponisten fanden hier für ihre Werke ein Asyl, Hülfe und Urtheil. Opern, Oratorien, Kammermusiken, das symphonische Gebiet – keines blieb ausgeschlossen.13 Unermüdlich, wie uneigennützig, förderte der außerordentliche Mann nach Kräften durch That, Rath und Lehre in jeder Form. Seine Hülfe erstreckte sich dabei nicht selten auch auf persönliche Geschicke, indem seine weitverzweigten Beziehungen den Künstlern einflußreiche Thüren zu öffnen wußten. Bei besonderen Vorgängen, wie dem Goethe-, dem Herder-, dem Schillerfest und anderen, die durch ihn erhöhten Glanz gefunden, schien Weimar fast zu klein, die Fremden zu beherbergen. Der Wallfahrtsort ward allmählich zu einem[42] internationalen Freistaat für die Tonkunst und ihre Vertreter, nicht allein der Nationalitäten – wir begegneten hier Deutschen, Franzosen, Engländern, Russen, Ungarn, Polen, Italienern, Skandinaviern, Holländern, Schweizern, Süd- und Nordamerikanern u.a. –, sondern auch der Begabung, und der Konfession im Doppelsinn.

Die Geselligkeit der Altenburg trug dasselbe distinguirte Gepräge. Sie war zeitweise sehr bewegt. Ein Kreis hochbegabter Kunstjünger und -Jüngerinnen ging ein und aus, und die geistigen Notabilitäten der kleinen Residenz blieben nicht zurück. Manche ihrer Festlichkeiten haben Poeten und Literaten verewigt.14 In mancher Winternacht erglänzten weithin die erleuchteten Fenster. Man wußte dann, daß Soirée sei. Liszt machte die Honneurs. Die Gesellschaft bewegte sich auf das Zwangloseste, ohne die vornehme Haltung zu verschieben, welche die Anwesenheit der Fürstin gebot. Bei solcher Gelegenheit liebte sie es, die Bewirthung à quatre anzuordnen. Kleine Tische mit je vier Gedecken wurden in den Musiksalon gebracht, Gruppen, zusammengesetzt aus mehr und weniger Unsterblichen der Kunst- und Zeitgeschichte, bildeten sich um sie, wie an einem der Abende: die Prinzeß Marie – die »gute Fee der Altenburg« benannt –, zur Seite Rietschel und Hoffmann v. Fallersleben, gegenüber Frau v. Milde; – die Fürstin mit Fr. Preller, Otto Roquette und Camillo Sivori; – die schöne Ungarin Lilla v. Bulyowsky, Josef Rank, Ant. Bazzini und Joachim Raff u.s.f. – Kaum waren die Tischchen verschwunden, als auch der Meister das Kunstsignal gab und am Flügel saß. Dichter, Geiger, Sänger und Sängerinnen, Bühnenkünstler – keiner der Gäste hielt mit seinen Gaben zurück, und so gestalteten sich hier aus dem Moment heraus Kunstgaben seltenster und idealster Art.

Wie an solchen Abenden bewegte sich der gesammte Haushalt der Altenburg im fürstlichen Stil, dem die von den Verhältnissen ihm auferlegte finanzielle Einschränkung nichts von seinem Charakter nehmen konnte. Über den letzteren Punkt schrieb Liszt schon im Oktober 1849 an Wagner:15


[43] »Suche doch, lieber Freund, wie Du es kannst bis zu Weihnachten Dich zu behelfen – denn mein Beutel ist augenblicklich völlig leer, und es ist Dir überdies wohl nicht unbekannt, daß das Vermögen der Frau Fürstin seit einem Jahr ohne Verwalter ist, und daß sie täglich von einer vollständigen Confiscation bedroht ist. Gegen Ende des Jahres rechne ich auf einige Geldeinnahmen und ich werde gewiß nicht ermangeln, Dir soviel davon zukommen zu lassen, als es mir meine sehr beschränkten Mittel ermöglichen; denn Du weißt, welch schwere Verpflichtungen auf mir lasten. Ehe ich an meine Person denke, müssen meine Mutter und meine drei Kinder, welche in Paris sind, anständig versorgt sein.« –


Was diese letzte, von Liszt berührte Sorge anbetraf, so begehrte auch hier die Fürstin ihren Antheil, indem sie sich der Erziehung der letzteren »edelmüthig« annahm.16 Nicht minder widmete sie der betagten, noch immer rüstigen Mutter zarte Aufmerksamkeit. Sie lud sie zu sich ein, und als ihr bereits nahe am Ziel ihrer Reise ein Unfall widerfuhr,17 wartete sie dieselbe, bis sie genesen.

Drückt sich in diesen kleinen Nebenzügen der Charakter der Fürstin, der Ernst und die Liebe aus, mit der sie alles auf Liszt bezügliche erfaßte, so treten sie doch zurück vor der Aufgabe, die sie dem Genie erfüllt hat und welche die Altenburg historisch für ein Decennium zum Herd des musikalischen Fortschritts erhob. Sie verstand es, dem abgesonderten Arbeitszimmer die Ruhe, und den Genius des Künstlers in den Regionen zu erhalten, denen sein Schaffen entsprang. Und so gewagt es klingen mag: sie steigerte während jener Epoche seine Kraft zu ihrer höchsten Potenz und zu ihrer höchsten Reinheit durch das Verständnis der Eigenartigkeit seines Genies, mit welchem in jener Zeit sie allein ihm zur Seite stand. Viele Thatsachen belegen das. Hier nur zwei. Als das Gerücht nach Paris drang, die Fürstin Wittgenstein[44] halte den Weltberühmten im kleinen Weimar fest, damit er komponire, lachte man über diesen Einfall der Fürstin und die Gräfin d'Agoult witzelte: »Da wird sie Rhododendron in Alkai's Einöden pflücken müssen.« Selbst Künstler seiner nächsten Umgebung belustigte die fürstliche Grille und Joachim Raff, der in Weimar sich aufhielt,18 schrieb an Liszt, als dieser, vom Großherzog hiezu beauftragt, seinen Göthe-Marsch und andere Stücke zur Säkulärfeier des Dichters 1849 komponirte, anonyme Briefe, bei denen der Schreiber erkennbar blieb, mit dem Anerbieten, die Komposition gegen ein klingendes Äquivalent für ihn machen zu wollen19 – ein Ansinnen, welches Raff auch der Fürstin persönlich aussprach.

Wurde Weimar durch Liszt zum Hort des musikalischen Fortschritts, so koncentrirte sich der musikalische Pulsschlag der Zeit thatsächlich in der Altenburg. Von hier aus verbreitete sich schriftlich und mündlich neue Lehre, von hier aus ging die Wagner-Propaganda, als auch die Reform des musikalischen Dirigentenstabes, hier war der Sammelpunkt der künstlerisch Neustrebenden, von hier aus ging der Kampf gegen Schablone, Schlendrian und literarische Bevormundung. – Hier endlich, entstanden die zahlreichen großen Schöpfungen des Meisters.

Hinter all dem Großen aber, das errungen ward, spielte profanem Auge unsichtbar die Leidenstragödie fort, der Kampf gegen den Absolutismus verschiedenster Gestalt, der Kampf für individuelles Recht. Die Welt aber, die am Scheine nur hängt, warf die Altenburg in die allgemeine Kategorie der Liebeshöfe.

Fußnoten

1 Eine eingehende Beschreibung widmete ihm R. Pohl in der »Neuen Zeitschrift f.M.« 1854: »Reisebriefe aus Thüringen«. Von Hoplit. (Gesammelte Schriften über Musik und Musiker von R. Pohl. II. Bd. S. 64 u.f.). – Nach des Meisters Tod wurde das Instrument dem Liszt-Museum zu Weimar einverleibt.


2 Kam nach Wien.


3 Derselbe kam nach des Meisters Ableben ebenfalls nach Wien.


4 Die Büste wurde 1838 während Liszt's Aufenthalts in Florenz gearbeitet; das Ölbild gehört dem Jahr 1837 an.


5 II./I. Bd., S. 162.


6 Von Boisselot, in dem Brief an Belloni erwähnt, jetzt im Liszt-Museum zu Weimar.


7 Das Titelbild zu Liszt's Klavier-Legende »Der h. Franciscus auf den Wogen schreitende« ist ein Abdruck derselben.


8 Wenn ich nicht irre, ein Marienbild.


9 Später, nachdem die Altenburg andere Bewohner hatte, wurde der schmale Gang vom Vorderhaus in des Meisters Arbeitszimmer bis zur Hoftreppe ausgedehnt, wozu das Arbeitszimmer den Raum abtreten mußte. In Folge dessen hat es seine damalige Tiefe verloren, und der Eingang zu dem einstigen Betgemach ist vom Gang aus.

Liszt's Studirzimmer mit der Einrichtung und allem, wie es war, wieder herzustellen – eine Gedenkstätte für spätere Geschlechter, wie andere Weimaraner Geister sie gefunden –, bleibt den Verehrern Liszt's, vor allem dem großherzoglichen Hof, in dessen Hand eine Restauration in erster Linie liegen dürfte, noch zu thun übrig. Ich selbst strebte mehrere Jahre danach, wenigstens die Möbel diesem Zweck gesichert zu erhalten, ohne die Unterstützung hierzu finden zu können.

Ich suchte darum im geschriebenen Bilde festzuhalten, was mir in anderer Weise nicht gelingen wollte.


10 »Briefwechsel zwischen Wagner und Liszt« (Leipzig, Breitkopf und Härtel 1887) I. Bd., S. 15.


11 Ebend. II. Bd., S. 321.


12 Ebend I. Bd., S. 203.


13 Sollte eine Zählung und Zusammenstellung der Tonwerke und Musikstücke veranlaßt werden, die durch Liszt's »Geist hindurchgegangen« und Spuren dieses Durchgangs an sich tragen – sei es im Satzbau, in der Instrumentation oder in der Modulation (oft nur einzelne Akkorde, die er einem MS. einfügte und dadurch ganze Tonstrecken erhellte) –: es würde sicherlich ein Verzeichnis herauskommen, das an Umfang dem »Them. Verzeichnis der Werke Liszt's« zur Seite gestellt werden könnte.


14 Siehe Gedichtsammlungen von P. Cornelius, Hoffmann v. Fallersleben, Steinacker u.A. Desgl. »N.Z.f.M.« 47. Bd, S. 195; Zellner's, »Blätter f.M.« 1857, Nr. 89 u.a.


15 »Briefwechsel« etc. I. Bd., S. 45.


16 Liszt schrieb mir bezüglich derselben: »Ich bestritt immer allein die nicht geringen Kosten der Erziehung; die Frau Fürstin Wittgenstein half mir edelmüthig aus während den Jahren, als meine beiden Töchter unter der Obhut von Madame Patersi – (von 48 bis 53–54) waren; und gleichfalls nachher, als sich beide Mädchen bei Frau von Bülow in Berlin befanden.«

Mme. Patersi de Fossombroni (die ehemalige Erzieherin der Fürstin), nach Liszt eine: »sehr ehrwürdige ältere Dame«.


17 Sie brach sich in Erfurt das Bein (1852). – Während der Zeit der Pflege, im engen Beisammensein mit ihr erhielt die Fürstin die eingehendste Kunde über die Kinder- und Jugendjahre Franz Liszt's, so daß sie in Wahrheit sich als den »alleinigen Menschen« bezeichnen durfte, der dessen Leben von Anfang bis zum Ende in allen Einzelheiten kannte.


18 Später engagirte ihn Liszt, wie vordem 1845 in Basel, als Sekretär, und da er in mißlicher Lage war, domicilirte ihn die Fürstin in der Dependance der Altenburg. – Nach Raff wohnte Peter Cornelius in gleicher Eigenschaft daselbst. Auch Tausig erhielt hier sein Freiquartier. Ebenso hatten Andere, deren Beziehungen zu Liszt sie des öfteren nach Weimar führten, hier ihr ständiges Zimmer, wie Franz Brendel, der Verleger Julius Schuberth u.A.


19 Die Ansicht, daß Liszt für das symphonische Fach »nicht das Zeug habe«, blieb Raff noch lange ein Glaubenspunkt. Nach dem quasi fiasco, welches die Presse Liszt's »Tasso« und den »Präludien« 1855 in Berlin gleichsam andichtete, sprach er im »Erbprinzen« zu Weimar unerschütterlich aus: »Warum hat er sie mir wenigstens nicht zum instrumentiren gegeben – sagt' ihm ja im Voraus, daß es so nichts ist! – nun hat er's!« –

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 2.2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1892.
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