3.

Die Unsichtbare.

[27] Mozart machte sich nun mit einem Eifer, mit einer inneren Lust und Freude an die Composition des»Don Giovanni, osia il dissoluto Punito,«15 wie sie nur die Begeisterung für etwas Großes und Erhabenes geben kann. Aber es schwebte ihm auch Großes und Erhabenes vor. Seine ganze Seele, sein Denken, sein Fühlen, sein Handeln waren in Musik aufgelöst. Zahlreiche große und prächtige musikalische Gedanken erfüllten seinen Geist; aber das wogte noch alles chaotisch durcheinander, – es erdrückte ihn fast und er fühlte: nur die Gestaltung des Werkes könne ihn erlösen. Und sein von schöpferischer Seligkeit berauschter Geist schmachtete nach dieser Erlösung, die im Werden und in der Vollendung Entzücken sein mußte.[27]

Niemals war Mozarts Stimmung eine höhere, kühnere, genialere gewesen, als eben jetzt. Seine Frau bemerkte es mit dem Hochgefühle eines edlen Stolzes und war so klug, sein ganzes Wesen unangetastet zu lassen. Sie freute sich des kecken Flügelschlages, mit welchem der Genius ihres Mannes der Sonne des Ruhmes entgegenflog; darum bezwang sie denn auch in dieser Zeit ihre Frauennatur mehr denn je und schaute selbst dann durch die Finger, wenn der Maestro, fortgerissen von seinem Gegenstande, in höchst eigener Person etwas Don Juan wurde. So klug war sie doch, um einzusehen, daß hier – wenn etwas Großes zu Stande kommen sollte – eine freie und kecke Bewegung des Meisters auch im Leben nöthig war. »Nie kann ein Pedant etwas Geniales schaffen!« – hatte Mozart einst gesagt, als sie ihm in guter Absicht die Zügel etwas fester anziehen wollte, – »du darfst daher auch an deinen Mann nicht den Maßstab eines hausbackenen Eheherrn legen, der nach vollendetem Tagewerk auf Comptoir oder Amtsstube in Schlafrock und Pantoffeln schlüpft, und – die Zipfelmütze auf dem Kopfe, die Thonpfeife im Munde, die Kinder auf dem Schooße – der Mama hilft Erbsen oder Linsen zu belesen.«

Und diese Worte, die ihr jetzt wieder einfielen, mochten doch nicht so ganz ohne Wahrheit sein.

Constanze sagte sich dies selbst; aber ihr Herzchen klopfte doch dabei hörbar, wenn sie bedachte, wie empfänglich Amadeus für hübsche grauen sei, und daß eine der ersten Piecen, die er bereits für die neue Oper mit bezaubernder Originalität componirt habe: »Fin chan dalvino calda la testa!«16 gewesen sei.

Immerhin! sie überwand sich, war guten Muthes, heiter und liebenswürdig, und ging auf des Gatten Scherze und freudiges Wesen ein; warb aber auch reichlich durch den Fleiß belohnt, mit welchem Mozart schuf und arbeitete, so wie durch die klare und glückliche – einen Himmel wiederspiegelnde Laune, die er ihr immer entgegen brachte. Und wie entzückten sie die Schöpfungen ihres geliebten Wolfgangs; denn da war keine Piece, die er ihr nicht vorspielte und vorsang, und oft mußte sich Constanze selbst zu ihm an das Instrument stellen, und die neuen Arien, Recitative u.s.w. singen.[28] Aber dies Vorrecht kam nur der Frau zu; Niemand anderes erfuhr sonst von der neuen Oper das Geringste.

Da Mozarts kindliches Gemüth große Freude an der Natur hatte, miethete er jedes Jahr in der schönen Jahreszeit ein kleines Landhaus vor der Stadt. Das kostete nun freilich mit seiner Stadtwohnung achthundert Gulden und verschlang daher einen großen Theil seiner Einnahme, – aber ohne dasselbe konnte er eben nicht sein! Er glaubte dies wenigstens. Wenn er dann in sein Arbeitszimmer trat, dessen geöffnete Fenster auf den Garten gingen, und die Blumendüfte nun in Strömen einzogen, ....... und die frische Morgenluft das ganze Gemach erfüllte, .... ei! wie herrlich arbeitete es sich da!

Alle Morgen früh um fünf Uhr machte er ferner einen Spazierritt. Auch eine kostspielige Angewohnheit; – aber – er war ja so gut dabei. Ehe er z.B. das Haus verließ, wurde noch einmal in das Schlafzimmer seiner Frau geschlichen. Liebevoll blickte er dann seine gute, schlummernde Constanze an, als wolle er sich durch das Einprägen ihres Bildes für den ganzen übrigen Tag heiligen, und wenn sie, die jetzt oft leidend war, ruhig fortschlief, dann schrieb er mit Bleistift einen Zettel und legte ihn auf den Nachttisch, damit sie ihn beim Erwachen gleich finde. Auf dem Zettel aber stand dann wohl: »Guten Morgen liebes Weib! Ich wünsche, daß du gut geschlafen habest, daß dich Nichts gestört habe. Stehe nicht zu rasch auf und erkälte dich nicht. Erzürne dich auch nicht mit deinen Dienstboten, thue dir nicht wehe im Bücken oder Strecken und falle nicht über die Schwelle im nächsten Zimmer. Spare häuslichen Verdruß, bis ich zurückkomme. Daß nur dir nichts geschieht. Bis um acht Uhr bin ich wieder zu Hause.«17

So und auf ähnliche Weise schrieb er diese Verhaltungs-Recepte, die allerdings die innigste Liebe und Aufmerksamkeit bekunden; auf der anderen Seite aber auch beweisen: daß Herr und Frau Mozart, – wie alle anderen Menschenkinder, – neben den Lichtseiten der Ehe auch deren kleine Schattenseiten kannten.

Jetzt im Augenblicke wurden die Spazierritte freilich sehr abgekürzt, da die Composition des »Don Juan« den Maestro[29] zu sehr in Anspruch nahm und an den Lectionen in der Stadt nichts gestrichen werden konnte. War doch die Kasse wieder in schlechten Umständen und kleine Schulden genug zu decken.

Aber was that das: »Prag!« und »Don Juan!« waren die Losungsworte! Da mußten ja wieder schöne Sümmchen flüssig werden, und nahm man diese in die Hand, so ließ sich Alles decken und bestreiten und frisch und frei in die nächste Zukunft schauen. Ach! namentlich Constanze hoffte dann auf einen günstigen Umschwung. Sollte denn eine, den Talenten ihres Mannes entsprechende Anstellung immer ausbleiben? Und wenn einmal eine solche gefunden, konnte Mozart dann nicht auch ruhiger arbeiten, still vergnügter genießen? – Jetzt, das wußte sie recht gut, ward manche kleine Schmollerei, mancher vorübergehende eheliche Zwist dadurch herbeigeführt, daß ihr armer geplagter Mann aus Sorgen oder Mißmuth länger im Wirthshause blieb, als er sollte und selbst wollte; oder – um sich zu vergessen – tolle Streiche mitmachte, die er bei freier Stellung und freiem Blick bei Seite gelassen haben würde.

Aber fort damit! Von dem Allem wußte Mozart jetzt in seiner künstlerischen Aufregung nichts. Hätte ihn nur dabei nicht auch noch etwas Anderes aufgeregt, ..... eine ganz eigene Sache!

So oft er nämlich des Morgens in sein Studirzimmer eintrat, lag genau auf dem Platze, an dem er zu arbeiten pflegte – ein kleines wunderschönes Blumensträußchen, – und zwar war dasselbe einen Tag wie den andern aus den gleichen Blumen gewunden, deren hervorragendste jedesmal eine Granat- und eine Oleanderblüthe waren.

Die paar ersten Male legte Mozart, mit seinen musikalischen Gedanken beschäftigt, keinen besonderen Werth auf die Sache. Er nahm das Sträußchen, roch daran, freute sich darüber, da er glaubte, seine Frau habe es ihm, als freundlichen Morgengruß, schon am Abende hingelegt, schob es dann aber zur Seite und vergaß es über dem Arbeiten. Erst nach einigen Tagen ward er, durch die consequente Wiederholung dieser Artigkeit, aufmerksamer auf sie, und diese Aufmerksamkeit steigerte sich, als weder Constanze, noch irgendwer von den Dienstboten etwas von einem Sträußchen wissen wollten.

Am nächsten Morgen lag es wieder da, und jetzt fiel es Mozart auch erst auf, daß seine Mitte stets von einer [30] Granat- und einer Oleanderblüthe eingenommen werde. Beide Gewächse kamen aber in seinem kleinen Garten gar nicht vor. Das Bouquet kam also von Jemandem, der nicht im Hause wohnte. Aber wie kam es überhaupt auf Mozarts Schreibtisch und sein Zimmer im ersten Stock? Denn der Bursche und das Mädchen, zwei sonst ehrliche Seelen, schwuren, daß sie nie ein Bouquet empfangen und hingelegt hätten.

Das war nun ein ganz nettes Abenteuer; dahinter mußte etwas stecken! Mozart holte also unter seinen Büchern eine kleine Schrift hervor, die über die »Blumensprache des Morgenlandes« handelte und schlug nach: Granatblume? – »Alle Wetter!« – rief er und las: »Einen Kuß von deinen Lippen und ich bin selig!« – – dann schlug er Oleander auf, und fand: »Treu bis in's Grab!«

Das war stark! Da glimmte also in irgend einem weiblichen Herzen eine heiße, eine feurige Liebe für ihn! Mozart war aber nicht der Mann, den so etwas unberührt gelassen hätte, zumal jetzt in seiner gewaltigen künstlerischen Aufregung. Seine glühende Phantasie malte ihm sogleich ein zauberhaftes Frauenbild vor, das voll sehnsüchtiger Liebe nach ihm schmachte. Dabei reizte ihn das Geheimnißvolle und Romantische der Sache ganz ungemein. Die weiblichen Gestalten seiner Oper, mit denen er sich jetzt Tag und Nacht beschäftigte, bekamen Fleisch und Blut, und es kam ihm ordentlich vor, als ob ihm der runde volle Arm der reizenden Donna Anna winke. Er warf die Feder weg – – – und konnte heute nicht componiren.

»Du mußt diese Nacht aufpassen!« – dachte er – »wer das Sträußchen für morgen bringt, und wie es zu deinem Fenster hereinkommt; denn hereingeworfen wird es nicht, da es immer genau an demselben Platze liegt. Vielleicht läßt sich da etwas über die Geberin erfahren. Kennen muß ich sie jedenfalls lernen. Man muß doch wenigstens dankbar für solche Artigkeit und Aufmerksamkeit sein!«

Er befahl sein Pferd; schlich in Constanzens Schlafgemach, küßte die sanft Schlummernde leise auf die Stirne, legte seinen Zettel, der heute ein längeres Ausbleiben ankündigte, neben sie und verließ dann wieder auf den Zehen das Gemach. Als er heraustrat, mußte er über sich selbst lächeln. Er hatte eben sein theueres Weib mit der aufrichtigsten und innigsten Liebe betrachtet und geküßt; er fühlte, daß sie ein Stück von[31] ihm selbst, von seinem Leben sei; daß er ohne sie und ihre Gegenliebe gar nicht existiren könne – – und doch – – was trieb ihn denn eben von Hause weg? War es nicht die süße Unruhe, – der seiner aufgeregten Sinnlichkeit und Phantasie schmeichelnde Gedanke, daß irgend eine schöne, liebreizende Unbekannte für ihn glühe? Und suchte er sie nicht schon im Geiste? Verlangte es nicht ungestüm in seinem Innern, sie zu finden und die köstlichen Früchte dieses Abenteuers zu pflücken?

Er war viel zu ehrlich, um sich dies zu verbergen, aber auch viel zu leicht, um mehr als eine artige Spielerei darin zu finden. »Will's den Mittag meiner Stanzerl erzählen!« – dachte er und warf damit alle Verantwortlichkeit von sich ab. – »Die wird lachen über die Närrin!«

Wirklich hielt Mozart Wort und theilte in seiner Gutmüthigkeit und Offenheit die ganze Geschichte seiner Frau und mehreren Freunden beim Mittagessen mit; denn da er von jeher eine heitere Gesellschaft liebte und gastfrei wie der reichste Edelmann war, so kam fast nie die Suppenschüssel auf den Tisch, ohne Gäste zu sehen. Er hatte sich denn auch in seiner guten Frau nicht getäuscht, sie lachte allerdings mit über die Blumenspenderin, ja sie ging sogar auf die kleinen Neckereien ein, die den Maestro – den alle Welt für einen Näscher in Liebesaffairen kannte – jetzt trafen; aber sie nahm sich im Stillen doch auch zweierler vor: einmal den Schleichhandel mit den Bouquets womöglich abzuschneiden, und dann die geheime Rivalin dadurch zu entwaffnen, daß sie dem geliebten Manne mit doppelter Herzlichkeit, Liebe und Freundlichkeit entgegenkomme und sein Herz auf diese Weise so mächtig fessele, daß es die Unbekannte gar nicht kennen zu lernen verlange.

Gewiß ein großer, schöner und edler Entschluß; – aber – die Gute wußte in ihrer Unschuld nicht, welch' ungeheuren Reiz alles Romantische, Geheimnißvolle und – – Verbotene auf Menschen von Sinnlichkeit und Phantasie übe!

Wirklich entfaltete die junge Frau von dem Momente an eine Liebenswürdigkeit, die alle Tischgäste – den Herrn Gemahl miteingerechnet – entzückte. Sie war die Heiterkeit und muntere Laune selbst; ja Mozart traute seinen Augen kaum, als sie zum Nachtische mit drei Flaschen köstlichen Burgunders herantrat. Es war dies ein Theil eines Geschenkes des Fürsten [32] Johann Esterhazy, das Frau Mozart nur bei ganz besonderen Gelegenheiten anzugreifen pflegte. Und in der That! glich sie nicht wirklich, als sie jetzt einschenkte, einer Hebe?

Wie schön stand ihr das hellgrün und weißgestreifte Kleid! wie reizend fiel der Ueberfluß ihrer lichtbraunen von keinem Puder entstellten Locken auf Schultern und Nacken. Mozarts Blicke sogen, trunken vor Lust, das liebliche Bild ein. »Sie ist doch so schön als gut!« dachte er und war stolz darauf, ein solches Weib zu besitzen. Wie er aber immer bei ähnlichen Gelegenheiten, und wenn er so recht bei guter Laune war, seine Gedanken in improvisirten Reimen ausdrückte, so auch heute. Leuchtenden Auges, den seelenvollen Blick auf sein Weibchen gerichtet, das gefüllte Glas hoch in der Hand, rief er jetzt:


»Der Wolfgang Amadeus Mozart

Ist ein Kerl von eigner Art;

Was ihm sitzt im Herzensgrund

Macht die Lippe Jedem kund.

Hat darüber oft und viel

Sich verdorben schon sein Spiel,

Und wie aller Welt bekannt,

Sich gar schön das Maul verbrannt.

Dennoch bleibt er stets dabei:

Lustig, offen, frisch und frei!«


Alle wiederholten auf sein Zeichen mit Lachen:


»Dennoch bleibt er stets dabei:

Lustig, offen, frisch und frei!«


Mozart trank aus und die Anderen folgten. Dann seiner Frau zuwinkend, das sie die Gläser wieder fülle, fuhr er fort:


»Und so mag's bei Lust und Wein,

Denn auch wieder heute sein;

Also hört, ihr Freunde alle,

Was im gegenwärt'gen Falle

Ihn am meisten freut und hebt,

Und vor seiner Seele schwebt,

S'ist die Stanzerl hold und mild,

Wie sie uns die Gläser füllt!«


Und Alle mußten wiederholen, was sie auch jubelnd thaten:


»S'ist die Stanzerl hold und mild,

Wie sie uns die Gläser füllt!«


Constanze aber beugte sich erröthend über den Gatten, drückte ihm einen Kuß auf die Lippen und sagte:


»Kluge Leute hören nicht,

Was ein solcher Spötter spricht!«
[33]

Aber Mozart ließ sich nicht irre machen, schlang seinen Arm um ihre Taille und fuhr fort:


»Solch ein Weib ihr lieben Brüder,

Sieht die ganze Welt nicht wieder.

Denn sie ist wie Hebe hold,

Hat ein Herz von laut'rem Gold;

Und was mehr als Alles thut:

Sie ist brav und herzensgut!«


Und abermals erschallte es aus allen Kehlen unter frohem Jauchzen und Gläserklingen:


»Und was mehr als Alles thut,

Sie ist brav und herzensgut!«


Die Bahn zu einer ausgelassenen Munterkeit war nun gebrochen. Constanze verweilte noch einige Zeit bei den Herren, dann zog sie sich unbemerkt zurück.

Der Kaffee wurde in der Gartenlaube genommen, dann ging es an das Musiciren, das bis über das Abendessen hinaus dauerte, und so war es beinahe Mitternacht, als die Gäste Abschied nahmen.

Constanze war längst zu Bette gegangen.

Aber wie wunderschön war doch die Nacht. Sie erinnerte Amadeus in ihrer Milde und Behaglichkeit an Italien. Der ganze Himmel prangte voll Sterne und ein balsamischer Hauch stieg von den Blumenbeeten auf. Und wie leuchtende Schmetterlinge gaukelten die Erinnerungen der Jugend an seiner Seele vorüber; die Nächte zu Rom, mit seinem kleinen Freunde Linley und der lieblichen Giuditta so glücklich verlebt; – und jene göttlichen Nächte zu Neapel, an der Seite der stolzen Bernasconi!

Wo war sie hin diese schöne Zeit? – und was mochte aus ihnen geworden sein, .... aus Linley und Giuditta?

Unwillkürlich blickte sein Auge nach dem Himmel, als wolle er die Sterne darüber befragen. Aber die ewig leuchtenden, Alles sehenden Sterne blieben still und kalt. Was kümmert auch sie, die ewig Hohen, das Loos der armen Staubgeborenen? Mag dein Herz vor Freude jauchzen oder vor Schmerz zerspringen wollen, sie bleiben eisig, kalt, ernst, unbewegt und wandeln feierlich ihre unermeßlichen Bahnen. Und doch mußte Mozart seine Gefühle jetzt ausströmen, – mußte etwas haben, das mit ihm fühlte.[34]

Er riß die Fenster seines Zimmers weit auf, um Luft und Duft einzulassen, und ergriff ungestüm die Violine, die an der Wand hing. Und ohne es zu wissen und ohne es zu wollen, hauchte er in unendlich zarten Tönen die Empfindungen seiner Seele aus. Es waren Melodien, die er mit Linley vor siebenzehn Jahren gespielt, die aber jetzt sein enormes Gedächtniß vollständig zurückführte. Aber diesmal antwortete der kleine Freund nicht, wie einst in jener schönen Nacht zu Rom. Auch keine Giuditta war da, ihn mit einem Lorbeerkranze zu krönen. Vielleicht lebte die Holde gar nicht mehr? ...... vielleicht ..... vielleicht ..... er spielte immer auf eine entzückende Weise fort, ohne es sich selbst bewußt zu werden .... und dachte immerfort an die kleine, feurige Giuditta ..... die seine kleine, liebe, wilde Katze gewesen, .... mit der er sich herumgewälzt und gebissen .... mit der er so selige Stunden verlebt .... Stunden, Stunden, .... wie in der Höhle der heiligen Cäcilie!

Er hielt inne im Denken und Spielen. Es war ihm plötzlich – trotz der Nacht – so heiß geworden, daß er sich den Schweiß von der Stirne wischen mußte. Aber er hatte heute auch viel gelacht und viel gesprochen und viel Wein getrunken, und dann zog auch – was er jetzt erst bemerkte – am Horizonte ein schweres Gewitter herauf. Selbst die äußere Temperatur war jetzt eine andere. Es war schwül – sehr schwül!

Mozart knüpfte die Weste auf, da schimmerte ihm Giuditta's Andenken, das kleine goldene Kreuz entgegen. Er blickte es lange sinnend an; – zweimal hatte es zu ihm gesprochen: als er seiner Zeit in seiner Liebe geirrt, und als Cannabich ihm bedeutet, daß er, wenn er fortfahre die Nächte hindurch zu arbeiten, keine 40 Jahre alt werde. Das erstemal hatte sich die Warnung bewahrheitet; sollte sich die zweite auch erfüllen? Er sann lange nach, dann drückte er einen Kuß darauf und verbarg es wieder an seinem Herzen.

Und wieder zitterten die Saiten seines Instrumentes, und selige Melodien zogen hinaus in die Nacht, die finsterer und finsterer wurde.

Da war es ihm, als höre er im Garten ein leises Geräusch. Was war das? – sollte dies ein Vorbote des Sträußchens sein?

Er hatte die Geschichte ganz vergessen gehabt; aber jetzt fiel es ihm wieder ein: daß er sich ja vorgenommen habe,[35] die Art und Weise der Ueberbringung zu belauschen, und das überbringende Wesen abzufangen, um womöglich der holden Spenderin auf die Spur zu kommen.

Rasch löschte daher Amadeus das Licht aus, und schlich hinunter in den Garten. Hier befand sich, ganz nahe dem Wohnhause, und unmittelbar dem Fenster des ersten Stockes gegenüber, durch welches die Bouquets immer so geheimnißvoll auf Mozarts Schreibtisch befördert wurden, ein kleines Hüttchen. Es diente gewöhnlich zum Aufbewahren der Gartengeräthschaften, doch pflegte Amadeus auch oft auf dem alten Sopha, welches darin stand, sein Mittagsschläfchen zu halten. Da dies Hüttchen nach vorn eine Thüre und nach rechts und links Jalousiefenster hatte, eignete es sich vortrefflich zum Lauschen. Dahin also richtete Amadeus seine Schritte.

Es war dunkel geworden. Kein Stern leuchtete mehr, schwere Wolken bedeckten den Himmel und während der Donner von fern her grollte, fielen einzelne schwere Tropfen. Mozart eilte daher, unter das schirmende Dach zu kommen; aber in demselben Augenblicke, in welchem er hineintreten wollte, versuchte Jemand Anderes hinauszuschlüpfen.

»Holla!« – rief Mozart halblaut und schlang freudig seine Arme um die Gestalt, die in der Dunkelheit nicht zu erkennen war: – »Haben wir das Mäuschen gefangen? Jetzt wird man doch einmal erfahren ....«

Aber das Wort erstarb ihm im Munde, denn er fühlte, daß er ein weibliches Wesen in den Armen hielt. Der Stoff der Kleider war fein, – die Haare dufteten angenehm, – die abwehrenden Bewegungen verriethen Anstand, – die Formen Jugend!

»Alle Wetter!« – flüsterte Amadeus – »sollte ich das Herzensvögelchen selbst erwischt haben? – Wer sind Sie, mein Engel?«

Aber die Gefangene antwortete nicht, doch glaubte Mozart ein unterdrücktes Kichern zu hören. »Ein gutes Zeichen,« – dachte er – »sie freut sich ihrer Gefangenschaft!« Doch fing er nun zu katechisiren an. Aber die gefangene Schöne schwieg beharrlich, während es draußen vom Himmel herabgoß und donnerte, als ob die Welt untergehen solle.

Mozart frug nichts darnach; er hatte nur zu thun, das Sträuben des lieblichen Wesens, das er fest umschlossen hielt, zu bewältigen. Sein Blut schäumte, seine Pulse flogen, seine[36] Glieder zitterten, zumal da er jetzt an die Stelle der Fragen Küsse treten ließ, die auf brennende Wangen fielen. Und – o Wonne! jetzt fing auch das Vöglein an, gefügig zu werden ... jetzt ... jetzt erwiderte die Holde sogar den Kuß des feurigen Maestros.

Aber in demselben Augenblicke fuhr auch Mozart wie vom Donner gerührt zurück, während ein schallendes Gelächter von Seiten der Gefangenen die Luft erschütterte. Bei dem Leuchten eines furchtbaren Blitzes hatte Mozart .... seine Frau erkannt.

»Aber um Gottes Willen« – stotterte er jetzt verlegen – »Herzensfrauchen, was machst du denn um diese Zeit hier?«

»Darf ich die Frage meinem gestrengen Eheherrn zurückgeben?« – entgegnete Constanze, aber in so heiterem und unbefangenem Tone, daß Wolfgang Luft schöpfte.

»Je nun!« – sagte dieser – »ich wollte endlich einmal wissen, wer die bewußten Bouquets bringt und schickt.«

»Vortrefflich!« – entgegnete Frau Mozart – »aus demselben Grunde bin ich ja auch hier. Ich wollte dir, meinem lieben! herzensguten Männchen und der unbekannten Spenderin die Sache erleichtern. Hätte ich ihren Namen erfahren, so hätte ich sie zu uns geladen, dann würdest du ganz gemächlich zwischen uns zwei die Wahl gehabt haben.«

»Constanze!« – bat Mozart.

»Und« – fuhr jene heiter fort, indem sie jetzt ihren Mann umschloß – »glaubst du es mir, daß ich so eitel bin, dabei an den Sieg von meiner Seite zu denken?«

»Liebste, beste Stanzerl!« – rief Mozart flehend.

»Denn« – fuhr sie fort – »ein gewisser großer Dichter sagte einst:


›Solch' ein Weib, ihr lieben Brüder,

Sieht die ganze Welt nicht wieder.

Denn sie ist wie Hebe hold,

Hat ein Herz von laut'rem Gold;

Und was mehr als Alles thut,

Sie ist brav und herzensgut!‹«


»Ja, das ist sie auch!« – rief Mozart – »so brav und so gut, daß sie ihren Mann beschämt!«

Aber jetzt war es Constanze, die ihm den Mund mit Küssen schloß. – Es war noch immer stockfinster, der Regen goß fort und fort vom Himmel, die Donner aber rollten schon[37] ferner. Mozart zog sein Frauchen neben sich auf das Sopha. Sie konnten ja jetzt vor dem Regen nicht hinaus. Als sie nach langer Zeit das Häuschen verließen, war das Gewitter vorbei, und die ersten Lichter des Morgens dämmerten über der Welt, die, wie ein ungeheurer Altar des Ewigen, dampfte und duftete.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 27-38.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Die Sängerin Marie Ladenbauer erblindet nach einer Krankheit. Ihr Freund Karl Breiteneder scheitert mit dem Versuch einer Wiederannäherung nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der Erblindung. »Das neue Lied« und vier weitere Erzählungen aus den Jahren 1905 bis 1911. »Geschichte eines Genies«, »Der Tod des Junggesellen«, »Der tote Gabriel«, und »Das Tagebuch der Redegonda«.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon