8.

Die Hauptprobe.

[86] So war denn der Tag herangekommen, an dem die erste Hauptprobe stattfinden sollte.

Mozart war ungemein heiter gestimmt. Schon unter dem Ankleiden und Händeabtrocknen ging er fortwährend im Zimmer auf und ab, schlug dabei die Fersen an einander und ließ im Geiste die ganze Oper an sich vorüber ziehen. Beim Frühstück aber machte er mit Constanze die tollsten Streiche, so daß diese oft herzlich lachen mußte und ganz glücklich über ihres Wolfgangs Heiterkeit war, aus der sie die froheste Zuversicht schöpfte.

Noch als er fertig angekleidet und zum Weggehen bereit vor ihr stand, griff er scherzend an seinen Hut und sagte:


»Und nun, Frau von Mozartin,

Geht Wolfgang zu der Probe hin,

Wo sie den feinsten Bursch' auf Erden,

Den Don Juan verdonnern werden.

Ich seh' schon all' mein Unglück kommen:

Kaum hat daß Theater uns aufgenommen.

Bringt der Bondini mir die Mähr,

Seine Frau hätte den Schnupfen sehr;

Daß Bassi, meine ›wilde Fliege,‹

Am Katzenjammer darniederliege;

Die Saporitti sei mit dem langen

Felice Ponziani durchgegangen;

Die Donna Elvira leid seit drei Tagen

Ganz entsetzlich an Kopf und Magen;

Lolei sei da, – aber Mord und Hohn –

Ohne ›Geist,‹ denn der sei entflohn!

Wer soll nun da die Hölle schüren.

Wer den Bösen repräsentiren?

Was soll zu Schnupfen und verdorbenem Magen

Nun der unglückliche Maestro sagen?

Soll er sich die Haar' ausreißen? –

Quartfagott möcht' ich zum Teufel weisen,

Bläst ja falsch – einen halben Ton!

Was will denn die erste Violine schon?

Noch zwei Achtel – so ist's recht –[86]

Piccicato! – – o das war schlecht!

Adagio più tosto andante,

Herr meiner Seele ist das eine Schande.

Nicht F! nicht F! es ist ja fis!

Ich werde toll, das ist gewiß!

Sieht Sie, Frau von Mozartin,

So geht das durch vier Stunden hin!

Am Ende lacht man mich noch aus

Und wirft den Maestro aus dem Haus:

Und ruft: ›Don Juan‹ sei uns gestohlen,

Den Mozart soll der Teufel holen!«


Und mit diesen Worten umarmte er seine Constanze noch einmal, drückte ihr einen Kuß auf die Lippen und lief davon.

Aber Mozart fürchtete die soeben seiner Frau poetisch geschilderten Plagen und Schrecken eines Capellmeisters und Componisten nicht. Er kannte die Tüchtigkeit des Prager Orchesters – das aus lauter bedeutenden Künstlern zusammengesetzt war – zu gut und wußte, daß sich alle Mitglieder desselben, so wie die sämmtlichen Sänger und Sängerinnen auf die heutige Probe wie auf ein Fest freuten.

In der That traten ihm denn auch überall heitere und strahlende Gesichter entgegen, und für Jeden und für Jede hatte er einen Scherz oder ein freundliches Wort.

Bondini umarmte ihn und er raubte dafür dessen kleiner lieblichen Frau einen Kuß.

»Herzensweibchen!« – rief er dabei – »ich glaube, auf Gottes weiter Erde kann es kein prächtigeres Zerlinchen geben, als Sie! – Wie das alles sitzt, – so nett und zierlich! – – und dann die verteufelten kleinen schwarzen Aeuglein. Beim heiligen Nepomuck! wenn meine Stanzerl mir ihr ›vedrai carino‹ so sänge wie Sie, es wär' halt am End' mit mir!«

»Ihre Frau?« – wiederholte die kleine Bondini leise, indem sie einen schelmischen Blick auf Amadeus warf. »Ja!«

»Vielleicht verstünde es eine andere noch besser!«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Nicht?«

»Gewiß nicht!«

»Ei sieh! – Wo wohnt denn Ihre Frau?«

»Seltsame Frage!« – rief Mozart lachend. – »Ich denke doch wohl, wo ich auch wohne, bei Duschecks[87]

»Hum! vendrai carino« – – – intonirte die kleine Bondini leise. – »Sagen Sie, Schatz, wir wollen morgen eine Partie nach dem Jagdschlößchen bei Kosohirz machen. Sind Sie dabei?«

Mozart wurde feuerroth. – »Warum nicht?« – sagte er dann. – »Es soll sehr schön dort sein!«

»Sehr schön!« – wiederholte die Bondini lachend. Dann bog sie sich zu seinem Ohr und flüsterte: – »Fast so schön wie in Italien!«

»Sie wissen .....«

»Nichts, gar nichts!« – sagte jene kichernd – »als wie und wo sich gewisse Maestro's die Inspiration zu ihren wundervollen, liebeathmenden und bezaubernden Compositionen holen.« – Und damit schlüpfte die kleine Bondini Mozart, der sie halten wollte, mit ungemeiner Gewandtheit und schalkhaft lachend, unter den Armen durch.

Amadeus stand verwirrt. Sonderbarerweise empfand er jetzt erst durch die ihm drohende Gefahr, daß er auf gefährlichen Wegen wandle. Gerade die Heimlichkeit, in welche sich sein Verhältniß zu Giuditta hüllte, und die seinem sonst immer so offenen Charakter schnurgerade entgegen war, machte ihm dies klar. Aber er hatte jetzt keine Zeit, darüber weiter nachzudenken, die Probe begann. Amadeus dirigirte selbst.

Da die Ouvertüre noch nicht geschrieben war, hatte Signore Ponziani als Leporello mit seinem »Notte e giorno faticar«28 zu beginnen.

Der Taktstock des Maestro fiel und die herrliche Musik fing an. – –

»Wo wollen sie hin?« – frug in diesem Augenblicke auf dem äußeren Gange der ersten Logenreihe der Logendiener eine schwarzgekleidete, dichtverschleierte Dame. Aber die Dame antwortete nicht, sondern deutete nur nach der Thüre der Prosceniumsloge.

Jetzt erkannte sie der Diener. Es war dieselbe, die diese Loge schon oft für sich genommen, namentlich bei Maestro Mozarts Concerten oder wenn der »Figaro« aufgeführt wurde. Da er indessen die strenge Weisung hatte, während der Proben Niemanden zuzulassen, wollte er dies eben erklären, als er etwas zwischen den Fingern fühlte. Instinktmäßig hielt[88] er es gegen die düster brennende Oellampe; aber in demselben Augenblicke verklärten sich seine Züge: es war ein blanker, ganz neuer Dukaten!

Was ist aber Cicero's Beredtsamkeit gegen die Beredtsamkeit eines Dukaten? Der Diener schwieg, – die Dame schwieg – und doch verstanden sich beide so ausnehmend, daß sich sofort die Thüre der Prosceniumsloge wie durch Zauber leise, leise öffnete. Die Dame huschte wie ein Schatten hinein, und der Diener – nachdem er unter unzähligen Bücklingen die Thüre wieder ebenso leise zugedrückt, wie er sie geöffnet – hinaus, d.h. dem Theater hinaus, um in der nächsten Kneipe auf den angenehmen Schrecken Eins zu frühstücken.

Die Probe nahm unterdessen ihren Verlauf zur Zufriedenheit Mozarts und zur Begeisterung aller Anwesenden und Mitwirkenden. Aber Mozart war auch überall! Bald im Orchester, bald auf der Bühne, wechselweise dirigirend und dann wieder die scenische Anordnung leitend oder verbessernd. In der Ballscene, wo Bassi – der sonst ein unvergleichlicher Don Juan war – ihm nicht ganz zu Danke tanzte, trat er selber in die Reihen und tanzte zur allgemeinen Heiterkeit die Menuette mit Zerline Bondini und zwar mit einem solchen Anstande und so vieler Grazie, daß er seinem früheren Lehrer und Meister Noverre alle Ehre machte, und ein lauter, allgemeiner Beifall ihn lohnte.29

So ging es fort, bis zu dem Finale der Finales, – jenem des ersten Actes, das – wie Oulibicheff richtig sagt – ebenso ein Meisterwerk des Musikers, wie des Dichters ist. In der That – Alle staunten – alle waren entzückt. Wie da – neben der wunderbar herrlichen Musik – die Handlung mit einer Kunst geführt war, welcher sich der vollendetste dramatische Autor nicht schämen durfte. Wie die Situationen sich so ganz natürlich auseinander entwickelten; – wie sich das Ernste mit dem Lieblichen, das Komische mit dem Tragischen so ganz ohne allen Zwang, ohne alle Verlegenheit mischte. Jeder spricht in seiner Sprache und handelt in seiner Rolle. Man sah, die Personen sammeln und gruppiren sich, nicht allein um des zu erwartenden Publikums willen, sondern auch wegen ihren eigenen Angelegenheiten. Und endlich in mitten von all' diesem, welch' eine wundervolle Steigerung, welch'[89] eine Reihenfolge von stets belebteren, interessanteren und vollständiger werdenden Bildern, welche die Totalität der Hilfsmittel des Musikers gewissermaßen ein sich selbst Ueberbieten verlangen, und die am Schlusse, wie auf die letzte Stufe an einer Leiter zur Höhe, das Maximum der Effekte stellt, das erreicht werden kann.30

Wie schön waren jetzt Anordnung, Decoration und Musik: drei ineinandergehende Säle und in jedem ein Orchester, die zu gleicher Zeit drei Tänze ausführten: einen Menuett, einen Contretanz und einen Walzer! Wie wundervoll und doch wie natürlich der Tumult einer Orgie, die ihren höchsten Grad erreicht hat. Hier eine Gesellschaft Trinker; – dort ein zärtliches Pärchen, das seine Gefühle durch Pantomimen verräth; – weiter entfernt einige Individuen, die Karten spielen; – Tänzer und Tänzerinnen, gallonirte Lakaien mit Erfrischungen: »Ehi caffe! ciocolate! sorbetti! confetti!«31

Ha! wie zärtlich sich Don Juan der kleinen Zerline nähert; – wie geschickt Leporello den Tölpel von Bräutigam zur Seite schafft; – jetzt verschwinden Don Juan und Zerline.

Mit einem Male aber wird ein Geschrei hinter den Coulissen hörbar: »Gente ajuto!«

Die drei Orchester und sämmtliche Tanzenden halten zugleich inne, nur das dramatische Orchester, das während des Balles pausirt hatte, fällt ungestüm mit einem Allegro assai4/4 aus Es Dur ein, das mit einem kräftigen Unisono beginnt. Aber wie sich jetzt in die drohenden Rufe: »Ora grida da quel lato; Ah gittiamogiu la porta!« in bewunderungswürdiger Modulation die klagenden Rufe Zerlinens mischten, erschallt plötzlich ein lautes »Halt!« aus Maestro Mozarts Munde und der Tactstock fällt hart klopfend auf.

Alles schweigt – Alles hält inne!

»Halt!« – wiederholt Mozart: – »Herzensweibchen! liebe Bondini!« – ruft er dann in die Scene hinauf, wo Don Juan und Zerline hinter den Coulissen stehen. –

»Der Schrei um Hülfe war nicht recht.«

»Nicht recht?« – wiederholte die Kleine, ihr immer freundliches Gesichtchen hervorstreckend.

»Nein!«

»Warum nicht?«[90]

»Zu spät und nicht stark genug.«

Die Bondini lachte schelmisch.

»Nun« – sagte sie dann – »will's besser machen!«

»Schön!« – rief Mozart. – »Aufgepaßt, meine Herrschaften, noch einmal vom Allegro assai an.«

Und von Neuem rauschten und brausten die Töne auf. Aber an derselben Stelle hieß es wieder:

»Halt!«

»War's wieder nicht recht?« – frug verwundert die Bondini, aber mit so komischer Miene, daß selbst Amadeus lachen mußte.

»Nein, Schatzerl!« entgegnete er.

»Aber, mein Gott!«

»Schreien's mal allein.«

Die Bondini that's. Alle lachten.

»Nichts, nichts!« – rief Amadeus eifrig – »lauter!«

»So – nun Da Capo!«

Das Orchester fing wieder an, – aber – das unselige »Halt!« – ertönte auch diesmal wieder. Jetzt war nun freilich Zerlinchen nicht mehr so spaßhaft.

»Liebste, Beste!« – rief Mozart sich hinter den Ohren krauend – »es ist noch nicht recht!«

»Aber was thut's denn?« – frug die Bondini weinerlich zurück – »hängt denn soviel an dem Schrei?«

»Freilich!« – versetzte Amadeus – »für diese und manche andere Zerline; aber auch für das Stück.«

»Begreife nicht!«

»Kommt er nicht zur rechten Zeit und ist er nicht stark genug, kann leicht eine völlige musikalische Verwirrung entstehen – ja die ganze Scene kann umwerfen!«

»Aber was machen?«

»Da Capo« – sagte Mozart. – »Da Capo bis es geht.«

Und wieder hob das Orchester an, und wieder war Mozart nicht zufrieden. Aergerlich stieg er daher jetzt aus dem Orchester auf die Bühne, stellte sich hinter die kleine, nette Bondini und gab noch einmal das Zeichen zum anfangen. So wie aber der Moment kam, in dem Zerline den Hülfeschrei ausstoßen sollte, umfaßte er sie mit solcher Macht und Kühnheit, daß sie vor Schrecken mit der vollsten Natürlichkeit aufschrie.[91]

»Bravo, bravo Donella! So müssen Sie schreien!« – rief er dann der Entsetzten zu, die die Hand noch auf das hochklopfende Herz drückte, während Alles in ein lautes Gelächter ausbrach.32

Aber jetzt mußte die kleine Bondini selbst lachen.

»Sie sind ein abscheulicher Mensch!« – rief sie, Amadeus leicht auf die allzukühnen Finger schlagend. – »Wie kann man Einen so erschrecken!«

»Herzensweibchen, Naturstudium!«

»Ich singe die Zerline nicht weiter.«

»O doch! doch! und zwar wie ein Engel!«

»Meinen Sie?«

»Ich weiß ein Mittelchen, Mittelchen!« – sang ihr Wolfgang schelmisch in's Ohr. Sie drehte sich scheinbar schmollend um. Aber der Maestro ruhte nicht:

»O, la ci darem la mano33, Signorella, Bondini!« – rief er und blickte sie mit seinem offenen, treuen Gesichte so freundlich an, daß sie gut sein mußte. –

»Schatzerl! geben's mir'n Busserl!«

»Ich sollte Ihnen böse sein!«

»Sein's lieber gut; der Schrei war herrlich. Hätt' nie geglaubt, daß Sie so schön kreischen können. Und jetzt machen Sie's genau ebenso in der Musik!«

Und Mozart stieg wieder in das Orchester hinab.

»Allegro assai4/4 Es Dur!« – tönte sein Capellmeister-Commandowort und die Musik hub wieder an.

Diesmal ging es vortrefflich und freudestrahlenden Auges rief er:

»Bravo! Bravo!«

Wie nahmen jetzt die Violinen in kräftigen Strichen die tonischen und dominanten Accorde aus D Moll; – wie brach endlich der großartige Sturm in dem Chore: »Trema, trema scellerato!«34 – dieser Krone des Finale's – aus!

Don Juan erhebt sich jetzt in der ganzen Größe seiner italienischen Natur. Es wird keine verzweiflungsvolle Anstrengung unversucht gelassen, um ihn zu erschüttern; es giebt keine Verwünschungen, die man nicht auf das Haupt des Schuldigen herabruft. Hört nur, hört! Wie sich jetzt die[92] zornige Masse in einem Unisono vereinigt, das sich convulsivisch auf die scharfen und unharmonischen Intervallen der vereinigten Terze stützt: fie-ro-crudele; – jetzt, jetzt! – trifft sie wie der Blitz in der Octave trema; und kämpft in einer herabsteigenden chromatischen Tonleiter mit wahnsinniger Beharrlichkeit gegen den Baß: »Trema, trema, o scellerato!«35

Und jetzt? Der Verwünschung des menschlichen Geschlechtes schließt sich selbst der Himmel gegen den Gottlosen an, der Sturm vermischt seine donnernde Harmonie mit der harmonischen Wuth des Chors und des Orchesters; Blitze leuchten und kreuzen sich in den Triolen der Violinen. Dieser Sturm der Stimmen und Instrumente wächst immer mehr in Terzen- und Quintensprüngen und erhebt sich nun – die Herzen aller Musiker und Sänger selbst zittern – mit Hülfe der Modulation höher und höher, wie wenn er bis zu den Wolken hinaufsteigen und sich mit dem Donner vereinigen wolle! .....

Der erste Act war zu Ende. Ein allgemeines: »Himmlisch!« – »Herrlich!« – »Göttlich!« ertönt von allen Seiten, ja selbst die Geister des Publikums scheinen diese Rufe zu wiederholen; – war es doch, als höre man sie aus den Prosceniumlogen!

Mozart schwamm in Vergnügen: das Orchester hat ausgezeichnet gespielt, Sänger und Sängerinnen vortrefflich gesungen, – Bassi war unerreichbar als Don Juan! Aber Wolfgang Amadeus eilte auch auf ihn zu, und schloß ihn mit den Worten: »Laß dich umarmen, du kostbare, wilde Fliege!« – in seine Arme.

Aber Bassi rief:

»Wer sollte denn auch von einer solchen Musik nicht begeistert sein?«

Bondini aber und Strobach, Duscheck, Stiepaneck und Kucharz, die alle zugegen waren, wünschten dem Maestro Glück zu diesem größten seiner Werke.

Es bedurfte längerer Zeit, bis sich die freudige Aufregung gelegt hatte und man zum zweiten Acte schreiten konnte. Als aber die Schelle ertönte, beeilte sich Alles, seinen Platz wieder einzunehmen; denn jeder war darauf stolz, hier mitwirken zu können, selbst die schauerlichen Fratzen der Teufel,[93] die, – in abenteuerliche schwarze und rothe Gewänder gehüllt und mit Hörnern und Schwanz versehen, – in den dunklen Räumen hinter den Hauptdecorationen wie Gespenster herumschlichen und den Augenblick erwarteten, in welchem sie Don Juan holen sollten.

Eben begann die Probe wieder, als einer dieser Teufel den anderen mit dem Ellenbogen anstieß und, eine Prise Tabak offerirend, sagte:

»Nepomuck, wie gefällt dir's?«

»Gut, gut!« – entgegnete dieser, den Tabak mit einem endlosen Athemzuge in die Nase schlürfend. – »Bei meinem heiligen Schutzpatron, so eine Musik hab' ich noch nicht gehört!«

»Es graust einem ordentlich!«

»Ja! aber wenn er's freundlich macht, da hüpft einem auch das Herz im Leibe.«

»Sakerment! war das Letzte schön. Weißt' – es hat mich so gepackt, daß ich ordentlich gezittert hab'. Der Schnupftabak, den ich zwischen die Fingern hielt, fiel all' auf die Erde.«

»Laß liegen, die Musik ist's werth.«

»Werth? und wenn ich auch keinen Heller bekäm', – ich spielte doch mit, Nepomuck! – weiß Gott, ich spielt' umsonst mit, nur um die Musik zu hören.«

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich's nicht auch thäte!«

»St! Nepomuck, schau dich an!«

»Ja so! bin jetzt selbst Teufel.«

»Und wirst dich doch nicht selbst holen wollen?«

»Gewiß nicht, Chrispin! aber jetzt halt dein Maul, daß man wieder etwas hört!«

Und die beiden Teufel setzten sich auf die Moosbank der in den Hintergrund gerückten Laube, in welcher Masetto vorhin gelauscht, und hörten mit einer Andacht zu, als befänden sie sich in der Kirche.

Alles ging vortrefflich. Endlich kam man zur Kirchhofsscene.

Von beiden Seiten zeigten sich in malerischem Untereinander Monumente, Urnen mit Inschriften und Emblemen; da und dort ragte einiges Buschwerk dazwischen hervor. Eine zerfallene Mauer, hier von der Höhe einiger Fuß', dort von der eines Mannes, ward durch die Bäume sichtbar. Ganz im Hintergrunde erhob sich die Statue des Commandeurs scharf vom Monde beschienen.[94]

Das Ganze machte einen wirklich feierlich ernsten Eindruck. Selbst Mozart war überrascht. Bondini, der an der linken Seite der Bühne stand, bemerkte es mit Freuden und rief:

»Ist's so recht, Maestro?«

»Sehr schön!« – entgegnete dieser, – »ganz wie ich es mir gedacht habe.«

»Und die Reiterstatue des Commandeurs?«

»Macht einen fast beklemmenden Eindruck, – zumal der Mondschein sie in der That geisterhaft beleuchtet.«

»Nicht wahr?« – sagte Bondini befriedigt.

»O!« – – rief Mozart – »wenn sie erst den Mund öffnet und das Grab aus ihr spricht. Aber da fällt mir etwas ein, was den Effect noch bedeutend verstärken wird.«

»Und?«

»Meine Herren Posaunisten!«

»Herr Capellmeister?«

»Um die schauerliche Wirkung der beiden Adagio's, welche der steinerne Mann zu singen hat, zu verstärken, wird es gut sein, wenn Sie sich hinter das Grabmal postiren.«

»Schön!« – sagte der alte Meister Stradetzky und begab sich mit den beiden übrigen Posaunisten an den gedachten Ort.

»Und jetzt weiter! Laßt der höllischen Rache ihren Lauf.«

Und alle ergriffen mit einem gewissen feierlichen Gefühle ihre Instrumente. Bei dem zweiten Adagio des Geistes aber, bei dem furchtbaren: »Ribaldo, audace, lascia ai morti la pace!«36 – rief Mo zart: »Falsch!« und ließ inne halten.

»Die Posaunisten haben geirrt! Da Capo!«

Das Adagio hub noch einmal an. Aber wieder ertönte des Maestro's »Falsch! der Baß bei den Posaunen hat gefehlt!«

Mozart stieg hinauf und erklärte geduldig Stradetzky, – der ein sehr tüchtiger Posaunist, aber eine gewaltig massive Natur war, wie er die Stelle geblasen haben wolle.

Als aber bei der dritten Wiederholung derselbe Fehler vorkam, ward Amadeus ärgerlich, stampfte mit dem Fuße auf und rief:

»Ei, zum Teufel, Stradetzky, so blasen Sie doch richtig!«[95]

Aber nun ward der alte, brummige Stradetzky auch wild und rief grob:

»Ich blase, was für die Posaune ausführbar ist! was Sie da geschrieben, kann kein Teufel ausführen, und Sie werden mich's auch nicht lernen.«

Jeder andere Capellmeister hätte hier gehörig losgedonnert; – Mozart, – die gutmüthige, edle Seele lachte nur. Dann sagte er freundlich:

»Davor soll mich Gott bewahren, mein Lieber, und wenn es für's Instrument nicht paßt, was ich geschrieben habe, so muß ich's allerdings anders machen!«

Und zu dem Regisseur sich wendend, rief er nach Papier und Feder, änderte die Stelle und setzte so gleich der Begleitung noch zwei Oboen, zwei Clarinetten und zwei Fagotte bei.37

Jetzt ging es vortrefflich!

»Groß! groß!« – riefen Bondini und Strobach zugleich.

»Der Effect dieses Chorals ist das Höchste und Ergreifendste, was man auf der Bühne hören kann!« – sagte Kucharz erschüttert.

Der eine Teufel in der Laube aber gab dem anderen wieder einen Stoß mit dem Ellenbogen, hielt seine Dose hin und sagte:

»Donnerwetter!«

»Beim heiligen Nepomuck!« – entgegnete der Andere, die Finger mit Schnupftabak an die Nase führend:

»Da fallen Einem alle seine Sünden ein!«

Mozart sah sich in diesem Augenblicke erstaunt und beinahe frappirt nach der Prosceniumsloge um; es war ihm fast, als habe er ein »Bravo! bravo!« daraus hervorschallen gehört und doch wußte er, daß Niemand dort sein konnte.

Aber die Probe ging weiter und seine Aufmerksamkeit war anders gefesselt.

Endlich, endlich! war auch die Zeit für die Teufel gekommen – – aber – sie sollte nur eine Chimäre sein! Kaum erschienen die fratzenhaften Larven mit Fackeln auf der Bühne, als Mozart verzweifelt ausrief:

»Um Gottes Willen laßt mir die Fratzen!«[96]

»Aber« – entgegnete Bondini hervortretend – »es ist ja vorgeschrieben, daß Don Juan hier durch Teufel geholt werde!«

»Allerdings!«

»Nun!«

»Macht sich aber abscheulich.«

»Wer soll ihn aber holen?«

»O!« – rief Mozart – »der ist Mann's genug, um den Teufel nicht vergebens rufen zu lassen!«38

»Aber .....?«

»Der Furien Chor soll unter der Scene singen, das wird viel imposanter sein!«

Und so geschah es auch.

Als die Probe aus war, wiederholte sich der Enthusiasmus für das Werk.

Mozart war selig; als er sich aber zum Gehen wandte, hätte ihn bald der Schlag getroffen: einer der Teufel stand dicht vor ihm. Er hatte die Gesichtslarve abgenommen und schaute den Maestro mit jämmerlichen Mienen an.

»Nun!« – rief Mozart erstaunt – »Ihr wollt doch wohl mich nicht holen, weil Ihr den Don Juan nicht bekommen habt?«

»Nein, gewiß nicht!« – sagte der Teufel – »aber Sie, Herr von Mozart, haben uns das Beste geholt!«

»Wie so?«

»Nun, daß wir nicht mitspielen dürfen.«

»Ach, Euren Verdienst? Nun wart .....« und er griff in die Tasche.

»Nein!« – sagte der Mann – »auf das Bischen kommt's uns nicht an, so arm wir sind; aber .....«

»Nun?«

»Jetzt können wir auch die Musik nicht mehr hören, – und – beim heiligen Nepomuck! die ist mir und Chrispin lieber, als alles Geld.«

»Ja!« – sagte jetzt der Teufel Chrispin, aus der Dunkelheit hervortretend und eine Thräne glänzte in seinem Auge: »Herr von Mozart, küß die Hand! wenn ich sterbe, denk' ich noch an die Musik!«

Da feuchteten sich auch Mozarts Augen: dies Lob war ihm das schönste, das er heute entgegengenommen. Innig[97] drückte er daher den beiden Männern die Hand und sagte: »Bei jeder Aufführung des Don Juan – so lange ich in Prag bin – habt Ihr freien Eintritt. Kommt nur immer den Tag zuvor in meine Wohnung!«

»Donnerwetter!« – »Sakerment!« riefen die Teufel entzückt und küßten Mozart freudestrahlend die Hand.

Das war die erste Hauptprobe des Don Juan.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 86-98.
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