16.

Signore Carlo Broschi.

[165] Ein schöner Märztag des Jahres 1770 goß sein Sonnengold über die reichgesegnete Comarca di Roma, auf die der Himmel in seinem reinsten und tiefsten Blau freundlich-lächelnd, wie auf ein Lieblingskind, herabschaute. Aber weniger freundlich erwiderte ihm das alte berühmte Bologna den so wohlgemeinten Gruß; denn es lag mit seinen Palästen, Kirchen und Klöstern, seinen schiefen Thürmen und seinem alt ehrwürdigen Universitätsgebäude – im ernsten Sinnen über längst vergangene Jahrhunderte verloren – wie ein zu Stein gewordenes Spiegelbild des oberitalienischen Mittelalters da.

Namentlich trat damals dies charakteristische Gepräge dem Beschauer im Innern der Stadt entgegen, wie an dem großen viereckigen Markte, dem Platze des heiligen Petronius, den die alte Podesteria – der Sitz der früheren Herrscher – das Collegio dei Mercanti, der Dom und andere im strengen Style des Mittelalters aufgeführte Gebäude umgeben. Aber auch die Nebenstraßen waren damals noch diesem Charakter so treu, wie in keiner andern Stadt der Welt; und zwar ging dies so weit, daß selbst die Läden und Buden der Gold- und Silberarbeiter, der Handwerker und Krämer noch zunftartig neben einander lagen.[165]

Was aber das finstere Aussehen noch mehrte, waren die gemauerten Hallen, die sich an allen Häusern und durch alle Straßen hinzogen und durch ihre schattenwerfenden Säulen einen fast ängstlichen Anblick boten.

Große Marmortische, steinerne Fußböden mit breiten Abzugskanälen machten einst diese Hallen für den täglichen Verkehr geeignet und geben noch heute in ihren Trümmern der Gegenwart einen Beweis von dem vorsorglichen Gemeingeiste des Mittelalters, wie er, für das Volk bedacht, aus der republikanischen Römerzeit hervorwuchs.

Auch über das ganze Leben und Treiben der Menschen war noch ein mittelalterlicher Hauch verbreitet, der durch die Menge der umhertreibenden Mönche und Geistlichen aller Art wahrlich nichts verlor. Solche Gestalten waren ja alte Bekannte der kolossalen Statue des Neptun – jenes Meisterwerkes des würdigen Johann von Bologna – die die große Fontaine des Petronius-Platzes schmückt, und heute, wie vor hunderten von Jahren, schimmerten am hellen Tage Lampen aus den finsteren Fleischhallen, – bewegten sich Menschen aller Gattungen, Alter, Stände und Gewerbe an den alten, ernsten Gebäuden hin, – fuhren langsam große, schwere, altmodische Wagen auf kleinen Rädern, vorn mit einer Zierrath geschmückt, die einer Schnabelspitze der Fischerböte nicht unähnlich, zwischen den zahlreichen, engen Holzbuden des Platzes durch, in welchen alle Bedürfnisse des Kleinhandels feil gehalten wurden.

Blumen- und Obstverkäuferinnen nahmen dabei ihre Plätze an den Straßenecken ein; – Frauen mit Schleiern über dem reichen dunkeln Haare gingen nach den Kirchen, die Messe zu hören; – hier lagerten, dem göttlichen dolce far niente huldigend, ganze Gruppen von zerlumpten Bettlern; – dort verzehrten Andere, in den kühlen Schatten der Säulen gelagert, ihre Makaroni; – während quer über den Platz eine lange Reihe jener spukhaften schwarzen Gestalten langsam und feierlich schritt, die der Gesellschaft derMisericordia angehörten.

Auch diese Gesellschaft – noch jetzt in mehreren Städten Italiens bestehend – ist ein Erbtheil längst erblaßter Jahrhunderte, aus den Parteikämpfen der adeligen Geschlechter herstammend. Geschah es damals doch oft, daß die bei den Gefechten Verwundeten ohne Hilfe, ohne Beistand in den Straßen liegen blieben; sei es, daß ihre Kampfgenossen[166] geflohen waren, oder daß unbetheiligte Bürger Bedenken trugen, ihnen zu Hilfe zu kommen und dadurch als Anhänger einer Partei zu gelten.

Diese Noth, unter der Alle gemeinsam litten, führte zu einer Maßregel, nach der man das Parteiwesen nicht auf die Leidenden auszudehnen beschloß und sich verband, in jedem Hülfsbedürftigen nur den Menschen, nicht den Anhänger dieses oder jenes Hauses zu sehen. So ward die Misericordia gestiftet. Fand man nun einen Todten, einen Verwundeten in den Straßen und gab eine bestimmte Glocke das Signal, welches die Brüderschaft herbeirief, so warfen diejenigen, welche ihr angehörten, ihre schwarzen Kutten um, zogen die spitze Kapuze, die das Gesicht verhüllte und nur für die Augen Einschnitte ließ, über, umgürteten sich, hingen den Rosenkranz an ihren Gürtel, den muschelgeschmückten Pilgerhut an den Arm, und eilten – auf diese Weise dem Parteigetriebe unkenntlich – an ihre Pflicht. So schwieg unter diesen düstern Hüllen der Kampf, so verband man sich, mitten im wilden Streite der Parteien, zu milden Werken wahrer Menschlichkeit.

Und diese schöne Sitte ist nicht untergegangen. Noch jetzt bestehen diese Misericordia und zählen ihre Mitglieder unter Bürgern und Adel. Sie bringen Leute, welche in den Straßen verunglücken und ihren Beistand fordern, in deren Wohnungen oder in die Lazarethe; sie tragen arme Wöchnerinnen in die Hospitäler und Todte zu Grabe, und aus den kleinen Beiträgen, die jeder Einzelne zahlt, sind bereits verschiedene bedeutende Hospitäler erstanden.

Eine dieser finsteren vermummten Gestalten war es nun, die eben jetzt – von einem Leichenbegängnisse zurückgekehrt – die Schelle an dem Gartenthore einer herrlichen Villa zog. Die Villa, augenscheinlich noch nicht sehr lange gebaut, lag, eine kleine Strecke von Bologna entfernt, vor dem saragossaner Thore und zeigte schon in ihrer äußeren Erscheinung von dem feinen und edlen Geschmack ihres Erbauers. Freundlich, licht und lustig, wie eine zierliche Krone, erhob sie sich auf einem leichtanschwellenden Hügel, die schlanken Säulen der Veranda wie üppige Blüthenstengel emportreibend. Oliven, Kastanien- und Granatbäume, Pinien, Cypressen und Lorbeer umgaben und beschatteten sie, und mischten, in reizenden Gruppen vereint, ihr verschiedenfarbiges Laub mit malerischer Schönheit. Zwischen dem Laubwerk und den Blumen aber[167] prangten kostbare Werke der Kunst: ein Perseus des edlen Donatello, das Haupt der Medusa siegreich in der erhobenen Hand, – ein kühner Römer, die geraubte Sabinerin auf dem nervigen Arme, von Johann von Bologna, und ähnliche herrliche Schöpfungen der größten italienischen Meister.

O es war ein köstlicher Ort! man sah es ihm an, daß hier ungewöhnlicher Reichthum und Kunstsinn ihre Tempel aufgeschlagen; aber man fühlte auch zugleich, daß Ruhe und Friede hier wohnen müsse. Ach! und Ruhe und Friede – sagt eine edle Frau – sind so selten geworden unter den Menschen, daß man ihren bloßen Anblick wie einen Talisman zu betrachten gewöhnt ist, unter dessen Schutz man alle wilden Wünsche, alles heiße Kämpfen der eigenen Seele stellen möchte.

An dem äußeren Gartenthore dieser reizenden Besitzung war es also, an welchem eben jetzt eine jener finsteren vermummten Gestalten der Misericordia die Schelle gezogen hatte. Wenige Minuten später trat ein greiser Diener aus dem Hause, schritt nach dem Gitterthore, öffnete dasselbe und ließ die verhüllte Gestalt unter ehrfurchtsvoller Verbeugung ein. Kein Wort wurde dabei unter den Beiden gewechselt, und erst als sie ein einfaches Gemach im untern Stockwerke der Villa erreicht hatten und der Verhüllte Anstalten machte, die schwarze Kutte abzulegen, sagte der alte Diener, indem er jenem Hülfe leistete, mit bescheidenem Tone: »Wenn mir irgend etwas in der Welt unbegreiflich ist, Herr, .... so ist es Eure Betheiligung an der Misericordia. Ich will nicht sagen, Ihr seid ein reicher Mann, denn das wäre am Ende kein Grund, um sich guten Werken zu entziehen; aber Ihr seid ein alter Mann, der seine dreiundsechzig Jahre auf dem Rücken hat, und da sollte ich denken, Ihr dürftet Euch Ruhe geben und diese Strapazen jüngeren Kräften überlassen.«

Der Angeredete, dessen schönes Greisenhaupt unterdessen unter der Kapuze hervorgekommen war, antwortete nicht sogleich: er sah den alten Diener nur mit einem Ausdruck unendlichen Wohlwollens an, während ein feines Lächeln um seine Mundwinkel spielte. Aber das schien den alten Diener zu ärgern, denn er runzelte die Stirne und rief – das Gewand über den Arm nehmend – fast bitter: »Sind immer die alten Streiche! .... meint wohl, Ihr seid noch vierzig Jahre alt!«[168]

»Nein!« – versetzte jetzt gutmüthig und über den Zorn des Dieners lächelnd, der Andere – »nein Andreas, das denke ich nicht, gegen solche Einbildung protestiren meine steifen Glieder; aber, mein Freund, da du doch immer vom ›Alter‹ sprichst, so sage mir einmal, wie viele Sommer hast denn du gesehen?«

»Das gehört nicht hierher!«

»Wie viele Sommer hast du gesehen?«

»Nun denn: dreiundsiebzig!«

»Also« – fuhr der andere fort – »bist du gerade zehn Jahre älter als ich! Warum dienst du mir denn noch und setzest dich nicht zur Ruhe? Könntest's ja auch deinen alten Knochen gönnen: denn dein Vermögen würde es dir erlauben, recht gut erlauben, deine alten Tage in der behaglichsten Ruhe hinzubringen. Nun?«

»Gewiß, Herr!« – versetzte Andreas, und eine leichte Rührung machte dem flüchtigen Unmuthe Platz – »gewiß könnte ich meine alten Tage behaglich schließen; denn dafür hat Eure unbegrenzte Güte und Freigebigkeit gesorgt. Aber doch wollte ich lieber noch auf alles verzichten, was ich besitze, als meinen Dienst bei Euch aufgeben.«

»Und warum?« – frug Jener.

»Warum? warum?« – wiederholte der Diener, und man sah ihm an, daß ihn das Geständniß fast eben so peinigte, wie ein erstes Liebesgeständniß ein unverdorbenes Kind – »Warum? nun, weil ich Euch – wie Ihr ja selber wißt – als den besten Herrn und als den besten Menschen auf Gottes weiter Welt liebe und achte!«

Der alte Herr griff bei diesen Worten des Dieners an seine Nase und machte das Zeichen des Zupfens.

Andreas zuckte die Achseln –: »Ich soll mich an der Nase zupfen?«

»Ja!« – versetzte gemüthlich der Herr – »denn sieh! wie du mir, trotz deiner dreiundsiebzig Jahre noch dienst, weil du mich liebst und obgleich du ruhen könntest; .... so diene ich junger Bursche von erst zweiundsechzig Jahren der Menschheit, weil ich sie liebe und obgleich ich auch ruhen könnte. Als ich aus Spanien hierher kam, mir hier, wie Cicero, ein kleines Tusculum zu gründen, und diese Leute, deren Gesichter ich nicht erkennen konnte, zum erstenmale sah und von ihrem edlen Berufe hörte, da hatte ich die Empfindung,[169] als müsse ich mich tief, tief vor ihnen verneigen, zumal wenn ich aus der langen Kutte bald den mit Kalk und Staub befleckten, breitgetretenen Schuh eines Handwerkers, bald den blankgewichsten Stiefel eines vornehmen Herrn hervorgucken sah; oder wenn auf der Tragbahre feine, weiße Männerhände mit den schwielenvollen Händen des Arbeitenden wechselten. – Solch' ein persönliches, anspruchsloses Helfen ist es, was der Menschheit Noth thut. Dabei prangen keine Namen in öffentlichen Blättern, es ist auch kein Orden dafür zu gewinnen und keine ehrenvolle Anerkennung in den Augen der Frommen und Heiligen. Unbekannt, ungesehen und verloren in der großen Zahl hilft Jeder, nicht mit Geld, auf das er vielleicht nur geringen Werth legt, sondern mit der eigenen Kraft, mit dem eigenen guten und edlen Willen, zu jeder Stunde und mit Aufopferung der eigenen Bequemlichkeit. Das Wichtigste dabei ist aber, daß jeder der reichen und vornehmen Theilnehmer dadurch bisweilen an das Schmerzenslager der Armen kommt, die Noth und das Elend seiner unglücklichen Mitbrüder kennen lernt, und somit fühlt, daß die gedrückte Menschheit ein Anrecht, eine unabweisliche Forderung an seine Hülfe hat.«

»O!« – sagte ergriffen Andreas, indem er seinem Herrn mit Bewunderung in das von den edelsten Gefühlen bewegte Antlitz sah – »das ist Alles wahr und gut und schön; aber Ihr, die Ihr so viel für die Menschen gethan habt und noch thut, – Ihr dürftet hier doch auch an Euch denken. Ihr habt ja bis zum Augenblick trotz Eurer Jahre an der Misericordia Theil genommen; überlaßt von nun an wenigstens die persönliche Betheiligung jüngeren Kräften.«

Der Angeredete schüttelte das Haupt.

»Alter, ehrlicher Andreas!« – sagte er dann und reichte dem ergrauten Diener die Hand – »das geht nicht! Schon um des Prinzipes willen, muß ich dabei bleiben. Sieh', es giebt auf Erden viele schöne und edle Unternehmungen .... aber nur wenige kommen zu ihrer vollen, reichen Blüthe. Weißt du auch warum? .... Weil so wenige Menschen den Muth und die Kraft haben, sich daran persönlich zu betheiligen. Tausende glauben, es sei genug, mit ihrem Beifall oder einer kleinen Beisteuer an Geld .... aber das ist nichts als Schwachheit, Selbstbetrug oder Eitelkeit. Nur da werden und können große Gedanken groß und mächtig in das Leben eingreifen, wo sie bei Allen zur That werden, bei Reich[170] und Arm, bei Jung und Alt, bei Vornehm und Gering! .... Aber« – setzte er hinzu .... »ich bin in der That etwas erschöpft. Ist Pater Martini da?«

»Ja!« – versetzte Andreas – »der ehrwürdige Vater arbeitet schon seit zwei Stunden in Eurer Bibliothek.«

»So bringe mir ein Glas Lacrimae Christi und etwas zu essen dahin!« – sagte der Gebieter, Signore Carlo Broschi, und stieg die breite Marmortreppe hinauf.

Signore Carlo Broschi, genannt Farinelli, war einer der berühmtesten Männer seines Jahrhunderts. Von der Natur mit einer zauberhaft schönen Stimme begabt, die durch Kunst einen Umfang erhielt, der den gewöhnlichen um eine ganze Octave überstieg, und von dem berühmten Porpora gebildet, überragte er alle Sänger seiner und aller vorhergehenden Zeiten.

Schon im siebzehnten Jahre trat er in Rom auf, und man kann sich einen Begriff von der Herrlichkeit seiner Stimme machen, wenn man erfährt, welche Siege er hier in dem Theater Aliberti davontrug. Broschi hatte unter anderem eine Arie mit obligater Flötenbegleitung zu singen. Der Künstler, der die Flöte blies, war als ausgezeichnet bekannt; dennoch aber übertrafen die Töne des jugendlichen Sängers jene der Flöte an Reinheit und Zärte so sehr, daß ein stürmischer, nicht enden wollender Applaus Signore Carlo Broschi den Siegeskranz zuerkannte. Von nun an war sein Ruf gegründet und bald überstrahlte sein Name, selbst den eines Elisi, Gizzielli und Caffarelli.

Broschi, der unterdessen – da er ein Freund der Familie Farina in Neapel war und oft in deren Hause zu singen pflegte – den Namen Farinelli erhalten hatte, ging nun nach Wien, Paris und London und gefiel überall, nicht nur durch seinen Gesang, sondern auch durch sein anspruchsloses und liebenswürdiges Wesen so ungeheuer, daß er unermeßliche Reichthümer zusammen brachte. Da sollte plötzlich ein eigenthümliches Ereigniß seinem Leben eine Wendung geben, und den, der bis dahin nur Sänger gewesen, auch als Staatsmann bis zur weltgeschichtlichen Bedeutung erheben.

Spanien war nämlich um jene Zeit in einer höchst traurigen und bedenklichen Lage. Seine Regierung und Gesetzgebung ging, dem Namen nach, allein vom Könige aus,[171] und doch war Philipp V. in einem Zustande, der die Verwandten eines Privatmannes berechtigt haben würde, ihm eine gerichtliche Vormundschaft geben zu lassen.

Brachte er doch die Tage im Bette zu, ließ Haare und Nägel wachsen, beobachtete ein hartnäckiges Schweigen, stand nur Nachts einige Augenblicke auf, um Nahrung zu nehmen und war durch nichts in der Welt dazu zu bewegen, Theil an den Regierungsgeschäften zu nehmen oder auch nur die nöthigsten Unterschriften zu geben.

Nur Musik und vorzüglich Gesang vermochten es hier und da ihn aus seiner an Wahnsinn streifenden Melancholie zu wecken und auf Augenblicke zur Vernunft zurückzuführen. Als daher Farinelli's Ruhm die Welt erfüllte, kam die Königin von Spanien, die kluge und talentvolle Elisabeth von Parma, auf den glücklichen Gedanken, diesen ausgezeichneten Sänger nach Madrid zu berufen.

Farinelli folgte dieser Einladung, da er sie schicklichkeitshalber nicht ausschlagen konnte.

In Madrid angekommen, bewog ihn die Königin gleich am ersten Tage in einem königlichen Gemache zu singen, welches an dasjenige stieß, in dem Philipp V. im Bette lag. Und siehe da, die Wirkung seines Gesanges auf den König war gleich anfangs so groß, daß dieser sich bewegen ließ, aufzustehen, sich anzukleiden und an den Geschäften Theil zu nehmen.

Von diesem Augenblicke an war Farinelli für die Königin und für die spanische Regierung ganz unentbehrlich, da Philipp V. nur dadurch, daß ihm Farinelli jeden Tag einige Arien vorsang, dem Leben und dem Lande erhalten werden konnte. Natürlich war Elisabeth von Parma's Dankbarkeit auch unbegrenzt. Farinelli erhielt sofort einen Jahresgehalt von 14,000 spanischen Reichsthalern, ein Palais als Wohnung, königliche Küche, Keller und Bedienung, nebst einer Hofequipage und überhaupt Allem, was zu einer wahrhaft fürstlichen Existenz gehörte.66

Was aber von nun an Fainelli's Namen einen so schönen Klang in der Geschichte gegeben hat, ist der Umstand, daß er sich nicht nur als einen in der That trefflichen Staatsmann[172] zeigte, sondern auch nicht das Geringste an seinem edlen, liebenswürdigen Charakter und seiner nie genug anzuerkennenden Bescheidenheit einbüßte. Farinelli mißbrauchte seinen Einfluß niemals, auch nicht unter der Regierung des folgenden Königs Ferdinand VI., der wunderbarerweise eben so melancholisch als sein Vorgänger, und – wie dieser – nur durch Farinelli's Gesang dem Leben und der Regierung zu gewinnen war.

Farinelli leitete daher unter zwei Königen – wenn auch nicht officiell, so doch durch den Marquis Ensenada, der sein Geschöpf war, – die Regierung Spaniens. An ihn wandten sich die Gesandten der fremden Höfe, ihm schmeichelten die Regenten Europas, an ihn schrieb selbst die stolze Kaiserin von Österreich, Maria Theresia! Aber Farinelli war auch nicht unthätig. Während er als Director der durch ihn zu Madrid in's Leben gerufenen, italienischen Oper diese zu einer glänzenden Höhe erhob, erhielten Manufacturen und Fabriken Ermunterung, wurden Kriege geführt und Friede geschlossen, die Söhne Elisabethens mit auswärtigen Reichen versorgt, und die Wunden des spanischen Erbfolgekrieges so viel als möglich geheilt. Aber die Königin fühlte auch, welche Stütze sie in Farinelli habe. Sie selbst hing ihm das Ordenskreuz von Calatrava mit eigenen Händen um; überreichte ihm das, in Diamanten gefaßte, Bildniß des Königs, und gab ihm als Zeichen ihrer Achtung eine goldene Dose, auf deren Deckel zwei große Diamanten funkelten und die einen Wechsel von 5000 spanischen Reichsthalern enthielt. Auch der König von Frankreich hatte Farinelli schon früher mit seinem in Diamanten gefaßten Bildnisse beehrt. Aber auch die Wolken blieben nicht aus, die den Himmel selbst des glücklichsten der Sterblichen manchmal verfinstern.

Wie wäre es möglich gewesen, daß ein Mann, wie Farinelli, den das Glück von dem Stande eines einfachen Sängers bis zu den Stufen eines Thrones gehoben, dem Neid und der Chikane hätte entgehen können. Dennoch zerschellten alle Intriguen an seinem edlen und schönen Charakter. Weit davon entfernt, durch seine Stellung, Auszeichnung und Macht stolz zu werden, entwaffnete gerade seine liebenswürdige Bescheidenheit seine ärgsten Feinde. So bewarb sich einmal einer der mächtigsten Granden lange Zeit vergeblich um einen Gesandtschaftsposten. Obgleich nun Farinelli recht gut[173] wußte, daß dieser Mann sein ausgemachter Gegner sei, brachte er es endlich doch bei dem Könige dahin, daß jenem die ersehnte Stellung ward. Aber – sagte bei dieser Gelegenheit der König zu Broschi – »wißt Ihr auch, Farinelli, daß der Empfohlene Euer Feind ist und Böses von Euch redet, wo er kann?« – – »Ja, Majestät!« – entgegnete Farinelli – »eben darum möchte ich mich auf diese Weise an ihm rächen.«

Ein anderesmal hörte Farinelli, als er sich gerade zum Könige begeben wollte, einen Gardisten in einem der anstoßenden Säle auf ihn schimpfen und raisonniren und sich laut darüber beklagen, daß der König alle seine Gunst lediglich auf einen elenden Musiker häufe. Farinelli zog sofort Erkundigungen über den Schimpfenden und die wahrscheinliche Ursache seines Unmuthes ein. Da erfuhr er denn, daß der Mann seit dreißig Jahren diene, ohne jemals eine Beförderung erreicht zu haben.

Farinelli schwieg; als er aber aus dem Gemach des Königs trat, überreichte er dem unzufriedenen Gardisten ein Diplom, welches ihn zum Hauptmann ernannte. Man kann sich die Überraschung und Verwirrung des Mannes denken. Farinelli aber reichte ihm lächelnd die Hand und sagte mit der ihm eigenen Güte:

»Ein Gardist ist nicht vermögend genug, um die Kosten einer Hauptmannsequipage tragen zu können. Wir wollen dies also morgen beim Mittagessen, zu dem ich Euch erwarte, arrangiren!«

Solche Leutseligkeit, Güte und Freundlichkeit gewann denn auch Farinelli alle Herzen, und selbst als König Ferdinand VI. und seine Gemahlin im Laufe eines Jahres gestorben und König Carl III. den spanischen Thron bestiegen, konnte dieser Farinelli seine Achtung nicht versagen. Da dieser indessen fühlte, daß mit dem neuen Thronwechsel auch andere Prinzipien in Spanien eingezogen seien, zog er sich – ein ächt philosophischer Geist – von selbst zurück, und begab sich, unermeßlich reich und von der Königin als Erbe ihrer sämmtlichen Claviere, Flügel und Musikalien, die eine der größten derartigen Sammlungen der Welt bildeten, beschenkt, nach Italien zurück, wo er sich zu Bologna, wie wir wissen, ein Tusculum gründete.[174]

Hier erlebte Farinelli nun in stiller glücklicher Zurückgezogenheit und Ruhe die letzten Tage seines Lebens auf die unsere Erzählung jetzt noch einige Streiflichter werfen soll.67

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 165-175.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Phantasus / Dafnis

Phantasus / Dafnis

Der lyrische Zyklus um den Sohn des Schlafes und seine Verwandlungskünste, die dem Menschen die Träume geben, ist eine Allegorie auf das Schaffen des Dichters.

178 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon