25.

Joseph Haydn.

[282] Als Salieri die Treppe hinunter war, hatte Mozart schon die unangenehme Nachricht vergessen, die jener gebracht. Ein neuer musikalischer Gedanke schwebte vor seiner Seele,[282] und so setzte er sich sofort wieder hin und schrieb und componirte auf's Neue. Eine Stunde nach der andern verging, er sah nicht von der Arbeit auf, er wußte nichts mehr von Zeit und Raum. Es schlug zwölf Uhr ..... Mozart hörte es nicht, er – componirte! Es schlug ein Uhr, Mozart hatte keine Ahnung, daß es längst Zeit zum Mittagessen sei, – er componirte. Endlich, als es auf vier Uhr ging, ward es ihm doch schwach. Er hielt erstaunt inne, und jetzt erst fühlte er, daß ihn ein gewaltiger Hunger quäle. Aber noch ein Schlußsatz war auszuführen, und so verging noch eine halbe Stunde, bis er die Feder niederlegte.

»So!« – sagte Amadeus dabei mit innerer Genugthuung und Zufriedenheit, indem er aufstand und mit der Hand über die Stirne fuhr, die ihn von der Anstrengung schmerzte, – »das wäre für heute genug. Ich war fleißig, und – wie ich denke – glücklich. Aber jetzt auch kein Gedanke mehr an die Arbeit – jetzt geschehe dem Körper sein Recht, ich habe einen so verzweifelten Hunger, daß es mir ganz schlecht ist.«

Und er machte Anstalt, sich zum Ausgehen anzukleiden. Plötzlich indessen hielt er inne: die Thurmuhr schlug; er zählte: eins, zwei, drei, vier!

»Alle Wetter!« – rief er dann – »ist's möglich? Vier Uhr? Da ist's freilich kein Wunder, wenn's mir im Magen knurrt. Aber wohin jetzt? In's ›Würstl‹ ist's noch zu früh, da kommen die Freunde den Abend erst, und sonst? .....«

Mozart überlegte einen Augenblick, dann war sein Entschluß gefaßt. Er ging nach dem Wandschrank, der seine Vorrathskammer vorstellte, und hielt Revision. Aber er mußte selbst über seine Junggesellenwirthschaft lachen. Etwas Brod und eine halbe Wurst bildeten den ganzen Inhalt des Schrankes; einige leere Flaschen ausgenommen, die ihn aber ebenso trübe anblickten als er sie.

»Schlimme Aussichten!« – sagte er dann, das Wenige hervornehmend und auf den Tisch stellend, auf dem vor lauter Notenblättern kein Plätzchen mehr frei war. – »Bei Gott! ich muß heirathen, sonst kommt nie Ordnung in mein Leben.«

Und mit dieser Erneuerung seines Entschlusses sich niedersetzend, fing er an, das Wenige was er vorgefunden, zu verzehren. Aber während des Essens fielen seine Blicke, wie ganz natürlich, auf die rings um ihm herumliegenden Noten. Kauend brummte er jetzt die angeschaute Melodie. Dann hielt er plötzlich[283] inne: – die Augen blitzten – eine neue Melodie schwebt ihm vor, – sinnend und Alles um sich her vergessend, legt er sein Brod nieder und – – die Feder ergreifend – fängt das Schreiben von Neuem an.

Wie das geht! – wie die Noten auf das Papier regnen, – wie die Feder fliegt, – die Augen leuchten, die Winkel des Mundes zucken; – wie die Stirne, von Begeisterung strahlend, sich bald in ernste Falten legt, bald in freudiger Erregung sich aufheitert. Da wirft er zum zweitenmale die Feder weg und springt mit einem »Victoria!« auf. Das himmlische: »Mit dem Geliebten sterben« – liegt vollendet vor ihm.

Aber jetzt war Wolfgang auch so erschöpft, daß er wirklich der Erholung bedurfte. Rasch – als fürchte er, der Componir-Dämon erfaße ihn noch einmal – schlüpfte er in seinen Rock, nahm den ziemlich abgetragenen Hut, der eben nicht von den besten Finanzen Kunde gab und eilte von dannen. Wohin wußte er vor der Hand selbst nicht, bis ihm zufällig einfiel, daß er Freund Haydn lange nicht gesehen. Dahin also richtete er jetzt seine Schritte. Ach! er wußte nicht, welche trübe Wolke eben wieder den Lebenshimmel dieses vielgeprüften Mannes verdunkelte.

Joseph Haydn, der fürstlich Esterhazy'sche Capellmeister, saß um jene Zeit in seinem höchst einfachen und schlicht eingerichteten Zimmer in trüber Stimmung vor seinem Arbeitstische. Ein Schreiben des Fürsten, das soeben der von Erregung zitternden Hand entfallen war, lag eröffnet vor ihm.

Es mußte bösen Inhalts sein, denn Thränen glänzten in des Mannes Augen, und während sich über seine milden Züge ein tiefer Kummer gelagert, hatten sich die Hände wie zum Gebete gefaltet.

Aber der Brief des Fürsten Esterhazy kündete Joseph Haydn auch einen schweren Schlag. Der Brief lautete:


Lieber Capellmeister!


Wenn es mir jemals schwer geworden ist, die Feder zu ergreifen, um Jemandem etwas Unangenehmes mitzutheilen, so ist dies heute und bei diesen Zeilen der Fall.

Sie selbst wissen, wie sehr ich Sie schätze, wie aufrichtig ich die großen Verdienste anerkenne, die Sie sich seit vielen Jahren in meinen Diensten als Dirigent meiner Capelle erworben[284] haben. Es ist natürlich, daß Ihnen gerade dadurch diese Stelle doppelt lieb geworden ist, und dennoch sehe ich mich genöthigt, Ihnen dieselbe zu rauben. Wichtige und in mein Familienleben tief eingreifende Verhältnisse zwingen mich nämlich, meine ganze Capelle demnächst zu entlassen. In vier Wochen haben wir das letzte große Concert in meinem Palais. Es versteht sich von selbst, mein lieber Haydn, daß Sie Ihren Gehalt ungeschmälert weiter beziehen, bis sich für Sie eine andere passende Stellung gefunden hat, auch werde ich Sie stets als einen Freund des Hauses mit Freuden in meinen Salons sehen.

Rechnen Sie vorkommenden Falls auf die Verwendung meines Einflusses und bleibe ich Ihr

wohl affectionirter

Esterhazy.


In so wohlwollenden Ausdrücken nun auch dies Schreiben abgefaßt war, so sehr es mit wahrhaft fürstlicher Munificenz Haydns Existenz sicherte, – es mußte den Mann, der nun schon über zwanzig Jahre der fürstlichen Capelle vorgestanden und sie zu einer der ersten der Welt herausgebildet hatte, dennoch wie ein Dolchstoß treffen. War er doch durch diese lange Thätigkeit mit seiner Stelle und ihren Functionen wie verwachsen. Für sie hatte er so viel geschrieben, durch sie seine Compositionen so herrlich ausgeführt. Die Capelle, die er dirigirte, war bis dahin der Stolz des Fürsten, der Stolz Wiens, sein Stolz gewesen. Er lebte und webte nur in ihr .... und nun sollte diese Capelle sich auflösen ..... diese schöne Wirksamkeit ihr Ende finden!

Freilich kam dieses Ereigniß nicht unerwartet. Die großen Kosten, welche die Capelle verursachte, hatten – bei dem allgemein seit Joseph II. Regierungsantritt in Folge der Nacheiferung platzgreifenden Sparsysteme – den Fürsten schon öfters mit Haydn von ihrer Auflösung sprechen lassen, aber immer war es dann der Beredtsamkeit des Capellmeisters gelungen, den edeln und zu einer nobeln Freigebigkeit stets bereiten Fürsten wieder auf andere Gedanken zu bringen. Was Esterhazy in seinem Briefe von »tiefeingreifenden Familienverhältnissen« sagte, war, wie Haydn recht gut wußte, nicht so wichtig. Denn hatten den Fürsten durch[285] ungeheure Verschwendung nächster Familienglieder auch enorme Verluste getroffen, so war sein Vermögen doch so kolossal, daß diese Ausfälle leicht verschmerzt werden konnten. Aber Kaiser Joseph schränkte seinen eigenen und den Staatshaushalt so bedeutend ein und sah so sehr darauf, daß auch der hohe Adel diesem Beispiele folge! – Was war da zu thun? – Fürst Esterhazy wollte seinem Herrn und Kaiser keine Veranlassung zum Mißfallen geben, und so beschloß er denn nach langen Kämpfen mit seinem Ehrgeize, aber auch mit seiner aufrichtigen Liebe und Verehrung für die Musik, was wir bereits wissen.

Haydn war dadurch im Tiefsten erschüttert; nicht als ob er für sein ferneres Fortkommen auch nur eine Minute gebangt hätte; – dies war ja gesichert durch das Wohlwollen des Fürsten und noch weit mehr durch Haydns großes Talent; .... aber es kam ihm, aus den schon oben angeführten Gründen im Augenblicke vor, als sei mit der Auflösung seiner ihm an das Herz gewachsenen Capelle alles Lebensglück dahin.

Bald aber ward Haydns gottergebenes Gemüth Herr der inneren Erregung. Hatte er sich doch in seinem prüfungsreichen Leben gewöhnt, mit stiller Demuth die Fügungen des Himmels hinzunehmen, und gar viele dieser Prüfungen – dies erinnerte er sich auch jetzt mit kindlichem Danke – warm ja zu seinem Glücke umgeschlagen. Warum sollte dies nicht auch in seiner gegenwärtigen Lage der Fall sein können?

Und hatte er dieser Denkungsweise nicht die stille Heiterkeit und Kindlichkeit des Gemüthes zu verdanken, die ihn beglückte, und – nebst seinen Werken charakterisirte?

»Der Ausdruck eines kindlichen heiteren Gemüthes« – sagt Hoffmann in seinen köstlichen Phantasiestücken – »herrscht ja überall in Haydns Compositionen. Seine Symphonien führen uns in unabsehbare grüne Haine, in ein unabsehbares Gewühl glücklicher Menschen. Jünglinge und Mädchen schweben in Tänzen vorüber; lachende Kinder, hinter Rosenbüschen lauschend, werfen sich neckend mit Blumen. Das ist ein Leben voll Liebe, voll stiller Seligkeit, in ewiger Jugend. Kein schriller Ton eines herben Leidens, kein herber Schmerz, nur ein süßes wehmüthiges Verlangen nach der geliebten Gestalt, die in der Ferne im Glanze des Abendrothes daherschwebt, nicht näher kommt, nicht verschwindet! Und – so lange sie da ist, wird es nicht Nacht, denn sie[286] selbst ist das ewige Abendroth, von dem Berg und Hain erglühen!«

So hatte Haydn sich denn auch jetzt wiedergefunden. Der Schmerz brannte tief in seinem Herzen; aber mit den Worten: »der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gebenedeit!« war er ruhig geworden und wollte eben mit stiller Resignation den Brief seines fürstlichen Herrn beantworten, als Mozart eintrat.

Der junge Mann erkannte bald, trotz der herzlichen und freundlichen Aufnahme von Seiten des ältern Freundes, daß diesen etwas schmerzlich getroffen haben müsse, und Haydn nahm keinen Anstand seinem Lieblinge die Wahrheit zu sagen.

Der Antheil Wolfgangs war, wie natürlich, ein inniger; man sprach viel über den Gegenstand, und Mozart hatte dabei mehr wie je Gelegenheit die kindliche Ergebenheit Haydns in sein Geschick zu bewundern. Als er dies aber offen aussprach, lächelte Haydn milde, indem er zugleich sagte:

»Das, mein junger, feuriger Freund, – das lernt sich von selbst, wenn einen das Leben gezogen hat, wie mich.«

Da flammte ein alter Wunsch in Mozart auf:

»Ach!« – rief er, und faßte Haydns beide Hände – »lieber Herr Capellmeister, da kommen wir auf etwas, um das ich Sie gern schon lange gebeten hätte!«

»Und das wäre?«

»Theilen Sie mir, wenn es Ihnen nicht unangenehm ist, die Geschichte Ihres Lebens mit. Ich habe so manch' Wunderbares darüber gehört, – Ihre Größe als Musiker, – Ihre unübertreffliche Güte als Mensch, – Ihre edle Ergebenheit als Christ, schon so oft bewundert, daß es mich doppelt interessirt, die Lebensschule kennen zu lernen, die meinen würdigen, so hoch verehrten Freund gebildet hat.«

Haydns Blicke ruhten bei diesen Worten freundlich auf Mozarts offenen Zügen, die den unverkennbaren Stempel der Wahrheit und innigsten Theilnahme trugen.

»Ja!« sagte er dann nach einer minutenlangen Pause, »eine Lebensschule war mein Dasein bisher allerdings, und eine Schule der höheren geistigen und sittlichen Ausbildung ist wohl das Leben für Jeden. Es mag daher auch immer für Andere von Interesse sein, zu hören, wie es uns gezogen hat, und so will ich Ihrem Wunsche gern entsprechen. Sie sind[287] ja Musiker wie ich, und werden mich daher auch verstehen, denn mein ganzes Leben ist eigentlich Musik, und oft glaubte ich schon manches in meinem Inneren geheimnißvoll Verschlossene, was keine Worte auszusprechen vermochten, durch sie zu verstehen.«

»Und warum das nicht?« – rief Mozart flammenden Auges. – »Ein Ton, ein Accord ist oft ein süßer, glühender Kuß himmlischer Wesen, eine Offenbarung der Geheimnisse des innersten Lebens, das die ganze Welt wunderbar durchströmt. Nur der Dichter versteht wohl so recht eigentlich den Dichter, nur der Musiker den Musiker, wie nur derjenige die Sprache der Begeisterung zu fassen vermag, der selbst im Heiligthume der Musen die Weihe der Begeisterung empfangen hat.«

»So ist es!« – rief Haydn ergriffen und seine Augen leuchteten in feuchtem Glänze. – »Sie verstehen mich, hören Sie daher meine Geschichte.«

Und Haydn lehnte sich auf seinem Stuhle zurück, richtete die Blicke gedankenvoll in das Weite, als suche er dort die Bilder der fernen Heimath und begann:

»Auf der Grenze von Ungarn und Oesterreich liegt ein Dörfchen mit Namen Rohrau. Dort bin ich – vor jetzt neunundvierzig Jahren – geboren worden, und zwar von recht armen, aber ebenso braven Eltern.«

»Mein Vater war ein Wagner; liebte dabei aber, wie alle Ungarn und Böhmen, die Musik über Alles und spielte die Geige ganz annehmbar. Auch meine Mutter – Gott habe sie selig – war musikalisch und, bei einer schönen Stimme, auf der Harfe gewandt. Ihr kennt ja das Sprichwort unseres Landes in Beziehung auf den musikalischen Sinn seiner Einwohner?«

»O ja!« – sagte Mozart – »wer sollte das nicht: ›In zwei Häusern drei Geigen und ein Hackbrett.‹«

»Es ist bezeichnend genug!« – fuhr Haydn fort und ein unendlich mildes Lächeln spielte um die Winkel seines Mundes. – »Darum liebe ich aber auch die Ungarn und Böhmen so innig. Gott hat sie gar sehr durch diesen Sinn für Musik gesegnet. Wie glücklich ist doch die Mehrzahl dieses Volkes, trotz der großen Armuth! Und warum? weil die liebe, süße Musik ihnen die Bürden des Lebens tragen hilft und jede freie Stunde durch einen einfachen, erhebenden[288] Genuß vergoldet! Ja, ja! ich lasse mir's nicht nehmen, es geht nichts über Musik! Sie beglückt schon den ärmsten, einfachsten Menschen, während sie dem Geweihten selbst das ferne unbekannte Geisterreich erschließt, – jenes Zauberreich voller Herrlichkeiten, wo ein unaussprechlicher süßer Schmerz, wie die unsäglichste Freude, der entzückten Seele alles auf Erden Verheißene über alle Maßen erfüllt!«

Haydn schwieg einen Moment, dann fuhr er fort:

»Da es, trotz allem Fleiße, meinem guten Vater auf dem abgelegenen Dorfe oft an Arbeit und damit an dem Nöthigsten gebrach, entschloß er sich, es wie gar manch' Anderer zu machen, und an Sonn- und Feiertagen auszuziehen, um am Wege oder vor dem Wirthshause mit der Mutter zu musiciren. Der Vater spielte dann die Geige, die Mutter aber sang gar lieblich zur Harfe. Ich weiß freilich nur noch wenig davon, obgleich sie mich schon als zwei- und dreijähriges Kind mitnahmen. Zu Hause konnten sie ja den armen Wurm nicht lassen. Aber Gottes Wege sind wunderbar. So soll ich denn einmal an einem schönen Sonntage auch zu den Füßen meiner Eltern gesessen haben, als der Schulmeister aus dem nahen Städtchen Haimburg vorbeiging. Das Lied der Mutter, das Spiel des Vaters gefiel ihm gar sehr; aber noch mehr soll ich seine Aufmerksamkeit erregt haben, da ich ein dreijähriger bausbäckiger Junge, ein Brettchen an den Hals gestemmt hatte – just wie eine Geige – und mit einer Weidenruthe lustig darauf herumsiedelte. Das Drolligste aber war – der alte ehrliche Schulmeister hat es mir später gar oft erzählt – daß ich ein kleiner Kerl schon damals genau Tact hielt, pausirte, wenn der Vater pausirte und die Mutter Solo sang, und dann mit dem Vater wieder auf ein Sechszehntel einfiel. Das aber merkte sich der gute Schulmeister, und als ich das fünfte Jahr erreicht hatte, nahm er mich auf in Haus und Schule und hielt mich wie seinen Sohn. Auch im Gesang, auf der Geige und den Pauken erhielt ich Unterricht.«

»Alter ehrlicher Freund!« – rief hier Haydn mit sichtlicher Rührung – »du bist längst todt und zu Asche verfallen, aber in meinem dankbaren Herzen lebst du fort und fort, bis es zu schlagen aufhört!«

Er schwieg abermals eine kleine Zeit, bis Mozart ihn mit den Worten:[289]

»Und wie ging es Ihnen nun weiter?« – aus seinen Erinnerungen aufschreckte und in die Gegenwart zurückführte.

»Weiter?« – wiederholte Haydn. – »Ja so! – – Nun, es waren gerade zwei Jahre, seit ich in Haimburg war, als der kaiserliche Capellmeister von Reuter, der zugleich der Musik in der St. Stephanskirche in Wien vorstand, den Dechanten in Haimburg besuchte. Der Dechant mochte mich leiden, und da ich eine gute Kinderstimme hatte, auch die Noten sicher traf, empfahl er mich Herrn von Reuter. Ich ward geprüft und – nach Rücksprache mit meinen Eltern – mit nach Wien genommen, um, sieben Jahre alt, als Chorknabe in der St. Stephanskirche zu singen.«

»Das wird ein schmerzlicher Abschied von den Eltern und dem guten Schulmeister gewesen sein!« – meinte hier Mozart.

»Das können Sie sich denken, mein Lieber,« – entgegnete Haydn – »aber es war ein ›Muß‹ und doch auch ein Glück für die Eltern, welchen indessen der liebe Gott ein zweites Kind, meinen Bruder Michael, geschenkt hatte. Mir that freilich der Abschied auch wehe; aber lag dafür nicht die prächtige Kaiserstadt vor mir? und sollte ich dort nicht im großen Stephansdome singen und noch viele Instrumente lernen? – – Und das geschah denn auch; ich blieb hier bis in meinem 16. Jahre Chorsänger, lernte und studirte aber dabei fleißig die Theorie der Musik und erwarb mir die nöthigen Kenntnisse auf mehreren Instrumenten.«

»Ach versuchte ich mich – zehn Jahre alt – in sechszehnstimmigen Compositionen. Wissen Sie aber, was ich damals von meinen Compositionen dachte?«

»Nun?« – frug Mozart.

»Ich glaubte damals« – sagte Haydn lächelnd – »je schwärzer das Papier, desto schöner die Musik.«88

»Und ging mir es anders?« – rief Wolfgang heiter und erzählte mit wenigen Worten von seinem eigenen ersten Compositionsversuche und den Tintenklecksen, die ihn schmückten. »Aber ich habe Sie unterbrochen!« – schloß er dann, und Jener fuhr fort:

»Das war nun alles gut, bis ich im sechszehnten Jahre mit meinem Sopran auch die Stelle als Chorsänger verlor. Mit dieser Stelle waren aber auch die glücklichen Tage der[290] Sorglosigkeit dahin, die Prüfungen des Lebens sollten beginnen. Meine Lage war äußerst drückend. Von Niemand gekannt, ohne alle und jede Mittel, allein dastehend in dem großen Wien, ohne irgend einen Beschützer blieb mir nichts übrig, als ein elendes Dachstübchen zu miethen und durch Unterricht mein Leben kümmerlich zu fristen. Und doch, mein lieber Mozart, gab es Stunden, in welchen ich glücklich, recht glücklich war. An meinem von Würmern zernagten Claviere beneidete ich nicht das Schicksal der Könige!89 Seht« – fuhr hier der große Meister der Töne fort – »so ist, was Ihr selbst vorhin sagtet, das Leben eine Hoheschule für uns; und wißt Ihr, was es mich in jener Zeit lehrte?«

»O ja!« – rief mit hoher Verehrung Mozart – »zwei Tugenden, die Sie vor Allen schmücken: Zufriedenheit und jene wunderbare Bescheidenheit, die Ihren Charakter so liebenswürdig macht!«

»Ja!« – sagte Haydn und nickte bestätigend mit dem Haupte: – »Zufriedenheit, Bescheidenheit und Gottvertrauen hat mich jene Zeit gelehrt, und ich danke daher noch heute meinem Schöpfer für die mir damals auferlegten Prüfungen; denn durch jene drei Himmelsschwestern ward mir Frieden und Heiterkeit der Seele. Aber Gott gab mir auch in all' meiner damaligen Bedrängniß Freude! So fielen mir um jene Zeit unter Anderen die sechs ersten Sonaten von unserem herrlichen Emanuel Bach in die Hände. Welch' ein Schatz für mich! Ich stand nicht eher vom Claviere auf, bis sie von vorn bis hinten durchgespielt waren, und wer mich kennt, wird gefunden haben, daß ich Emanuel Bach viel verdanke, daß ich seinen Styl erfaßt und mit Sorgfalt studirt habe; er selbst machte mir einst sein Compliment darüber!«90

»Da sprach Bach die Wahrheit!« – sagte Mozart – »dies beweisen ja Ihre wunderbar-schönen Streichquartette und vor allen Dingen Ihre Symphonien!«

»Lassen wir das!« – versetzte Haydn freundlich abwehrend. – »Sunt mala mixta bonis; wohl und übel gerathene Kinder!91 Kommen wir lieber zu meiner Erzählung zurück.«[291]

»Und wie kamen Sie nun zu Esterhazy

»Auf Wegen, die mir jetzt wie ein Fingerzeig Gottes, wie die Führung eines liebenden Vaters erscheinen, wenn es mir auch in jenen Tagen nicht immer so bedünken wollte.«

»Nun?«

»Dem armen, verlassenen und alleinstehenden Jüngling ward endlich das Glück in einer seiner Schülerinnen, dem Fräulein von Martinez, eine Beschützerin zu finden. Sie war eine Freundin Metastasio's und lebte bei ihm. Ich unterrichtete sie in Gesang und Clavier und erhielt dafür bei Metastasio Wohnung und freien Tisch.«

»Nun?« – rief Mozart freudig – »da waren Sie ja geborgen. Metastasio ist reich, der Poeta Cesareo, mit der Gunst des Hofes beehrt, prachtvoll wohnend ......«

»Das,« – versetzte Haydn milde lächelnd – »bedurfte ich nicht. Ich danke es aber dem alten Herrn noch heute, daß er mir ein Stübchen im fünften Stocke einräumen ließ und ein warmes Bett gab; denn da ich für mein Orgelspiel bei den barmherzigen Brüdern nur sechszig Gulden jährlich und für meinen Unterricht bei meist unbemittelten Leuten, so wie für mein Mitspielen in verschiedenen Orchestern gar wenig bekam, so mußte ich die Wintertage, aus Mangel an Holz, im Bette zubringen, in welchem ich freilich fleißig componirte.«92

»Aber diese Compositionen,« – rief Mozart bewegt – »die brachten Ihnen gewiß doch Geld ein?«

»O ja!« – sagte Haydn lächelnd – »ich erhielt für jedes vollstimmige Menuett von den Tanzwirthen der Leopoldstadt zwei Gulden Conv. Münze, für einen Ländler anderthalb Gulden ....«

»Aber, mein Gott!« – rief Mozart in immer größerem Staunen – »warum ließen Sie denn diese wunderschönen Tänze, die jetzt in den Sälen der Fürsten und Könige wegen ihrer Leichtigkeit, ihrer Anmuth und Jugendfrische Alles bezaubern, nicht stechen?«

»Weil ich keinen Verleger fand!« – entgegnete Haydn ruhig. – »Ich hatte ja damals noch keinen Namen, – kannte Niemanden, dem ich meine Compositionen widmen konnte. Man lachte mich, den damals noch ganz unbekannten, armen Musikanten daher auch aus, wenn ich von Verlegen sprach.«

[292] Mozart seufzte tief auf, Haydn aber fuhr ruhig fort:

»Jedenfalls hatte ich durch Metastasio's Umgang den großen Vortheil, Italienisch auf leichte Weise lernen zu können und so manches von der Aesthetik der Musik zu hören, was mir später sehr nützlich war. Auch lernte ich dort meinen unvergeßlichen alten Porpora kennen. Indeß .... Fräulein von Martinez verließ Wien. Ich verlor abermals Tisch und Wohnung – und .... – ich wäre dem alten Elend verfallen gewesen, wenn mir nicht der Himmel – wie durch ein Wunder – in der Leopoldstadt, wohin ich mich zurückgezogen, auf's Neue einen edlen Mann entgegengeführt hätte. Sie kennen ihn und haben unstreitig schon von ihm, als meinem Schwiegervater, gehört. Zwar war er nur ein Friseur, aber unter seinem einfachen Kleide schlug ein menschenfreundliches Herz. Er nahm mich auf, wie seinen Sohn, gab mir Kost und Wohnung und besorgte selbst, da er weit praktischer war, als ich, den Verkauf meiner Compositionen. So war ich 19 Jahre alt, als ich mein erstes Quartett componirte, das, ich darf es wohl ohne Eitelkeit sagen, reichen Beifall erntete.«

»Und ihn verdiente!« – fügte Mozart mit dem Ausdruck warmer Verehrung bei.

»Dieser Beifall aber feuerte meinen Eifer zu ähnlichen Arbeiten an. Zwar fielen sogleich die Kritiker und die Pedanten über meinen armen Namen her; aber ich kümmerte mich nicht viel darum; meine innerste Ueberzeugung sagte mir: daß ein Werk durch zu strenge und zu eigensinnige Befolgung der Kunstregeln an Geschmack und Ausdruck verliere. Ich ging daher meinen eigenen Weg, folgte der inneren Stimme und dem Drang der Seele, .... und .... that gut daran. Jetzt war ich froh und glücklich. Ich lebte und webte in der Musik, und wenn ich auch gar oft hungrig zu Bette ging, da mir selbst manchmal das liebe Brod fehlte – ich hatte ja von meinem kleinen Einkommen auch meine guten Eltern zu unterstützen – so dankte ich doch dem lieben Gott mit frohem Herzen für die schönen Gaben, die er mir hinsichtlich der Musik verliehen, und die mein Leben doch immer in einen rosigen Schimmer hüllten. Ich gab Unterricht, schrieb Tänze, spielte nach wie vor die Orgel und Abends durchzog ich mit einigen Freunden und Kunstgenossen die Straßen, um meine Compositionen aufzuführen. Eines Abends nun sangen wir eine Serenade zu Ehren der Gattin des damals so allgemein[293] beliebten komischen Schauspielers Kurz, bekannt unter dem Namen Bernarden. Sie gefiel sehr und Kurz hatte kaum erfahren, daß dieselbe von mir sei, als er zu mir kam und mich bestürmte, ihm eine Oper in Musik zu setzen. O je! wie sträubte ich mich damals vor dieser Aufgabe, nicht aus Mangel an Lust und Kenntnissen, wohl aber aus Furcht, in einem noch so unreifen Alter – ich war damals neunzehn Jahre alt – etwas Tüchtiges leisten zu können. Aber Kurz und mein späterer Schwiegervater ließen nicht nach, und so kam meine erste Oper: ›Der hinkende Teufel‹ zur Welt.«

»Die auch Ihr Glück machte!« – sagte Mozart.

»Allerdings!« – versetzte Haydn. – »Zwar durfte sie, ihrer satyrischen Tendenz wegen, nur dreimal gegeben werden; aber .... sie machte den edlen und wohlwollenden Fürsten Esterhazy auf mich aufmerksam, der mich denn auch bald an die Spitze seiner Capelle stellte.«

»Und für den Sie in dieser Stellung die wunderschönen, von aller Welt mit Begeisterung aufgenommenen Symphonien, und die herrlichen Quartette schrieben, die ein Schatz der deutschen Musik sind!« – rief hier Mozart mit flammenden Blicken, – »während Sie zugleich, seit den mehr als zwanzig Jahren ihrer Anstellung als Dirigent der fürstlich Esterhazy'schen Capelle, diese zu einem europäischen Rufe erhoben.«

»Um ....« – fügte Haydn traung hinzu – »jetzt von ihr scheiden zu müssen.«

»Ich kann es nicht glauben!« – sagte Mozart tief bewegt. – »Fürst Esterhazy .....«

»Hier ist sein Brief!« – fiel Haydn ein. – »Sein Entschluß steht fest; denn – wie ich ihn kenne – hätte er sonst diese Zeilen nicht geschrieben. Aber warum soll ich auch murren? Hat der liebe Gott mich nicht immer in meinem Leben wunderbar-herrlich geführt? Auch diese Trennung von meiner jetzigen Stellung, die mir allerdings sehr, sehr schwer wird, hat er in seinem weisen Rathe beschlossen! wer kann wissen, wohin er mich führen will? Ich füge mich willig und – werde mit dem innigsten Danke gegen ihn und den edlen Fürsten Esterhazy, dem ich unendlich viel Gutes verdanke – meine Stelle niederlegen.«

Haydn hatte dies ruhig und milde gesagt; aber ein leises Schwanken seiner Stimme verrieth den tiefen Schmerz seiner Seele. Und Mozart? ... Er ehrte diesen Schmerz[294] zu sehr, um ihn in irgend einer Weise durch künstliche oder erzwungene Mittel heben zu wollen. Ein so tiefes und reiches Gemüth, wie das des edlen Joseph Haydn, trug in sich selbst die beste Kraft zu seiner Bewältigung. Wolfgang Amadeus schied daher bald.

Haydn aber saß noch lange still und unbeweglich da, und schaute mit trüben Blicken vor sich hin. Er sah das schöne Werk zerfallen, was er mit so unendlich vieler Mühe gestiftet, mit so großer Ausdauer so lange erhalten hatte. Jetzt sollte es in Stücke gehen! In die Welt hinaus sollten alle die vielen wackeren Künstler ziehen, die seine Capelle gebildet. – Einer nach dem Anderen dahin, dorthin ...

»Aber was ist das? – Warum flammen plötzlich Haydns Augen? – Warum ist er aufgesprungen und steht nun, wie verklärt, hoch aufgerichtet da? – Hat sich dem Auge seines Geistes eine höhere Welt erschlossen? Rauscht über ihm mit ausgebreiteten Adlerflügeln der Genius der Tonkunst dahin? – Ja! ja! .... er ist es, der ihn in diesem Momente erfaßt hat und mit der Allgewalt des Göttlichen hoch über den Schmerz und die Sorgen des Lebens hebt. Er ist es, der Genius der Tonkunst, der ihm zuruft: Haydn, hier ist zu große Nachgiebigkeit Schwäche. Erhebe dich, du, den ich meiner Liebe gewürdigt, trete mit der Tonkunst für die Tonkunst ein. Auf! lasse sie noch einmal mit der vollen Kraft ihrer unwiderstehlichen Beredtsamkeit sprechen, und – – Du wirst siegen!«

Und Haydn rief: »Ja es sei! – Einer nach dem Andern! – Eines nach dem Andern! – – Jetzt weiß ich, was ich zu thun habe!«

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 282-295.
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