Erstes Kapitel.

Glucks Jugend und seine Vorbereitung für den Künstlerberuf.

Von den Vorfahren des großen Reformators der dramatischen Musik scheint dieser die geniale Begabung für Musik nicht geerbt zu haben. Der erste, von dem wir Kunde erhalten – Melchior Gluck – war Musquetier in einem churbaierischen Regiment; ihm wurde am 14. November 1649 zu Neustadt an der Waldnab ein Sohn geboren, welcher in der Taufe den Namen Johann Nicklas erhielt. Der zweite, wahrscheinlich im folgenden Jahre geborene Sohn, auf die Namen Johann Adam Gluck getauft, wurde fürstlich Saganscher Hofjäger und Bürger zu Neustadt an der Waldnab, wo er am 9. Januar 1722, im 73. Lebensjahre seines Alters, starb. Von seinen neun Kindern beansprucht Alexander unser ganzes Interesse, weil er der Vater des großen Tonmeisters geworden ist. Auch er hatte den Beruf des Vaters erwählt; er war in seinen Jünglingsjahren Büchsenspanner oder Leibjäger des Prinzen Eugen von Savoyen und ging dann als Förster nach Weidenwang in der Oberpfalz; 1717 trat er als Waldbereiter in die Dienste des Grafen von Kaunitz; wurde 1722 Forstmeister des Grafen von Kinsky zu Böhmisch-Kamnitz und ging in gleicher Eigenschaft 1724 zum Fürsten [1] Lobkowitz nach Eisenberg. Als er starb, befand er sich im Dienst der Großherzogin von Toscana zu Reichstadt.

Ihm wurde unser großer Meister zu Weidenwang in der oberen Pfalz am 2. Juli 1714 geboren. In der, am 4. Juli vollzogenen Taufe erhielt der Knabe die Namen:


Christoph Willibald.


Die Elementarschulen zu Böhmisch-Kamnitz und später die zu Eisenberg boten dem heranwachsenden Knaben neben dem Unterricht in den untersten Elementen des Wissens auch die erste Anleitung zur Musik. Die ursprüngliche Begabung und Neigung für diese Kunst, welche die Böhmen von jeher auszeichnete, gewinnen in dem katholischen Gottesdienste noch besonders starke Anregung und kräftige Nahrung, denn Musik und Gesang finden im katholischen Cultus zur Erhöhung der geheimnißvollen Pracht desselben die weiteste Verwendung. Besonders bildet der Chorgesang einen wesentlichen Theil desselben, daher war es von jeher eine der Hauptaufgaben der katholischen Schulen, die gesangbegabten Schüler zu einem Sängerchor zu vereinigen und heranzubilden. Zahlreiche Chorstiftungen wurden zu diesem Zweck durch den frommen Sinn vermögender Katholiken gegründet und die sogenannten Litterarischen Brüderschaften in Böhmen betrachteten die Pflege des Kirchengesanges als eine ihrer Hauptaufgaben. Unter diesen Verhältnissen fand die reiche Begabung des jungen Gluck für Musik schon in den ersten Jahren seiner Schulzeit die entsprechende Förderung; er wurde zum Sängerchor in Böhmisch-Kamnitz und auch später in Eisenberg herangezogen und bald zeichnete er sich durch seine Fertigkeit im Vomblattsingen aus. Wie im vorigen Jahrhundert fast allgemein üblich, wurde auch in Böhmen selbst in den kleinsten Orten die Instrumentalmusik zum Gottesdienst herbeigezogen; die begabteren Schüler erhielten daher auch Unterricht im Instrumentalspiel; Gluck lernte hier Violine und Violoncello spielen und brachte es darin zu einem nicht unbedeutenden Grade der Fertigkeit.

Im Elternhause bereitete die rauhe, oft tyrannische Weise des Vaters dem lebhaften, leicht angeregten Knaben manche trübe Stunde aber dennoch erinnerte sich der Meister noch gern auch dieser Zeit und [2] er kam immer in die beste Laune, wenn er Verwandten und Freunden erzählte, wie er mit seinem Bruder Anton nicht selten im strengsten Winter, barfuß den Vater in den Wald begleiten und ihm verschiedene Jagdgeräthe nachtragen mußte.

Nachdem der Vater Forstmeister auf der Lobkowitzschen Herrschaft Eisenberg geworden war, hatte Christoph die Reise erlangt, um in das Gymnasium in dem nahegelegenen Städtchen Kommotau aufgenommen zu werden. Mit Ernst und Eifer widmete er sich hier in den Jahren 1726–1732 den wissenschaftlichen Studien, vernachlässigte aber auch die Musikübung durchaus nicht, zu welcher ihm hier gleichfalls vielfach Veranlassung geboten wurde. Die Gymnasien jener Zeit waren nicht minder eifrig und erfolgreich bemüht, den Kirchengesang zu pflegen; das Jesuiten-Seminar in Kommotau aber bot dem jungen Gluck hinreichend Gelegenheit zugleich zur weiteren Ausbildung im Instrumentalspiel, und hier erhielt er auch Unterricht im Clavier- und Orgelspiel.

Als er seine Gymnasialstudien beendet hatte, ging er nach Prag, um hier Philosophie zu hören, zugleich aber auch sich in der Musik weiter zu bilden. Da indeß die Unterstützungen vom elterlichen Hause immer spärlicher wurden – dort war eine zahlreiche Familie zu unterhalten –, so sah er sich bald genöthigt, seinen Lebensunterhalt selbst zu erwerben, was ihm durch Verwerthung seiner Musikbildung sehr erleichtert wurde. Er wirkte in der Teinkirche unter Leitung des, in Böhmen seiner Zeit als Tonsetzer und Orgelspieler berühmten Minoriten Bohuslaus Czernohorsky, ebenso wie in der Klosterkirche zur heiligen Agnes und in der Kirche der Kreuzherren mit dem rothen Herzen (auch der Wasser-Polakken genannt) als Instrumentalist wie als Sänger mit und erhielt dafür ein bestimmtes Honorar. Außerdem ertheilte er Unterricht im Gesange und im Violoncellospiel und machte auch bereits in der Ferienzeit Konzertausflüge, zunächst in der bescheidenen Form des »fahrenden Schülers«. Er zog von Dorf zu Dorf, unterhielt die Bauern mit Spiel und Gesang und konnte als Entgelt dafür nicht selten nur Eier und dergl. in Empfang nehmen, die er dann an andern Orten vertauschen oder verkaufen mußte. Erst später besuchte er [3] bei diesen Kunstfahrten die größeren Städte, in denen er namentlich als Violoncellist concertirte. Dabei kam er in die kunstliebenden Kreise des böhmischen hohen Adels, bei welchem er gleichfalls, wie er gern und freudig anerkannte, durchgreifende Unterstützung fand. Ganz besonders zeichnete sich in dieser Beziehung die fürstlich Lobkowitzsche Familie aus, der die Förderung der Kunst und der Künstler zu einer gern geübten Pflicht geworden war.

Als Gluck 1736 nach Wien ging, um sich nunmehr ausschließlich der Kunst zu widmen, fand er in diesem fürstlichen Hause freundliche Aufnahme und die ausgebreiteten Beziehungen, in denen dies mit dem gesammten künstlerischen Leben in Wien stand, eröffneten ihm einen weiten Blick auch in das, in jener Zeit bereits reich entwickelte Musikleben der Kaiserstadt.

Namentlich seit Maximilian I. hatte die Musik in Wien ausgebreitete und emsige Pflege gewonnen. Die Kirchenmusik blühte unter ähnlichen Verhältnissen, wie in Böhmen, mächtig empor; die zahlreichen Klöster und Kirchen erhielten und unterhielten wol geschulte Gesangchöre, in denen der a capella-Gesang fleißig geübt wurde, bis allmälig die wachsende Ausbreitung der Instrumentalmusik den Gesang mit Instrumentalbegleitung in den Vordergrund drängte. Am Hofe Maximilians wurde auch schon die Kammermusik nicht minder berücksichtigt, wie die Kirchenmusik; neben der Hof-Cantorey bestand die sogenannte »Süß-Melodey«, welche aus den besten Lautenisten, Rauschpfeifern und Rybebenspielern zusammengesetzt war; die Cantorey stand unter der Leitung des, auch als Musiker berühmten, Bischof Georg Slakony, die Süß-Melodey unter Führung des ausgezeichneten Lautenschlägers Artus1.

Auch Ferdinand III. war ein Freund der Musik und unterstützte und förderte sie ebenso wie Kaiser Leopold I. Dieser hatte sogar eingehendere Musikstudien gemacht, welche ihn befähigten, selbstschöpferisch thätig zu sein; eine Anzahl von ihm componirter Arien, Cantaten, [4] Opern und dergl. werden noch in dem Archiv der K.K. Hofbibliothek aufbewahrt. Er erweiterte die oben erwähnten Institute zur Pflege der Tonkunst zu einer ansehnlichen, aus Sängern und Instrumentalisten, zumeist Italienern bestehenden Kapelle und baute 1659 ein großes Schauspielhaus; 1666 wurde zur Feier seiner Vermählung mit der Infantin von Spanien, Maria Theresia, eine große Prunk-Oper: »Il Pomo d'oro« in einem eigens dazu erbauten Theater aufgeführt.

Auch Kaiser Joseph I. vermehrte und verbesserte die Kapelle, zugleich baute er der italienischen Oper ein neues prachtvolles Hoftheater, das als das schönste seiner Zeit bezeichnet wird; und auch die darin veranstalteten Aufführungen übertrafen an Glanz der äußern Darstellung alles, was bis dahin Wien gesehen hatte.

Zur Blüte gelangte diese ganze Richtung unter Karl VI. Dieser kunstsinnige Monarch spielte ebenfalls mehrere Instrumente und besaß neben einem seinen, gebildeten Gehör auch mancherlei musikalische Kenntnisse und Fertigkeiten. An seinem Hofe wirkten einige der bedeutendsten Vertreter des italienischen Stils sowol in der Kirchenmusik wie in der Oper. An der Spitze der Oper stand seit dem Jahre 1715 Johann Joseph Fux, geboren 1660 in Obersteyermark, jener Meister, den allerdings nur sein theoretisches Werk: »Gradus ad Parnassum sive manuductio ad compositionem musicae regularem« der Vergessenheit zu entreißen vermochte. Unter ihm wirkten als Vicekapellmeister Antonio Caldara (starb 1750 im 78. Lebensjahre), der gleichfalls auch mit den Formen des künstlichen Contrapunkts noch vertraut, in seinen zahlreichen Werken für die Bühne und die Kirche sich den Bestrebungen von Fux für einen mehr künstlerischen Ausbau des italienischen Stils anschloß – und die Componisten Carlo Badia, Giuseppo Porsile und Francesco und Ignazio Conti. Die Werke dieser Meister des italienischen Stils, wie die der beiden Buononcini Marc Antonio (geb. um 1658) und Giovanni Battista (geb. um 1660), Matteo Palotta, Johann Georg Reinhard und Georg Reutter, die Gluck hier in vortrefflichen Aufführungen zu hören Gelegenheit hatte, lenkten bald seine ausschließliche Thätigkeit der italienischen Oper zu, und so ergriff er mit Freuden die Gelegenheit, [5] die ihm geboten wurde, in Italien selbst seine hierauf bezüglichen Studien vollenden zu können. Im fürstlich Lobkowitzschen Hause war der Fürst von Melfi auf ihn aufmerksam geworden und hatte ihn, da er Gefallen an ihm fand, zu seinem Kammermusiker gemacht. Gluck ging mit dem Fürsten nach Mailand und hier wurde der, jener Zeit als Organist und Componist berühmte Kapellmeister Giovanni Battista Sammartini sein Lehrer. Ueber dessen Lebens-und Bildungsgang ist nur wenig bekannt geworden, nur so viel scheint sicher, daß er in Mailand gegen Anfang des 18. Jahrhunderts geboren wurde und sich zum Musiker einzig durch fleißiges Selbstudium und gewissenhafte Arbeit herausbildete. Er hatte namentlich für die volksthümliche Instrumentalmusik ein schärfer ausgeprägtes Talent, so daß man ihn selbst als den Vater des Haydnschen Sinfoniestils feiern wollte. In der That ist auch einige Verwandtschaft zwischen beiden vorhanden; allein bei näherer Betrachtung zeigen sich doch beide als von verschiedenen Anschauungen ausgehend.

Haydns Werke haben allerdings denselben Boden, aus dem sie ebenso emporwachsen, wie die jener Italiener: Boccherini und Sammartini; aber man thut Unrecht, hieraus eine gegenseitige Einwirkung folgern zu wollen; Haydn wie Boccherini und Sammartini folgten in ihren Instrumentalwerken durchaus der Entwickelung, welche der Sonatenstil in Italien seit Joh. Gabrieli genommen hatte, und zwar in der Umgestaltung, welche dieser durch Domenico Scarlatti erfuhr. Aber dieser Stil wird durch die beiden erwähnten Italiener, in dem Bestreben ihn volksthümlich zu machen, verflacht und zersetzt, ohne daß ein neuer daraus erwächst. Joseph Haydn schlägt den entgegengesetzten Weg ein; vermöge der echt künstlerisch durchbildeten Technik, die er sich in unablässiger Arbeit allmälig angeeignet hatte, ist er im Stande, diese volksthümlichen Elemente dem Kunstwerk so einzuweben, daß dies ewig mustergiltige Form gewinnt. Während bei den Italienern diese volksthümlichen Elemente das Kunstwerk herabdrücken und auflösen, werden sie durch Haydn emporgehoben in die höhere Sphäre, in welcher sie selbst Stoff für das Kunstwerk werden.

[6] Vier Jahre lang arbeitete Gluck unter der Aufsicht und Anleitung Sammartini's, dann trat er mit seiner ersten Oper an die Oeffentlichkeit und sie zeigte gleich, nach welcher Richtung der Lehrer den Schüler gewiesen hatte. Ganz besonders die Instrumentalsätze und die Behandlung des Streichquartetts als Begleitung für die Singstimmen zeigen den Einfluß Sammartini's, der sich in derselben volksthümlichen Richtung geltend machte, welcher der Lehrer selbst huldigte. Während die Theoretiker und Lehrer Italiens immer noch darauf bedacht waren, ihre Schüler in die Künste des höheren Contrapunkts einzuführen, scheint Sammartini seinen Schüler damit wenig behelligt zu haben; er begnügte sich damit, diesem die Mittel zuzuführen, mit denen er immer volksthümliche Wirkung zu erzielen im Stande war. Die Einleitungssätze (Sinfonie) der Opern italienischen Stils, die Gluck schrieb, wie die instrumentalen Einleitungs- und Zwischensätze zu den Arien sind durchaus im Geiste Sammartini's erfunden und auch in der freien und leichten Handhabung der Technik des Streichquartetts zeigt sich die Anweisung und das Vorbild des Lehrers durchgreifend wirksam. Daß damit aber, durch die enger gefestigte Construction, welche das Instrumentale dadurch gewann, auch das Vocale beeinflußt wurde, soll später noch nachgewiesen werden.

Es muß wol der Verwendung des Fürsten Melfi zugeschrieben werden, daß Gluck, nachdem er seine Studien bei Sammartini beendet hatte, den Auftrag erhielt, für das Mailänder Hoftheater eine große Oper zu schreiben. Gluck unterzog sich demselben und schrieb die Musik zu: »Artaserse von Metastasio«, die im Jahre 1741 zur Aufführung gelangte.

Hierüber erzählt Anton Schmid2: Gluck war aus Sammartini's Schüler bald dessen vertrautester Freund geworden. Gluck unternahm seine neue Arbeit, ohne Jemand dabei zu Rath zu ziehen, und beendete die bei ihm bestellte Oper bis auf eine Arie, die einer anderen Wortunterläge bedurfte, und deshalb noch ungesetzt geblieben war.

[7] Die erste Probe wurde im Theater vor einer großen Zuschauermenge abgehalten, die von der Neugierde dahin gezogen wurde, und vor Ungeduld brannte, den ersten Versuch eines jungen Tonsetzers zu vernehmen, zu beurtheilen.

Die Gehörswerkzeuge dieser Menschen waren jedoch an diese neue Gattung nicht gewöhnt; Alle lachten mit hämischer Schadenfreude und spotteten des deutschen Künstlers. Gluck, der es merkte, verlor kein Wort und blieb seinem Streben getreu. Die noch ungesetzte Arie schrieb er in der gewöhnlichen, italienischen, nur dem Ohre schmeichelnden Weise, ohne dabei auf den Zusammenhang mit den übrigen Theilen des Werkes Rücksicht zu nehmen. Sie war ganz nach dem Wunsch jener Italiener, die nur ein oberflächliches Vergnügen in den Räumen des Theaters suchen, ohne den Werth einer Arbeit zu ergründen und den Gesammteindruck zu beobachten.

Die Hauptprobe zog noch eine weit größere Menschenzahl herbei und als die Zuhörer das neue, liebliche Gesangstück vernahmen, brachen sie in den lautesten Beifall aus und flüsterten sich ins Ohr, daß diese Arie von Sammartini sei. Gluck sah und hörte Alles und schwieg. Jedermann drängte sich zur ersten Vorstellung und siehe da – der Erfolg der Musik war ein vollkommener. Die von den übrigen Tonstücken so verschiedene Arie ward als flach und zu dem Ganzen so unpassend befunden, daß man allgemein ausrief, sie entstellt die ganze Oper. In dieser unschuldigen Weise rächte sich Gluck an dem voreilig richten den Volke.

Der ungewöhnliche Erfolg, welchen diese Oper hatte, machte den jungen Künstler sofort zu einem gefeierten Maestro in Italien; die verschiedenen Städte forderten von ihm Opern, und überhäuften ihn mit Gold und Ehren.

Vier Jahre hinter einander schrieb er für Mailand die Opern, 1762: »Demofoonte«, 1763: »Siface« und 1764: »Fedra«.

Für Venedig schrieb Gluck die Opern: »Demetrio« und »Ipermnestra«, beide nach den Texten von Metastasio; die erstere wurde 1742 unter dem Titel: »Cleonice« im Theater San Samuele aufgeführt, die zweite gelangte im Theater S. Giovanni Crisostomi [8] zur Darstellung. 1743 ging seine Oper »Artamene« zu Cremona und 1745 die Oper »Porro« in Turin in Scene.

Mit diesen acht Opern, die Gluck innerhalb des Zeitraums von 5 Jahren schrieb, hatte er sich den gefeiertsten Meistern Italiens eingereiht, und bald verbreitete sich sein Ruf auch über die Grenzen Italiens hinaus, so daß er nunmehr darauf bedacht sein konnte, seine Opern auch außerhalb Italiens auf die Bühne zu bringen.

Im Jahre 1745 schloß er sich deshalb seinem hohen Gönner, Ferdinand Philipp Fürst von Lobkowitz an, der eine Reise, welche durch Italien, Frankreich und England führen sollte, antrat. Gluck ging mit ihm von Turin aus über Paris nach London. Hier hatte aber kurz vor seiner Ankunft das Theater in Folge von öffentlichen Unruhen geschlossen werden müssen.

Erst am 7. Januar 1746 wurde es wieder eröffnet mit der, zu diesem Zwecke von Gluck componirten Oper: »La Caduta de' Giganti«, die indeß nur geringen Erfolg hatte, und nur fünf Vorstellungen erlebte. Der verdiente Musikhistoriker Dr. Burney3 berichtet darüber ausführlich und schließt mit den Worten: »Man konnte von einem jungen Manne, dem die Fähigkeit verliehen war, eine solche Oper in das Leben zu rufen, die trotz ihrer Unvollkommenheit dennoch fünf Vorstellungen erlebte, schon Etwas erwarten. Das Urtheil des, gegen fremdes Verdienst nicht selten unduldsamen Händel war nach Anhörung dieser Oper allzustreng und unfein, als daß wir dasselbe hier zu wiederholen geneigt sein sollten, indem es sowol Händeln, als dem noch im Gährungsprozesse begriffenen Gluck nicht zur Ehre gereicht.«

Entgegen dieser Andeutung über Händels Verhalten zu Gluck erzählt Reichardt, in London selbst gehört zu haben, daß, als Gluck, verletzt durch den geringen Beifall, den seine Oper in London errang, sich bei Händel beklagte, indem er ihm zugleich die Partitur vorlegte, dieser die Aeußerung that: »Ihr habt euch mit der Oper zu viel Mühe gegeben; das ist aber hier nicht wol angebracht; für die Engländer müßt ihr auf irgend etwas Schlagendes und so recht auf das Trommelfell [9] Wirkendes sinnen.« Gluck sei dadurch veranlaßt worden, zu den Chören noch Posaunen zuzusetzen und darauf hin habe die Oper größeren Beifall erworben.

Am 4. März desselben Jahres ging dann die Oper: »Artamene«, die Gluck für Cremona geschrieben hatte, in London in Scene mit ganz außergewöhnlichem Beifall. Die von Monticelli gesungene Arie: »Rasserena il mesto ciglio« mußte bei jeder Vorstellung auf stürmisches Verlangen wiederholt werden4.

Gegen Ende des Jahres 1746 ging Gluck zurück nach Hamburg, wo er eine erste Stelle als Kapellmeister gewann. Hier leitete der Venetianer Pietro Mingotti eine italienische Operngesellschaft; seine Gattin Regina Mingotti wirkte dabei als erste Sängerin und das ganze Unternehmen hatte guten Erfolg. Zur Zeit der Vermählung der Prinzessin Anna, Tochter Augusts III., mit dem Churfürsten von Baiern, die am 13. Juni 1747 stattfand, finden wir Mingotti mit seiner Operngesellschaft in Dresden, wo er in einem, im Zwinger, auf der Stelle, an welcher jetzt das Standbild König Augusts steht, errichteten hölzernen Theater Vorstellungen gab. Im churfürstlichen Opernhause wurde als Galaoper Hasse's: »Archidamia« aufgeführt; für die Mingottische Truppe aber hatte Gluck ein zweiactiges Festspiel: »Le Nozze d'Ercole e d'Ebe« componirt, das am 29. Juni im Pilnitzer Schloßgarten auf einer daselbst errichteten Bühne vor dem versammelten Hofe aufgeführt wurde. Frau Mingotti, welche dabei den Herkules sang, wurde in Folge dessen beim Hoftheater mit 2000 Thalern Gage als Primadonna engagirt. Für Gluck scheint die Aufführung keine weiteren Folgen gehabt zu haben. Seine Wirksamkeit bei Mingotti in Dresden veranlaßte Dlabacz, eine Anstellung Glucks in Dresden bei der churfürstlichen Kapelle mit ansehnlichem Gehalte zu folgern, was entschieden als irrig zu bezeichnen ist.

[10] Durch den erfolgten Tod seines Vaters sah sich Gluck veranlaßt, nach seiner Heimath zu reisen. Dort verkaufte er eine, ihm als Erbtheil zugefallene, in Johnsdorf bei Georgenthal in Böhmen gelegene Schenke und ging dann zurück nach der Stadt, in welcher die italienische Oper, der er bis jetzt noch mit allem Feuereifer diente, so feste Wurzeln geschlagen hatte, nach Wien, um hier seinen bleibenden Wohnsitz zu nehmen.

Daß sein Aufenthalt in London für Glucks innere Entwickelung nicht ohne nachhaltigen Erfolg blieb, wenn dieser auch in der nächsten Zeit noch nicht so deutlich erkennbar heraustrat, wird durch die nähere Betrachtung der Werke des Meisters erwiesen.

Fußnoten

1 Siehe: Illustrirte Geschichte der deutschen Musik von August Reißmann. Leipzig 1881, S. 223.


2 Christoph Willibald Ritter von Gluck. Leipzig, Friedrich Fleischer, 1854.


3 History of Music. B. 4. p. 452 etc.


4 Diese Arie ist mit fünf anderen aus dieser Oper: drei Sopran-Arien: »E maggiore d'ogn' altro dolore« – »Se crudeli tanto siete« und »Già presso al termine de' suoi martiri« und noch zwei Arien für Contra-Alt: »Pensa asserbami« und »Il suo leggiadro viso« gedruckt erschienen unter dem Titel: »The favourite Songs in the Opera Call'd Artamene«. By Sig. Gluck, London. Printed for J. Walsh.


Quelle:
Reissmann, August: Christoph Willibald von Gluck. Sein Leben und seine Werke. Berlin und Leipzig: J. Guttentag (D. Collin), 1882., S. 1-12.
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