77. [München, 10.-11. Oktober 1777]

[73] Mon trés cher Père!


warum daß ich bis dato nichts vom Misliweczeck geschrieben habe?1 – – weil ich froh war wan ich nicht auf ihn dencken durfte – – [73] Dan so oft die rede von ihm war, muste ich hören, wie sehr er mich gelobet, und welch guter und wahrer freund er von mir ist! und zugleich die bedauerung und das mitleiden; man beschrieb ihn mir. ich war ausser mir. ich sollte Misliweteeck meinen so guten freund in einer stadt, ja in einem winkel der welt wo ich auch bin, wissen, und sollte ihn nicht sehen, nicht sprechen? – – das ist ohnmöglich! ich resolvirte mich also zu ihm zu gehen. ich gieng aber des tags vorher zum verwalter vom Herzogsspital, und fragte ihn ob er nicht machen könne daß ich mit Misliwetcek in garten sprechen könnte, dann, obwohlen mir alle leute und auch Medici gesagt haben, daß da nichts mehr zu erben wäre, ich dennoch in sein Zimmer nicht gehen wollte, weil es sehr klein ist, und ziemlich starck riecht. er gab mir vollkommen recht, und sagte mir, er gienge gewöhnlich so zwischen 11 und 12 uhr im garten spazieren; wen ich ihn aber nicht antreffen sollte, so dürfte ich ihn nur herab kommen lassen. Ich gieng also den andern tag mit H: v. Hamm, Ordens-secretaire, (von welchen ich nach gehends sprechen werde) und auch mit meiner Mama ins herzogsspital. meine Mama gieng in die kirche und wir im garten. er war nicht da. wir liessen ihn also ruffen. ich sahe ihn von der querre her kommen, und erkannte ihn gleich im gang. hier ist zu merken, daß er mir schon durch H: heller Violoncellist einCompliment hat vermelden lassen, und gebeten, ich möchte ihn doch vor meiner abreise noch besuchen. als er zu mir kam, nahm ich ihn, und er mich recht freundschaftlich bey der hand Da sehen sie, sprach er, wie unglücklich ich bin! mir giengen diese worte, und seine gestalt, die der Papa der beschreibung nach schon weis, so zu herzen, daß ich nichts als halb weinend sagen konnte, ich bedauere sie von ganzem herzen, Mein lieber freund! er merkte es, daß ich gerührt war, und fieng sogleich ganz munter an. aber sagen sie mir, was machen sie denn; man hat mir gesagt, sie sehen hier; ich glaubte es kaum. wie ist es denn möglich daß der Mozart hier ist, und mich nicht längst besucht hat. ich bitte sie recht um verzeyhung, ich habe so vielle gänge gehabt, ich habe so vielle gute freunde hier. Ich bin versichert daß sie recht gute freunde hier haben, [74] aber einen so guten freund, wie ich, haben Sie gewis nicht. Er fragte mich ob ich von Papa keine nachricht erhalten habe wegen einen brief – – ich sagte ja, er schrieb mir, (ich war so confus und zitterte so am ganzen Leibe, daß ich kaum reden konnte) aber nicht ausführlich. er sagte mir dann. daß der Sig: gaetano santoro impreßario vonNeapel, gezwungen war, aus impegni und Protectione diesen Carneval einem gewissen Maestro Valentini die opera von Carnevale zu geben. aber auf künftiges jahr hat er 3 frey; wovon eine mir zu diensten steht. weil ich also sch on 6 mahl zu Neapel geschrieben habe, so mache ich mir nichts daraus, die fatalere zu übernehmen, und ihnen die bessere, nämlich die von Carnevale zu überlassen. got tweis, ob ich reisen kann, kann ich nicht, so schicke ich die scrittur wieder zurück. die Compagnie auf künstiges jahr ist gut. lauter leute die ich recomandirt habe. sehen sie, ich habe so Credit zu Neapel, daß wen ich sage, nehmet diesen, so nehmen sie ihn. Marquesi, ist der Primo uomo, welchen er sehr lobet. und auch ganz München. Marchiani. eine gutePrima Donna. und ein tenor, deñ ich nicht mehr nennen kann, welcher, wie er sagt, iezt der beste in ganzitalien ist. ich bitte sie, gehen sie in italien, da ist man estimirt und hochgeschätzt; und er hat wircklich recht; wen ich es recht bedencke, so hab ich halt doch in keinen lande so vielle ehren empfangen, nirgends so geschäzet worden, wie in italien; und man hat halt Credit, wen man in italien opern geschrieben hat, und sonderheitlich zu Neapl. er hat mir gesagt er will den brief an santoro mir aufsezen, ich soll morgen zu ihm kommen, und ihn abschreiben. ich konnte aber ohnmöglich mich entschliessen zu ihn ins Zimmer zu gehen, und wen ich schreiben wollte, müste ich es doch, im garten könnte ich nicht schreiben. ich versprach ihm also, gewis zu kommen. ich schrieb aber folgenden tags einen italienischen brief an ihn, ganz natürlich: ich könte ohnmöglich zu ihm kommen; ich habe schier nichts essen, und nur 3 stund schlaffen können. ich war den tag wie ein mensch der seine vernunft verlohren hat. er seye mir immer vor augen Ecet: lauter sachen die [75] so wahr sind als die sonne klar ist. er gab mir folgende antwort: lei é troppo sensibile al mio male; io la ringrazio del suo buon Cuore. se part e per Praga gli farò una lettra pil Conte Pachta. non si pigli tanto à Cuore la mia disgrazia. il Principio fù d'una ribaltata di Caleße, poi sono capitato nelle mani dei Dottori ignoranti, pazienza. Ci sarà quel che Dio vorrà. er schickte mir den aufsaz zum brief an santoro. La brama ch'ebbi già da tanto tempo di servir V: S: Ill: e cotasto rispettabilißimo Publico di Napoli colle mie debollezze di produrmi in cotesto Real teatro, éll mottivo ch'io (non riguardando il lungo é dispendioso viaggio) condiscendo e mi Contento di scriver l'anno venturo in contesto Regio teatro un opera per 100 grgl: pregandola però se poßibil foße che mi foße Confesta l' ultima, cioè, quella del Carnevale, perchè i miei intereßi non mi permetterano di poter accetar un opera prima di quel tempo già tanto spero dalla sua grazia; ed avendo l' approvazione Reale per me, prego di mandar la scrittura al Maestro Misliwececk, che così mi sara sicuramente ricapitata. frà tanto anzioso d' imparar à Conoscer Persona di tanto merito mi dò l' onore di potestarmi per sempre Eccel: er hat mir auch bey ihm briefe gezeiget, wo ich oft meinen Namen laß. man sagte mir, daß sich Misliwetcek sehr verwundert hat, wen man hier von Beeché2 oder dergleichen Clavieristen sprach; er sagte allzeit, es soll sich nur keiner nichts einbilden; keiner spiellt wie Mozart. in italien, wo die grösten Meister sind, spricht man von nichts als Mozart. wen man diesen nennt, so ist alles still. ich kan iezt den brief nach Neapl schreiben wen ich will; doch je ehender, je besser: ich möchte aber bevor die meynung von den allervernünftigsten Hofkapellmeister herrn von Mozart wissen.

ich habe eine unausprechliche begierde wieder einmahl eine opera zu schreiben. Der weg ist weit, das ist wahr; wir sind aber auch noch weit entfernt von der zeit wo ich diese opera schreiben sollte; es kann[76] sich bis dorthin noch viell verändern. ich glaube, annehmen könnte man sie doch. bekomme ich unter der zeit gar keinen Dienst, Eh bien, so hab ich doch dieresource in italien. ich habe doch im Carneval meine gewisse 100 Ducaten; wen ich einmahl zu Neapl geschrieben habe, so wird man mich überall suchen. es giebt auch, wie der Papa wohl weis, im frühling, sommer und herbst da und dort eine opera buffa die man zur übung, und um nicht müssig zu gehen, schreiben kan. es ist wahr, man bekömmt nicht viell, aber doch etwas; und man macht sich dadurch mehr Ehre undCredit als wenn man 100 Concert in teutschland giebt. und ich bin vergnügter, weil ich zu Componiern habe, welches doch meine einzige freude undPassion ist. Nun, bekomme ich wo dienste, oder habe ich wo hofnung anzukommen, so reccomandirt mich die scrittura viell, macht aufsehen, und noch viell schäzbarer. Doch, ich rede nur; ich rede so wie es mir ums herz ist – – – wenn ich vom Papa durch gründe überzeuget werde, daß ich unrecht hab, Nu, so werde ich mich, obwohlen ungern, drein geben. dann ich darf nur von einer opera reden hören, ich darf nur im theater seyn, stimmen hören – – o, so bin ich schon ganz ausser mir.

Morgen wird meine mama und ich werde beym Misliwetcek im garten mich und sich beurlauben; dann er sagte schon neulich, wie er von mir gehört hatte, daß ich meine Mama in der kirche abholen muß, wenn ich nicht gar so spectakulos wäre, so wäre es mir sehr liebe die Mutter zu sehen, die einen so grossen virtuosen gebohren hat. ich bitte sie, mein allerliebster Papa, antworten sie doch dem Misliwecek. schreiben sie ihm so oft sie nur zeit haben. sie können ihm keine grössere freude machen, dann der Mann ist völlig verlassen; die ganze woche kömmt oft kein mensch zu ihm. er sagte mir: ich versichere sie, es thut mir sehr fremd, daß so wenig leut mich zu besuchen kommen; in italien hatte ich alle tage gesellschaft; wenn sein gesicht nicht wäre, so wäre er völlig der nämliche; voll feuer, geist und leben. ein wenig mager, natürlich; aber sonst der nämliche gute und aufgeweckte Mensch. ganz München redet von seinem oratorio, Abramo und Isaco, so er hier producirt hat. er hat iezt, bis auf [77] etliche Arien eine Cantate oder serenada fertig, auf die fasten. wie seine krankheit am stärcksten war, machte er eine opera nachPadua. Da nuzt nichts, man sagt es auch hier selbst, daß ihn die Doctors und Chirurgi hier verdorben haben. es ist halt ein förmlicher beinkrebs. Der Chirurgus Caco, der Esel, hat ihm die Nasen weg gebrennt; man stelle sich iezt den schmerzen vor. iust iezt ist hr: Heller von ihm hergekommen. ich habe ihm gestern, als ich ihm den brief schrieb, meine serenada3 von Salzburg für den Erzherzog Maximilian geschickt, er gab sie ihm also mit.

Nun auf etwas anders zu kommen4.

Die adreße an h: von Hamm, ist folgende. à Monsieur Monsieur de Hamm secretaire de guerre de S: A: E: Serenißime de Baviére. à Munic. gestern war ich mit der Mama gleich nach dem Essen bey den 2 frl: von freysinger auf einen kossé. die mama tranck aber keinen kossé, sondern 2 Bouteilles tyrolerwein. um 3 uhr gieng sie aber wieder nach haus, um doch ein wenig herzurichten auf die reiß. ich gieng aber mit die 2 frl: Zum detto H. v. Hamm, alwo die 3 frl: eine jede ein Concert spiellte, und ich eins von aichner5Prima vista. und dann immer Phantasien. Der frl: Hamm von Einfalts-kasten ihr lehrmeister ist ein gewisser geistlicher Herr, mit nammens schreier. er ist ein guter organist; aber kein Cymbalist. Der hat mir immer mit den brüllen zugesehen. er ist so ein trockner Mann, der nicht viell redet; er klopfte mich aber auf die achseln, seufzte, und sagte, ja – – sie sind – – sie verstehen – – ja – – daß ist wahr – – ein ganzer Mann. appropos. kann sich der Papa des Nammens freysinger nicht errinern? – – Der Papa der genannten 2 schönen freulein, sagt, er kennt den Papa sehr gut, er habe mit dem Papa studiret. Er erinnert sich noch absonderlich auf Messenbrunn, wo der Papa, (daß war mir völlig neu) recht unvergleichlich auf der Orgel geschlagen hat. er sagte; Daß war erschröcklich wie es unter einander ging, mit den füssen und händen, aber, [78] wohl unvergleichlich. ja, ein ganzer Mann. bey meinem Vattern galt er sehr viell. und wie er die Pfaffen herumg gefopt hat, wegen den geistlich werden; sie sehen ihm accourat gleich. wie er dort war; völlig. Nur war er ein wenig kleiner wie ich ihn gekannt habe. appropos noch eins. Ein gewisser Hofrath Effele läst sich dem Papa unterthänigst Empfehlen. er ist einer von den besten hofräthen hier. er hätte schon längst kanzler werden können. wenn nicht ein einziger umstand wäre, nämlich daß luzeln. wie ich ihn daß erstemahl bey Albert gesehen, so habe ich geglaubt, und auch meine Mama, Ecce einen erstaunlichen Dalken! stellen sie sich nur vor, einen sehr grossen Mann, starck, ziemlich corpolent, ein lächerliches gesicht. wen er über daß zimmer geht, zu einen andern tisch, so legt er beede hände auf den Magen, biegt sie gegen sich, und schupt sich mit dem leib in die höhe, macht einen Nicker mit den kopf, und wen das vorbey ist, so zieht er erst ganz schnell den rechten sus zurück. und so macht er es bey einer jeden Person extra. er sagt er kennt den Papa tausendmahl. Nun werde ich noch ein wenig in die Comödie gehen. nächstens werde ich schon mehrer schreiben, ich kann ohnmöglich mehr, die finger thun mir erstaunlich wehe6.

München den 11ten octob:7 nachts um 3/4 auf 12 uhr schreibe ich folgendes. ich bin in der drittl Comödie gewesen. ich bin nur hinein gegangen um den ballet zu sehen, viellmehr Pantomime, welche ich noch niemalen gesehen. er war betittelt. Das von der für girigaricanarimanarischaribari verfertigte Ey. er war sehr gut und lustig. wir gehen Morgen nach augsburg, dessentwegen, weill der fürst taxis nicht zu Regensburg sondern zu tischingen ist. er ist zwar dermalen auf einen lustschlos, welches aber nicht weiter als eine stunde entfernt ist von tischingen. ich werde alles Zu Augsburg so machen, wie mir es der Papa geschrieben hat. ich glaube das beste wäre, wen uns der Papa iezt nach Augsburg schriebe, und anmerkte, daß der brief beym lamm abzugeben seye, bis ich schreibe das wir wieder [79] weiter gehen. ein gescheider gedancke, nicht wahr? h: von bellvall, welcher uns heute abends beym albert besuchte, empfihlt sich dem Papa und meiner schwester 100000 mahl. Meiner schwester überschicke ich hier 4 Preambule. in was für ton sie führen, wird sie sehen und hören. ich hoffe sie werden die Schusterischen Duetto richtig erhalten haben. an alle gute freunde und freundinen Meine Empehiung; absonderlich an jungen graf Arco, jungs. Sallerl, und Meinen besten freund Hr: Bullinger, und ich lasse ihn bitten, er möchte die güte haben, und nächstem Sonntage bey der gewöhnlichen 11 uhr Musique, im namen meiner, eine auctoritätische anrede machen, und allen mittgliedern der Accademie meine Empfehlung entrichten, und sie zum fleiß ermahnen, damit ich nicht heut oder Morgen zum lügner werde; dann ich habe diese accademie überall angerühmet, und werde es auch noch thun. ich küsse den Papa die hände und bin dero gehorsamster sohn

Wolfgang Mozart8

Fußnoten

1 S. hierzu die Briefe des Vaters vom 1. und 6. Oktober.


2 Ignatz von Beecké (1733–1803), der in den folgenden Briefen häufig erwähnte Wallersteiner Klavierspieler und Klavierkomponist.


3 »Il re pastore«, in Salzburg 1775 zu Ehren der Anwesenheit des Erzherzogs Maximilian aufgeführt.


4 Folgt der 1. Brief der Mutter.


5 Ernst Eichner (1740–1777), fruchtbarer Instrumentalkomponist.


6 Folgt der 2. Brief der Mutter.


7 Schreibversehen für: 10. Oktober (vgl. die Briefe des Vaters vom 12./13. und 18. Oktober).


8 Antwort des Vaters: (12.) 13. Oktober.


Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 1. München/ Leipzig 1914, S. 80.
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