*107. [an den Vater]

[151] Manheim, den 17. Januar 1778.


Künftigen Mittwoch werde ich auf etliche Tage nach Kirchheim-Poland zu der Prinzessin von Oranien gehen; man hat mir hier so viel Gutes von ihr gesprochen, daß ich mich endlich entschlossen habe. Ein holländischer Officier1, der mein guter Freund ist, ist von ihr entsetzlich ausgescholten worden, daß er mich, als er hinüber kam, ihr das Neujahr anzuwünschen, nicht mitgebracht habe. Auf das Wenigste bekomme ich doch acht Louisd'or; denn weil sie eine außerordentliche Liebhaberin vom Singen ist, so habe ich ihr vier Arien abschreiben lassen, und eine Symphonie werde ich ihr auch geben, denn sie hat ein ganz niedliches Orchester und giebt alle Tage Akademie. Die Copiatur von den Arien wird mich auch nicht viel kosten, denn die hat mir ein gewisser Herr Weber2, welcher mit mir hinüber gehen wird, abgeschrieben. Dieser hat eine Tochter3, die vortrefflich singt und eine schöne reine Stimme hat, und erst 15 Jahre alt ist. Es geht ihr nichts als die Action ab, dann kann sie auf jedem Theater die Prima donna machen. Ihr Vater ist ein grundehrlicher deutscher Mann, der seine Kinder gut erzieht, und dieß ist eben die Ursache, warum das Mädel hier verfolgt wird. Er hat 6 Kinder, 5 Mädel [151] und einen Sohn. Er hat sich mit Frau und Kindern 14 Jahre mit 200 fl. begnügen müssen, und weil er seinem Dienste allezeit gut vorgestanden und dem Churfürsten eine sehr geschickte Sängerin gestellt hat, so hat er nun – ganze 400 fl. Meine Arie von der De Amicis mit den entsetzlichen Passagen singt sie vortrefflich; so wird diese auch zu Kirchheim-Poland singen. –

Nun etwas Anderes. Vergangenen Mittwoch war in unserm Hause4 ein großes Tractament, und da war ich auch dazu eingeladen. Es waren 15 Gäste, und die Madselle vom Hause sollte auf den Abend das Concert, welches ich sie gelehrt, spielen. Um 11 Uhr Vormittags kam der Hr. Kammerrath mit dem Herrn Vogler zu mir herein. Der Hr. Vogler hat absolument mit mir recht bekannt werden wollen, indem er mich schon so oft geplagt hatte, zu ihm zu kommen, so hat er endlich doch seinen Hochmuth besiegt, und hat mir die erste Visite gemacht. Überhaupt sagen mir die Leute, daß er jetzt ganz anders sey, weil er dermalen nicht mehr so bewundert wird; denn die Leute haben ihn anfangs zu einem Abgott gemacht. Ich ging also mit ihm gleich hinauf, da kamen so nach und nach die Gäste, und wurde nichts als geschwatzt. Nach Tische aber ließ er zwey Claviere von ihm holen, welche zusammen stimmen, und auch seine gestochenen langweiligen Sonaten. Ich mußte sie spielen und er accompagnirte mir auf dem andern Claviere dazu. Ich mußte auf sein so dringendes Bitten auch meine Sonaten holen lassen. NB. vor dem Tische hat er mein Concert (welches die Mademoiselle vom Hause spielt und das von der Litzau5 ist) prima vista – herabgehudelt. Das erste Stück ging prestissimo, das Andanteallegro und das Rondo wahrlich prestissimo. Den Baß spielte er meistens anders als es stand, und bisweilen machte er eine ganz andere Harmonie und auch Melodie. Es ist auch nicht anders möglich in der Geschwindigkeit; die Augen können es nicht sehen und die Hände nicht greifen. Ja, was ist denn das? – so ein Prima vista spielen, [152] und – ist bey mir einerley. Die Zuhörer (ich meyne diejenigen, die würdig sind, so genannt zu werden) können nichts sagen, als daß sie Musik und Clavierspielen – gesehen haben. Sie hören, denken und – empfinden so wenig dabey – als er. Sie können sich leicht vorstellen, daß es nicht zum Ausstehen war, weil ich es nicht gerathen konnte, ihm zu sagen: Viel zu geschwind. Übrigens ist es auch viel leichter, eine Sache geschwind, als langsam zu spielen; man kann in Passagen etliche Noten im Stiche lassen, ohne daß es Jemand merkt; ist es aber schön? – Man kann in der Geschwindigkeit mit der rechten und linken Hand verändern, ohne daß es Jemand sieht und hört; ist es aber schön? – Und in was besteht die Kunst, prima vista zu lesen? In diesem: das Stück im rechten Tempo, wie es seyn soll, zu spielen, alle Noten, Vorschläge etc. mit der gehörigen Expression und Gusto, wie es steht, auszudrücken, so daß man glaubt, derjenige hätte es selbst componirt, der es spielt. Seine Applicatur ist auch miserabel: der linke Daumen ist wie beym seligen Adlgasser, und alle Läufe herab mit der rechten Hand macht er mit dem ersten Finger und Daumen6. –

Fußnoten

1 de la Potrie (s. den Brief vom 20. Dezember 1777).


2 Fridolin Weber (1733–79), Sänger, Souffleur und Kopist an der Mannheimer Hofbühne.


3 Aloysia Weber.


4 Bei Hofkammerrat Serrarius (s. hierzu den Brief der Mutter vom 14. Dezember 1777).


5 Gattin des Grafen von Lützow, des Kommandanten von Hohensalzburg.


6 Antwort des Vaters: 26. Januar.


Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 1. München/ Leipzig 1914, S. 153.
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