*115. [an das »Bäsle« in Augsburg]

[173] Mademoiselle

ma très chère Cousine!


Sie werden vielleicht glauben oder meynen ich sei gestorben! – ich sey crepirt? – oder verreckt? – doch nein meynen Sie es nicht ich bitte Sie, denn gemeint und geschissen ist zweyerley! – wie könnte ich denn so schön schreiben, wenn ich todt wäre? – wie wäre das wohl möglich? – wegen meinem langen Stillschweigen will ich mich gar nicht entschuldigen denn sie würden mir so nichts glauben, doch was wahr ist bleibt wahr! ich habe so viel zu thun gehabt, daß ich wohl Zeit hatte an das Bäsle zu denken, aber nicht zu schreiben, mithin habe ich es müssen lassen bleiben. Nun aber habe ich die Ehre sie zu fragen, wie sie sich befinden und sich tragen? – Ob Sie noch offenes Leibs sind? – ob sie gar etwa haben den Grind? – Ob sie mich noch können ein bischen leiden? – Ob Sie öfters schreiben mit einer Kreiden? Ob sie noch dann und wann an mich gedenken? Ob sie nicht zuweilen Luft haben sich aufzuhenken? Ob sie etwa gar böse waren? auf mich armen Narren, ob sie nicht gutwillig wollen Fried machen, oder ich laß bei meiner Ehr einen krachen! Doch sie lachen – Victoria! – unsere Arsch sollen die Friedenszeichen sein. ich dachte wohl, daß sie mir nicht länger wiederstehen könnten, ja ja ich bin meiner Sache gewiß, und sollt ich heut noch machen einen Schyß, obwohl ich in 14 Tägen gehe nach Paris. Wenn sie mir also wollen antworten aus der Stadt Augsburg dorten, so schreiben sie mir bald damit ich den Brief erhalt, sonst wenn ich etwa schon bin wek, bekomm ich statt einen Brief einen Drek. – Drek! – ............................. Nu um auf etwas anderes zu kommen, haben sie sich diese fastnacht schon braf lustig gemacht, in Augsburg kann man sich dermalen lustiger machen als hier; ich wollte wünschen ich wäre bei ihnen, damit ich mit ihnen recht herumspringen könnte. Meine Mama und ich wir empfehlen uns beide dem H: Vatter und der Frau Mutter nebst den Bäsl und hoffen daß sie alle 3 recht wohl auf sein mögen. – Desto besser, besser desto!Apropos, wie stehets [174] mit der französischen Sprache? Darf ich bald einen ganz französ. Brief schreiben? – Von Paris aus nicht wahr? sagen sie mir doch haben Sie den spuni cuni fait noch; – das glaub ich, nun muß ich Ihnen doch bevor ich schließe, denn ich muß bald endigen weil ich Eile habe, denn ich habe jetzt just gar nichts zu thun, und dann auch weil ich keinen Platz mehr habe wie Sie sehen; das Papier ist schon bald gar, und müd bin ich auch schon die Finger brennen mich gantz vor lauter Schreiben und endlich auch wüßte ich nicht wenn auch wirklich noch Platz wäre, was ich noch schreiben sollte, als die Historie die ich Ihnen zu erzählen im Sinn habe. Hören Sie also, es ist noch nicht lange, daß es sich zugetragen hat. es ist hier im Lande geschehen, es hat auch hier viel Aufsehens gemacht, denn es scheint ohnmöglich, man weiß auch unter uns gesagt den Ausgang von der Sache noch nicht, also kurz zu sagen, es war etwa 4 Stunden von hier, das Ort weis ich nicht mehr, es war halt ein Dorf oder so etwas; Nu das ist endlich ein Ding ob es Tribsterill wo der Drek ins Meer rinnt oder Burmesquik wo man die krummen Arschlöcher dräht war; mit einem Wort, es war halt ein Ort. – Da war ein Hirt oder Schäfer der schon zimmlich alt war, aber doch noch robust und kräftig dabey aussah, der war ledig und gut bemittelt, und lebte recht vergnügt, ja das muß ich ihnen noch vorhersagen, ehe ich die Geschichte auserzähle, er hatte einen erschrecklichen Ton wenn er sprach, man mußte sich allezeit fürchten, wenn man ihn reden hörte. Nu um kurz von der Sache zu reden, so müssen sie wissen, er hatte auch einen Hund, den er Bellot nannte, einen sehr schönen großen Hund, weiß mit schwarzen Flecken – Nu eines Tages gieng er mit seinen Schaafen daher, davon er 11 Tausend unter sich hatte, da hatte er einen Stok in der Hand mit einem schönen rosenfarbenen Stokband. Denn er ging niemalen ohne Stok. Das war schon so sein Gebrauch. Nun weiter. Da er so eine gute Stunde gieng, so war er müde und sezte sich bey einem Fluß nieder. Endlich schlief er ein, da träumte ihm er habe seine Schaaf verlohren, und in diesem Schreken erwacht er, und sahe aber zu seiner größten Freude alle seine Schaafe wieder, endlich stundt er auf und gieng weiter, aber [175] nicht lang, denn es wird kaum eine halbe Stunde vorbeigegangen sein, so kam er zu einer Brücke die sehr lang war, aber auf beiden Seiten gut geschüzt war, damit man nicht hinabfallen könne, nun da betrachtete er seine Heerde; und weil er dann hinüber mußte, so fing er an seine 11 Tausend Schaaf hinüber zu treiben. Nun haben sie nur die Gewogenheit und warten bis die 11000 Schaaf drüben sind, dann will ich ihnen die gantze Historie auserzählen; ich habe ihnen vorher schon gesagt, daß man den Ausgang noch nicht weiß; ich hoffe aber, daß bis ich ihnen schreibe sie gewiß drüben sind, wo nicht, so liegt mir auch nichts daran, wegen meiner hätten sie herüben bleiben können. sie müssen sich schon unterdessen so weit begnügen. was ich davon gewußt habe, das habe ich geschrieben, u. es ist besser daß ich aufgehört habe, als wenn ich etwa dazu gelogen hätte; da hätten sie mir etwa die ganze Historie nicht geglaubt; aber so – glauben sie mir doch – die halbe noch. Nun muß ich schließen, ob es mich schon thut verdrießen, wer anfängt muß auch aufhören, sonst thut man die Leute stören, an alle meine Freunde mein Compliment, und wer's nicht glaubt, der soll mich leken ohne End, von nun an bis in Ewigkeit, bis ich einmal werd wieder gescheit. Da hat er gewiß zu leken lang, mir wird dabey schier selbsten bang; ............... Adieu Bääßle. ich bin, ich war, ich wär, ich bin gewesen, ich war gewesen, ich wär gewesen, o wenn ich wäre, daß ich wäre, wollte Gott ich wäre; ich würde sein, ich werde sein, wenn ich seyn würde, o daß ich seyn würde, ich würde gewesen, ich were gewesen sein, o wenn ich gewesen wäre, o daß ich gewesen wäre, wollte Gott ich wäre gewesen, was? – ein Stockfisch.Adieu ma chère Cousine, wohin? ich bin der nämliche wahre Vetter

Wolfgang Amadé Mozart


Mannheim den 28 Febr 1778.

Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 1. München/ Leipzig 1914, S. 173-176.
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