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[62] Mozart schätzte unter seinen Werken keine höher als Idomeneo und Don Giovanni.[62]

Zwar sind die Verfasser vorzüglicher Werke nicht stets die richtigsten Beurteiler derselben. Sie bringen oft die darauf verwandte Arbeit stärker in Anschlag als der Kunstrichter, der nur das Werk beurteilt, oder es wird bei den Gedanken an das Werk ein Andenken an ihnen interessante Umstände, unter welchen sie es verfertigen, erregt, wie Tizian mehrere seiner vollendetesten Werke in spätern Jahren gleichgültig und andere weit weniger werte Jugendarbeiten viel höher schätzte. Aber Mozarts Urteil über beide Opern ist sicher das richtigste, indem beide, wie keine andere, die eigenste Individualität und den Charakter des Genius des Verfassers aufs reinste und festeste darstellen.

Wohl sprach Mozart nur sehr ungern und sehr kurz von seinen Werken, sprach er aber darüber, so drückte er immer das angegebene Urteil aus. – Über Don Giovanni sagte er: »Für die Wiener ist diese Oper nicht gesetzt, für die Prager eher, am meisten aber für mich und meine Freunde.«

Es ist fast unbegreiflich, ob es gleich zuverlässig ist, daß die Ouverture in wenigen Stunden so kurz vor der Ausführung geschrieben worden, daß das Orchester sie ohne Probe spielen mußte; denn mit Recht wird sie für die vortrefflichste, die er gesetzt, anerkannt.

Der ganze Don Giovanni ist ein Werk, in dem alles erschöpft ist, was die Seele des Menschen in ihrer tiefsten Tiefe ahnet und empfindet, aus welchem uns der ewige Geist der Welt selbst mit seinem Hauche von Glauben, Liebe und Hoffnung anwehet; ein Werk, das selbst in seiner sittlichen Tendenz zu einem jüngsten Gerichte für alle Verruchtheit wird, zu deren Gewissen die Posaune – denn was ist die mit der Erscheinung des Geistes ertönende Musik anders? – in schrecklichen, alles zermalmenden Tönen redet.

Idomeneo war einzig für das damals sich durch[63] Vortrefflichkeit auszeichnende Münchner Theater bestimmt. Der Kurfürst forderte Mozarten zum Schreiben auf, bezahlte ihn sehr gut und gab ihm andere Beweise seiner Achtung. Mozart konnte der vorzüglichsten der damaligen Kapellen viel zumuten und darum dem Fluge seiner Phantasie ohne äußere Beschränkung folgen. Er war in der schönsten Blüte seines Lebens, im fünfundzwanzigsten Jahre, und wurde dabei noch durch die innige erwiderte Liebe zu seiner nachmaligen Gattin um so mehr erhoben, da ihm von Seiten der Familie Hindernisse gemacht wurden. Er wollte sich durch die Oper einen Namen machen, der ihn sie erwerben helfen sollte.

Seine Vorliebe für dieses Werk bewies Mozart auch dadurch, daß er mehrere Hauptideen desselben zur Grundlage, beinahe zu noch mehr, bei einigen seiner besten spätern Arbeiten machte. Man vergleiche, um dieses einzusehen, z.B. mit der Ouverture des Idomeneo die Ouverture der Clemenza di Tito – mit der unvergleichlichen Szene: Volgi intorno, lo sguardo, o sire im Idomeneo das gleichfalls ganz vortreffliche Finale des ersten Akts der Clemenza di Tito – die rührende Arie des ersten: se il padre perdei mit der Arie: Dies Bildnis ist bezaubernd schön, und dem Andante der Arie: Zum Leiden bin ich auserkoren, in der Zauberflöte – den Marsch im dritten Akte des Idomeneo mit dem Anfange des zweiten Akts der Zauberflöte usw.

Man hat Mozarten darüber Vorwürfe gemacht, aber mit Unrecht. Er konnte seine frühere Arbeit mit Recht so benutzen, nicht bloß, weil sie so vortrefflich, sondern auch, weil sie, so lange er lebte, wie ein vergrabener Schatz verborgen lag.

Quelle:
Johann Aloys Schlosser: Wolfgang Amad. Mozart. Prag 1828 [Nachdruck Prag 1993], S. 62-64.
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