Schlusswort.

Will man Gluck's hohes Verdienst um die musikalisch-dramatische Musik und das Eigenthümliche seiner Schöpfungen übersichtlich zusammenfassen; so können wir nur mit dem unbekannten[444] geistreichen Berichterstatter, welcher sich über die Vorzüge unseres Tonheros in der von Fr. Stoepel herausgegebenen »Minerva«1 weitläufig ausgesprochen hat, wahrheitsgetreu sagen: »es sei in ihnen mit dem grössten tragischen Style die tiefste Innigkeit des Gemüthes und der höchste dramatische Effekt vereinigt.« ––

»Das Wesen dieser tragischen Grösse und das Ergreifende in Gluck's Werken besteht demnach: 1. in der durchaus vollendeten Deklamation; 2. in dem tiefen Eindringen in den Dichter; 3. in der Originalität der Rhythmen; 4. in der Oekonomie der Instrumentalbegleitung; 5. in der hohen Wahrheit und Tiefe des Ausdrucks der Leidenschaften; 6. in der Schönheit der einfach edlen Melodien; 7. in der Verschmähung alles entbehrlichen Schmuckes; 8. in der besonnenen und bedeutenden Harmonie; 9. in der gediegenen Haltung der Charaktere, und 10. in der planvollen Einheit des Ganzen.«

Wir haben alle diese grossen Vorzüge bei Gelegenheit der Besprechung seiner einzelnen Werke, namentlich jener aus seiner klassischen Zeit, hinlänglich bezeichnet, und die übrigen aufzufinden dem musikalischen Forscher überlassen, der, wenn er es mit der Wahrheit redlich meint, in ihnen nicht nur ein klares Bild der Kunst jener Zeit erblicken, sondern auch den seltensten und reinsten Genuss finden wird: denn überall in Gluck's Werken spriessen vor unseren Augen, wie auf einer üppigen Flur, die schönsten Blumen auf; wir gewahren da Natur im Gesange, Einfalt in der Begleitung, Wahrheit im Ausdrucke, Innigkeit des Gefühls, keine Textwiederholungen, als wo sie hin gehören, auch keine Ueberladungen in der Begleitung der Instrumente; nie wird die Aufmerksamkeit durch das Orchester von der Singstimme abgezogen, immer herrscht diese und wirkt, reisst hin und macht vergessen, dass Instrumente sie begleiten; sowie man bei der Conception eines grossen Malers auch die Farben vergisst, womit der Künstler seinen Gedanken[445] in's Leben gezaubert hat. Nichts ist in Gluck Form und Mode, Alles ist Natur und Gefühl! –

Gluck verbannte alle weitläufigen Dehnungen, womit das musikalische Trauerspiel bis dahin belastet war. Aus einfachen Recitativen wurden begleitete, und die einst müssigen Chöre bildeten nun, mit der Handlung verwebt, einen wesentlichen Theil des Drama's; selbst die Ballete, ehemals ein leeres Gaukelspiel, das die Handlung ohne vernünftigen Zweck in die Länge zog, gewannen nun an Bedeutung, indem sie dem Geiste des Stückes gemäss eingerichtet waren.

Gluck wusste sich seines Gedichtes, das er bearbeitete, stets zu bemächtigen, und glitt darin mit Muth über die Nebensachen der Handlung hinweg, um seiner Kunst Gelegenheit zu verschaffen, sich zur rechten Zeit auszubreiten und der Handlung in ihren Hauptmomenten das grösste Interesse so zuzuwenden, dass man zu glauben versucht ward, er habe den Plan dazu selbst entworfen. Gründet sich auf diese Eigenschaften nicht der schöne und wohlverdiente Ausspruch Burney's, dass Gluck Tonsetzer, Dichter und Maler zugleich sei? – Eben so verstand er den richtigen und zweckmässigen Gebrauch der dissonirenden Akkorde, wenn er den Sturm der Leidenschaften, den Abscheu, den das Laster einflösst, den Schrei des Entsetzens auszudrücken die Absicht hatte; ja er besass die Macht, den Zuhörer in gar vielen Momenten unwiderstehlich hinzureissen, zu fesseln, immer jedoch zufrieden zu stellen.

Durch alle diese Eigenschaften hat er der, damals in Europa fast despotisch herrschenden italischen Theatermusik, die zu einer Art von Formalismus herabgesunken war, den Zepter entrissen, und es dahin gebracht, dass der französischen und deutschen Musik, wenn nicht der Vorzug, so doch gleiche Rechte eingeräumt wurden.

Ch.Fr. Daniel Schubart,2 der unglückliche Dichter und Musiker, beurtheilt unsern Gluck in sehr interessanter Weise. Wir führen nur folgende Stellen an:[446]

»Gluck war ein, von allen drei grossen Schulen in Europa bewunderter Mann, der sich zum Rang eines musikalischen Epochenmachers aufschwang. Immer gleiches, durch die ganze Oper fortloderndes Feuer, kühne und ungewöhnliche Sätze, dithyrambische Fantasieflüge, starke Modulationen, schöne Harmonien, tiefes Verständniss der Blasinstrumente, die er weit häufiger und wirksamer als irgend ein Tonsetzer anzubringen weiss: diess sind Gluck's Charakterzüge schon in der ersten Periode seines Lebens. Auf einmal warf er sein bisheriges System über den Haufen und wälzte den grossen Gedanken in seiner Seele, die ganze Musik zu reformiren. Er fand, dass die heutige Tonkunst mit vielen unnöthigen Verzierungen überladen sei, er wollte ihr also diesen Flitterstaat entziehen und sie wieder in das Gewand der Natur kleiden. Die Musik möglichst zu vereinfachen, war der Hauptgedanke seines neuen Systems.« –

Weiter macht Schubart die Leser auf For kel's Rezensionen, jedoch mit der Warnung, aufmerksam, Forkel'n als einen zu ängstlichen Anhänger der Berliner Schule zu betrachten: denn diese Anhänglichkeit habe ihn verleitet, dem grossen Gluck zu wenig Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. »Gluck ist unstreitig,« fährt er fort, »Einer der grössten Musiker, welche je die Welt hervorgebracht hat. Seine Ideen reichen alle in's Grosse, in's Weitumfassende. Klopstock ist so ganz der Dichter für seinen erhabenen Geist; seine ›Hermannsschlacht‹ ist von Gluck so herrlich in Musik gesetzt worden, dass die Deutschen schwerlich ein erhabeneres Theaterstück besitzen als dieses.3 Wer es Gluck selbst spielen und singen hörte, gerieth in entzücktes Staunen.«

»So gross Gluck's Geist im Tragischen ist, so arbeitete er zuweilen auch mit Glück im komischen Style: nur hält seine Riesenseele nicht lange in der Harlekinsjacke aus.«4[447]

Der geistreiche Russe Ulibischeff,5 der den Manen Mozart's das schönste Denkmal gesetzt hat, lässt auch Gluck, als dessen Vorläufer, nicht mindere Gerechtigkeit und Anerkennung widerfahren.

Unter den vielen schönen Aeusserungen über diesen Tonheros und dessen Einfluss auf die Theatermusik wollen wir nur folgende hervorheben:

»Gluck war es, der das grosse Problem einer lyrischen Tragödie, so weit es überhaupt möglich ist, löste; er vermied die italischen Formen gänzlich, weil sie zu seinen psychologischen Inductionen oder zu dem Streben nach dramatischer Wahrheit, das ihn bei seinen Arbeiten beständig leitete, durchaus nicht passten. Es gab keinen Musiker, dessen Werke nützlicher für die Zukunft gewesen wären. Er ist der Gründer der erhabenen Theatermusik und der Erste, der uns Denkmale der wahrhaft dramatischen Oper in seinen Partituren hinterliess. Alle Formen der Deklamation und der Begleitung, die er geschaffen hat, schimmern noch in den gediegensten Opern unseres Zeitalters durch, und die Zeit hat die seinigen so geachtet, dass man ihn mitten unter seinen Schülern des 19. Jahrhunderts nur für den älteren unter seinen Brüdern halten würde« u.s.w.

Auch der gewandte und einsichtsvolle Bühnendirektor Herr Julius Cornet äussert sich6 über Gluck, wie folgt: »Gluck, der Verweichlichung des Geschmackes, der Einförmigkeit des Italianism gleich einem Michel Angelo offen entgegenstrebend, bildete das bis auf den heutigen Tag bestehende dramatische Recitativ, den rhythmisch-dramatischen Musikstyl vollkommen aus, und erfand das Ideal des Opernbaues. Marcello und Scarlatti hatten ihm trefflich vorgearbeitet. Er räumte dem Worte gleiches Recht mit der Melodie ein. Er und der Dichter seiner ›libretti,Calzabigi brachten Zusammenhang und regelrechte dramatische Handlung in die grosse heroisch-tragische[448] Oper. Von 1762 an datirt der entschieden deutsch ausgeprägte Styl der Opernmusik, und nur auf ihn konnten Graun, Naumann, Haydn, Mozart, Reichardt u.A. folgen.7Gluck's Riesengeist hat in Paris, wo seine ›Iphigénie en Aulide‹ zuerst aufgeführt wurde, allen damaligen Verirrungen der Komponisten und Sänger in Frankreich, Italien und Deutschland ein Ziel gesetzt; er wies selbst den gleichzeitigen Piccini in die Schranken der Regel und Wahrheit zurück, und hat durch ›Orfeo, Alceste, Armida, Iphigenia auf Tauris‹ eine neue Aera gegründet.

In Wien wurden Gluck'sOrfeo, Alceste undParide8 zuerst in italischer Sprache aufgeführt, später aber ›Orfeo, Alceste, Armida‹ und die beiden ›Iphigenien‹ auch deutsch gesungen; dann verbreitete sich der geläuterte edle Geschmack auch nach dem Norden Deutschlands, wo er – der Wahrheit die Ehre! – dann sich länger rein erhalten hat, als im Süden. Berlin und Dresden z.B. haben bis zum heutigen Tage die Gluck'schen Opern auf dem Repertoire; in Berlin mangeln jetzt wohl nur die geeigneten Sängerinnen und die eigentlich künstlerische Oberleitung für den Augenblick, sonst würde Gluck dort nicht von der Scene verschwinden dürfen. Richard Wagner hat durch die kunstsinnige Instrumentirung und Einrichtung der ›Alceste, Armida und Iphigenia in Aulis‹ zu Dresden schon ein Beispiel geliefert, wie Gluck für die gebildete Welt der Neuzeit und für die Kunst überhaupt zu erhalten und zu retten sei. Spontini hatte dieses Verdienst schon vor mehr als zwanzig Jahren in Berlin.« –

So urtheilen nicht nur diese, sondern auch andere Männer der Neuzeit über einen Tonsetzer, dessen Verdienst um die Kunst überschwenglich genannt werden kann.

Ein natürlicher Trieb, der später auch einem reiflichen Nachdenken Raum gewährte, hatte dem, mit den schönsten und[449] seltensten Naturgaben ohnehin ausgestatteten Gluck den günstigsten Weg, den seine Sendung ihm zu betreten gebot, angedeutet. Eben dieser Trieb erweckte in ihm den Wunsch für die französische Oper zu schreiben, weil er hoffte, dass sein System der dramatischen Wahrheit in Frankreich am dankbarsten aufgenommen werden würde, und dass er sich ihm daselbst am unumschränktesten weihen könne. »Er hatte,« sagt Fétis, »die Franzosen kennen gelernt; er wusste, dass diese für die Schönheiten der Musik, an und für sich betrachtet, weniger empfänglich wären, als für die richtige Anwendung derselben auf eine dramatische Handlung; dass sie die Annehmlichkeiten des Gehörs jenen der Vernunft weit nachsetzen; und diese Neigung, welche zur gehörigen Würdigung der Werke Gluck's nothwendig erfordert wird, habe er damals auch nur in Frankreich gefunden. Obgleich die Italiener, ja selbst die Deutschen (wenige ausgenommen, die ihn anfeindeten), der Kraft seines Genius volle Anerkennung schenkten; so konnten sie sich doch nicht der Folgen ihrer Bildung entäussern, noch vergessen, dass die Musik für sie mehr ein angenehmer Sinnengenuss, als ein höheres, auch den Geist beschäftigendes Vergnügen sei. Sie wollten, dass die tragische Handlung der Musik, nicht aber diese jener dienen solle, wie Gluck es in seinen klassischen Werken gethan hat. Sie gestanden es gern ein: Gluck komponire ein besseres Recitativ, als irgend ein Anderer, sie rechneten es ihm aber zum Fehler an, dass er es zu weit ausdehne, und die Melodie zu Gunsten der Poesie vernachlässige.«

Unter diejenigen Männer, welche, wohl sich selbst zur grössten Schande, Gluck's Leistungen nicht nur auf das schiefste beurtheilten, sondern auch schmähten, gehört der, übrigens sehr gelehrte Forkel, dessen trockener, pedantischer, in der Musik nur contrapunktische Combinationen suchender Geist gänzlich unfähig war, ein Urtheil über das zu fällen, was Fantasie und Dichtung im Reiche der Töne betrifft. Dieser ergriff in der allgemeinen deutschen Bibliothek jede Gelegenheit, seine jugendlichen Hörner an dem Baume des Ruhmes, der dem Tonheros Gluck erwachsen war, mächtig zu wetzen und[450] dessen Werke herabzusetzen. Diess geschah vorzüglich bei Gelegenheit einer in Wien erschienenen Broschüre von Professor Friedr. Justus Riedel: »Ueber die Musik des Ritters Christoph von Gluck« – in einer, seiner musikalisch-kritischen Bibliothek9 eingerückten Abhandlung, worin er den Genius dieses grossen Künstlers rücksichtslos angriff. Die Gründe, auf die er seine Aussagen stützt, zeigen nur zu deutlich, dass er gar nicht ahnete, worin das Eigenthümliche der Schöpfungen Gluck's bestehe; und so that er einem Manne, dessen Ruhm noch heutzutage im schönsten Lichte strahlt, das tiefste, schreiendste Unrecht, dessen Folgen die rächende Nemesis schon längst auf sein eigenes Haupt zurückgeschleudert hat.

Merkwürdig ist und erwähnenswerth, was der rühmlich bekannte Zelter in einem Schreiben an seinen weit berühmter gewordenen Jugendfreund Goethe10 von unserem Manne sagt: »Forkel war Doktor der Philosophie und der Musik zugleich; ist aber sein Leben lang weder mit der Einen, noch mit der Anderen in unmittelbare Berührung gekommen, und hat ein schlechtes Ende genommen. Er hat eine Geschichte der Tonkunst angefangen und da aufgehört, wo für uns erst eine Historie möglich ist. Ueber Gluck's Success hat er sich gelb und grün geärgert und dessen Opern herabsetzen wollen. Mozart wollte er eben so wenig anerkennen, und mochte (wie bei Gluck) Manchen auf seiner Seite haben. Sebastian Bach war sein Held, der ihn gleichwohl zur Verzweiflung brachte, indem er seine Härten, Petulanzen, Frei- und Frechheiten nicht mit einer Grösse und Tiefe zusammenreimen konnte, die allerdings nicht zu verkennen ist.« –

Forkel soll früher mit Gluck im guten Einvernehmen gestanden haben: allein eine Begebenheit machte ihn zu dessen Feinde. Forkel empfahl nämlich einst Gluck einen jungen[451] Menschen, der nach Wien gekommen war, um sich unter der Anleitung der hier befindlichen besten Meister zum Tonsetzer auszubilden. Gluck nahm Jüngling liebreich auf, unterstützte ihn sogar mit Geld und freiem Tische, und ertheilte ihm einige Zeit hindurch selbst Unterricht. Als aber Gluck wahrnahm, dass der junge Mensch keineswegs so viele Anlagen besitze, um seiner Verwendung Ehre zu machen, ja, dass selbst dessen Aufführung nicht so beschaffen war, um Gluck zu dessen weiterer Unterstützung anzueifern; so liess er ihn fallen, und schrieb Forkel'n unumwunden seine Meinung über denselben mit dem Ersuchen, ihn mit solchen Empfehlungen fernerhin nicht mehr zu behelligen.

Der junge Mensch kam später auch nach Paris, und bewies seinen Hass gegen Gluck auch dort nicht allein durch schlechte Streiche, sondern auch dadurch, dass er sich Gluck's Feinden anschloss und allenthalben über ihn schimpfte. Leider ist dem Schreiber dieser Blätter der Name des besagten Individuums im Verlaufe einer langen Reihe von Jahren gänzlich entfallen, und der alte Tonsetzer Schenck, der ihm diese Begebenheit mittheilte, schlummert längst unter dem Grabeshügel.

Zu Gluck's deutschen Gegnern gehörten noch Agricola, Wolf, Kirnberger, und der gelehrte Berliner Buchhändler Nicolai; letzterer wurde jedoch, wie wir bereits wissen, in Wien eines Besseren belehrt. Eine hohe deutsche Prinzessin, welche auch Tonsetzerin war, und auf welche gewiss die genannten Herren ihren Einfluss ausgeübt hatten, richtete nach vorgenommener Durchsicht der Partitur der Oper »Iphigénie en Aulide« an Kirnberger folgendes merkwürdige Schreiben:

»Der Herr Gluck, nach meinem Sinne, wird nimmermehr für einen habilen Mann in der Komposition passiren können. Er hat 1. gar keine Invention, 2. eine schlechte, elende Melodie, und 3. keinen Accent, keine Expression, es gleicht sich Alles. Weit entfernt von Graun und Hasse, hingegen *** sehr ähnlich. Die Intrada sollte eine Art von Ouverture seyn, aber der gute Mann liebt die Imitationes nicht; er hat Recht, sie sind mühsam. Hingegen findet er mehr Vergnügen in der Transposition.[452] Sie ist nicht ganz zu verwerfen: denn wenn ein Takt oft wiederholt wird, behält ihn der Zuhörer desto leichter; es scheint aber auch, als wenn es Mangel der Gedanken wäre. Endlich und überhaupt ist die ganze Opera sehr miserabel: aber es ist der neue Gusto, welcher sehr viele Anhänger hat. Indessen danke ich Ihm, dass Er sie mir geschickt hat. Durch Anderer Fehler lernt man die seinigen kennen. Sei Er doch so gut, und verschaffe Er mir die Worte von der ganzen Opera. Aber was die Noten betrifft, bin ich nicht weise genug, sie schön zu finden.«11

König Friedrich II. von Preussen war auch ein Feind der Gluck'schen Opern, und fiel öfters mit heftigen Ausdrücken über ihren Schöpfer her, der gar keinen Gesang habe, und nichts von dem grossen Opern-Genre verstehe u.s.w. Er duldete darüber wenig Widerspruch, und der gute, ängstliche alte Benda, der bei dem Gespräche, das Reichardt mit dem Könige hielt, zugegen war, sagte nachher: er habe gezittert, als Reichardt sich nur einiger Massen auf Widerspruch über ein so bestimmt ausgesprochenes Urtheil des Königs einliess.

Man hatte nämlich die Dummheit begangen, dem Könige zu der Zeit, als Gluck mit seinen Opern »Orfeo« und »Alceste« in Wien und Italien die grosse Reform begann, einige Arien aus diesen Opern von italischen Sopran-Sängern, die nur schluchzen und gurgeln konnten, im Conzerte des Königs hören zu lassen. Das hiess denn nicht viel mehr, als ein Stück aus einer herrlichen Theater-Dekoration herausschneiden und in eine Tabaksdose setzen zu lassen. Auch kannte man ja die sinnund fühllosen Urtheile, die damals in der Berliner allgemeinen Bibliothek von Agricola und Andern gefällt wurden, hinlänglich, um daraus entnehmen zu können, was man alles dem Könige über diesen Meister der Töne und dessen Werke vorgeschwatzt haben mag.12

Wir haben aus dem Vorangeschickten erfahren, dass die[453] Franzosen allein gleich Anfangs unserem grossen Künstler Gerechtigkeit angedeihen liessen; dass gleichzeitig in Deutschland (Wien ausgenommen) seine Arbeiten nur geringe Anerkennung fanden; dass beissende Kritiken über die Neuerungen, die sich in Gluck's Werken fanden, thätig in Umlauf gebracht wurden, und dass man glaubte, diese Neuerungen durch den Ausspruch gänzlich zu verdunkeln, dass sie nur für die Franzosen tauglich seien. Und doch gab es schon in jener Zeit deutsche Männer, denen die hohen Verdienste unseres Gluck sogleich in die Augen sprangen.

Die Ersten unter diesen waren: in Oesterreich der Hofrath von Sonnenfels und der Professor Justus Riedel, denen in der Würdigung dieses hohen Genius Viele nachfolgten. Ausserhalb Oesterreich waren es Herder und Wieland, diese Heroen der deutschen Literatur und Kunst, welche die Welt auf unsern Tonsetzer aufmerksam machten. Wieland sprach zur selben Zeit, als Forkel seine Schmähschrift dem Publikum Preis gab, folgende denkwürdigen Worte:13

»Endlich haben wir die Epoche erlebt, wo der mächtige Genius eines Gluck das grosse Werk der musikalischen Reform unternommen hat, das, wofern es jemals zu Stande kommen kann, nur durch einen Feuergeist, wie der seinige, gewirkt werden musste. Der grosse Success seines ›Orpheus,‹ seiner ›Iphigenia‹ würde alles hoffen lassen, wenn nicht unüberwindliche Ursachen gerade in jenen Hauptstädten Europas, wo die schönen Künste ihre vornehmsten Tempel haben, sich seinem Unternehmen entgegensetzten. – Künste, die der grosse Haufe bloss als Werkzeuge sinnlicher Wollüste anzusehen gewohnt ist, in ihre ursprüngliche Würde wieder einsetzen und die Natur auf einem Throne zu befestigen, der so lange von der willkührlichen Gewalt der Mode, des Luxus, und der üppigsten Sinnlichkeit usurpirt worden: – ist ein grosses und kühnes Unternehmen! Aber zu ähnlich dem grossen Unternehmen [454] Alexander's und Cäsar's, aus den Trümmern der alten Welt eine neue zu schaffen, um nicht ein gleiches Schicksal zu haben! – Eine Reihe von Glucken (so wie zum Projekt einer Universal-Monarchie eine Reihe von Alexandern und Cäsarn) würde dazu erfordert, um diese Oberherrschaft der unverdorbenen Natur über die Musik, diesen einfachen Gesang, der, wie Merkur's Schlangenstab, die Leidenschaften erweckt oder einschläfert und die Seelen in's Elysium oder in den Tartarus führt, diese Verbannung aller Sirenenkünste,14 diese schöne Zusammenstimmung aller Theile zur grossen Einheit des Ganzen auf dem lyrischen Schauplatze herrschend und fortdauernd zu machen. Gluck selbst, bei allem seinen Enthusiasmus, kennt die Menschen und den Lauf der Dinge unter dem Monde zu gut, um so etwas zu hoffen! Schon genug, dass er uns gezeigt hat, was die Musik thun könnte, wenn in diesen unseren Tagen irgendwo in Europa ein Athen wäre, und in diesem Athen ein Perikles aufträte, der für das Singspiel thun wollte, was jener für die Tragödien des Sophokles und Euripides that!« –

Herder, in seinen Früchten aus den sogenannten goldenen Zeiten des 18. Jahrhunderts spricht sich in Beziehung auf Gluck wie folgt aus:15

»Der Fortgang des Jahrhunderts wird uns auf einen Mann führen, der – diesen Trödlerkram werthloser Töne verachtend – die Notwendigkeit einer innigen Verknüpfung rein menschlicher Empfindungen und der Fabel selbst mit seinen Tönen einsah. Von jener Herrscherhöhe, auf welcher sich der gemeine Musikus brüstet, dass die Poesie seiner Kunst diene, stieg er hinab und liess, so weit es der Geschmack der Nation, für die er in Tönen dichtete, zuliess, den Worten, der Empfindung, der Handlung selbst seine Töne nur dienen. Er hat Nacheiferer, und vielleicht eifert ihm bald Jemand vor: dass er nämlich die ganze Bude des zerschnittenen und zerfetzten Opern-Klingklanges umwirft,[455] und ein Odeum aufrichtet, ein zusammenhangend lyrisches Gebäude, in welchem Poesie, Musik, Action, Decoration Eines sind.« –

An einem andern Orte dieses Bandes, wo eben dieser Dichter von dem neuen bösen Geschmacke und von den schlechten, die Kunst entweihenden Tonsetzern redet, sagt er:

»Welch ein anderer Geist war Gluck! selbst wenn er für die Oper komponirte, also das Sichtbare, das Spiel, und zwar selbst in Frankreich, wo auf Spiel zuletzt doch Alles ankam, begleiten musste! – Hört seine ›lphigenia in Tauris,‹ auch eine heilige Musik! – Vom ersten Gewitter der Ouverture an bis zum letzten Hall des Chores: ›nach Griechenland!‹ – ächzet und lahmt keine Note schillernd. In den Gesängen, die Gluck aus Klopstock komponirte, schwebt er allenthalben auf Fittigen der Empfindung des Dichters.« –

Ginguené16 in Paris, obschon Piccini's Biograph und inniger Verehrer, zu fein gebildet, um ausschliesslich und ungerecht gegen Gluck zu seyn, erklärte im Gegentheile öffentlich, dass Niemand die klassischen Werke des deutschen Tonsetzers mehr bewundere, als er. Er habe immer das Pantheon der Künste für zu gross geachtet, als dass er geglaubt hätte, man könne in demselben keine Bildsäule mehr aufrichten, ohne eine andere umzuwerfen. Weiter sagt er: Es sei hier nicht der Ort, die durch eine so lange Bewunderung geheiligten Werke Gluck's zu untersuchen, noch ein Urtheil über die Früchte seines Geistes zu wagen. Dieses Urtheil wäre vielleicht weit ab von jenem, das seine blinden Partheigänger aufgestellt haben: aber es wäre eben so fern von den ungerechten und schneidenden Entscheidungen seiner Feinde. »Anstatt mich selber über einen Gegenstand auszusprechen, worin ich mich schwer für unpartheiisch halten kann, will ich lieber die Meinung eines sehr aufgeklärten Schriftstellers berichten, der keiner Parthei verdächtig zu seyn braucht, weil er weder für, noch gegen Gluck, weder für, noch gegen Picci ni national oder persönlich eingenommen seyn[456] kann. Dieser Mann ist der rühmlich bekannte Doktor Burney, welcher sich in seiner ›History of Musik‹ folgender Massen ausspricht:

Die Opern des Ritters Gluck, angemessen dem Geiste der Sprache und dem Nationalgeschmacke schmeichelnd, wurden mit Zuruf aufgenommen. Es war eine ausgezeichnete Vorbereitung zu einem besseren Style, als jener, den die Franzosen gewohnt waren. Wie sein Recitativ rascher ist und seine Arien viel markirter als in Lully und Rameau, so hatte er auch mehr Feuer, Energie und Wechsel der Bewegung in seinen Arien überhaupt, und unendlich mehr Kraft und Wirkung im Ausdrucke des Schmerzes, der Furcht, der Gewissensbisse, der Rache und aller heftigen Leidenschaften.«

»Die Musik Gluck's ist so wahrhaft dramatisch, dass seine Arien und Scenen, welche auf dem Theater die grösste Wirkung machen, im Konzerte kalt und roh erscheinen. Die Situation, die Verbindung der Theile zum Ganzen, das Interesse, welches im Zuhörer stufenweise geweckt wird, geben ihnen ihre Kraft und Energie. Gluck scheint für Frankreich ein so nationaler Musiker geworden zu seyn, dass seit den schönsten Tagen Rameau's kein dramatischer Tonsetzer eine solche Bewunderung erregt, noch Einer seine Werke so oft aufführen gesehen hat.«

Die steten Fortschritte vielseitiger Verbesserung der Tonkunst, besonders im Gebiete der Instrumente und ihrer mannigfaltigen Form hatten wohl zur Folge; dass Gluck's Instrumentalbegleitung heutzutage in gewisser Hinsicht zu schwach erscheint: allein um über das Verdienst seiner Schöpfungen in dieser Beziehung zu urtheilen, muss man sie nicht mit den Leistungen in einer Epoche vergleichen, wo die instrumentale Kunst sich zu einer höheren Stufe der Vollkommenheit emporgeschwungen hat, als es zu Gluck's Zeiten der Fall war. Man darf nicht vergessen, in welchem Zustande er diese Kunst getroffen, und was er zu ihrer Verbesserung beigetragen hat; man muss besonders beachten, dass er es sich zur Aufgabe machte, nach den Grundsätzen des Systems der dramatischen Wahrheit zu schreiben. Wohl mag dieses System Manchem nicht zusagen, und man[457] begreift es leicht, wie diejenigen, welche nur für die rein italische Musik durch und durch erglühen, von einem gewissen Abscheu gegen dasselbe eingenommen sind; gibt man aber dieses System einmal zu, so muss man auch nothwendiger Weise eingestehen, dass Gluck in seinen neuen Schöpfungen eine Fülle und Kraft entwickelt hat, wozu vor ihm weder die Idee angeregt ward, noch später so vollkommen ihres Gleichen gefunden hat; daher werden auch die, in den Partituren Gluck's enthaltenen Schönheiten für Alle, die in der Musik mehr als vergängliche Formen suchen, ewig schön bleiben.

Wenn übrigens, wie Manche behaupten wollen, die Schönheiten in Gluck's Werken nicht durchgängig auf gleicher Stufe stehen (– wo ist wohl der Tonsetzer, der sich dessen rühmen kann? –): so muss man auch hier die Herren Kritiker an den Umstand mahnen, dass selbst der grosse Homer je zuweilen schlummert, indem auch ihn nicht immer olympisches Feuer durchflammt; und dennoch wagt es Niemand, ihm den Kranz der Unsterblichkeit zu entreissen, womit die Götter die Schläfe des Dichterfürsten geschmückt haben.

Wie Homer, so hat auch Gluck in seinen klassischen Schöpfungen die höchste Begabung in würdigster Weise geoffenbaret.


»Dignum laude virum Musa vetat mori.« –

1

Ein Beiblatt zum Musikalischen Anzeiger etc. Frankfurt 1826. 8. I. Jahrg. Seite 83.

2

S. dessen Ideen zu einer Aesthetik der Tonkunst.

3

Leider besitzen sie es nicht, da es dessen Schöpfer in die andere Welt mit sich genommen hat.

4

Schubart hat auch Gluck's Dahinscheiden mit einer Dichtung gefeiert.

5

S. Mozart's Leben für deutsche Leser bearbeitet von A. Schraishuon. Stuttgart, 1847. 2. Bd. S. 144–156.

6

S. dessen »Die Oper in Deutschland u. das Theater der Neuzeit.« Hamburg, 1849. 8. Seite 14.

7

So wie in Frankreich Méhul, Catel, Cherubini, Spontini etc. und in Deutschland C.M. v. Weber, und selbst Meyerbeer in seinen schönen Momenten.

8

und alle die ihnen vorangingen.

9

S. Band I. Seite 53.

10

S. Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter in den Jahren 1796–1832. Band IV. Seite 104.

11

S. Zeitgenossen. IV. Band. (XIII– XVI) in Forkel's Biographie.

12

S. Leipziger allgem. musikalische Zeitung. Theil XV. S. 612.

13

Diesen Aufsatz findet man in dessen sämmtlichen Werken. Leipzig 1797. 26. Band. Seite 286, und im deutschen Merkur, 1775 (IV. Quartal).

14

Man setzte zu Paris unter Gluck's Portrait die schöne Devise: »Il préféra les Muses aux Sirènes.«

15

Siehe dessen sämmtliche Werke zur schönen Literatur und Kunst. Wien, 1813. Bd. XII.

16

S. dessen Notice sur la vie de Piccini etc.

Quelle:
Schmid, Anton: Christoph Willibald Ritter von Gluck. Dessen Leben und tonkünstlerisches Wirken. Leipzig: Friedrich Fleischer, 1854., S. 444-458.
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