Sechszehnter Abschnitt.
Friedrich Nicolai und Joh. Friedrich Reichardt in Wien. – Salieri's Arbeiten für Paris. (1781–1786.)

[375] Im Sommer des Jahres 1781 kam der bekannte, wissenschaftlich und musikalisch gebildete Berliner Buchhändler Friedrich Nicolai auf seinen Reisen nach der Stadt Wien. Er hatte nicht nur in der allgemeinen deutschen Bibliothek die Kritiken über Gluck gelesen, sondern auch die schiefen Urtheile der in jener Zeit zu Berlin lebenden, Gluck abholden Tonsetzer zur Kenntniss genommen. Er hatte ferner im Jahre 1770 einigen Proben jener mangelhaften, auf Befehl des Königs in dem Saale des Schlosses zu Potsdam von italischen Sängern unternommenen Aufführung verschiedener Stücke aus Gluck's »Orfeo« und »Alceste« beigewohnt, und wollte daher eben so[375] wenig, als die übrigen Gegner des süddeutschen Tonsetzers jenen Ruhm, der sich von Wien aus über Deutschland verbreitet hatte, gelten lassen. Man darf nur die sich auf diesen Gegenstand beziehenden, ziemlich weitläufig ausgesprochenen Meinungen und Ansichten, die Nicolai in seinem Reisewerke1 niedergelegt hat, nachlesen, und man wird den Einfluss wahrnehmen, den For kel und seine Genossen auf ihn ausgeübt haben, obschon er sich gegen die Sünde des Nachbetens mit der Versicherung streng zu verwahren sucht, dass er selbst im Stande sei, den Werth eines Tonwerks aus der Partitur zu beurtheilen.

Als jedoch Nicolai in Wien, wenn auch in schlechter Aufführung, den »Orfeo« zu hören bekam, änderte er manches seiner scharfen Urtheile und liess unserm Tonheros Gerechtigkeit widerfahren. Er äussert sich darüber in folgender Weise:

»Man kann sich leicht vorstellen, dass ich sehnlichst gewünscht habe, Etwas von Gluck's besten Werken, besonders dessen ›Alceste‹ oder die ›Iphigenia auf Tauris‹ nach der ihm eigenen Manier in Wien aufführen zu hören. Dazu war aber keine Hoffnung vorhanden. Der berühmte Komponist weilte Krankheitshalber in Baden, um die Bäder zu gebrauchen. Man sagte mir, ›Alceste‹ und ›Iphigenia‹ könnten nicht aufgeführt werden, weil sie auf keine Weise einstudirt seien. Es fänden sich auch weder Sänger noch Sängerinnen, welche einzelne Stücke davon nach der, dem Tonsetzer eigenthümlichen Manier vorzutragen Willens gewesen wären.

Endlich ward am 30. Juni von einer französischen Gesellschaft, die auf dem Theater nächst dem Kärnthnerthore spielte, eine Vorstellung des ›Orfeo‹ angekündigt. Diess war mir ausserordentlich angenehm, zumal, da diese Musik mir aus der Partitur nicht ganz unbekannt war, und ich Gelegenheit hatte, sie Tages zuvor noch einmal durchzusehen. Das grosse Schauspielhaus war gedrängt voll. Gluck's Verehrer sagten mir, ich[376] möchte den Werth der Musik nicht nach dieser unvollkommenen Vorstellung beurtheilen. Diess würde auch in der That unbillig gewesen seyn. Ich begab mich nun mit dem festen Vorsatze in das Schauspielhaus, unpartheiisch Alles abzurechnen, was, soweit ich es einsehen konnte, die Ausführung dem inneren Werthe der Musik rauben möchte. Zwar muss ich gestehen, wenn einige Verehrer Gluck's mir bei der Aufführung nicht selbst so oft in's Ohr geraunt hätten, diese sei ganz elend, und man kenne Gluck's Musik gar nicht wieder; so hätte ich, nachdem ich mit grösster Aufmerksamkeit zugehört hatte, wirklich geglaubt, es habe wenigstens das Orchester Gluck's Musik gut vorgetragen. Es war kein schlechtes Orchester; es spielte mit Gleichheit und ziemlicher Genauigkeit, discret und achtsam gegen die Singstimme, mit markirter Eigenheit und Kraft des Ausdrucks (gegen andere Musik gerechnet, die ich sonst in Wien gehört hatte), welches ich gerne für Etwas von der eigenthümlichen Manier Gluck's gehalten hätte, wäre mir nicht immer zugeflüstert worden: ›Das wäre Alles noch gar nichts!‹ –

Gesang und Aktion waren freilich so gut als gar nichts. Der Sr. Le Petit krähte wie ein Hahn und quackte wie ein Frosch, stand immer vorwärts gerichtet in einem Winkel von 45 Graden, wie der Korporal Trim in Tristram Shandy; und wenn er gegen seine Euridice zärtlich that, so legte er die rechte Hand vor die Brust, und die linke auf den Bauch und krümmte sich, als ob er die Kolik hätte. Gleichwohl war des Klatschens kein Ende, das aber hoffentlich nur dem Komponisten gelten sollte, sonst wäre es zu arg gewesen. Mad. Giorgi Banti hatte eine ganz artige biegsame Stimme und sang ihre Rolle ohne Anstoss herunter. Dem. Laurent, in fleischfarbenen Taffet mit einer sittsamen Opernschürze eingeschnürt, spielte eigentlich – nicht den Amor –, sondern den Cupido: denn sie liebäugelte immer rund herum, von der ersten Loge bis zur Zehnkreuzer-Gallerie.

Dass Gluck selbst mit den spielenden Personen sehr unzufrieden gewesen seyn würde, ist sehr leicht zu erachten. Indessen so unvollkommen die Vorstellung war, so überaus lieb[377] ist es mir gewesen, sie zu hören. Sie hat meinen Begriff von der Gluck'schen Musik wenigstens in Etwas lebhafter gemacht, oder vielmehr, Manches bestätigt, was ich schon vorher dabei vermuthet hatte. Ich konnte demnach annehmen, dass ein gutes Orchester in Wien (und das war dieses, so sehr es auch einige Zuhörer erniedrigen wollten,) doch der Art des Vortrages, wie Gluck sie verlangt, näher komme, als irgend ein anderes. Daher war ich auf jede Stelle, in der ich auch nur einen schwachen Widerschein des Genies dieses berühmten Komponisten zu erblicken glaubte, äusserst aufmerksam. Besonders muss ich unpartheiisch bekennen, dass das Orchester verschiedene, in dieser Oper vorkommende ausdrucksvolle Instrumentalstücke (worin Gluck, wie mir aus seinen Balletmusiken bekannt ist, eine vorzügliche Stärke besitzt,) mit Geist und Kraft vortrug, so dass sie die trefflichste Wirkung thaten.

Ich sah übrigens auch hier, dass eine wirklich gute Musik, selbst bei der schlechtesten Ausführung noch als gut erscheint: denn die Arie im zweiten Akte: ›Laissez-vous toucher par mes pleurs‹ – womit Orphée den Chor der Schatten und Larven besänftigen will, stach auch hier vorzüglich hervor, obgleich der abscheuliche Sr. Le Petit diese Arie gleichsam dahin ächzte und krähte, und der Chor das so oft dazwischen ertönende ›non‹ in einem Tone zwischen Hundegebell und dem Geräusch eines schnarrenden Regals so herausstiess, dass auch das Parterre jedes ›non‹ mit einem Echo von lautem Gelächter erwiderte. Ausserdem gelangen der Mad. Giorgi verschiedene Einzelnheiten überaus gut. Die rein natürliche Empfindung schien sie darauf geführt zu haben: denn dass sie die Rolle nicht gehörig verstand, oder darüber nicht reiflich nachgedacht hatte, zeigten manche andere Stellen, die sie in ganz falschem Sinne sang und spielte.«


Das Gluck'sche Haus wurde fleissig von ausgezeichneten Fremden aus allen Ständen besucht.[378]

Im Dezember des Jahres 1782 erzeigten ihm auch der Grossfürst Paul von Russland und dessen erlauchte Gemahlin diese hohe Ehre; eine zweite knüpfte sich daran, dass der Kaiser Joseph, um die hohen Gäste im Theater würdig zu unterhalten, Gluck's »Alceste,« »Orfeo« und »Iphigenia auf Tauris« nacheinander mit lauter guten deutschen Sängern und Sängerinnen in italischer Sprache auf dem k.k. National-Hoftheater aufführen liess. Der Tonsetzer sowohl, als die Sänger und das Orchester ernteten den ungetheilten Beifall des erhabenen Paares.

Im Sommer des Jahres 1783 kam der königl. preussische Hofkapellmeister Johann Friedrich Reichardt auf seiner Rückreise aus Italien nach Wien.2 Dieser ausgezeichnete Tonsetzer war in der preussischen Königsstadt vielleicht der Erste gewesen, der Gluck's vollen Werth frühzeitig erkannte, und sich darüber ohne Scheu, selbst dem Könige gegenüber, öffentlich aussprach. Er verweilte einige Wochen in Wien, benützte diese Zeit, um die Merkwürdigkeiten der Residenz genau kennen zu lernen, schöpfte besonders den grössten Genuss aus der damaligen Vollkommenheit des Theaters unter Schröder's Oberleitung und fand grosses Wohlgefallen an der italischen Opera buffa, die der Kaiser Joseph gewissermassen selbst überwachte: denn dieser Monarch wählte selbst alle aufzuführenden Opern, die vorher in seiner Kammer durch ihn, seinen Bruder, den Erzherzog Maximilian, und einige Kammermusiker aus der Partitur am Flügel durchgegangen wurden. Der Kaiser wohnte auch oft den Proben bei, und fehlte fast nie bei der ersten Vorstellung, während welcher er öfters auf das Theater ging, oder Sänger und Kapellmeister in die Loge berief, um ihnen über die Darstellung und Ausführung sein freies Urtheil abzugeben.

Reichardt sah damals in Wien »Così fan tutte« von Mozart, den »Barbier von Sevilla« von Paesiello, und einige Opern von Cimarosa und Sarti mit vieler Kunst und[379] sehr rühmlichem Ensemble darstellen und lernte diese Gattung darnach gewissermassen erst recht kennen und schätzen. Das Orchester, welches mit Feuer und Discretion spielte, war auch vortrefflich und konnte es um so leichter seyn, als damals nur das kaiserliche Burgtheater solche Opern gab, und desshalb die besten Instrumentisten der musikreichen Kaiserstadt in sich versammelt hatte. Reichardt wurde auch dem Kaiser Joseph vorgestellt. Er hielt mit diesem erhabenen Kunstfreunde eine ziemlich lange und lebhafte Unterredung über Musik, wobei dieser sich in seinem naiven österreichischen Deutsch oft sehr kräftig ausdrückte. Er kannte die ersten Stücke des Reichardt'schen Kunstmagazins und lobte ihn darob, dass er seine Kritik besonders auf praktische Werke der besten Künstler anwendete: »denn in der Theorie ist einmal Alles gethan,« setzte der Kaiser hinzu: »wer einen Fux im Kopfe hat, weiss Alles, was er wissen muss und kann.« Reichardt nahm sich's heraus, solchen entscheidenden Urtheilen, welche häufig fielen, zu widersprechen und redete besonders der tieferen Theorie und der höheren Kritik eines Kirnberger das Wort, welcher uns auf die innere Vollkommenheit und Vollendung der harmonischen Kunst, und auf die Meisterwerke eines Sebastian Bach, Händel und Fasch erst recht aufmerksam gemacht, solche nach ihrem hohen Werthe schätzen gelehrt und dass ferner Kirnberger auch für den ästhetischen und praktischen Theil der Musik die vortrefflichsten Winke gegeben und diesen solche Ideen angereiht habe, die jedem Tonsetzer sehr wohlthätig werden könnten u.s.w.

Am wenigsten konnte sich das Gespräch über Jo seph Haydn einigen, den Reichardt mit Hochachtung nannte, und mit Bedauern in Wien vermisste: »Ich dachte,« sagte der Kaiser, »ihr Herren Berliner liebt solche Spässe nicht: ich hab' aber auch nicht viel d'ran« – und so ging es ziemlich arg über den Künstler her, der doch damals schon die herrlichsten Symphonien und Quartetten geschrieben hatte. Reichardt erfuhr aber gar bald, dass ein zwar angenehmer, aber ziemlich beschränkter Violinist und Instrumental-Komponist, Namens [380] Kreibich, welcher Kammerdiener des Kaisers war und in seiner kleinen Kammermusik die erste Violine spielte, ein grosser Gegner von Joseph Haydn3 wäre, und es bei seinem hohen Herrn auch bereits so weit gebracht hatte, dass in dem kaiserl. Theater nur selten Haydn'sche Symphonien gespielt werden durften. Die Gesangskomponisten liessen den braven Meister in Wien ebenso wenig mit seinen andern Kompositionen aufkommen, die bis dahin freilich fast alle in dem gewöhnlichen italischen Style geschrieben waren.

Der hinzutretende Erzherzog Maximilian, nachheriger Churfürst von Cöln, brachte das Gespräch auf Gluck, den Beide als grossen Tragiker für die Scene zu ehren schienen; doch war dem Kaiser dieses und jenes auch nicht ganz so an Gluck's Opern, wie es wohl seyn sollte. Er sprach indess mit gerechtem Unwillen über die Versündigungen der Berliner Kritik an diesem grossen Tonsetzer, und Reichardt stimmte zu dessen nicht geringer Verwunderung mehr als lebhaft bei. Der Kaiser sprach auch von Gluck's ungeheuerem Feuer und Eigensinn bei der Direktion seiner Opern, und erzählte manche lustige Anekdote überaus komisch.

Das Gespräch lenkte sich zuletzt auf die, aus lauter Blasinstrumenten bestehende Harmonie-Musik, die damals in Wien mit grosser Vollkommenheit ausgeübt wurde. Beide hohe Herren, der Kaiser sowohl, als sein Bruder hatten ihre vollständige Harmonie, und da sie hörten, dass Reichardt davon sehr eingenommen war, versprachen sie ihm, solche eines Morgens in dem kleinen Redoutensaale vereinigt hören zu lassen. Das geschah denn auch, und gewährte dem preussischen Tonsetzer einen recht entzückenden Genuss. Stimmung, Vortrag, Alles war rein und übereinstimmend, einige Sätze von Mozart waren ebenfalls wunderschön. Von Haydn kam leider nichts vor.

Der grösste Gewinn jedoch, den Reichardt aus dem Wiener-Aufenthalte zog, war die persönliche Bekanntschaft[381] mit Gluck, der ihn in seinem Landhause zu Berchtholdsdorf mit vieler Güte und Freundlichkeit aufnahm. Die edle, bereits genannte Frau Gräfin von Thun, welche vor neun Jahren Dr. Burney's Besuch bei Gluck vermittelt hatte; war auch hier wieder vermittelnd eingeschritten.

Reichardt war bei Gluck angemeldet und von diesem zum Mittags- und Nachtbesuche eingeladen worden. Als er vorfuhr, trat ihm der alte, grosse, höchst stattliche Mann in einem grauen, mit Silber gestickten Kleide und vollem Putze, von seinen Hausleuten umringt, entgegen, und empfing den im einfachsten Reisekleide anlangenden jungen Kapellmeister mit mehr Würde und Pracht, als dieser erwartet hatte. Man setzte sich bald zur Tafel, die sehr ansehnlich bestellt war. Das Gespräch wurde heiter und reichhaltig. Die sehr verständige, wohlunterrichtete Hausfrau, und ein Haus-Abbé, der Gluck's Briefwechsel und Rechnungen besorgte (denn Gluck war immer sehr thätig im öffentlichen Aktienspiel, um sein ansehnliches Vermögen zu benützen und zu vermehren), nahmen an der Unterhaltung Theil. Es wurde zuerst viel von Klopstock und Carl Friedrich Markgrafen von Baden gesprochen, bei welchem die beiden grossen Männer sich kennen, lieben und verehren lernten. Reichardt, der mit Klopstock von seinen früheren Jugendjahren her in herzlicher Verbindung geblieben war, konnte in das Gespräch sehr lebhaft eingehen. Er erhielt von Gluck auch das Versprechen, dass er nach aufgehobener Tafel einige Stellen aus der, leider niemals niedergeschriebenen Musik zur »Hermannsschlacht,« und einige Kompositionen zu Klopstock'schen Oden zu hören bekommen sollte, obgleich die besorgte Gemahlin sehr dagegen Einsprache that. Sobald der Kaffee getrunken und ein Spaziergang unternommen worden war, setzte sich Gluck auch wirklich an den Flügel und sang mit schwacher, rauher Stimme und gelähmter Zunge, sich mit einzelnen Akkorden auf dem Flügel begleitend, mehrere jener originellen Kompositionen zu grossem Entzücken Reichardt's, der von dem Meister auch die Erlaubniss erhielt, eine Ode nach dessen Vortrag aufzuschreiben.[382]

Zwischen den Gesängen aus der »Hermannsschlacht« ahmte Gluck mehrmals den Klang der Hörner und den Ruf der Fechtenden hinter ihren Schilden nach; einmal unterbrach er sich auch, um zu bemerken, dass er zu dem Gesange noch ein eigenes Instrument erfinden müsse. Es ist schwer, von diesen Gesängen nach Gluck's Vortragsweise eine deutliche Vorstellung zu geben; sie schienen fast ganz deklamatorisch, selten nur melodisch zu seyn. Gewiss bleibt es ein unersetzlicher Verlust, dass der Künstler sie nicht aufgezeichnet hat; man hätte daran das, dem grossen Manne eigenthümliche Genie gewiss am sichersten zu erkennen vermocht, da er sich dabei durchaus an keinerlei Anforderung der neueren Bühne und der Sänger band, sondern ganz frei seinem hohen Genius folgte, innigst durchdrungen von dem gleichen Geiste des grossen Dichters. –

Hätte Reichardt länger in Wien verweilen können, er würde nach seinen besten Kräften versucht haben, jene Gesänge zu Papiere zu bringen: denn dass der durch Alter und Krankheit geschwächte Held es selbst noch vermögen sollte, daran war nicht mehr zu denken, und seine Wiener-Umgebung schien zu sorglos dafür zu seyn.

In Gluck's Zimmer hing das schöne, lebensgrosse, von Duplessis in Paris gemalte Oelbildniss, das den begeisterten Künstler, den Himmel im Auge, die Liebe und Güte auf den Lippen, so schön und wahr am Flügel darstellt, und gegenwärtig in der k.k. Bildergallerie zu finden ist, wohin die Witwe Gluck es gestiftet hat. Reichardt hatte kaum den Wunsch nach dem Besitz einer guten, treuen Kopie des schönen Gemäldes geäussert, als Gluck sie ihm sehr freundlich zusagte. Nach wenigen Monaten langte sie mit einem verbindlichen Schreiben des grossen Tonsetzers in Berlin an, und diente Reichardt's ländlichem Sitze seit dem zur schönsten Zierde.

In den Abend- und Morgenstunden unterhielt Gluck den kunstverwandten Gast ganz allein in seinem Zimmer über seinen Aufenthalt und seine Arbeiten in Paris. Er kannte diese Stadt und ihre Bewohner durch und durch, und sprach mit echter Ironie darüber, wie er sie nach ihrer Beschränktheit und[383] Anmassung in seiner eigenen grossen Manier behandelt und benützt hatte. Reichardt musste ihm zusagen, seine Opern sobald als möglich in der Seine-Stadt zu sehen und zu hören, solange noch dort einige gute Ueberlieferungen von seiner ehemaligen Oberleitung fortwirkten.

Gluck war mit Reichardt's Urtheil über ihn und einige seiner herrlichsten Stücke aus der »Alceste« im »Kunstmagazin« zufrieden, und nahm es als ein gutes Zeichen auf, dass er diese, auch ohne sie auf der Bühne gehört und gesehen zu haben, richtig aufgefasst und beurtheilt hatte. Er versprach, ihn in Paris seinem besten Freunde, Hrn. Bailly Du Rollet anzumelden und mit vielen anderen guten Empfehlungen zu versehen, sobald er es verlangte, damit er während seines Aufenthaltes in der Hauptstadt Frankreichs alle seine dort noch in der Scene lebenden Opern zu hören bekäme.

Am Abende hatte Gluck im Eifer des Gespräches auch versprochen, den nächsten Morgen mit Reichardt nach der Stadt zu fahren, und dort Mittags mit ihm zu speisen, wozu dieser noch den Schauspieldirektor Schröder und den biedern Kapellmeister Krause aus Stockholm einzuladen gedachte, um so ein kleines, sinniges Künstlermahl zu halten. Dieser Gedanke schien jedoch die sorgsame Hausfrau sogleich etwas zu erschrecken, und da ihr Gemahl sich am folgenden Morgen von dem verflossenen ungewöhnlich lebhaften Tage, an dem auch Spaziergänge und Fahrten unternommen worden waren, sehr angegriffen fühlte, so hintertrieb sie den Plan auf das eifrigste.

Die beiden Künstler schieden von einander mit dem herzlichsten Gefühle, das besonders den Reisenden, der nicht wohl hoffen durfte, den herrlichen Greis jemals wiederzusehen, in schmerzlicher Weise durchzuckte.

Zwei Jahre später reiste Reichardt,4 mit den, aus Wien empfangenen Empfehlungsbriefen ausgerüstet, wirklich nach Paris, um dort die grosse Oper, dieses von Einigen so verschrieene[384] und von Anderen wieder zum Himmel erhobene dramatische Ungethüm kennen zu lernen: denn er hatte damals durchaus keine anderen Begriffe von der französischen dramatischen Musik, als jene, welche, nebst Gluck und Rousseau, letzterer durch seine witzigen Spöttereien und Sarkasmen, verschiedene Reisende ihm beigebracht hatten. Von einer Gluck'schen Oper in französischen Kehlen, und von ihrer ungeheueren Wirkung hatte Reichardt nicht die mindeste Vorstellung: desto begieriger war er, sie kennen zu lernen und zu geniessen.

Herr Bailly Du Rollet, dieser echte Theaterkenner und Dichter, der in diesen Blättern oft besprochene Mann von feinstem Kunstsinn und Geschmack, der den Parisern den grossen Neuerer zugeführt, und dort mit einem, ihm ewig zur Ehre gereichenden Enthusiasmus befestigen geholfen hatte; dieser Mann, an den der Ritter v. Gluck zu Gunsten Reichardt's geschrieben hatte, um ihm wenigstens den Genuss einiger seiner Kunstschöpfungen zu sichern, – dieser Mann interessirte sich recht warm dafür, dass Reichardt im Laufe zweier Monate verschiedene grosse Opern – im Sommer etwas Ungewöhnliches, das nur durch seinen ausserordentlichen Einfluss bei der Oberleitung, und durch seine freundschaftlichen Verbindungen mit dem eigentlichen Direktor, Herrn Duvergne, erreicht werden konnte, – zu Gehöre bekam.

Reichardt hörte Gluck's »Iphigénie en Aulide« und »Armide,« die »Danaïdes« von Salieri, »Didone« und »Iphigénie en Tauride« von Piccini, »Renaud und Chimène« von Sacchini, welche drei letzteren eben auf dem Repertoire standen.

Reichardt lernte an Gluck's Opern eine Gattung kennen, von der er keine Vorstellung hatte, die an Grösse und echtem Kunstwerth Alles, was man in Italien, Frankreich, England und Deutschland sah, hörte und dachte, so unendlich weit überragte, dass man nur durch die damalige unbeschreiblich grossartige Pariser Vorstellung einer Gluck'schen lyrischen Tragödie selbst einen klaren Begriff von der einzig wahren grossen Oper bekommen konnte. Er lebte demnach ein neues Kunstleben,[385] war an Paris und an die grosse Oper gefesselt und blieb durch sein ganzes Leben ein so inniger Verehrer des grossen Meisters, dass er nun emsig bemüht war, nach Massgabe des ihm verliehenen Talentes in dessen Fussstapfen zu treten, ja selbst die Aufführung der Opern desselben in Berlin einzuleiten. Daher finden wir die ersten Spuren von Aufführungen Gluck'scher Opern zu Berlin bereits im Jahre 1783, wo dessen »Pilgrime von Mekka« und »der betrogene Cadi« (le Cadi dupé), letzterer von André aus dem Französischen übersetzt, in die Scene kamen. Gluck's tragische Werke gelangten dort erst in späteren Jahren auf die Bühne, was am gehörigen Orte bereits gemeldet worden ist.


Gluck litt bereits seit längerer Zeit an den unglücklichen Folgen eines Schlagflusses, als er im Jahre 1783 von der Pariser Akademie der Musik aufgefordert ward, einen Komponisten seiner Bekanntschaft vorzuschlagen, der die Fähigkeit besässe, für das erwähnte Theater eine französische Oper nach den Grundsätzen jener Kunstphilosophie zu schreiben, die Gluck durch Wort und That gelehrt hatte, und mit deren Befolgung allein eine wahrhaft dramatische Musik hervorgebracht werden könne. Gluck, den stets eine grosse Freundschaft für Salieri beseelte, gab ihm hiervon den glänzendsten Beweis, indem er ihn in Vorschlag brachte. Hier verdient die merkwürdige Aeusserung unsers Tonsetzers angeführt zu werden, die uns der Professor Cramer5 aus sichern Nachrichten mittheilt, nämlich, Gluck habe gesagt: »Nur der Ausländer Salieri lerne ihm allein seine Manieren ab, weil kein Deutscher von ihm lernen wolle.« –

Salieri empfing jene Dichtung, die Gluck zu setzen schon früher abgelehnt hatte, und machte sich (wie er selbst[386] eingesteht,6 unter Gluck's Leitung sogleich an die Arbeit. Es war die, von dem Dichter und Parlaments-Advokaten P.L. Moline geschriebene lyrische Tragödie »Les Danaïdes.«

Als er mit dieser, seiner ersten französischen Operzu Stande gekommen war, und sie in Gegenwart des grossen Tonsetzers am Flügel sang, stiessen sie in einer Arie auf eine Stelle, die dem Tonsetzer selbst nicht behagte, ohne sich erklären zu können, woher dieses käme. Gluck sah erst die Partitur dieser Arie durch, dann liess er sie von Salieri singen, und, nachdem er sie aufmerksam angehört hatte, sagte er zu ihm: »Sie haben Recht, lieber Freund! die ganze Arie ist gut, aber die Stelle, mit der Sie unzufrieden sind, missfällt auch mir; dennoch wüsste ich nicht gleich die Ursache davon zu finden. Singen Sie doch die Arie ein zweites und drittes Mal.« – Als Salieri das letzte Mal an die getadelte Stelle kam, rief Gluck, plötzlich ihn unterbrechend: »Nun hab' ich es! Die Stelle riecht nach Musik!« – In der That fand es sich, dass jene Idee mehr aus künstlerischer Berechnung, als aus irgend einem andern nothwendigen Grunde dort angebracht war.

»Dieses Wort des grossen Mannes« – sagte Salieri, – »ist eben so originell als bedeutungsschwer für jeden Künstler und jede Kunst. Der Ritter Gluck sagte nämlich oft, dass er, bevor er an die Komposition einer Oper gehe, immer ein Gelübde mache, zu vergessen, dass er Musiker sei. Man kann von seinen Opern sagen: Das ist nicht Musik! wie man von den Gemälden des Correggio und Tizian sagen kann: Das ist nicht gemalt!«7

Salieri brachte das Werk selbst nach Paris, und zwar nicht nur mit Bewilligung, sondern auch zum Vergnügen seines kaiserlichen Herrn und Gebieters. Es wurde dort mit grosser Pracht und zu noch grösserer Ehre des Tonsetzers schon am 26. April 1784 in die Scene gesetzt.[387]

Auf dem Anschlagzettel der »Danaïdes« las man nach dem Titel gedruckt: »Die Worte von Herrn***, die Musik von den Herren Ritter Gluck und Salieri.« Der Name Gluck's, die Ungewissheit, in der man sich über den Antheil befand, den dieser an der Musik hatte; ferner der schon verdiente Ruf Salieri's, und die Wahl, die ein so grosser Meister getroffen hatte, ihn seinen Arbeiten beizugesellen: Alles dieses reichte hin, die Neugierde und den Andrang des Publikums zu dieser neuen Schöpfung mächtig anzuregen. Eine genaue würdigende Auseinandersetzung derselben hinsichtlich des Textes und der Musik liefert der geistreiche Professor Carl Friedrich Cramer zu Kiel.8

Nach einer bedeutenden Anzahl von Vorstellungen, deren diese lyrische Tragödie sich erfreute, liess Gluck in das »Journal de Paris« einen Brief einrücken, worin er erklärte, dass die Musik der »Danaïdes« ganz von Herrn Salieri komponirt sei, und dass er keinen weiteren Antheil daran hätte, als durch Rathschläge, die er diesem Tonsetzer ertheilt habe; eine Erklärung, welche Salieri's Talenten zur Ehre gereichte und zur angenehmen Folge hatte, dass dieser für die Pariser Akademie der Musik noch zwei Opern, und zwar »Tarare« von Herrn von Beaumarchais, und »Les Horaces« (nach Corneille) von Guillard, welche beide mit einem nicht viel geringeren Erfolge gekrönt wurden, zu setzen bekam.

Als Salieri von Paris nach Wien zurückgekehrt war, erhielt er von dem Dichter der »Danaïdes« die Nachricht, dass dessen Operngedicht »La Foire de Venise« in dem Comité der königl. Akademie der Musik gelesen wurde und überaus gefallen habe; er bat daher den Tonsetzer, das Wenige, was dazu neu zu setzen sei, sobald als möglich und zwar um so mehr zu vollenden, als selbst die Königin den Wunsch geäussert habe, dieses Schauspiel zu Fontainebleau aufführen zu lassen.

Auch Moline wendete sich später an Gluck, um ihn zu bitten, seinen Freund Salieri zur baldigen Beendigung dieser[388] Oper zu bewegen. »Ich ergreife die Gelegenheit« – fügte er hinzu – »Ihnen erneuerte Beweise der unveränderlichen Anhänglichkeit zu geben, die ich Ihnen von dem Augenblicke an weihte, in welchem ich das Glück hatte, Sie kennen zu lernen. Man gab gestern Ihre Oper ›Armide,‹ deren Erfolg von Tag zu Tag zunimmt, und in der man immer neue Schönheiten entdeckt. Eben so geschah es mit Ihren übrigen Meisterwerken. Ihre Nebenbuhler, die Herren Virtuosi italiani, haben gut uns mit ihren Kompositionen zu überschwemmen, die alle die nähmliche Physiognomie zur Schau tragen; sobald man ihnen aber ein Werk vom Caro Gluckino entgegensetzt, erscheinen diese fürchterlich drohenden Riesen als schwache Pigmäen, die ein Weilchen an der Erde kriechen und dann wieder verschwinden.«

Im Frühlinge des Jahres 1786 reiste Salieri mit obgenannten beiden Opern nach Paris. Ehevor er jedoch diese Reise dahin antrat, nahm er von seinem alten kränkelnden Freunde und Meister, dem er den Ruhm und die Vortheile, denen er neuerdings entgegen ging, grösstentheils zu verdanken hatte, den zärtlichsten Abschied: denn mit allem seinem Talente möchte er, ohne die Empfehlung jenes, in Frankreich so hochgeachteten Mannes schwerlich ein so glänzendes Ziel erreicht haben. Gluck drückte sich in seinem letzten Lebensjahre, in Folge seines paralytischen Zustandes, nur mit Mühe aus; gewöhnlich mengte er in der Unterredung mehrere Sprachen durcheinander, und so klangen denn die Abschiedsworte an seinen geliebten Schützling, wie folgt: »Ainsi, mon cher ami .... lei parte domani per Parigi .... Je vous souhaite .... di cuore un bon voyage .... Sie gehen in eine Stadt, wo man die fremden Künstler schätzt .... e lei si farà onore .... ich zweifle nicht« – und ihn umarmend fügte er hinzu: – »ci scriva, mais bien souvent.«9

Bemerkenswerth ist es, dass eben Salieri uns diese Abschiedsworte aufbewahrt hat, der selbst in ein und dasselbe[389] Gespräch die nämlichen drei Sprachen zu mengen pflegte. Nur Eines muss hier berichtigt werden: Salieri behauptet nämlich an diesem Orte, dass Gluck's Muttersprache die böhmische war: diesem muss aus folgenden Gründen widersprochen werden: Erstens war schon Gluck's Vater, als ein geborner Oberpfälzer von Geburt ein Deutscher, und als dieser in der Eigenschaft eines Waldbereiters und Forstmeisters nach Böhmen übersiedelte, war sein Wirkungskreis ihm nur in deutschen Gegenden und Orten angewiesen, nämlich zu Neuschloss, Böhm. Kamnitz, Eisenberg und Reichstadt; zweitens, als der junge Gluck das Aelternhaus verliess, kam er in das Jesuiten-Seminar zu Komotau, ebenfalls einem deutschen Städtchen, und von da nach Prag, wo er nur wenige Jahre blieb, und wo er zu seinem Fortkommen keineswegs die böhmische Sprache nöthig hatte, weil dort beide Landessprachen herrschend sind. Sollte jedoch Gluck wirklich Etwas böhmisch gesprochen haben, so hatte er dieses Wenige nur so nebenbei in Prag erlernt, später aber gewiss wieder vergessen, da er von dem Erlernten seit seinem Jünglingsalter keinen Gebrauch mehr zu machen Gelegenheit fand.

1

S. Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz. Berlin und Stettin 1784. 4. Bd. S. 527–537.

2

S. dessen Autobiographie in der Leipziger allgemeinen musikal. Zeitung. Theil 15. Seite 667. –

3

Er war auch Mozart's Gegner und manch anderen Talentes, wie man aus Dittersdorfs und Mozart's Biographien ersehen kann.

4

S. J.F. Reichardt an das musikalische Publikum. Hamburg 1787. 8. S. 6–9.

5

S. dessen Magazin. Jahr 1783. S. 238.

6

S. Mosel, Salieri's Leben etc. S. 77 etc.

7

S. Mémoires pour servir à l'hist. de la Révolution opérée dans la Musique par M. le Chev. Gluck. Paris 1781. pag. 110.

8

S. dessen Magazin der Musik. II. Jahrg. S. 417–457.

9

S. Mosel, Ueber das Leben Salieri's. S. 92. 93.

Quelle:
Schmid, Anton: Christoph Willibald Ritter von Gluck. Dessen Leben und tonkünstlerisches Wirken. Leipzig: Friedrich Fleischer, 1854., S. 375-390.
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