III.

Die ersten musikalischen Eindrücke hatte Sebastian Bach durch das Geigenspiel seines Vaters erhalten. Als Geiger hatte er selbst seine erste öffentliche Stellung in Weimar bekleidet, später in der herzoglichen Capelle neun Jahre hindurch seinen Platz am Violinpult eingenommen und war mit der Zeit sogar zum Concertmeister aufgerückt. Auch in älteren Jahren vernachlässigte er das Spiel eines Streichinstruments nicht, bei mehrstimmigen Instrumentalstücken bevorzugte er dann die Bratsche, weil es ihm Vergnügen machte, gleichsam von der Mitte aus die Harmonie nach beiden Seiten zu überschauen; gute Bratschisten und solche, die seinen Anforderungen genügten, waren überdies selten1. Zu einem Concertmeister gehört es allerdings nicht nothwendig, daß er Virtuose ist – ein tüchtiger Musiker mit solider, mittlerer Technik wirkt an dieser Stelle oft viel mehr2 – und in Hinsicht darauf, daß kein Zeitgenosse, auch nicht der Sohn Philipp Emanuel, Bachs Violinspiel erwähnt und daß dessen Hauptkraft sich offenbar ja auf Orgel und Clavier geworfen hatte, wird man kaum Unrecht thun, ihm den Besitz virtuosischer Fertigkeit auf der Geige abzusprechen. Aber damit ist nicht behauptet, daß er ein unbedeutender Spieler gewesen sei. Er wäre nicht der einzige unter Deutschlands großen Musikern, an dem die etwaigen Mängel einer nicht methodisch ausgebildeten Technik durch das Eigenthümliche und Großartige des schöpferisch wirkenden Geistes sich ausgeglichen hätten. So fehlte dem Clavierspiel C.M. von Webers mancherlei an Sauberkeit und Gleichmäßigkeit, und dennoch konnte es von hinreißendem Schwunge und Zauber sein. Ja, war doch auch Händels Violinspiel, obwohl er nach [677] seinem Hamburger Aufenthalte wenig Gewicht mehr darauf legte, feurig und bedeutend genug, daß große Virtuosen es sich zur Lehre dienen lassen konnten3. Bachs Vertrautheit mit der Geige erstreckte sich so weit, daß er sogar in zweckentsprechenden Veränderungen ihres Baues schöpferisch auftreten konnte: er erfand in Cöthen ein zwischen Bratsche und Violoncell in der Mitte stehendes Instrument, das wie eine Geige gehalten wurde, fünfsaitig und auf die Töne C, G, d, a, ē gestimmt war; er nannte es Viola pomposa, schrieb eine Suite dafür und ließ es in Leipzig zur leichteren Ausführung seiner schwierigen, raschfigurirenden Bässe benutzen4. Aber am klarsten ergiebt sich doch sein enormes Können auch auf diesem Gebiete aus seinen Compositionen für Streichinstrumente und insbesondere für Geige allein. Zugegeben, daß er in diesen nicht alles selber ganz vollkommen herauszubringen vermochte – er hätte sonst auch ein gewaltiger Violoncellspieler sein müssen, da er für dieses Instrument ähnliche Solocompositionen schrieb –, aber jedenfalls konnte nur der solche Werke erfinden, der um die äußersten Gränzen der Leistungsfähigkeit des Instrumentes Bescheid wußte. Einen solchen Bescheid holt sich aber Niemand bei der theoretischen Speculation, sondern allein vom praktischen Probiren.

Es läßt sich an der hervorstechenden Eigenthümlichkeit der Bachschen Violincompositionen, an ihrer Vielstimmigkeit, an gewissen Arten der Figuration, an der obligaten Einflechtung eines zweiten oder mehrer Instrumente leicht bemerken, daß ihr Stil zum Theile nicht aus dem Wesen der Geige hervorgewachsen ist. Auch hier den Einfluß des in Bach übermächtigen Orgelstils anzunehmen, der alles, was in seinen Bereich kam, sich unerbittlich unterwarf, liegt zu nahe, als daß man es unterlassen könnte. Was jedoch speciell das doppelgriffige Spiel betrifft, so muß hinzugefügt werden, daß es schon Corelli in seinen Violinsonaten mit Cembalo-Begleitung zu einer bedeutenden Höhe ausgebildet und auch den fugirten Satz so weit zur Anwendung zu bringen gesucht hatte, wie er sich bequem dem Instrumente anpassen ließ; sodann aber, daß die Deutschen gegen Ende des 17. Jahrhunderts, in Ausführung und Erfindung [678] sonst den italiänischen Violinspielern weit nachstehend, grade die vielstimmige Technik mit besonderer Energie cultivirt zu haben scheinen, was für ihr zunächst mehr nach harmonischer Fülle als melodischer Klarheit strebendes Wesen ganz bezeichnend ist. So wurde schon früher einmal Buxtehudes genialer Schüler Nikolaus Bruhns als hervorragender Geiger erwähnt, der sich auf doppelgriffiges Spiel hin so ausgebildet haben soll, daß es sich anhörte, als ob drei oder vier Geiger in Thätigkeit wären; er setzte sich dann zuweilen mit der Geige vor die Orgel und spielte mit den Füßen eine Pedalstimme zu den vollen Harmoniengängen, welche er jener entlockte5. Bei dem Cellenser Nikolaus Strungk (s. S. 198), dem Corelli nach Anhörung seines Spiels erstaunt zugerufen haben soll: »Ich heiße Arcangelo, aber Euch muß man Arcidiavolo heißen«, bestand vielleicht die Virtuosität ebenfalls hauptsächlich im vielstimmigen Spiele, da er ebenso wie Bruhns Orgel- und Clavierspieler war6. Der kurmainzische Secretär und Violinist Johann Jakob Walther (geb. 1650) stellt in seinem 1694 herausgegebenen Hortulus chelicus besonders an diese Seite der Technik nicht geringe Anforderungen und weist durch den Titel ausdrücklich darauf hin7. Bach setzte also in dieser Beziehung eine speciell deutsche Richtung fort, vermählte ihr aber alle Errungenschaften des italiänischen Formensinns und erweiterte diese vermöge seiner ungleich größeren Gestaltungskraft.

Er schrieb für Violine sowohl wie für Violoncell (beziehungsweise Viola pomposa) je ein Werk von sechs mehrsätzigen Compositionen ohne alle Begleitung. Ob er einen Vorgänger in dieser isolirten Behandlung eines Streichinstruments gehabt hat, weiß ich nicht, möchte es aber fast bezweifeln, da die allgemein maßgebenden Italiäner trotz aller Künste doch das gesangreiche einstimmige Spiel immer in den Vordergrund stellten, welches ohne stützende [679] Harmonie die Hälfte der beabsichtigten Wirkung einbüßte8. Ueber die Entstehungszeit der beiden Werke läßt sich mit Bestimmtheit nur sagen, daß sie nicht später als in die cöthenische Periode fällt. Die sechs Violinsoli bestehen aus drei Sonaten und drei Suiten, und wenn man heutigen Tags allgemein von den sechs Bachschen Violinsonaten spricht und schreibt, so ist das eine Ungenauigkeit, deren Bach selber sich nicht schuldig gemacht hat9. Der Unterschied beider Gattungen ist ein klar definirbarer, da die Suite ausschließlich aus Tanzstücken besteht, denen höchstens zur Einleitung ein Praeludium vorausgeschickt wird.

Die Kunstform der Suite, durch deren höchste Vollendung Bach einen neuen Lorbeerzweig seinem unvergänglichen Ruhmeskranze einfügen sollte, reicht mit ihren Wurzeln bis ins sechzehnte Jahrhundert hinab. Ihre Entwicklung glaube ich, wenn auch im Einzelnen vieles dunkel ist, doch im Allgemeinen wohl zu überschauen10. Beim Tanze geschah es zu erst, daß die Gresangweisen, unter denen er stattfand, auf nachahmende Instrumente übergingen und mit Beibehaltung der Liedform auf ihnen selbständig weitergebildet wurden. Es ergab sich leicht, daß man solche Tanzmusiken dann auch bei andern fröhlichen Veranlassungen zu hören wünschte, daß mit der steigenden Beliebtheit die Tonsetzer gern ihre Thätigkeit diesem Gebiete zuwendeten. Wandernde Musikanten trugen die ansprechendsten von Ort zu Ort, von Land zu Land. Um das Jahr 1600 waren die italiänischen Paduanen und Gagliarden oder Romanesken sehr verbreitet, und wie hübsches darin die Instrumentalkunst schon leistete, beweisen die fünfstimmigen Tonstücke dieser Art, welche [680] in den Jahren 1610 und 1611 der darmstädtische Hoforganist Johann Moller herausgab. Außerdem cultivirte man die Formen der Volta und des Passamezzo, der Balletti und Intraden; »Aufzüge« hießen letztere bei deutschen Componisten und bedeuteten eine besondere Art gravitätischer Musik, unter der zu einem weitläufigeren Reigen angetreten wurde. Von französischen Tänzen kommen der Ringelreihen (Branle) und die Courante vor, falls letztere nicht ebenfalls ursprünglich italiänisch ist. Als deutscher Tanz figurirt nur die Allemande, der allgemein gefaßte Name zeigt wohl, daß es hier verschiedene Arten nicht gab. Dagegen bewiesen die Deutschen schon damals ihre Eigenthümlichkeit im Bearbeiten der fremden Formen; so gab der Dresdener Johann Ghro im Jahre 1604 dreißig Paduanen und Gaillarden heraus und bemerkte in der Vorrede, daß sie »nach teutscher Art gesetzet« wären11. Einen gemeinsamen Namen für solche Tänze-Sammlungen kannte man eben so wenig, als sie nach einem durchgreifenden Kunstprincipe geordnet waren. Nur ließ man gern auf die Paduane die Gagliarde folgen, was schon der Gegensatz von geradem und ungeradem Takte nahe legte. Dann kam der dreißigjährige Krieg. Er der das entsetzlichste Elend über Deutschland brachte, hat nichtsdestoweniger hier die Entwicklung der Suite offenbar beschleunigt. Die Idee, aus den Tanztypen der civilisirten Völker Europas die originellsten und bildungsfähigsten auszuwählen und zu einem blühenden Ganzen kunstmäßig zu vereinigen, fand an der Unglücksstätte, wo der Kriegssturm Italiäner, Spanier, Franzosen, Schweden, Dänen, Polen Jahrzehnte lang im wildesten Tanze durch einander wirbelte, eine gewisse Förderung. Wenn nachher die Verhältnisse sich klären, werden die Bestrebungen, zu einer höheren Kunstform zu gelangen, ganz deutlich. Nothwendig war dazu vor allem, daß die Clavierkünstler sich der Sache annahmen und den bildungsfähigen musikalischen Gehalt der Tanzweisen aus dem Bereiche des verwilderten deutschen Kunstpfeiferthums in die stillen, reinlicheren Räume der Hausmusik hinüber retteten. Alle Anzeichen weisen darauf hin, daß die Erfinder der Claviersuite innerhalb der Sweelinckschen Schule zu suchen sind. [681] Daß es Deutsche waren, sieht man aus der nunmehr sich feststellenden Reihenfolge, in welcher die Allemande den ersten Platz hat, ihr folgt die Courante, zum Abschluß verwendet man zwei neu erworbene Weisen, die spanische Sarabande und die englische Gigue, entweder vereint oder eine von beiden. Die Deutschen fuhren fort, neben den eignen Formen fremdes Gut »nach teutscher Art« wie am Anfange des Jahrhunderts zu bearbeiten. Daneben verkümmerte aber natürlich unter den Kunstpfeifern die Tanzmusik nicht, sondern fand auch hier eine von ihrer ursprünglichen praktischen Bestimmung mehr oder minder losgelöste lebhafte Pflege. Es lag sehr nahe, daß zur Tafelmusik oder für andre festliche Gelegenheiten mehre contrastirende Tänze an einander gereiht wurden. Ob sich auch hierbei eine Art von gewohnheitsmäßigem Verfahren bildete, wovon ein Anfang schon in der Zusammenstellung von Paduanen und Gagliarden zu bemerken war, bleibt vorläufig dahingestellt. Jedenfalls hatten die Kunstpfeifer für solche Tanzsammlungen einen gemeinsamen Namen, den sich die Vertreter der Claviersuite aneigneten; er deutete ganz allgemein nur ein aus vielen Theilen bestehendes Ganzes an und war darum auch für die Claviervariation in Gebrauch gekommen. Es ist der Name Partie, italiänisirt Partita12. Mit den Variationenreihen war übrigens den Tanzreihen außer dem Namen auch das Festhalten derselben Tonart durch alle Theile gemeinsam, ihre Entstehung durch äußerliche Zusammenfügung brachte das von selbst mit sich. Die von den deutschen Claviermeistern gefundene Form gelangte nun in die italiänischen Kammersonaten eines Corelli und seiner Nachfolger. Aber die verschiedenartigen Anforderungen der Violintechnik und der überwiegend auf das Melodische gerichtete Sinn der Italiäner drohten das Charakteristische der einzelnen Typen bis zur Unkenntlichkeit zu verwischen. Das Gegengewicht der Deutschen, denen es hauptsächlich um harmonische Vertiefung zu thun war, genügte hier nicht mehr. Da nehmen mit ihrem scharf ausgeprägten rhythmischen Gefühle die Franzosen sich der Tanzgebinde [682] an. In die deutschen Hofcapellen und Kunstpfeifer-Banden war die französische Orchestermusik schon länger eingedrungen13 und hatte von dort aus auch die Claviermusik beeinflußt; sollte doch selbst ein Pachelbel sich damit befaßt und als der erste die französische Ouverture auf das Clavier übertragen haben (s. S. 122). Doch genügte dies noch nicht; die Franzosen mußten an die Claviertänze selbst ihre Hand legen. Aber so fest stand bereits die Ordnung der Sätze, daß sie an dieser nicht zu ändern wagten. Den Grundbestand bilden auch bei ihnen Allemande, Courante, Sarabande, Gigue; nur lassen sie wohl noch eine Ouverture vorausgehen, hängen eigne Tanzstückchen wie Gavotte, Menuet, Rigaudon, Passepied, Bourrée, auch die eigentlich italiänische Chaconne hinten an, oder schieben sie vor der Gigue ein, oder verdrängen diese durch jene; alle aber führen sie auf den prononcirtesten Rhythmus zurück. Und da dieser beim Tanze das Wichtigste ist, so ist es nur natürlich, daß sie auch der Kunstform den endgültigen Namen gegeben haben. Als Suite kehrt sie nun nach Deutschland zurück, um hier ihre höchste Vollendung durch Sebastian Bach zu finden, dem ein Georg Böhm vorgearbeitet hatte und ein Händel mit wenigen, aber bedeutungsvollen Leistungen zur Seite trat. Bach endlich ließ auch die französische Benennung zum Theil wieder fallen; er restituirte sowohl in einem Hauptwerke für Clavier, als in den drei genannten Suiten für Solovioline den Namen Partie. Die Suite, als älteste vielsätzige Instrumentalform, ist ein deutsches Product, an dem aber fast alle damals bedeutenden Nationen Europas mehr oder weniger durchgreifend mitgearbeitet haben.

Schwieriger ist es den Begriff der gleichzeitigen Sonate abzugränzen. Sie entsagt nicht durchaus den Tanzstücken, besteht aber niemals nur aus ihnen. Was man am Anfange des 17. Jahrhunderts unter der Sonate des Joh. Gabrieli verstand, wie diese Form bis in Seb. Bachs Cantaten hinüberreicht, wie sie theils in ihrer ursprünglichen Einsätzigkeit verharrte, theils zur Zweisätzigkeit sich [683] erweiterte, ist früher (S. 122 f.) gesagt worden. Als in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts unter den Italiänern mit dem Solo-Violinspiel die Kammermusik einen mächtigen Aufschwung nahm, griff Corelli die zweisätzige Form auf, fügte mit Freiheit zwei solcher Satzpaare zusammen und trug das Ganze als dreistimmige Sonata da chiesa aus der Kammer in die Kirche zurück, wo sie unter Orgelaccompagnement abgespielt wurde. Ging die Absicht nicht auf kirchlichen Vortrag, so konnten auch Tänze eingemischt werden, die dann bald suitenartig, die Allemande an der Spitze, aufzutreten pflegen, bald einzeln zur Verwendung kommen, namentlich macht wohl eine Gigue den Abschluß. Das Hauptprincip der Sonate besteht danach im Wechsel zwischen langsamen, breitgezogenen und raschen, meist fugirten Sätzen, die auch im Takt gern mit einander contrastiren, und werden Tanztypen angewendet, so müssen sie im allgemeinen nach diesem Principe eingeordnet werden. Wie bei der Suite, so ist auch hier die Normalzahl der Sätze vier. Darin aber, daß der zweite langsame Satz gern in einer andern Tonart steht, nähert sich die Sonate der Form des Concerts, welches auch auf die Construction der einzelnen Sätze, zumal des letzten, nicht ohne Einfluß blieb. So hatte die Gabrielische Sonate eine neue Kunstgattung bilden helfen, ohne doch in dieser aufzugehen. Und ebenso erhielt sich neben ihr auch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts noch die weltliche, für vollen Instrumentenchor gesetzte Sonate durch die Pflege der deutschen Kunstpfeifer, die sie neben ihren verschiedenen Tänzen als ein »prächtig auf Motetten-Art gesetztes« Klingstück14 bei Tafelmusiken und sonstigen passenden Gelegenheiten vortrugen15. Diese beiden Gattungen sind also von der Corellischen Kirchen- und Kammersonate wohl zu unterscheiden. Da mit der Zeit die Suite sich immer ausschließlicher aufs Clavier zurückzog, bildete die Kammersonate nun auch insofern einen Gegensatz zu ihr, als sie recht eigentlich [684] eine Violin-Composition war und vorläufig blieb. Bekanntlich übertrug Kuhnau dieselbe aufs Clavier (s. S. 233), und Seb. Bach wurde darin, wie wir bald sehen werden, sein Nachfolger. Ein directer Fortschritt von dort zur modernen Sonatenform trat aber nicht ein; das polyphone Wesen der Allegrosätze, das dem Zeitgeiste nicht mehr zusagte, mußte zuvor durch eine andre Schreibart ersetzt werden. Der sie fand, war wiederum ein Italiäner, Domenico Scarlatti; er schrieb Claviersonaten, die nur aus je einem Satze in Liedform bestanden, homophon gesetzt und mit geschmackvollem, neuem Passagenwerk ausgestattet waren. Da man die dreisätzige Form im Concert schon kannte, so war nun endlich der Weg geöffnet, auf dem von Philipp Emanuel Bach über Haydn zu Beethoven sich die moderne Sonate vollenden konnte.

Die drei Sonaten Sebastian Bachs für Solo-Violine weisen die strengste und geläutertste Form der Gattung auf. Alle sind viersätzig. Da aber der zweite langsame Satz in einer andern, naheverwandten Tonart steht, während die übrigen in der Grundtonart verharren, so ist das Grundschema doch ein dreisätziges; das erste Adagio schließt sich mit dem folgenden Allegro zu einer Einheit zusammen und leitet in der Mehrzahl der Fälle durch ein Auslaufen auf den Dominantaccord geradezu in dasselbe hinüber. Die Verschiedenheit von der modernen Sonate besteht also nur im Stil der einzelnen Sätze, im übrigen sind die Verhältnisse gleich. Hier wie dort wird dem ersten Tonbilde ein zweites nach allen Seiten contrastirendes gegenüber gestellt, beider verschiedenen Inhalt sucht der Schlußsatz in sich aufzulösen, es ist also ein psychologischer Process, der das verknüpfende Band der Vielheit bildet. Hier wie dort ruht das größere musikalische Gewicht auf dem ersten Allegrosatze, während das Finale nach Form und Inhalt leichter bemessen ist. Das vorbereitende, wie zum Kampfe sich sammelnde Einleitungs-Adagio endlich ist für die spätere Sonate zwar nicht als unumgänglich nothwendig erachtet worden, aber in ihren bedeutendsten Gattungsmustern, zumal den Orchester-Symphonien, doch fast immer beibehalten, wenn auch in abgekürzter Fassung. Ebenso ist schon hier das einleitende Adagio in der Anlage von dem mittleren scharf unterschieden, es bewahrt durchaus ein praeludirendes Wesen, wogegen das zweite als festgefügtes Musikstück auftritt. Dieser Grundsatz [685] wird freilich in andern Sonatenwerken des Meisters nicht immer streng festgehalten, genug daß er überhaupt in einer Art hervortritt, die an dem bewußten Verfahren nicht zweifeln läßt.

Trotzdem nur ein Instrument benutzt wird, das im Vergleich zu Orgel und Clavier und nach der Richtung hin, in welcher des Tonsetzers höchste Bedeutung lag, in engste Gränzen eingeschlossen ist, haben die Sonaten dennoch etwas gewaltiges an sich. Durch die Ausgedehntheit des doppelgriffigen Spiels und die geschickte Verwendung der leeren Saiten wird oft eine fast unglaubliche Tonfülle erzeugt, die scharfen Rhythmen, die durch die polyphone Satzart nöthig gemachte kühne, zuweilen ans Gewaltsame streifende Ausführung, das Feuer und der Schwung namentlich der fugirten Allegrosätze geben den Sonaten mehr vielleicht, als andern Instrumentalcompositionen Bachs, den Charakter des Dämonischen. Der Typus der ersten Sätze ist schon durch Corelli in dessen Violinsonaten Op. 5 festgestellt, er ist ein breit melodischer, dem aber durch die vielen umspielenden Figuren verschiedenster Bewegung ein freiphantastisches Element beigemischt wird. Dasselbe wird bei Bach durch die Gestalt, welche seine Polyphonie hier annimmt, noch erhöht, indem der Ausführbarkeit wegen die Fortschreitungen der Nebenstimmen oft nur angedeutet werden und vom Ohre zu vervollständigen sind. In dem prachtvollen, leidenschaftlichen Einleitungs-Adagio der ersten Sonate in G moll liegt die Melodie zuerst in der Mittelstimme, die Oberstimme geht nur in einzelnen Tönen und Phrasen darüber her, scheint zu verschwinden, wird dann von dem Zuge der Melodie flüchtig gestreift und so wieder in Erinnerung gebracht und ist überhaupt immer vorhanden für den, welcher mit innerm Ohre zu hören vermag. Vom 14. Takte an, wo die Melodiezüge des Anfangs sich in C moll wiederholen, übernimmt dann die Oberstimme den Hauptpart, die Mittelstimme wird deshalb nicht unthätig, ja entwickelt oft eine ganz erstaunliche Selbständigkeit. Für die Fundamentalstimme gilt natürlich dasselbe Verfahren: oft muß die Melodie momentan unterbrochen werden, um den Basston kurz anzustreichen, oft klingt er durch das Figurenwerk nur unbestimmt hindurch. Mehr als dreistimmig ist der Satz nur ausnahmsweise, nicht gerechnet die vereinzelt zur Verstärkung angebrachten viertonigen Harmonien. Bei den Fugen versteht es sich, daß die Contrapunctirung nur eine [686] ganz einfache sein kann, oft bloße Accorde zum Thema genügen müssen, und daß trotz des bewegteren Tempos auch hier manches nur andeutbar ist. Nach Corellis Vorgange werden einstimmige laufende oder arpeggirte Gänge zwischenhinein gemischt, um dadurch für die polyphone Satzart die Empfänglichkeit wieder aufzufrischen. Uebrigens kann man sich denken, daß der Fugenmeister möglichst bemüht war, den strengsten Forderungen nachzukommen; man hat nicht nur freie Fugatos, sondern echte ausgewachsene Fugen vor sich von bewunderungswürdigem Reichthum combinatorischer Erfindung. Am bekanntesten ist jetzt die der ersten Sonate geworden; Mattheson stellte, was bei seiner Stimmung gegen Bach etwas bedeuten will, die der zweiten, aus A moll, in zweien seiner Schriften als Muster hin. »Wie lang etwa der Führer bei einer Fuge an Takten sein möge«, sagt er16, »ist einigermaßen willkürlich, doch hält man insgemein dafür, daß, je ehender und geschwinder der Gefährte seinem Anführer folge, je besser die Fuge sich hören lasse. Man findet oft die vortrefflichsten Ausarbeitungen über die wenigsten Noten. Wer sollte wohl denken, daß diese acht kurzen Noten:


3.

so fruchtbar wären, einen Contrapunct von mehr als einem ganzen Bogen ohne sonderbare Ausdehnung ganz natürlich hervorzubringen? Und dennoch hat solches der künstliche und in dieser Gattung besonders glückliche Bach in Leipzig Jedermann vor Augen gelegt, ja noch dazu den Satz hin und wieder rücklings geführet.« Beide aber dürfte an Wucht und Größe die Fuge der dritten Sonate in C dur übertreffen, bei der nur die enorme Schwierigkeit einer allgemeineren Verbreitung im Wege steht. Daß diese Schwierigkeit vermuthlich in der Entstehungsgeschichte der Sonate ihre Begründung findet, soll alsbald gezeigt werden. Als dritten Satz hat die G moll-Sonate ein schön gedachtes und polyphon bewundernswerth gearbeitetes Siciliano in B dur, aber der zarte Charakter dieses Tanztypus wird durch die beim mehrgriffigen [687] Spiele unvermeidliche Stärke und Schwere des Klanges beeinträchtigt; dies ist einer von den Fällen, wo das Fremdartige des Stiles recht greifbar wird. Der entsprechende Satz der A moll-Sonate steht in C dur und hat zweitheilige Liedform; über einer kurz gestoßenen Grundstimme zieht sich eine breite, innige Melodie hin, an deren Entfaltung sich die Mittelstimme in discreter Weise betheiligt. Die C dur-Sonate hat an dieser Stelle ein eben so ausdrucksvolles Largo in F dur, das sich aber in ununterbrochenem Zuge ausspricht. Gemeinsam ist allen dreien die Anlage des letzten Satzes. Einstimmig in zweitheiliger Form fliegt er in fast unaufhörlicher Sechzehntelbewegung vorüber; es ist ganz der Typus des von uns früher (S. 407) beschriebenen letzten Concertsatzes.

Der Standpunkt, von dem aus Bach an die Composition dieser Sonaten heranging, wird recht hell durch die Thatsache beleuchtet, daß alle drei sich ganz oder theilweise als Clavier- oder Orgelstücke wiederfinden. Ganz zu einer Claviersonate arrangirt ist die mittlere, die zu diesem Behufe von A moll nach D moll transponirt wurde17. Obgleich sie nicht in Bachs eigner Handschrift vorliegt, ist es doch wegen der hohen Meisterschaft der Bearbeitung außer Zweifel, daß sie vom Componisten selbst herrührt. Die claviermäßige Gestalt ist so viel reicher ausgestattet, daß das Original sich bisweilen wie eine Skizze dagegen ausnimmt; die Natürlichkeit, mit der sich der Reichthum der Polyphonie entfaltet, deutet an, wo die eigentliche Heimath so beschaffener Bachscher Geigencompositionen war. Gleichwohl steht es fest, daß die Sonate ursprünglich für Geige componirt wurde: nicht nur viele Einzelheiten verrathen es, sondern auch die Wahl der Tonart D moll, wodurch vieles in eine sonst bei Bach ungewöhnlich tiefe Lage kommt, die aber zur Verhütung einer zu zerstreuten Stimmlage nöthig war. Aus der G moll-Sonate existirt die Fuge in Uebertragung für Orgel; daß die violinmäßige Form die frühere war, sieht man hier sogleich aus der Beschaffenheit des Themas18. Das Verhältniß zum Original ist noch freier und sogar an zwei Stellen eine Erweiterung um je einen Takt eingetreten; es muß übrigens die [688] Bearbeitung sehr früh vorgenommen sein, da schon aus dem Jahre 1725 eine Abschrift derselben vorliegt. Verwickeltere Beziehungen herrschen bei der C dur-Sonate. Vom ersten Satze hat Bach eine Clavierübertragung gemacht, deren tiefere Lage (G dur) wiederum bezeugt, daß die Fassung für Violine eher dagewesen ist19. Mehr aber als anderswo hat hier bei der ursprünglichen Conception die im Clavierstile lebende Phantasie des Künstlers sich wirksam gezeigt. Nicht eine phantastisch figurirte Geigenmelodie erscheint, sondern jenes leise Fortwallen im langsamen Wechsel der Harmonien, worauf weder das Wesen der Geige führen konnte, noch auch ein Italiäner je verfallen wäre, deren Vorbild doch sonst überall erkennbar ist. Auch beim vorzüglichsten Vortrage wird die Intention auf der Geige niemals ganz herauskommen, das Anstreichen der drei- und vierstimmigen Accorde bringt etwas gewaltsames und rauhes unvermeidlich mit sich, was dem Charakter des Satzes widerstrebt. Spielt man ihn auf dem Clavier in jener reicher belebten Gestalt, die der Schöpfer selbst ihm gab, so hat man eines der wunderbarsten Stücke, die der Bachsche Genius hervorgebracht hat, eines jener Praeludien, in denen unter einem durchgehenden, einförmigen Rhythmus die Harmonien sacht wie Nebelbilder in einander überfließen, aus deren Zauberhülle eine langgezogene, sehnsuchtsvolle Melodie hervortönt. Alles, was dem Menschenherzen fehlt und was die Zunge vergeblich zu stammeln sucht, wird hier von wunderthätiger Hand auf ein Mal entschleiert, und doch bleibt es so fern, so unerreichbar weit! Niemand in der Welt hat je wieder solche Töne angeschlagen! Von den andern Sonatensätzen ist in Clavierbearbeitung nichts geblieben. Ob eine solche existirt hat? Von der Fuge wenigstens möchte man es verneinen. Ich glaube eher, daß diese nur die Umgestaltung eines Orgelstückes ist. Ihr Thema besteht – für eine Violinsonate etwas unerhörtes – aus der ersten Melodiezeile des Chorals »Komm, heiliger Geist, Herre Gott«. Die contrapunctische Kunst darin ist für eine Solo-Geige von solcher Complicirtheit, daß dem Spieler fast das Unmögliche zugemuthet wird, und gewiegte Techniker haben mir versichert, die Schreibart laufe zuweilen der Spielbarkeit so zuwider, als ob der Componist eine Geige garnicht dabei vor Augen [689] gehabt habe. Besondere Aufmerksamkeit aber muß es erregen, daß Mattheson in der »großen Generalbassschule« eine Disposition zu einer Orgel-Fuge über dasselbe Thema aufstellt, die fast ganz mit der Bachschen übereinstimmt. Er giebt das Thema so:


3.

und bemerkt zunächst, daß dies der Anfang eines Chorals ist, »2) daß mit der Risposta nicht die geringste Künstelei gesucht wird, 3) daß ein chromatischer Gegensatz füglich eingeführet, und also die Fuge verdoppelt werden kann, weil sie auch sonst zu einfältig ist, 4) daß sich der Hauptsatz auf zweierlei Art verkehren läßt, 5) daß rectum und contrarium zusammen gebracht werden und harmoniren können, 6) daß sich auch sonst verschiedene nette Einflechtungen mit dem Duce und Comite ganz nahe an einander vornehmen lassen u.s.w.« Hernach theilt er noch mit (S. 38), wie er sich selbst die Ausführung der Vorschriften gedacht habe20. In der Bachschen Violinfuge findet sich gleich von Anfang an das verlangte chromatische Gegenthema, hier die unter Nr. 6 angedeutete mehrfache Art der Engführung mit dem Einsatz bald nach der ersten, bald nach der vierten Note des Themas (vrgl. Takt 93 ff. und 109 ff.), hier ferner die Umkehrung (vrgl. Takt 201 ff.) und natürlich auch reichliche Anwendung des doppelten Contrapuncts. Was man von Matthesons Vorschriften bei Bach nicht ausgeführt findet, ist entweder für den freien, dämonischen Schwung der Fuge unwesentlich, wie die Umkehrung des Themas mit genauer Beachtung der Halbtöne, oder geschmacklos, wie die Verbindung des Thema rectum mit dem contrarium; eine solche Combination würde erst dann Reiz gewinnen, wenn eine Stimme später als die andre einträte. Wohl aber verarbeitet Bach noch ein reicheres Material, als Mattheson praeparirt. So führt er neben dem chromatischen Gegensatze noch ein zweites Contrathema ein


3.

(vrgl. z.B. Takt 135–136 [690] und die motivische Fortspinnung im Folgenden; ferner Takt 293–294, auch Takt 107–108); möglicherweise jedoch ist dergleichen unter Matthesons »u.s.w.« einbegriffen. Man kann nun durchaus nicht sagen, daß alles das, was Mattheson mit dem Thema vorgenommen wissen will, und Bach vorgenommen hat, durchaus selbstverständlich wäre; nur die Einführung des chromatischen Gegensatzes lag nicht fern und findet sich ähnlich mehrfach in Werken jener Zeit21. Also müßte jener wohl die Bachsche Fuge gekannt haben. Hat er das wirklich, so doch sicherlich nicht in der jetzigen Fassung. Es liegt zu nahe, die Bekanntschaft mit der Hamburger Reise in Verbindung zu bringen; auf diese nahm aber Bach schwerlich seine Violinsoli mit, wenn sie überhaupt schon componirt waren, sondern außer Vocalsachen gewiß nur Orgelstücke. Kenntniß der Violinsonaten verräth Mattheson zum ersten Male im Jahre 1737, das obige Fugenthema hatte er schon am 8. October 1727 bei einer Organistenprobe gestellt. Man wird sich auch erinnern, daß an derselben Stelle der »großen Generalbassschule« Thema und Gegensatz der großen Bachschen G moll-Fuge citirt wurden, welche der Verfasser zu einem gleichen Zwecke einst benutzt hatte (s. S. 634). Wahrscheinlicherweise gab es also eine Choralfuge Bachs zu dem Liede »Komm, heiliger Geist, Herre Gott«, die er in Hamburg im Jahre 1720 bekannt gemacht hatte, und welche er dann für die Violinfuge frei verwerthete. So wenig lobenswerth es ist, sich mit fremden Federn zu schmücken, so wäre es doch bei Mattheson nicht unerhört, da er es ja auch nicht über sich gewinnen konnte, Bach als Verfasser der G moll-Fuge zu nennen. Manche Aeußerungen klingen so, als wolle er seine Handlungsweise vor sich selber rechtfertigen, z.B. wenn er das Fugenthema ein leichtes nennt, hervorhebt, daß es einem Choral entnommen sei und die Einführung des chromatischen Gegenthemas mit der Bemerkung begleitet, daß die Fuge auch sonst zu einfältig wäre. Es kommt dabei doch wohl auf die Behandlung an.

Noch zwei Claviersonaten Bachs giebt es, die nicht Uebertragungen von bereits bestehenden Geigencompositionen, sondern [691] Originale vorstellen, welche in die Form der Violinsonate hineingebildet sind22. Wenn ich oben erwähnte, daß Bach als Claviersonaten-Componist Kuhnaus Nachfolger gewesen wäre, so meinte ich diese; von dem Jugendwerke, mit welchem er den Spuren des Verfassers der »biblischen Historien« folgte (s. S. 239 ff.) kann hier natürlich nicht die Rede sein. Nach den vorausgeschickten Erörterungen wird man schon vermuthen, daß etwas nicht unbedeutendes vorliegt, da der Künstler sich hier in seinem eigentlichen Elemente befand. So ist es in der That. Die eine der Sonaten, aus A moll, besteht aus Adagio, Fuge, Adagio und einer vollständigen Suite (Allemande, Courante, Sarabande, Gigue); die andre, aus C dur, enthält Adagio (Lento), Fuge, Adagio und Allemande. Die Form der italiänischen Violinsonate kommt nicht nur in dieser Anordnung, sondern auch besonders im Charakter der Adagiosätze zu Tage, wo die Nachbildung der Geigen-Cantilene und -Figuration auf den ersten Blick klar wird. Aber durch die gleichmäßige Betheiligung, welche der Meister allen Stimmen gönnt, sind die Rechte des Clavierstiles vollauf gewahrt. Die zweite Sonate ist ganz und gar straffe, kräftige Frische, schnell vorübergehend nur werden im zweiten Adagio zartere Klänge wach; die weit ausgeführte vortreffliche Fuge gehört noch mehr in das Gebiet der späteren weimarischen Claviercompositionen. Das Einleitungs-Adagio der ersten Sonate steht dem Clavierarrangement der Violinsonate aus C dur ebenbürtig zur Seite, aber die Stimmung ist viel dunkler: jenes tiefe Weh steckt darin, das an Herbsttagen die Brust durchzieht, wenn in der Waldesstille langsam und geräuschlos die bunten Blätter herabsinken, der Vogelgesang verstummt und die Abendsonne schwermüthig lächelnd über die moosigen Stämme und halbkahlen Zweige spielt. Die darauf folgende Fuge hat im Charakter bedeutende Aehnlichkeit mit dem geisterhaft phantastischen zweiten Satze der Fis moll-Toccate, und viel später als diese wird auch die ganze Sonate nicht geschrieben sein. Der allgemeinen Regel entgegen steht in ihr, wie in der andern, das zweite Adagio ebenfalls in der Haupttonart, die Stimmung des ersten klingt noch deutlich an, hat sich aber zu geringerer Intensität verflüchtigt. Selbst in dem dritten [692] und vierten Takte der Allemande kehrt eine Reminiscenz daran wieder, dann gewinnt eine ernste Lebenskraft immer mehr die Oberhand. Die große Einheitlichkeit des Werkes tritt auch darin hervor, daß die Courante ganz aus dem musikalischen Stoffe der Allemande gemacht ist, ja daß selbst die Anfänge von Sarabande und Gigue ihre Theilnahme daran zu erkennen geben. Unter den vor-Bachischen deutschen Suitencomponisten war es Brauch geworden, die Courante als musikalische Umbildung aus der Allemande hervorgehen zu lassen, und dieser Brauch hängt eng zusammen mit der bei den nordländischen Orgelmeistern beliebten zwei- oder dreitheiligen Fugenform, in welcher dasselbe Thema in veränderter Gestalt immer wieder von neuem durchgeführt wurde. Bei Buxtehudes Orgelcompositionen ist darüber ausführlich gesprochen und auch auf die Analogien mit der Suitengestaltung hingedeutet worden (s. S. 262 ff. und 270 f.). Der rhythmische Contrast, in dem die Courante zur Allemande steht und wiederum die Gigue zur Courante, ist ganz derselbe, in welchem sich die drei Theile von Buxtehudes großer E moll-Fuge befinden. Man kann deutlich sehen, daß außer Froberger die nordländischen Meister es hauptsächlich gewesen sind, welche in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Suite weiterbildeten, weil sie eine specifische Eigenthümlichkeit ihrer Kunst derselben so nachhaltig eingeprägt haben. Noch Walther nennt die Allemande »in einer musikalischen Partie gleichsam die Proposition, woraus die übrigen Suiten, als die Courante, Sarabande und Gigue als partes fließen«23. Auch Händel ist im wesentlichen auf diesem Standpunkte stehen geblieben, namentlich die Suiten der zweiten und dritten Sammlung seiner Clavierstücke zeigen den motivischen Zusammenhang zwischen Allemande und Courante, aber auch in der ersten Sammlung findet er sich und sogar (in der E moll- Suite) bis auf die Gigue ausgedehnt24. Bach hat sich nur in seinen früheren Werken an die Vorgänger angeschlossen, in den drei Hauptwerken steht jeder Suitensatz vollständig für sich. Die Idee der Suitenform verlangt eben eine solche innere Verknüpfung nicht.

Unter den Hauptwerken verstehe ich die drei unter den Namen [693] der französischen Suiten, der englischen Suiten und der sechs Partiten bekannten Clavierwerke. Man darf die Beobachtung aber auch weiter ausdehnen. So, mit unbeträchtlicher Einschränkung, auf die drei übrigen Violinsoli und sämmtliche Compositionen für Solo-Violoncell, mit denen wir hier noch immer zu thun haben. Festzustellen ist nur zunächst, daß Bach in ihnen nur ganz lose an die Italiäner anknüpft, sehr eng dagegen an die Claviersuite, wie sie nunmehr durch Deutsche, Franzosen und endlich durch ihn selbst ausgebildet war. Mehr noch als bei den Sonaten kann man hier von einer Stilübertragung sprechen. Als das Verdienst der Franzosen ist schon die sorgfältige Herausarbeitung des Rhythmus bezeichnet, der bei den Italiänern fast unkenntlich wird, obgleich er bei einer Tanzmusik doch das Wesentlichste ist. Corellis Sarabanden sind oft nichts weiter, als verlangsamte Sicilianos, zuweilen haben sie bis auf den ungeraden Takt alles prägnante abgestreift. Seinen Gavotten fehlt der charakteristische Anfang mit der zweiten Hälfte des geraden Taktes, einmal beginnt sogar eine mit kurzem Vorschlag. Bei den Allemanden ist absolut garkein rhythmischer Typus zu erkennen; eine würdevolle Bewegung, eine polyphone Haltung, manchmal auch nur die letztere im Allegro- oder Presto-Tempo scheint für genügend befunden zu sein. Die alte Courante erhielt, ihrer Etymologie gemäß, durch die Italiäner eine Ausbildung zum Flüchtigen und Eilenden hin, dagegen gaben die Deutschen und Franzosen ihr einen ernsten und nachhaltig leidenschaftlichen Charakter. Aber der italiänische Typus hatte sich in der Kunstübung schon zu fruchtbar erwiesen und zu sehr festgesetzt, insbesondere auf die Bildung der letzten Concertsätze (s. S. 407) einen zu namhaften Einfluß geübt; er ließ sich nicht wieder verdrängen, und so blieben zwei ganz verschiedene Typen neben einander bestehen. Man thut gut, geradeweg zwischen Corrente und Courante einen Unterschied zu machen. Aus der Sucht, das rhythmisch Hervorstechende abzuschleifen, erklärt sich die weitere Neigung eben der Italiäner, die Bestandtheile der Suite mit denen der Sonate und des Concerts zu verflößen. Dagegen haben die Franzosen nicht nur durch schärfste Hervorhebung der contrastirenden Rhythmen zur Entwicklung der selbständigen Suitenform ein sehr Erhebliches beigetragen, sondern auch durch die Geschmeidigkeit ihrer Tongänge, durch die Eleganz und den Reichthum [694] ihrer Verzierungen einen schätzbaren Fortschritt bewirkt. Da dies jedermann willig anerkannte, so meinte freilich die gallische Eitelkeit nun nach allen Seiten in der Suitencomposition musterhaft zu sein. Aber so blind war man glücklicherweise nicht, deshalb die wenigstens eben so großen Verdienste der Deutschen hintanzusetzen, und Mattheson sagt ganz richtig und mit erfreulicher Bestimmtheit: »Es setzen zwar die Franzosen, oder prätendiren vielmehr Couranten aufs Clavier nicht weniger als Allemanden zu setzen, machen sich auch insonderheit mit jenen sehr breit; allein wer die kahle und hackbrettische Klimperei gegen eine tüchtige,nerveuse, vollstimmiggebrochene teutsche Courante halten wird und sonst nicht in praejudiciis stecket, der wird ihrer wahrhaftig sehr wenig achten«25. Er hätte noch mehr sagen können: für die Vereinigung der Tänze zu einem Ganzen haben die Matadore der Franzosen nicht nur nichts gethan, sondern dem Richtigen vielmehr entgegen gearbeitet. Durch die Hinzufügung vieler neuer Tanztypen haben sie der knappen viersätzigen Form weit weniger eine Bereicherung, der sie fähig war, zugeführt, als ihre gesunden Proportionen aus den Fugen getrieben. Marchand bringt in einer Suite aus D moll nach einem Praeludium zuerst Allemande, zwei Couranten, Sarabande, Gigue, dann aber noch eine Chaconne in vier Couplets, eine Gavotte und einen Menuett. Der abschließende Zweck der Gigue ist also entweder unverstanden geblieben oder ignorirt. Bei Couperin gar kann man kaum noch von Suiten sprechen. Die zweite Reihe seiner Pièces de Clavecin enthält (D moll): Allemande, zwei Couranten, Sarabande, ein frei erfundenes Zwischenstück in D dur, Gavotte, Menuett, les Canaries (eine Gigue-Art) mit Variation, Passepied mit Trio, Rigaudon mit Trio, elf freie Stücke abwechselnd in Dur und Moll, ein Rondeau und nochmals ein freies, gigueähnliches Stück zum Schlüsse. Die fünfte Reihe (A dur) besteht aus Allemande, zwei Couranten, Sarabande, Gigue und sechs Rondos mit eingemischten freien Stücken. Er selbst hat trotzdem den Boden der Suite nicht verlassen wollen, weil er immer in demselben Tone bleibt, sogar dort, wo er nicht mit den üblichen Stücken beginnt. Aber es erhellt, daß ihm der Trieb, die Vielheit zu einem Ganzen von wechselseitigen Beziehungen zusammenzuschließen, ganz [695] fehlte. Warum er fehlen mußte, zeigen die Ueberschriften, mit denen Couperin seine Clavierstücke ausstattete, womit er sicherlich einen allgemeineren Gebrauch befolgte oder einführte, wenn ich ihn gleich bis jetzt nur noch bei Gaspard de Roux wiedergefunden habe. Er will bestimmte Persönlichkeiten, ja zusammenhängende Handlungen derselben, oder auch allgemeinere gesellige Vorgänge durch sie illustriren. So finden sich Ueberschriften wie: die Erhabene, die Majestätische, die Arbeitsame, die Spröde, die Finstere, die Gefährliche, individualisirter noch bei den Rondos und freien Stücken z.B. die Florentinerin, die provençalischen Matrosen, die Gevatterin, Nanette, Manon, Mimi, dann einmal ein Stück »die Pilgerinnen« in drei Theilen, von denen der erste die Wallfahrt vorstellt wo es übrigens recht französisch leichtsinnig hergeht), der zweite das Erbitten eines Almosens, der dritte den Dank dafür26. Ein andres dreitheiliges Stück heißt les bacchanales und zerfällt inenjouements bachiques, tendresses bachiques, fureurs bachiques. Selten nur sind es Naturbilder oder irgend welche bewegte Erscheinungen, wie die Wellen, die Bienen, der flatternde Schleier, welche illustrirt werden. Der Schwerpunkt fällt also fast überall aus den Stücken heraus, die musikalische Empfindung ist accessorisch; es ist, kurz gesagt, eine verfeinerte. Art von Balletmusik, das Genre der Orchestertänze aus Lullyschen Opern wird auf dem Claviere fortgesetzt. Das entspricht, wie wir schon bei einer andern Gelegenheit bemerkten (S. 242), dem theatralischen Wesen der Franzosen, hält aber die Thätigkeit des frei wirkenden musikalischen Genius nieder. Im Besondern möge erwogen werden, daß die Franzosen, wenn auch nicht die Allemande, so doch die andern orchestischen Formen theils selbst ausführten, theils täglich auf ihren Theatern ausführen sahen, und schon deshalb dahin kommen mußten, sie mit bestimmten Vorstellungen und Bildern zu verbinden. In Deutschland war das anders; die Höfe äfften freilich auch das französische Ballet nach, aber das Volk blieb glücklicherweise unberührt davon und konnte sich auf den rein-musikalischen Werth der Tanztypen ungestört einlassen.

[696] Aus der stofflichen Abhängigkeit der übrigen Tanzstücke oder wenigstens der Courante von der Allemande, aus dem oben citirten Zeugniß Walthers und Erscheinungen, wie Buxtehudes Suite über den Choral »Auf meinen lieben Gott« (s. S. 125), geht klar hervor, daß die Deutschen ursprünglich die Einheit, welche den verschiedenen Stücken gegeben werden sollte, im Wege der Variationenform zu erreichen suchten. Sie mußten jedoch bald gewahr werden, daß dadurch der charakteristischen Ausbildung der Tanztypen zu schwere Fesseln angelegt wurden, und beschränkten sich nun meist darauf, nur die Courante variationenhaft zu gestalten. War aber das Princip einmal aufgegeben, so konnte auch diese Observanz leicht zu Fall kommen. Sebastian Bach sah, daß die Einheit allein durch innere Mittel hergestellt werden konnte, da die vier Grundtypen schon so glücklich geordnet seien, daß sie einander innerlich bedingten und ergänzten. Deshalb hat er durchaus an ihnen festgehalten und die wenigen Ausnahmen, welche er sich gestattet, bestätigen nur die Regel. Es ist nicht schwer, auch in der Suite das weittragende künstlerische Princip der Dreitheiligkeit herauszuerkennen. Allemande und Courante hängen auch ohne gleichen Gedankenstoffes zu sein eng zusammen. Die Allemande ist durchaus von einer mittleren Stimmung, nicht rasch, nicht langsam, weder ruhig noch aufgeregt, sie trägt, wie Mattheson sagt, »das Bild eines zufriedenen oder vergnügten Gemüths, das sich an guter Ordnung und Ruhe ergötzet«27. Immer steht sie im Viervierteltakt, hat zwei ziemlich gleich lange Theile von durchschnittlich 8 bis 16 Takten und die äußerliche Eigenthümlichkeit, mit einem Vorschlage von einer kurzen Note oder dreien (bei Böhm ein einziges Mal mit sieben, bei Bach mit vier Sechzehnteln) anzufangen. Ihr Harmoniengang ist breit, die Bewegung gern in gebrochenen Accorden und die Oberstimme bunt figurirt. Zu einer gegensätzlichen Wirkung ist dieser Charakter nicht entschieden genug. Er bekommt darum durch die nachfolgende Courante eine Schärfung, die auch, wo sie nicht auf italiänische Art gesetzt ist, doch schon durch den Tripel-Rhythmus einen belebteren Eindruck macht. Typisch sind in ihr außer dem Auftakte, welchen sie sowie die ungefähre Länge der Theile mit der Allemande gemeinsam hat, [697] gewisse durch Mischung von Tripel- und Dupel-Rhythmus hervorgebrachte aufregende Accentrückungen, indem in den 3/2 Takt der 6/4 Takt hineinspielt (regelmäßig am Schlusse der Theile) und umgekehrt. Nach Mattheson drückt die Courante »die Hoffnung« aus, womit er zu viel sagt, insofern ein bestimmter Affect der Instrumentalmusik überhaupt unerreichbar ist, aber im Grunde das Richtige trifft28. Die Allemande bereitet also auf die Courante vor, beide bilden ein Ganzes in ähnlicher Weise, wie Einleitungs-Adagio und Fuge der Sonate. Die Sarabande nun nimmt in der Suite dieselbe Stellung ein, wie das zweite Adagio in der älteren, das Adagio überhaupt in der modernen Sonate. Ihre Bewegung ist ruhig und würdevoll, entsprechend der spanischen Grandezza, die Stimmung ernst und gesammelt. Im ungeraden Zeitmaße gesetzt beginnt sie regelmäßig mit dem vollen Takte, liebt die Betonung des zweiten Takttheils und dessen punktirte Verlängerung oder vollständige Verschmelzung mit dem letzten Takttheile. Ihre Ausdehnung beschränkte sich ursprünglich auf zweimal acht Takte; für den ersten Theil sind dieselben auch später eine selten überschrittene Regel geblieben, der zweite aber wurde auf zwölf, sechzehn und mehr Takte ausgedehnt; zuweilen folgte auch noch ein dritter. Die abschließende Gigue endlich entspricht ganz dem letzten Sonaten- und Concertsatze, an dessen Stelle sie auch oftmals verwendet wird; zur Allemande und Courante wie zur Sarabande tritt sie durch ihr flüchtig gleitendes und hüpfendes, einer nachdenklichen Vertiefung abholdes Wesen in scharfen Gegensatz, in ein heiter belebtes Bild werden die ernstern vorhergehenden Eindrücke zusammengefaßt und der Hörer scheidet in angenehm erregter Stimmung. Ihre Zeitmaße wählt sich die Gigue aus den ungeraden, beweglichsten Taktarten: 12/8 (oder 3. mit Triolen), 6/8, 3/8, doch kommen auch 6/4, 9/8, 9/16, 12/16, 24/16 vor. Die Form ist natürlich zweitheilig, die Länge, wegen der verschiedenen Zeitmaße nach Takten nicht wohl angebbar, den übrigen Tänzen proportional. Durch die italiänische Behandlung einerseits und die deutsche andrerseits nahm sie freilich nicht, wie die Courante, zwei ganz verschiedene Gestalten an, modificirte aber doch ihre Miene. Dort giebt sie sich wesentlich homophon, accordisch begleitet vom Generalbass und den übrigen Instrumenten, [698] hier ist sie polyphon bis zur wirklichen Fugirung ausgebildet. Ein neues Merkmal der formbildenden Hand der nordländischen Meister! Wie sie ihre mehrsätzigen Orgelfugen im Zwölfachtel- oder Sechsachtel-Takt abzuschließen liebten, so gestalteten sie hier das schließende Stück im Zwölfachtel- oder Sechsachtel-Takt fugirt. Und wie sie es waren, die zuerst den Weg thematischer Umbildung mit großer Erfindungskraft verfolgten, so werden wir ihnen auch die seit dem Ende des 17. Jahrhunderts typisch werdende Anlage des zweiten Theils der fugirten Gigue verdanken, in welchem das Thema des ersten Theils in der Umkehrung auftritt. Es liegt aber auf der Hand, daß hierdurch, unbeschadet der Heiterkeit des Ausgangs, doch erst das rechte Gegengewicht gegen die bedeutungsvollen übrigen Tonformen hergestellt, und das Gefäß der Suitenform zur Aufnahme eines reicheren Inhalts nach allen Seiten hin fest und geräumig gemacht wurde. Die fugirte Gigue mit Verkehrung im zweiten Theil wird in den Claviercompositionen Bachs fast ausschließlich angewendet, wogegen Händel fast eben so oft sich der italiänischen Form bedient, in andern Fällen das Thema nicht ohne harmonische Stütze eintreten läßt, und nur ein Mal, in der F moll-Suite der ersten Sammlung seiner Clavierstücke, von einer Umkehrung im zweiten Theil Gebrauch macht. Die Franzosen haben in Ausbildung der Gigue nichts erwähnenswerthes geleistet. – Sollte nun noch, woran bei der Mannigfaltigkeit unverwendeter, pikanter französischer Tanztypen der Gedanke nahe lag, eine Erweiterung dieser in sich vollständigen Form vorgenommen werden, so zeigte sich dazu der Platz zwischen Sarabande und Gigue geeignet. Wie der erste Haupttheil aus Allemande und Courante zusammen gebildet wurde, so konnte auch ohne Störung des Gleichgewichts noch der Gigue etwas vorgeschoben werden, ja je inhaltreicher diese durch den polyphonen Satz wurde, desto mehr konnte bei der gemessenen Gediegenheit der Allemande, dem leidenschaftlichen Streben der Courante, der ruhigen Würde der Sarabande jenes Bedürfniß nach leicht geschürzten munteren Zwischenstücken entstehen, welches der modernen Symphonie zu ihrem Menuett und Scherzo verholfen hat. So kam man denn darauf, je nach Verhältniß eines auch wohl zwei und drei solcher Stücke einzuschieben, zu welchem Zwecke sich die Gavotten, Passepieds, [699] Menuette, Bourrées und andere darboten29. Ob der Anstoß hierzu von französischer oder deutscher Seite ausging, wird die Specialforschung festzustellen haben. In den Suiten von Dieupart und Grigny, welche Bach sich abschrieb, und die um 1700 entstanden zu sein scheinen, finden sich je zwischen Sarabande und Gigue eine Gavotte und ein Menuett eingesetzt (s. S. 199). Und in Deutschland gab Johann Krieger im Jahre 1697 sechs Partien heraus »bestehend in Allemanden, Couranten, Sarabanden, Doublen [d.i. Variationen eines Tanzstücks] und Giguen nebst eingemischten Bourréen, Menuetten und Gavotten«. In jedem Falle trieb die Franzosen ihr theatralischer Sinn bald vom rechten Wege ab. War aber einmal die Aufnahme solcher Zwischenstücke entschieden, so konnten sie mitunter auch freier verwendet werden, und wie sich in Beethovens späteren und spätesten Werken wohl das Scherzo vor dem Adagio findet, ist bei Bach einige Male vor der Sarabande eine Gavotte und ein Passepied, oder ähnliches anzutreffen. Vergleichen wir nunmehr Suiten- und Sonatenform in Hinsicht auf ihren allgemeinen Werth, so erscheint eine Bevorzugung der letzteren nicht gerechtfertigt, man wird beide als gleich vollkommen neben einander belassen müssen. In der Sonate ist der innere Zusammenhang insofern enger, als durch einen in fremder Tonart stehenden Satz ein Element des Widerspruchs eingemischt wird, von dessen Ausgleichung die ganze Existenz des Kunstwerks abhängt. Mit der Unerbittlichkeit eines Causalnexus drängt diese Form vorwärts, ihr Charakter ist die Bewegung, das Pathos. Die Suite hat nichts widersprechendes in sich zu überwinden, sie stellt auf dem Boden einer und derselben Tonart eine einträchtige, vernünftig gegliederte Mannigfaltigkeit dar; ihr Charakter ist die Ruhe, das Ethos. Die von Bachs Zeiten an wachsende Vorliebe für die Sonate entspricht dem in der deutschen Instrumentalmusik nunmehr stärker hervortretenden Zuge nach subjectivem und leidenschaftlichem Ausdruck, der entschiedeneren Hinneigung zum Poetischen, während in der Suite eine naivere, reiner musikalische [700] Kunstanschauung sich äußert. Demgemäß sind die Bestandteile der Sonate von Künstlern erfunden, die der Suite aus der Naturkraft der Nationen herausgeboren. Die Suite ist trotz der Vielheit ihrer Sätze dennoch der Sonate gegenüber das Einfache; sie ist nur ein in vielen Facetten geschliffener Stein, die Sonate ein aus mehren Steinen bestehender Ring. So konnten die Suitensätze auch niemals eine solche Ausdehnung gewinnen, wie die der Sonate; eine Entwicklung, wie sie von hier aus zur Symphonie stattfand, war dort unmöglich. Aber wie auch die Sonate bei einer Ausbildung über drei Sätze hinaus, da sie ja doch einmal Instrumentalmusik ist, des Suitenprincipes nicht entrathen konnte, beweist die Einführung des Menuetts oder Scherzos, das mit Anfangs- und Schlußsatz dieselbe Tonart zu theilen pflegt. In den Satzverhältnissen beider Formen leuchtet die allgemeine künstlerische Logik ein. Je strenger aber der rein musikalische Charakter ausgeprägt ist, desto unbeschränkter entscheidet über die Zweckmäßigkeit der formellen Gestaltung im Besondern das unmittelbare Gefühl. Ist also schon die Notwendigkeit in der Zusammenfügung der Sonatensätze für jeden einzelnen Fall ein schwer zur Evidenz zu bringendes Ding, so steigert sich bei der Suite diese Schwierigkeit. Die Kunstforderung bleibt trotzdem bestehen, und das fleißige Studium der Meisterwerke dieser Gattung ist auch deshalb so sehr bildend für den musikalischen Geschmack, weil es zur Erfassung der feineren und feinsten Grade des Angemessenen und der Innigkeit in dem Verhältnisse zwischen Theil und Ganzem wie kaum ein andres Mittel hinanführt.

Es ist noch übrig, in das Einzelne der Violin- und Violoncell-Suiten einen Blick zu thun. Die drei Violinpartien entsprechen im Charakter ungefähr den drei Sonaten, mit denen zusammen sie der Meister zu einem Werke vereinigte. Er hat den Gegensatz zwischen beiden Kunstformen gleichsam als künstlerisches Motiv benutzt, indem er je auf eine Sonate eine Partie folgen ließ. Alle drei haben merkwürdigerweise eine unregelmäßige Bildung. In der H moll-Partie zieht jeder Satz eine Variation wie seinen Schatten hinter sich her. Daß die Einfügung der Variation in die Suite eine Nachwirkung des Bestrebens war, die der Allemande folgenden Tanztypen ganz zu Variationen derselben einzuschmelzen, ist eine naheliegende Vermuthung. Jedenfalls kommt dies schon früh vor, z.B. in einer trefflichen [701] Fis moll-Suite Christian Ritters (Kammerorganistens zu Dresden von 1683–168830, später schwedischen Capellmeisters), wo der Sarabande zwei Variationen angehängt sind, in einer Partie Johann Ernst Pestels (geb. 1659), wo dasselbe geschieht, und, ganz wie bei Bach für alle Tanzstücke, in den Violinsuiten des WaltherschenHortulus chelicus (z.B. Nr. XX und XXIII). Mit Maß angewendet hatte ein Verfahren nichts bedenkliches, das den Gehalt eines Tonstückes dem Hörer nachdrücklicher zu Gemüthe führte und demselben gewissermaßen einen stärkern Resonanzboden unterschob, nur durften die Grundverhältnisse darunter nicht leiden, und die Zahl von zwei Variationen möchte das höchste Maß des Zulässigen bezeichnen31. Bach hat sich fast immer mit einer begnügt. Da er in der H moll-Partie den Variationen-Gedanken an allen Theilen zur Ausführung bringen wollte, konnte er als Schlußsatz die Gigue nicht wohl brauchen, denn sie läßt sich schlecht variiren. Er wählte statt dessen die Bourrée, einen Tanztypus von leichtem, gefälligem und etwas nachlässigem Charakter (3. mit Auftakt, ziemlich rasche, glatte Bewegung), der aber hier einen Anstrich von derber Lustigkeit erhalten hat und erst im Double mehr zu sich selbst zurückkehrt. Im Uebrigen verdient es Bewunderung, wie scharf trotz der beschränkten Mittel das Eigenthümliche der Typen herausgearbeitet ist; am schwersten war es wohl bei der Allemande, die harmonischen und polyphonen Reichthum mit bunter Figuration der Oberstimme verbindet. Der Courante in französisch-deutscher Form ist als Variation eine in italiänischer gegenüber gestellt, welche wild und unaufhaltsam vorüberschießt. Gewichtig und stolz in drei- und vierstimmiger Harmonie kommt hinter ihr die Sarabande hergezogen. – Die zweite Partie, in D moll, hat die gewöhnlichen vier Sätze. Bei dem raschen Tempo der Gigue kann natürlich dem einzelnen Instrumente kein fugirter [702] Stil zugemuthet werden; diese hier ist durchaus einstimmig, bringt aber durch die Art Her Passagen doch das Gefühl von harmonischer Fülle hervor. Es folgt nun noch eine Ciacone. Sie ist länger als alle übrigen Theile der Partie zusammengenommen, kann daher nicht als letzter Satz derselben, sondern nur als angehängtes Stück gelten; die eigentliche Suite ist mit der Gigue beendigt. Beliebt war die Einmischung einer Ciacone bei den Franzosen, aber in etwas anderer als der uns bis jetzt bekannten Gestalt. Man pflegte nämlich in Claviersachen Ciacona und Passacaglio sehr viel freier zu behandeln. Entweder wurde gar kein Grundthema angenommen, sondern nur eine Anzahl viertaktiger, gleich rhythmisirter Sätze im Dreivierteltakt an einander gereiht, wo denn die Kunst darin bestand, dieselben immer belebter und überraschender zu erfinden; so ist eine Ciacone in Muffats Apparatus musico-organisticus beschaffen. Oder es wurde ein viertaktiger Hauptsatz mit Reprise aufgestellt und zwischen einer beliebigen Menge selbständiger Perioden (Couplets) jedesmal einfach wiederholt; so pflegten es Couperin und Marchand zu machen, aber auch Muffat liefert in dem genannten Werke einen Passacaglio nach diesem Schema. Die Form geht damit ganz ins Rondo hinüber und selbst den wesentlichen Dreivierteltakt hält Couperin nicht immer fest: das einzig Auszeichnende ist noch die etwas würdevollere Bewegung. Bach hat von dieser Rondoform insofern angenommen, als er mehre Male, besonders in der Mitte und am Ende mit großem Effect, auf die acht Anfangstakte zurückkommt und inzwischen neue Gedanken einführt, andrerseits ist er in der gründlichen Durchführung der Hauptgedanken wieder bei der alten, tiefsinnigen Form verblieben. Hier paßt denn überall auf seine Behandlungsweise die früher (S. 276 f.) zur Unterscheidung vom Passacaglio gegebene Definition; eine freie Behandlung der Themen war auch um so mehr nöthig, als ja eine einzige Geige alles allein ausführen sollte. Eine Disposition des Ganzen wird nicht unerwünscht sein, da die Töne der Themen in dem Gewinde der Figurirung oft durch verschiedene Octaven zerstreut und deshalb in ihrem Zusammenhange nicht immer leicht kenntlich sind. Das erste und hauptsächliche lautet:


3.

[703] wird einmal durchgeführt, dann folgt mit Takt 17:


3.

Rondoartig, aber in neuer Ausstattung, kehrt das erste Thema einmal wieder, das zweite, das bald in Sechzehntelfigurationen geschmeidig hineingeschlungen wird, zweimal. Das dritte, von Takt 49 an, tritt in einfacher Gestalt nicht auf, würde sich aber ungefähr so ausnehmen:


3.

wobei zu bemerken, daß die Terzenschritte auch zu Decimen erweitert oder in Sexten verkehrt werden. Dies wird viermal durchgeführt, dann kehrt (Takt 81), immer figurirt, das zweite zurück und vermittelt in seinem zweiten Theile eine neue Erscheinung des ersten32, so wie dieses in derselben Weise einen vierten Gedanken vorbereitet, der mit Takt 97 voll anhebt:


3.

und bis Takt 121 durchgeführt wird; dann treten, genial in einander verschlungen, alle vier Themen abschließend herzu, das dritte in dieser Gestalt:


3.

in sausende Zweiunddreißigstel und Sechzehntel aufgelöst mit vier Takten, darauf das erste breit und wuchtig, wie am Anfange, ebenfalls [704] mit vier Takten, endlich mit vier Takten das zweite und vierte zusammen, so daß jenes in der Oberstimme, dieses mit seiner von Takt 113 an erlittenen Umbildung in der untersten liegt. Bei Gavotten, Menuetten, Bourrées und so auch bei den Chaconnen waren trioartige Gegensätze beliebt; ein solcher erscheint auch hier jetzt in D dur mit einer Umbildung des dritten Themas, die man aber wegen ihrer selbständigen Behandlung als fünftes auffassen muß:


3.

Von 133–209 wird es großartig und in immer freierer Weise, zuletzt einzig durch Festhaltung des Grundrhythmus variirt, dann kehrt das Moll wieder, in dem alle fünf Themen von neuem bearbeitet werden: bis 229 das dritte, bis 237 das fünfte (in der von Takt 161 erhaltenen Umbildung) mit dem zweiten combinirt, bis 241 das vierte, bis 249 noch einmal das dritte, schließlich krönt das erste in seiner Anfangsgestalt die in jeder Beziehung ungeheure Entwicklung. Der Hörer steht dieser Ciacone gegenüber wie einer elementaren Erscheinung, welche in ihrer unbeschreiblichen Großartigkeit entzückend, begeisternd wirkt und zugleich schwindelerregend und sinnverwirrend. Der überfluthende Gestalten-Reichthum, aus wenigen kaum bemerkbaren Quellen sich ergießend, verräth sowohl die genaueste Kenntniß der Violintechnik als die absoluteste Herrschaft über eine Phantasie, wie sie colossaler wohl niemals ein Künstler besessen hat. Man bedenke: das alles ist für eine einzige Geige geschrieben! Und was läßt einen dieses winzige Instrument erleben! – von der ernsten Größe des Anfangs an durch die nagende Unruhe des zweiten Themas zu den dämonisch auf- und abwärts jagenden Zweiunddreißigsteln, welche die Gestalt des dritten düster umhüllen; wieder von jenen zitternden Arpeggien, die kaum merklich sich regend wie Wolkenschleier über finsterer Bergschlucht hängen, die aber der stärker herwehende Wind nun zusammentreibt und dicht geballt mit Brausen in die Baumkronen hineinpeitscht, daß sie sich ächzend hierhin und dorthin neigen und abgerissene Blätter umherwirbeln, bis zu der feierlichen Schönheit des D dur-Satzes, wo der Abendsonnenschein sich ins Thal senkt: golden fließt es durch die Luft, golden ziehen die [705] Wellen des Stroms und werfen das Bild der Himmelskuppel zurück, der majestätischen, ins Unermeßliche aufragenden! Der Geist, des Meisters beseelt das Instrument zu den unglaublichsten Aeußerungen; am Schlusse des Dur-Satzes strömt es wie Orgelklang, zuweilen glaubt man wenigstens einen ganzen Chor von Geigen zu hören. Wer die musikalischen Gedanken einmal abstract betrachtet, wird glauben, das Instrument müsse bersten und brechen unter dieser riesigen Wucht, und vieles davon würde sicherlich selbst den Klangmassen der Orgel und des Orchesters gewachsen sein. Diese Ciacone ist ein Triumph des Geistes über die Materie, wie er sich glänzender noch nicht wiederholt hat. Viel ist man in neuerer und neuester Zeit bemüht gewesen, das kostbare Material auch für andere Instrumente umzuschmelzen. So wenig ästhetisch bedenklich dies ist – hat doch Bach durch seine eignen Ueberarbeitungen den Weg gewiesen33 – so sicher bedarf es aber auch einer Meisterhand zur glücklichen Ausführung, und es war keine zu geringe Aufgabe für zwei der größten Musiker der Neuzeit, Mendelssohn und Schumann, eine angemessene Pianofortebegleitung zu der Ciacona zu erfinden. Die mächtige Wirkung zeigt, wie intensiv und ausgiebig der Originalstoff ist. Doch hat Schumann, der bekanntlich sämmtliche sechs Violinsoli in dieser Weise bearbeitete, sowohl den allgemeinen Musik-Gehalt weit tiefer erfaßt, als auch die Ciaconen-Form insbesondere, durch genauere Verfolgung der Entwicklung von Periode zu Periode, klarer ins Licht gesetzt. Die Furcht, dadurch einen zerstückelten Eindruck hervorzurufen, wäre eben so unbegründet, als sie es beim Vortrag einer vollständigen Suite sein würde. Denn das Suitenprincip ist es, welches auch den Organismus dieser Ciacone belebt. Hier wie dort das Nebeneinndaer verschiedener Sätze und Satzgruppen auf dem Boden derselben Tonart, hier wie dort trotz allem Stimmungswechsel, aller Leidenschaftlichkeit als vorherrschender und jedem sich unmittelbar eröffnender Zug die ungestörte Einheit, die Ruhe. Und so hätte der Ciacone Verbindung mit der Suite endlich doch wohl noch einen tieferen Sinn, nämlich den, zwei gleich gestaltete Formen zu einem höheren Ganzen [706] zu verbinden, und damit der ihnen innewohnenden Idee die größtmögliche Steigerung zu Theil werden zu lassen. – An der Spitze der dritten Partie (E dur) steht ein unablässig in Sechzehnteln bald laufendes, bald arpeggirendes ungemein frisches Praeludium. Die Claviersuiten mit einem Praeludium einzuleiten, war nichts seltenes. Daß hier eine Stilübertragung stattgefunden hat, wird durch des Componisten eignes Thun bezeugt, der später den Satz, für obligate Orgel mit Orchester arrangirt und nach D dur transponirt, als Instrumentaleinleitung einer Rathswahlcantate von 1731 voranschickte34. Auf das Praeludium folgt weder Allemande, noch Courante, noch Sarabande, alle drei Formen fehlen in dieser Suite ganz. Bach hat einmal ganz frei nach dem Princip der Gegensätzlichkeit gestaltet, was er sonst nur noch in seinen Orchestersuiten sich erlaubte, wo er ein historisches Recht dazu besaß. So tritt denn zunächst im gemessenen Sechsvierteltakt eine Loure auf, eine ins Besonnene und Gemüthvolle hinüberspielende Nebenart der Gigue35. Sodann in Rondoform eine Gavotte, mit ihrer jauchzenden, den Boden stampfenden Fröhlichkeit ein echtes Stück ur-Bachischer Derbheit. Zwei Menuetten stehen ungefähr an Stelle der Sarabande, zierlich und würdevoll der erste, zart und anmuthig schwebend der zweite, Männlein und Fräulein. Zwischen ihnen und der endigenden Gigue ist noch eine Bourrée eingeschoben. Diese letzte Partie bedeutet in dem Gesammtwerke der sechs Soli etwa das, was die Gigue in der Einzelsuite: ihr heller Frohsinn läßt von der dämonischen Größe der übrigen kaum noch etwas merken; den Zusammenhang der Stimmungen vermittelt aber das Schluß-Allegro der C dur-Sonate.

Auch bei den sechs Compositionen für Violoncell allein36 drängt sich die Wahrnehmung eines Gesammtcharakters auf, welcher von dem des Violinwerkes in demselben Maße verschieden ist, wie die Instrumente an Ausdrucksfähigkeit einander entgegengesetzt sind. Die leidenschaftlich vordringende Energie, die oftmals zum Unheimlichen [707] gesteigerte innere Gluth ist hier einer ruhigeren Pracht und meist wohlthuenden Großartigkeit gewichen, wie sie die tiefere Stimmung, der gesättigtere Ton des Instrumentes nahe legten. In demselben Verhältniß, wie dort die Molltonarten vorherrschten (4:2), überwiegen hier die Durtonarten; während dort die Hälfte aus Sonaten bestand, werden hier nur Suiten geboten; während dort jede der Suiten in der Form verschieden war, stimmen sie hier sämmtlich auf das genaueste überein. Jedesmal beginnt ein mächtiges Praeludium, das aus breiten Arpeggien und wuchtigen Passagen kühn gewoben ist, ja in der fünften Suite hat Bach gar eine vollständige Ouverture im französischen Stil an diese Stelle gesetzt, deren düster-imposantes Adagio mit seinen langen Orgelpunkten über C und G vielleicht das einzige Beispiel bietet, wo Bach die chromatische Tonleiter durch zwei Octaven als Passage angewendet hat. Regelmäßig folgen darauf Allemande, Courante, Sarabande, und vor der abschließenden Gigue je zwei Intermezzi, die in den ersten beiden Suiten (G dur und D moll) aus Menuetten, in der dritten und vierten (C dur und Es dur) aus Bourréen, in den beiden letzten (C moll und D dur) aus Gavotten bestehen. Die durchaus conforme Anlage beweist auch, daß die letzte Suite mit den übrigen als Eins gedacht ist, und deshalb begreifen wir sie ohne weiteres unter die Violoncellsoli mit ein, obwohl sie für die von Bach erfundene Viola pomposa componirt ist. Der große Tonumfang, den dieses Instrument eröffnete, mag neben anderem ein Grund für die ausgezeichnete und ganz eigenartige Schönheit des Werkes sein und es muß auf das lebhafteste beklagt werden, daß mit dem Wiederverschwinden dieser Viola auch die Möglichkeit, die ihr bestimmte Suite originalgetreu zu hören, verschwunden ist37. Da Bach das Instrument selbst ersann, wird er es und auf ihm die Suite auch wohl selbst gespielt haben; man darf dies um so eher annehmen, als ihm überliefertermaßen ja auch die Spielart der Bratsche ganz geläufig war. Die technischen Schwierigkeiten derselben gegen die der Violinsoli abzuschätzen, darf ich mir als Laie nicht erlauben, doch scheinen sie höchst bedeutend zu sein. Für das Violoncell hatte er jedenfalls in dem Gambisten Abel einen Mann, der ihm mit technischen [708] Rathschlägen zur Hand gehen konnte und für den vermuthlich die Suiten auch geschrieben sind. Ihr Werth ist ebenfalls ein sehr hoher; die Entschiedenheit, mit welcher die Tanztypen ausgeprägt sind, stellt sie fast über die Violinsuiten, die unerschöpfliche Erfindungsfülle ist ihnen mit diesen gemeinsam. Ein einziges Mal, in der C dur-Suite, wird die Courante aus der Allemande entwickelt; es ist dies die Einschränkung, mit der oben (S. 694) ein zusammenfassendes Urtheil abgegeben wurde. Auch auf den großartigen Aufbau der C moll-Courante, die sich über einem taktweise aus der Tiefe emporsteigenden und im zweiten Theile eben so langsam wieder absinkenden Tonleitergange hinbewegt, sei als auf eine hervorstechende Merkwürdigkeit aufmerksam gemacht. –

Die Art, in welcher Bach Violine und Violoncell als allein stehende Instrumente behandelte, mußte sich natürlich ändern, sobald durch Hinzutreten eines andern, stützenden Instruments alle die Kunstmittel zur Verdeutlichung der Harmonie fort fielen, die, mochten sie mit noch so meisterlicher Geschicklichkeit gehandhabt werden, doch nicht immer den Schein des Gezwungenen ganz fern halten konnten. Die gebräuchlichsten Verbindungen waren die eines, oder zweier beziehungsweise dreier Streichinstrumente mit dem Flügel, jenes nannte man Solo, dieses Trio, was insofern nicht ganz consequent war, als beim Trio der Streichbass, wenn er überhaupt zugezogen wurde, nur den Cembalobass verstärkte, beim Solo aber ein accompagnirendes Cembalo stillschweigend mitverstanden wurde. Das Geschäft des Begleiters war ein secundäres; er hatte nur den Hintergrund herzustellen, auf dem die andern Stimmen sich bewegen könnten, deshalb zeichnete man auch seinen Part nicht vollständig auf, es genügten die über der Bassstimme durch Ziffern angegebenen Harmonien, welche zu einem lücken- und fehlerlos fortgesetzten Gewebe aus dem Stegreif verbunden werden mußten. Bach schloß sich dieser Sitte an, doch nicht ohne sie von seinem Standpunkte aus zu modificiren. Ein in bloßen Accordfolgen sich fortschiebender Satz, dessen Bedingungen ganz außerhalb desselben lagen, entsprach zu wenig seinem überall nach organischer Einheit trachtenden Kunstsinne. Der Basso continuo hatte seit dem Anfange des 17. Jahrhunderts, wo ihn der Italiäner Ludovico Viadana zum ersten Male bei ein- und mehrstimmigen Vocalsachen anwendete, bis auf Bachs Periode [709] in allen Gattungen der Kunst – denn es gab kaum eine nennenswerthe, in der er ganz fehlte – einen überaus fördernden Einfluß geübt: alle Tonkräfte hatten sich mit einer freien Sicherheit zu geben und zur Geltung zu bringen gelernt, die ohne ihn schwerlich so und jedenfalls nicht in so auffallend kurzer Zeit erfolgt wäre. Aber das höchste Ziel war nun doch auch, sich entweder von dieser Stütze ganz los zu machen oder durch emsigste Pflege sie selbst zum Ausschlagen und zu so fröhlichem Wachsthum zu bringen, daß sie die an ihrem Stamme emporrankenden Pflanzen übergrünte, durch ihre Zweige umhüllte und mit sich Eins werden ließe. Die gesammte Kunstentwicklung drängte auf den zweiten Weg. Bach übertrug den polyphonen Clavierstil auch auf dieses Gebiet und so ist seine Schreibweise für die vom Cembalo gestützten Instrumente wohl eine weniger fremdartige, als bei den eben besprochenen Solocompositionen, aber doch wieder eine nicht ausschließlich durch deren innere Natur, sondern durch das bereits ausgebildete Wesen Bachscher Polyphonie bestimmte, wenn man will, orgelgemäße.

Es ist von Wichtigkeit, über die Bachschen Grundsätze in Ausführung des Accompagnements zur größtmöglichen Klarheit durchzudringen, weil dieser üppige Zweig damaliger Kunstpraxis jetzt ganz abgestorben ist und doch auf seiner richtigen Wiedererweckung ein wesentlicher Theil der Möglichkeit beruht, die Bachschen Kunstwerke für unsere Zeit ganz zugänglich zu machen. Vor allem sind – wir reden hier zunächst nur von Kammermusik – zwei Fälle zu unterscheiden. Ueber die Gewohnheit der Zeit hinaus hat Bach grade in seinen vorzüglichsten Werken das Clavier obligat behandelt. Diese Werke sind fast durchaus strenge Trios, wirkliche dreistimmige Sätze, zu denen das Clavier zwei Stimmen, eine Geige, Gambe oder Flöte die dritte liefert; ein einziges Largo giebt sich als Quatuor, in dem dann das Clavier drei Stimmen übernimmt. Der harmonische Hintergrund ist fast ganz aufgelöst. Nur wenn zur Eröffnung eines Satzes oder einer neuen Durchführung im Satze das Thema von dem concertirenden Instrument über dem stützenden Basse zum ersten Male vorgetragen wird, sollen, um es mit allseitiger Bestimmtheit hinzustellen, füllende Accorde angeschlagen werden. Bach, der es beim Nieder- oder Ausschreiben seiner Werke mit der Bezifferung meist sehr genau nahm und dazu um so mehr Grund hatte, je weiter [710] seine Praxis, wie es hier der Fall war, von der gewöhnlichen abwich, läßt uns über diese Absicht durch seine eignen Handschriften nicht im Zweifel. Außerdem finden sich noch wenige zerstreute Stellen, und zwar immer solche, in denen das concertirende Instrument über dem nackten Cembalobasse notirt ist, welchen ein paar leicht ausfüllende Accorde zugedacht sind; das ist dann durch Bezifferung angedeutet oder mit einem Worte gefordert und kennzeichnet sich dadurch genügend als Ausnahme. Im Allgemeinen aber wird eine harmonische Ergänzung durch den bewunderungswürdig belebten, perfecten dreistimmigen Satz nicht nur überflüssig, sondern gradezu unmöglich gemacht, wenn anders nicht die Schönheit der Linien gründlich verdorben werden soll. Wo einmal eine Stimme zur Mehrtonigkeit erweitert wird, geschieht dies, einen vereinzelten volleren Accord nicht gerechnet, in durchaus organischer Weise und wird in der Clavierstimme so genau aufgezeichnet, wie in der Violinstimme. Es ist der Freiheit des Kammerstils und dem trocknen, unwirksamen Cembalo-Tone zuzuschreiben, wenn überhaupt ein Satz nicht von der ersten bis zur letzten Note nur dreistimmig ist. Bachs Ideal war dies wenigstens; man sieht es mit aller erforderlichen Deutlichkeit aus den sechs großen Orgelsonaten für zwei Manuale und Pedal, welche uns für später noch zu betrachten bleiben und formell ganz mit den meisten Kammertrios übereinkommen, man hat es bereits aus den dreistimmigen Clavier-Sinfonien gesehen, und wie wir diese als einzig in ihrer Art preisen durften, ist auch die accompagnirte Violinsonate durch Bach in einer Weise idealisirt, die einen Vergleich mit andern, auch den besten, Zeitgenossen von vornherein unmöglich macht38.

Es fehlen nun aber auch solche Compositionen nicht, in denen der allgemeinen Sitte gemäß das Cembalo nach einem bezifferten Basse zu begleiten hat. Noch am Ausgange des 17. Jahrhunderts war nicht selten eine dreistimmige Begleitung genügend erschienen, in der folgenden Periode aber die vierstimmige zur allgemeinen Regel erhoben, die, um der Klangarmuth des Cembalo abzuhelfen, noch beliebig verdoppelt werden konnte39. Daß auch Bach vollstimmig [711] zu begleiten liebte, ist uns durch mehre seiner Schüler ganz sicher bezeugt. Natürlich schließt das nicht ein beständiges Arbeiten mit vier oder mehr Stimmen ein; sondern giebt nur die Durchschnitts-Beschaffenheit an, denn zu einem guten Begleiter gehörte es, sich in jedem Augenblicke nach Form und Ausdruck des betreffenden Tonstückes zu richten40. Johann Christian Kittel, einer der letzten Bachschen Schüler (geb. 1732), giebt eine interessante Schilderung, wie es in Leipzig bei den Proben zu einer Cantate unter des Meisters Direction zuzugehen pflegte: Es »mußte allemal einer von seinen fähigsten Schülern auf dem Flügel accompagniren. Man kann wohl vermuthen, daß man sich da mit einer magern Generalbassbegleitung ohnehin nicht vorwagen durfte. Demohnerachtet mußte man sich immer darauf gefaßt halten, daß sich oft plötzlich Bachs Hände und Finger unter die Hände und Finger des Spielers mischten und, ohne diesen weiter zu geniren, das Accompagnement mit Massen von Harmonien ausstaffirten, die noch mehr imponirten, als die unvermuthete nahe Gegenwart des strengen Lehrers«41. Hier trat das Talent des Improvisirens, das Bach in so erstaunlichem Maße besaß (s. S. 640 f.), in sein Recht ein. Am meisten Raum war ihm gegenüber einem Solo gewährt. »Wer das Delicate im Generalbass und was sehr wohl accompagniren heißt recht vernehmen will,« sagt sein Leipziger Freund Mizler, »darf sich nur bemühen, unsern Herrn Capellmeister Bach allhier zu hören, welcher einen jeden Generalbass zu einem Solo so accompagnirt, daß man denket, es sei ein Concert und wäre die Melodey, so er mit der rechten Hand machet, schon vorhero also gesetzet worden«42. Und in noch helleres Licht stellt Bachs Kunst, polyphon zu begleiten, die Ueberlieferung Heinrich Gerbers, der unter seiner Anleitung das Generalbassspiel an den Bässen der Albinonischen Violinsoli hatte üben müssen, und dieselben »nach Bachs [712] Manier« so ausführte, daß der Sohn »besonders in dem Gesange der Stimmen unter einander nie etwas vortrefflicheres gehört« haben wollte, und meinte, das Accompagnement sei schon an sich so schön gewesen, daß keine Hauptstimme etwas zu dem Vergnügen, welches er dabei empfunden, hätte hinzuthun können43. In etwas können auch wir noch die Wahrheit des Gerberschen Urtheils bestätigen. Zu einem kleinen Menuett einer Flötensonate in C dur44 ist das vollständig ausgeschriebene eigne Accompagnement Bachs erhalten, und in der That wie ein selbständiges Stück beschaffen. Es ist, der zarten Natur des Menuetts gemäß, meistens dreistimmig, die Oberstimme gleitet in graziösen Achtelgängen dahin, markirt immer die Hauptschritte der Melodie und schwingt sich im Uebrigen frei über sie weg oder unter ihr her. Sodann giebt es eine italiänische Cantate mit ausgeführtem Accompagnement für deren letzte Arie, das man, da die Singstimme in lückenlosem melodischen Zuge hinströmt, nicht eigentlich obligat nennen kann, obgleich eine gewisse Sechzehntelfigur darin vielfach durchgeführt wird. Beide Hände sind hier in contrapunctirenden Passagen, in Arpeggien und vollgriffigen Accorden unausgesetzt in Thätigkeit und die Begleitung würde fast überladen erscheinen, wenn nicht eben die Tonarmuth des Cembalo sie rechtfertigte45. Solchen Thatsachen gegenüber kann man sich des niederschlagenden Gefühles nicht erwehren, daß eine gänzlich dem Sinne Bachs genügende Ausführung seiner Instrumentalsoli mit beziffertem Basse für uns jetzt unmöglich geworden ist. Hätte jedoch der Meister seine Art der Begleitung für die Gesammtwirkung als wesentlich erachtet, so würde er auch hier eine obligate Clavierstimme hingeschrieben haben. Er ließ sie aber mit einfachem Generalbass durch seine Schüler unter die Leute verbreiten, er mußte also alles, was für einen vernünftigen Spieler nöthig ist, ausgedrückt zu haben glauben, und wir dürfen uns damit trösten, daß also auch ein ganz einfaches Accompagnement seinen Intentionen nicht zuwider gewesen ist.

Je mehrstimmiger aber ein Satz wurde, desto weniger Spielraum [713] blieb für die freie Improvisation. Bei der großen Kunst und Vorliebe, mit welcher Bach den dreistimmigen Satz behandelte, muß man überzeugt sein, daß schon beim Trio mit beziffertem Basse nichts zur notwendigen Ergänzung übrig blieb. Und ein glücklicher Umstand liefert dafür den unumstößlichen Beweis. Ein Trio für zwei Flöten und Cembalo ist vom Componisten später zu einer Sonate für Gambe und obligates Clavier umgeändert46. Beide Male liegen die Autographe vor. Zu der ersten Fassung ist die Bassstimme sorgfältig beziffert, zu der zweiten findet sich von einer Bezifferung auch nicht die leiseste Andeutung. Es leuchtet ein, daß dann im ersten Falle das Accompagnement unmöglich sehr selbständig gewesen sein kann, daß sein Zweck nicht sowohl der einer harmonischen Ergänzung, als einer Vermittlung der verschiedenen Klangkörper war. Sollte einmal das Cembalo den Bass vertreten, so mußte zwischen dessen sprödem, kurzem Tone und der saftigen Fülle der Flöten oder in andern Fällen der biegsamen Eindringlichkeit der Geigen ein gewisses Gleichgewicht hergestellt werden; dies war nicht nöthig, sowie das Cembalo zwei Stimmen übernahm und dadurch in die Tonlage des andern Instruments hinübergriff. Die Vierstimmigkeit des Accompagnements ist durch einen von des Meisters besten Schülern, Johann Philipp Kirnberger, bezeugt, der zu einer Trio-Sonate desselben ein solches ausführte, und es deutlich als den Willen Bachs hinstellte47. Dasselbe schließt sich durchaus dem Gange der aufgezeichneten Stimmen an, verdoppelt sie mit Hinzufügung eines vierten Tones oder giebt nach der Grundregel, daß beim Accompagnement die Hände sich nicht zu weit von einander [714] entfernen sollen48, ihre Harmonie in anderer Lage; von eigenmächtigem Gebahren ist nirgends eine Spur. Bach selbst mag hierin manchmal anders gehandelt haben. Seinem harmonischen Scharfsinne gefiel es zuweilen, wenn ihm jemand ein Trio vorlegte, zu den drei Stimmen eine durchgehende vierte zu extemporiren, und was er bei fremden Sachen that, konnte auch wohl bei den eignen geschehen. Aber dies waren mehr die Wirkungen guter Laune und eines freudigen Kraftgefühls, ebenso wie er wohl aus einer bloßen Bassstimme ein vollständiges Trio oder Quatuor abspielte, oder aus drei neben einander gelegten Stimmen ein unbekanntes Stück ohne Anstoß zusammenlas49. Regel blieb das einfach stützende vierstimmige Accompagnement. Der Klangcharakter des Cembalo sorgte schon dafür, daß die Linien der Hauptstimmen nicht verwirrt noch verwischt wurden. Zu diesem Geschäfte ist der moderne Flügel weit weniger angemessen und erfordert doppelte Vorsicht und Discretion.

In den Concerten nun gar und Orchestersuiten folgt die Begleitung durchaus den Harmonienwendungen der ausgeschriebenen Stimmen, welche sie sich nach Bedürfniß vereinfacht. Die durchgehenden, Neben-und Wechselnoten bleiben gewöhnlich unberücksichtigt, die Ausführung geschieht in der mittleren Tonlage, so daß in jeder Hinsicht nur die Darstellung des harmonischen Kerns die Aufgabe des Begleiters bildet. Bei fugirten Stellen pflegte man in älterer Zeit, wo die Contrapunctirung so sehr viel einfacher war, jedesmal die Stimme, welche das Thema hatte, mit wirklichen Noten über dem Continuo anzudeuten, ja von Bach selbst existiren noch zwei Clavierfugen, die mit Hülfe der Bezifferung nur auf ein System geschrieben und freilich auch im Verhältniß zu seinen übrigen von sehr einfacher Beschaffenheit sind50. Sonst aber pflegt er auch bei Fugen alles, was er von der Begleitung verlangt, mit bewunderungswerther[715] Deutlichkeit durch die Ziffern auszudrücken, so daß noch jetzt jeder einigermaßen in die Kegeln des Generalbassspiels eingeweihte Musiker ohne Mühe einen fließenden Tonsatz daraus herzustellen vermag, in jener Zeit aber ein an Bachs Schreibweise gewöhnter Begleiter den Continuo ganz leicht und fehlerlos ausführen konnte. Seine Schreibweise war allerdings in vielen Punkten abweichend und dem eignen Stile angepaßt, er forderte von seinen Schülern, daß sie dieselbe. etwa so wie die Musikschlüssel, richtig lesen lernten. So notirte er, um bei den vielen durchgehenden Bassnoten seiner Compositionen jeden Zweifel über die zugehörige gemeinsame Harmonie auszuschließen, dieselbe immer mit Ziffern, welche von dem ersten Tone des betreffenden Notencomplexes aus berechnet waren, mochte derselbe dissonirend sein oder nicht; die Harmonie blieb dann liegen bis zur nächsten Bezifferung oder bis die Wendung dem Ohre eine Auflösung in den Dreiklang anzeigte51. In Betreff der Bachschen Clavierconcerte mit Orchester ist es merkenswerth, daß hier die Generalbass-Begleitung auf einem zweiten Flügel ausgeführt, der erste also ganz als Soloinstrument angesehen wurde52. In den Kammermusikwerken für Gesang wurde noch bei den Ritornellen der Arien, die allein zum Cembalo gesungen werden, eine besondere Anforderung an den Begleiter gestellt, insofern hier eine ganze Periode auch melodisch zu gestalten und abzurunden war. Gewöhnlich ließ sich das Material dazu aus der folgenden oder vorhergehenden Gesangsmelodie entnehmen. Zuweilen lag es jedoch im Basse selbst, dann war es die Aufgabe, in den Oberstimmen eine richtige und fließende Contrapunctirung vorzunehmen.

Resultat ist also, daß Bach bei obligater Behandlung des Claviers dem freien Accompagnement bis auf wenige, ganz bestimmte Fälle garnichts zu thun übrig ließ, daß er bei Ausführung eines bezifferten Basses einem Soloinstrumente oder einer Solostimme gegenüber [716] seinem Improvisationstalente nachzugeben liebte, ausnahmsweise nur bei Trios oder reicher gewobenen Tonstücken, daß er überall aber, wo er bloße Bezifferung vorschrieb, eine correcte vierstimmige Ausführung derselben für genügend hielt. Vom dreistimmigen Satze aufwärts sind seine Harmonien keiner Ergänzung mehr bedürftig, der Zutritt des Cembalo dient alsdann nur noch der Zusammenschmelzung des Tonmaterials. Seine Bedeutung wird aber dadurch um nichts geringer. Dem äußeren Blicke fast entzogen, bestimmt es dennoch dynamisch das ganze Kunstgebilde, denn seinem Wesen sind die concertirenden Instrumente assimilirt, nicht umgekehrt. Es bleibt die verborgene Wurzel, welche dem Stamm die Säfte zuführt. Diese Wurzel aber wird größtentheils wiederum durch den Orgelquell getränkt. Dadurch rechtfertigt sich der Hauch von Fremdartigkeit, der für uns auch über dieser Kammermusik liegt und eine freilich schnell erreichte Gewöhnung fordert, weil eben grade dasjenige, was Cembalo und Orgel gemeinsames hatten, dem zu substituirenden modernen Flügel fehlt. Was nun in der Kammermusik das orgelbeeinflußte Cembalo bedeutet, genau das ist in der Kirchenmusik die Orgel selbst und alles was von der Begleiterrolle jenes Instrumentes gesagt wurde, gilt unter den genannten Verhältnissen ausnahmslos von diesem. Daß der Stil von Bachs Kirchencompositionen bis in alle seine Specialitäten aus der Orgelmusik hervorgegangen ist, haben wir an früherer Stelle nachgewiesen. Um das Gefühl davon unablässig wach zu erhalten war das unausgesetzte Eingreifen dieser die disparaten Elemente beherrschenden und zusammenhaltenden Macht nothwendig, wie denn auch sie allein noch im Stande war, eine wirkliche Kirchenmusik herzustellen. Und darum ist es eben so bedeutungsvoll wie zugleich selbstverständlich, daß Bach, obgleich schon damals unter der Autorität der Italiäner auch in die Kirchen das accompagnirende Cembalo sich einzudrängen suchte, unverrückt zum Generalbassspiel dennoch nur die Orgel verwendete. Man nehme sie hinweg und dem Tonwerke ist die Seele entzogen, ein Automat bleibt übrig. Entscheidende Belege dafür, daß Bach die Sache so ansah, sind auch hier drei von ihm selbst aus Kirchencantaten für die Orgel allein arrangirte Sätze, zwei dreistimmige und ein vierstimmiger, welche in den Cantaten, wo sie aus Singstimmen und Instrumenten über einem Continuo gebildet sind, [717] eine Generalbass-Begleitung haben, während sie als Orgelstücke ganz frei dastehen53. Natürlich änderte sich die Beschaffenheit des Accompagnements nach dem Charakter des Instrumentes, auf saubern vierstimmigen Satz wurde noch strenger gesehen, die vollgriffigen Verdopplungen des Cembalos waren ausgeschlossen, weil durch Registrirung herstellbar. Aber eine Theilnahme der Art, daß der Orgel auch das Speciell-Wesentliche für jedes einzelne Musikstück anvertraut gewesen, und somit Bachs gesammte Kirchenmusik uns nur skizzenhaft überliefert wäre, hat nicht stattgefunden. Es war genug geschehen, wenn die Orgel die allgemeine Ausdrucksweise bestimmt hatte, als mitwirkendes Instrument blieb sie secundär, die Hauptsachen wurden in Notenschrift aufgezeichnet54.

Von Sonaten für Violine und obligates Clavier vereinigte Bach wiederum sechs zu einem Ganzen. Das Jahr ihrer Entstehung oder Vollendung läßt sich nicht genau ermitteln, doch meldet eine sehr zuverlässige Ueberlieferung, daß sie in Cöthen geschrieben wurden55. Den Verhältnissen nach ist von drei Sonaten für Gambe und Clavier und eben so vielen für Flöte und Clavier dasselbe äußerst wahrscheinlich. Die Vergleichung dieser drei collectiven Werke zeigt aber mit überraschender Klarheit, wie sehr Bach, obschon er nicht zunächst aus der Idee einer Geige, Gambe, Flöte heraus schuf, dennoch auf dieselben Rücksicht nahm, so daß, den allgemeinen Stil einmal abgerechnet, in der That der Charakter eines jeden jener Instrumente hell und deutlich durch die ihnen bestimmten Compositionen zurückgespiegelt wird. Die Violinsonaten sind sämmtlich durchzogen von dem Hauche jener gesunden Männlichkeit, die, wenngleich der verschiedensten Schattirungen fähig, doch immer der Grundcharakter der Violine bleiben muß. Zu [718] diesem gemeinsamen Zuge kommt die Uebereinstimmung der Gesammtform, welche, mit einziger Ausnahme der letzten Sonate, die schon bekannte viersätzige ist. Mit der bei den Solosonaten gegebenen Beschreibung der Einzelformen reichen wir aber hier nicht mehr aus; nicht umsonst hatte Bach die Violinsonate in sein eigenstes Gebiet hinüber gezogen. Zu so kühnen Dimensionen erweiterte er theilweise den Bau der einzelnen Sätze, daß er mit ihnen fast über ein Jahrhundert hinüber neben die voll ausgebildeten Formen der Beethovenschen Sonate tritt. Der Hauptfortschritt besteht in der Benutzung der italiänischen Arienform und deren genialer Verschmelzung mit dem fugirten Kammerstil; dadurch wird die Dreitheiligkeit mit derselben Entschiedenheit, ja fast noch entschiedener hervorgekehrt, als im Beethovenschen Sonatensatze, auch das Verhalten der Theile zu einander ist dasselbe, indem der dritte den ersten repetirt, der zweite meisten- und größtentheils gegebenen Stoff verarbeitet; nur insofern bleibt ein Unterschied bestehen, als der neuere Sonatensatz sich aus der zweitheiligen Lied- oder Tanzform, der ältere aus der Fuge entwickelte und demgemäß dort das homophone, hier das polyphone Wesen mit seinen Consequenzen vorherrscht. Es wurde oben schon erwähnt, daß die gegenseitigen Beziehungen der einzelnen Sätze der älteren Sonate, wenn man das erste Adagio als Einleitungssatz auffaßt, von denen der neueren Sonate nicht weiter verschieden sind. Wie nun hier das erste Allegro den eigentlichen Typus des dreitheiligen Organismus abgiebt, so auch meistens bei Bach; für das letzte Allegro pflegt er, wie es allgemein Brauch war, nun auch seinerseits die zweitheilige Tanzform zu benutzen, und combinirt mit ihr die Fugenform in nicht minder bewunderungswürdiger Weise. Daß er von hier aus nicht zu jener ausgeführten Beethovenschen Dreitheiligkeit fortschritt, geschah weil die zweitheilige Form mit Repetition die freie Entfaltung seines Stils zu sehr hemmte. In der Ausdehnung jedoch, wie sie bei Philipp Emanuel Bach und meistens auch noch in den Claviersonaten Haydns und Mozarts als erster Sonatensatz angewendet wird, war sie ihm längst geläufig, hierauf wurde schon bei der E dur-Invention hingewiesen, und der Solosatz für Cembalo in E moll aus der letzten der Violinsonaten ist ein ganz vollendetes Muster der Art. Neue Instrumentalformen sind überhaupt in der nach-Bachischen Zeit garkeine [719] mehr geschaffen, nur Modifikationen der schon vorhandenen und von Bach mit Meisterschaft cultivirten fanden noch statt, und die Summe aller Umbildungen des nachfolgenden Jahrhunderts erreicht noch lange nicht die Anzahl der Formen, welche er allein zur Vollendung brachte.

Die sechs Violinsonaten stehen in H moll, A dur, E dur, C moll, F moll, G dur56 und sind trotz ihrer übereinstimmenden Anlage von einer staunenswerthen Verschiedenheit. Die erste wird durch ein Adagio im 6/4 Takt eröffnet, gleich breit und prachtvoll in Melodie wie Harmonie. Trotz seines vorbereitenden Charakters hat es doch eine ganz geschlossene Form, indem erstens sowohl ein bestimmtes Bassmotiv, als ein und dieselbe schwankende Achtelbewegung durch das ganze Stück festgehalten wird, zweitens der von Takt 13 bis 20 in der Dominante erscheinende Abschnitt von Takt 24 bis 31 in der Haupttonart wiederkehrt, wonach dann die letzten Gänge auf den Anfang des Satzes zurückdeuten, so daß die beiden Haupttheile je zwei Unterabtheilungen haben, welche sich chiastisch entsprechen 3.. Dann folgt ein kräftiges fugirtes Allegro in dreitheiliger Arienform; im zweiten Theile (Takt 41–101) zeigt Bach seine in der Schule der Nordländer erworbene hohe Kunst motivischer Entwicklung des im ersten streng durchgeführten Themas; der dritte Theil ist die unveränderte Wiederholung desselben. Niemals tritt im Beginn dieser Fugensätze das Thema ohne unterstützenden Bass auf, eine aus dem italiänischen Kammerstile herübergenommene Freiheit, die schon bei den Clavier-Sinfonien ihre Erwähnung fand. Nun das zweite, das eigentliche Adagio, hier Andante in D dur, ein wunderholdes, wie aus lauter Blumenketten gewobenes Stück, und von einem Organismus, wie ihn kein Beethovensches Adagio tadelloser besitzt; besonders verdient Beachtung, mit welch feinem Kunstgefühl das zart-innige Seitenthema nach Wiederkehr des Hauptthemas in der Unterdominante erscheint (Takt 22 ff.). Den Beschluß macht ein zweitheiliger Satz mit Repetitionen, fugirt, doch so, daß das Thema gleich mit zweistimmiger Contrapunctirung auftritt; sein Charakter ist trotzig und herausfordernd, man sehe außer dem[720] vortrefflich erfundenen Thema die plötzliche Wendung auf die Dominante am Schlusse des ersten Theils, die kühne Einführung des Sextaccordes von C dur dicht vor dem Ende. Die zweite Sonate, jetzt wohl die bekannteste unter den sechsen, hebt mit einem Satze im 6/8 Takt an, welcher aus einem eintaktigen Thema, nachher in Verbindung mit einem flüsternden Sechzehntelmotiv (aus Takt 8), sehr zart gesponnen wird. In markigen Gegensatz dazu tritt das herrlicheAllegro assai 3/4. Die Form ist wie in der H moll-Sonate, der letzte Theil die genaue Wiederholung des ersten, die Beschaffenheit des mittleren aber eine andre. Hier tritt nämlich (Takt 30–33) ein neuer Gedanke auf, den alsbald das Hauptthema ablöst, so daß nun eine Durchführung in der früher beschriebenen Form des Concertsatzes entsteht; endlich entwickeln sich aus dem neuen Gedanken breite Violinarpeggien, zu ihnen spinnt über einem mächtigen Orgelpunkte von 19 Takten der Flügel das Hauptthema motivisch aus und schwingt sich dann in den dritten Theil hinüber. Von dem allbekannten, tiefsinnigen und melodieschönen Fis moll-Canon sei nur erwähnt, daß seine zwei Abschnitte sich ungefähr umgekehrt zu einander verhalten, wie die des ersten Satzes der H moll-Sonate: die viertheilige Anfangsperiode führt nach Cis moll, und beginnt dort gleich von neuem, weiß aber durch Einschiebung eines Mittelgliedes und Wiederholung des zweiten schon hier nach Fis moll zurück zu gelangen; nach Abschluß ertönt dann der innig-wehmüthige Anfang noch einmal wie ein Nachklang entschwundener Zeiten und bereitet mit einem Halbschlusse das letzte Presto vor. Es ist zweitheilig und fugirt, doch arbeitet der zweite Theil vorzugsweise sein eignes Thema durch und nimmt erst am Ende das erstere in neckischen Engführungen wieder auf. Von der dritten Sonate der erste Satz läßt die Geige frei und gesangreich schweifen über einem mit gewohnter Consequenz durchgeführten Begleitungs-Motive; der zweite stimmt formell mit dem der A dur-Sonate überein, nur wird die Wiederholung des dritten Theils abgekürzt. An dritter Stelle findet sich ein Adagio in Cis moll von ergreifendstem Ausdruck. Es ist eine Ciacone mit 15maliger Wiederholung des Bassthemas, außerdem hat aber Bach auch in den Oberstimmen ein selbständiges Thema durchgeführt und dem Ganzen genau die zu größeren Proportionen erweiterte Form des Fis moll-Canons [721] gegeben, zu welchem dies Adagio überhaupt wohl das Gegenstück bilden sollte. Der letzte Satz ist nicht zwei- sondern dreitheilig, im Mitteltheile wieder concertmäßig ausgeführt, seine Repetition eine vollständige. An der Spitze der vierten Sonate begegnet uns als Largo ausnahmsweise ein Siciliano, ganz in Leid und Klage getaucht, im Beginne übereinstimmend mit der berühmten H moll- Arie der Matthäus-Passion »Erbarme dich, mein Gott, um meiner Zähren willen«. Ein ungemein kraftvolles und kerniges Allegro reißt aus dieser Stimmung empor: der reichste und breiteste Satz seiner Art in der gesammten Sonatensammlung. Die große Gedankenfülle trieb hier zur Erweiterung auf vier Theile, indem dem dritten noch ein zusammenfassender Epilog angehängt wurde (Takt 89–109), auch ist jener (55–89) durchaus nicht bloße Repetition, sondern mit großer Freiheit umgebildet und mehr noch als der zweite Theil (Takt 34–55) Schauplatz interessanter motivischer Hervorbringungen. In schöner Ruhe, warm und mild wie ein Sommerabend, zieht das Es dur-Adagio vorüber; zu einem einfachen Triolen-Accompagnement ertönt der Geige Gesang, sinnend sich unterbrechend und dem eignen Echo lauschend, erst gegen Ende in einen vollen Empfindungsstrom gesammelt. Ein von Bachischer Arbeitsfreudigkeit beseeltes zweitheiliges Allegro macht den Schluß; auch hier hat der zweite Theil seine eigne Fugirung. Es folgt die fünfte Sonate, eingeleitet von jenem Largo, das allein vier reale Stimmen verwendet. Schon dadurch besonders hervorgehoben, ist es auch sonst eins der machtvollsten Stücke der Sammlung und unter den Bachschen Kammermusikwerken überhaupt. Der dreistimmige Clavierpart ist so selbständig, daß man ihn fast durchweg auch allein spielen kann, die Geige redet hinein bald in abgebrochenen Sätzen, bald im breitesten – es ist 3/2 Takt – und scheinbar unendlichen melodischen Ergusse. Und weit entfernt, in dem Organismus ein fremdartiges Element zu bilden, erhebt sie diesen vielmehr auf eine edlere Stufe, keine seiner wirkenden Kräfte schädigt sie, allen nur giebt sie eine gemeinsame höhere Richtung – gleichsam die musikalische Nachbildung eines ewigen Naturprocesses. Hundert und acht Takte gliedern sich in vier scharf begränzte Theile, deren erster auf der Durparallele schließt (T. 37); der zweite, imitatorisch und motivisch weitergehend, gelangt nach C moll (T. 59), der dritte greift in dieser [722] Tonart auf den ersten zurück, doch mehr nur um ihn in Erinnerung zu bringen, kommt dann davon ab und erst als (T. 88) wieder in die Haupttonart eingelenkt wird, folgt im vierten Theil eine wirkliche Repetition, welche abkürzend Anfang und Ende des ersten Theiles an einander fügt. Das Thema, aus welchem ausschließlich der Claviersatz gewirkt ist:


3.

findet sich unmerklich abweichend in einer achtstimmigen Motette wieder: »Komm, Jesu, komm, gieb Trost mir Müden, Das Ziel ist nah, die Kraft ist klein«57, und nahe verwandt sind auch die Stimmungen. Eine nicht stürmische, aber unermeßlich tiefe Sehnsucht nach Erlösung und Frieden lebt in dem Satze, und spannt endlich mit einer solchen Allgewalt ihre Flügel aus, als ob sie alle irdischen Bande zu sprengen gewillt wäre. Stellen, wie Takt 90 ff. waren es auch besonders, welche befruchtend in Schumanns tief empfindende Brust fielen und von dort neue, herzerquickende Blüthen, wie das Andante seines Clavierquartetts, hervortrieben. Die Allegrosätze folgen in umgekehrter Reihe, der zweitheilige steht an zweiter, der dreitheilige an vierter Stelle, zwischen ihnen ein Adagio in C moll, das jenen träumerischen, nur auf harmonische Entwicklungen gegründeten Clavierpraeludien nachgebildet wurde: die Geige streicht in langsamer Achtelbewegung zweistimmige Accorde an, denen durch arpeggirende Sechzehntel der abwechselnden Hände größere Fülle gegeben wird58. – Die letzte Sonate weicht, wie gesagt, in ihrer Gesammtform wesentlich ab. Zunächst zählt sie fünf Sätze, drei langsame werden von zwei schnellbewegten eingerahmt, indem der erste Allegrosatz am Schlusse wiederholt werden soll. Es giebt kein zweites Beispiel einer solchen Formerweiterung unter Bachs Werken, und doppelt auffallend ist sie an einer Composition, die mit fünf andern, durchaus unter einander gleichgestalteten ein Gesammtwerk auszumachen bestimmt war. Künstlerische Gründe können es kaum gewesen sein, die grade an dieser Stelle eine solche Unregelmäßigkeit [723] hervorriefen; ich glaube eher an persönliche, im Leben des Componisten gegebene Motive, für deren Erforschung jedoch jede sichere Handhabe fehlt. Uebrigens waltet in der Form die höchste künstlerische Vernunft: den Kern des Organismus bildet, auch dem Gehalte nach, der dritte Satz: Cantabile, ma un poco Adagio (G dur), um ihn ziehen die beiden andern Adagiosätze, E moll und H moll, und weiter hinaus die Allegros ihre concentrischen Kreise. Alle sind von ganz eigener Beschaffenheit und mit sichtbarer Vorliebe geschrieben. Im ersten, dreitheiligen, Satze eilen Sechzehntelgänge unaufhörlich geschäftig auf und nieder, lockende, neckende Rufe tönen herüber und hinüber; es ist als sähe man in eine fröhlich wimmelnde Menschenmenge. Der ernste zweite Satz, Largo, ebenso wie der schmerzlich verlangende vierte, Adagio, sind mit weiser Ueberlegung kurz gehalten, um das Herz des Ganzen nicht zu beklemmen. Dieses, ein weit ausgeführtes Stück im 6/8 Takt und in vollentwickelter dreitheiliger Form, ist durch eine seltsame, bräutliche Stimmung ausgezeichnet; ein süßer Duft und, was bei Bach höchst selten sich findet, ein Hauch schöner Sinnlichkeit umschweben es. Auffallen muß schon die weitläufige Ueberschrift, dergleichen der Meister sonst zu verschmähen pflegt; dann aber entwickelt sich ein verständnißinniger Verkehr der beiden Oberstimmen unter einander, ein Austausch wie von Mund zu Munde, ein Verschmelzen beider zu einem Gedanken über einem nur stützend thätigen Basse, welches alles von dem sonstigen Triostile Bachs ganz abweicht. Und eben so einzig ist es auch, daß nicht alle drei Stimmen zusammen endigen: die Claviermelodie verstummt schon zwölf Takte vor dem Schlusse, während die Violine die gesammte melodische Partie des Eingangs über dem Generalbasse noch einmal zu Gehör bringt. Zur Rechtfertigung der »bräutlich« genannten Stimmung diene der Hinweis auf gewisse Arien in Bachschen Hochzeitsmusiken, vor allem auf die A dur-Arie der später für das Pfingstfest umgearbeiteten Cantate »O ewiges Feuer, o Ursprung der Liebe«59, sodann auf die G dur-Arie der Cantate »Dem Gerechten muß das Licht immer wieder aufgehen«60. Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß es [724] mir nicht einfällt, aus dieser Stimmung Schlüsse auf die Lebenslage Bachs zu ziehen, in welcher das Adagio entstanden sein könnte. Aber Dinge, die ihn persönlich nahe berührten, haben sicherlich eingewirkt; man erkennt es auch daraus, daß er in späteren Jahren, unbefriedigt durch die Gesammtform der Sonate, ihren Bestand zweimal, das letzte Mal noch am Abend seines Lebens veränderte, und daß keine dieser Aenderungen glücken wollte: bekanntlich lassen sich vorwiegend subjective Erzeugnisse mit dem vorrückenden Lebensalter schwerer und schwerer umformen. Ich wenigstens kann nicht finden, daß durch die Umarbeitungen, von denen die erste zwei, einer Clavierpartite bestimmte Tanzgebilde einmischt, die zweite dagegen an dritter Stelle gegen allen Brauch einen zweitheiligen Sonatensatz für Cembalo allein auftreten und diesem zwei ganz neue Schlußsätze folgen läßt, die Form irgendwie vervollkommnet werde, so schön die letztgenannten drei Sätze an sich sind. Der Mittelpunkt, das G dur-Adagio, ist in beiden Fällen herausgenommen, vielleicht weil es dem großartigen Kunstgefühle des Schöpfers mit der Zeit wegen seiner persönlichen Haltung nicht mehr behagte; dadurch aber mußte der ganze Bau ins Wanken gerathen61. –

Die Gambe war ein fünf- und mehrsaitiges Instrument, das an Umfang der Bachschen Viola pomposa ungefähr gleichkam – der tiefste Ton war D, der höchste ā – sich aber wesentlich von dieser dadurch unterschied, daß es Quarten- und Terz-Stimmung hatte und außerdem wie das Violoncell zwischen den Knieen gehalten wurde. Es gewährte also eine große Mannigfaltigkeit für die Tonbildung, der Grundcharakter war aber weniger markig als zart und empfindsam. Deshalb konnte Bach ein Trio, das anfänglich für zwei Flöten und Continuo gesetzt war, ohne Schädigung seines Grundcharakters für Gambe und obligates Cembalo umarbeiten62. Es ist diese viersätzige Sonate in G dur das lieblichste, reinste Idyll, [725] das sich erdenken läßt; nur in dem hochromantischen Andante (E moll) flüstert es leis und schaurig wie von schwach bewegten Blättern in Waldesnacht, und ein gespenstisches Tönen zieht bang durch die stillen Gründe (das genial erfundene viertaktige e der Gambe), sonst ist überall der blaueste Himmel, wohliger, fröhlicher Sonnenschein. Im letzten Satze, einer Fuge von jener ganz Bachischen, kräftigen Anmuth, treten zwischen die einzelnen Gruppen der Durchführung nach Corellischem Muster leicht und reizend gewobene Episoden, nach welchen jedesmal der unerwartete und doch so natürliche Eintritt des Themas doppelt erfreulich wirkt. Eine Vereinigung dieser Sonate mit den beiden andern zu einem Collectivwerke hat der Tonsetzer nicht vorgenommen und wie es scheint auch nicht beabsichtigt, da von zweien die sehr sorgfältigen Einzelautographe vorhanden sind. Die zweite Sonate (D dur) steht an Werth etwas zurück, und ist sogar im ersten Allegro nicht von einer gewissen Steifheit frei63. Hingegen ist die dritte (G moll) wieder ein Werk von höchster Schönheit und frappantester Eigenart64. Sie hat nur drei Sätze, wie ein Concert, und an der Bildung der Allegros hat auch die Concertsatzform einen sehr wesentlichen Antheil. Das erste Allegro beginnt wohl in Sonatenmanier, aber das lange, an motivischem Stoff reiche Thema läßt sofort eine freiere Entwicklung voraussehen. In der That erfolgt gar keine fugengemäße Fortführung in der Dominante, sondern eine reicher ausgestattete Wiederholung in der Tonika, dann motivische Arbeit bis zum Abschluß des ersten Theils (T. 25). Zur Einleitung des zweiten dient zunächst nur eine fugenartig beantwortete Partikel des Hauptthemas, bald schließt sich jedoch ein halbtaktiges, neues Motiv an (T. 30):


3.

Notiren wir dazu gleich noch den mit Takt 53 auftretenden viertaktigen Satz:


3.

[726] so haben wir mit dem Hauptthema das gesammte Material, aus dem sich von nun an der ganze Verlauf rein concertmäßig entwickelt. Demnach ist auch von einem dritten Theile keine Rede mehr; ohne Rast und Ruh, unablässig sich aus sich selbst verjüngend, jagt es vorüber. Wenn man fast bei jedem neuen Bachschen Werke über die schier unerschöpfliche Phantasiefülle zu staunen gezwungen ist, so zeigt dieses noch im besonderen, einer wie scharfen Charakterisirung der Bachsche Stil trotz seiner polyphonen Beschaffenheit fähig war. Hier ist eine Composition von magyarischem Temperament: auf wilden, feurigen Rossen saust es über die Haide, wie Peitschenhiebe pfeifen die ungestümen Nebenmotive, jetzt fallen die Tongestalten klirrend in eine verminderte Septimenharmonie und arbeiten sich unter hellem Triller einer Oberstimme hindurch, jetzt vereinigen sie sich im Hauptthema zum wuchtigen, vom Tonsetzer so selten angewendeten Unisono, unter dessen Gestampf der Boden erdröhnt. Der unwiderstehliche Schwung, welcher durch immer neue und unerwartete Impulse die Bewegung bis zum Aeußersten zu steigern weiß, ist ungefähr derart, wie man ihn allgemein an den Weberschen Ouverturen bewundert. Wie sehr Bach selber durch ihn fortgerissen wurde, zeigt außer den häufigen Unisonos der 64. Takt, in dem das Grundthema in der Clavierstimme plötzlich dreistimmig auftritt, die Gesammtharmonie also vierstimmig wird, und dann der colossale Schluß (von T. 95 an), wo die Schaar der Töne sich tumultuarisch aus einer verminderten Septimenharmonie in die andre stürzt. Auf die Zartheit des Gambencharakters ist in diesem Satze allerdings keine Rücksicht genommen, sondern nur auf den großen Tonumfang und die Beweglichkeit des Instruments. Ein herrliches Adagio in B dur (3/2 Takt) befriedigt das melodische Bedürfniß durch einen weihe- und seelenvollen Gesang, aus dessen Beginn eine Ahnung Beethovens verständlich entgegenklingt. Auch das letzte Allegro gießt ein Füllhorn schönster Melodien aus und leistet zugleich das Außerordentlichste [727] in der Erzeugung neuer Gedanken aus und an einem gegebenen Stoffe, was man jetzt die Kunst der thematischen Arbeit zu nennen pflegt; wir haben zum Unterschied von der fugirten Durcharbeitung eines unveränderten Themas dafür von Anfang an den Ausdruck: motivische Gestaltung eingesetzt. Mit Ausnahme des Anfangs beherrscht wieder die Concertform das Ganze. Das Thema


3.

wird zweimal durch alle Stimmen durchgeführt und schließt in B dur. Hier bildet sich aus seinem ersten Takte eine sanftklopfende Figur für den Cembalobass, über der die Gambe eine ganz neue, innige Melodie anstimmt, während die rechte Hand in Sechzehnteln gebrochene Harmonien ausführt, dann in F dur mit der Gambe die Rollen tauscht. Nachdem das Hauptthema einmal wieder dazwischen getreten ist, wird nun jene Sechzehntel-Begleitungsfigur motivisch ausgesponnen, dazu tritt abermals eine neue, gleich reizende Melodie auf (T. 37–55). Dann folgt thematische und motivische Durcharbeitung des Hauptthemas und Einführung des ersten Seitensatzes in D moll, dem ein dritter Gedanke, wetteifernd an charakteristischer Anmuth, als Gegenmelodie gegeben ist (T. 69–79). In die Cadenz der Periode setzt, C moll, eine vierte Durchführung des Hauptthemas ein, leitet nach G moll zurück, wo (T. 90) unter gleicher Begleitung, wie beim ersten Seitengedanken nun ein vierter in der Gambe auftritt, der nach einer fünften Thema-Durchführung auch im Clavier erscheint und abschließt. So treibt hier am Schafte des Themas eine Blüthe die andre hervor in einer nicht nur für die Zeit bewunderungswerthen Weise; auch in der Beethovenschen Periode, die dem veränderten Instrumentalstil gemäß der motivischen Arbeit mehr als der thematischen zugewendet sein mußte, wird man schwerlich etwas geistvolleres und erfindungsreicheres in dieser Art aufzeigen können. Bach beherrschte die motivische Kunst eben so unbedingt, wie die thematische; während seine Vorgänger die erstere oft bevorzugten, erfahren bei ihm beide die gleiche Verwendung und ergänzen und heben unablässig einander. –

Die Flötensonaten sind ebenfalls im Ganzen wie im Einzelnen sehr stark von der Concertform beeinflußt, zum Theil sogar gänzlich [728] in sie eingegangen. Dreisätzig sind alle, die Es dur-Sonate ist Concert vom ersten bis zum letzten Takte65. Die Form wird im ersten Satze noch etwas schüchtern gehandhabt, die Sonate mag deshalb unter die ersten Versuche gehören, ein Trio in dieser ganz neuen Art zu construiren. Mittelsatz (Siciliano) und Schluß-Allegro sind vollendet, der weiche, wohllautende Gesammtausdruck stimmt so recht zu dem Charakter der Flöte. Es war diese Empfindungsweise, welche den Werken Philipp Emanuel Bachs und seiner Nachfolger ihr gemeinsames Gepräge verlieh. Joseph Haydns Claviersonaten wurzeln großentheils in ihr, ja bis zu Mozart läßt sie sich verfolgen, weil sie eben die allgemeine Signatur der Zeit bildete. Die hohen und hehren, strengen und tiefen Gewalten in Sebastian Bachs Musik zu erfassen, war das nachlebende Geschlecht nicht fähig, aber in einer den Verhältnissen angemessenen Art wußte es doch auch sich aus diesem musikalischen Urborn zu tränken. Unscheinbar ist freilich nur die Verbindung zwischen Bach und Haydn, aber sie besteht doch, und nicht die Es dur-Sonate allein deutet sie an. Dieselbe Stimmung durchzieht eben so gleichmäßig und stark eine Sonate in G moll, die in ihrer jetzt vorliegenden Gestalt für Violine und Cembalo bestimmt ist, sicherlich aber vom Componisten ebenfalls für Flöte gedacht und mit der Es dur-Sonate zu gleicher Zeit verfaßt wurde: so durchaus bis ins Einzelste übereinstimmend ist auch die Factur66. Und unter den späteren Werken tritt der Zusammenhang – ich rede immer nur von Haydns Claviermusik – noch einmal überraschend hervor in dem großen Orgelpraeludium, durch welches der dritte Theil der Clavierübung eingeleitet wird67, ein vollgültiger Beweis, daß jenes Empfindungselement im Innern von Bachs Natur begründet war. Auch von der Flötensonate in A dur68 ist der erste, leider nur verstümmelt erhaltene Satz ganz concerthaft geformt, natürlich nicht so, daß Clavier und Flöte je ein nur ihnen gehöriges Thema hätten, das sie [729] gegen einander durchführten; nur das allgemein musikalische Princip hat, wie auch schon in der Es dur-Sonate, Bach hier acceptirt. Der frische, kernige Schlußsatz, dieses Mal die Krone des Ganzen, hat dagegen dreitheilige Form; sein Mitteltheil zerfällt wieder in zwei Gruppen: Fis moll (T. 53–118) und E dur (T. 118–209), in welchen das Hauptthema mit je einem neuen Gedanken in meisterlicher Weise concertirt; eine geistreichere, überraschendere Art, ins Thema zurückzukommen, als sie T. 160–166 zu finden ist, läßt sich kaum denken. Bei weitem am höchsten unter den dreien steht aber die H moll-Sonate, ja, ihre großartig freie Formenschönheit, ihre Tiefe und nach allen Seiten hin überquellende Innigkeit erhebt sie wohl zu der vorzüglichsten Flötensonate, welche überhaupt existirt. Unter den Werken späterer großer Meister findet sich kein in seiner Art ebenbürtiges; und dem Charakter eines Instrumentes, das allerdings weich und wohlthuend, aber verglichen mit der Geige und verwandten Tonwerkzeugen doch nur von mäßigem Ausdrucksvermögen ist, entspricht es auch vollkommen, daß es sich mit dem äußerlich gleichmäßigen, aber von Innen überall nach Ausdruck drängenden Bachschen Stile am innigsten verschwisterte. Der erste Satz ist dreitheilig in breitesten Proportionen. Aber von seinen sonstigen Gepflogenheiten in Gestaltung des Anfangs- und Mitteltheiles ist der Tondichter hier ganz abgegangen. Weder ein fugirter Eingang und frei motivischer oder concerthafter Fortgang, noch vom Beginn her eine concertmäßige Anlage entsprach einem Phantasiebilde, das wie eine große Elegie vorüberziehen sollte, eine einzige, tiefe Herzensempfindung in ungehindertem Zuge auszuströmen. So ging der Meister ans Werk und bildete einen Theil aus zwei, schlicht neben einander gestellten Gedanken. Nicht Themen sind es, sondern zwei wie ins Unendliche hinausgesungene Melodien; die erste bewegt sich durch zwanzig weite Viervierteltakte in den herrlichsten Linien und von einer sanft wallenden Begleitung getragen, die zweite schließt sich in derselben Tonart an, geht aber dann nach D dur hinüber. Der Entwicklungsprocess besteht nun darin, daß dieser ganze Theil zuerst in Fis moll und dann abschließend wiederum in H moll repetirt wird; nur tritt zwischen die beiden letzteren Gruppen ein aus Partikeln der ersten und zweiten Melodie concerthaft gebildetes Stück von T. 61–77, um den Eindruck der rückkehrenden Haupttonart zu heben. Man wird [730] sich schon denken, daß der Theil nicht dreimal in derselben Gestalt auftritt; wie genial ihn aber Bach variirt hat, davon kann sich dennoch Niemand, der nicht selbst gehört und gesehen hat, eine Vorstellung machen. Takt für Takt wird die Entwicklung verfolgt, aber überall anders gewendet, reicher ausgestattet, dem entsprechend erweitert, besonders durch herrliche canonische Führungen, die unbemerkt wie durch eine Naturgewalt von Innen herausgetrieben werden; ein besonderer Reiz wird noch durch mehrfache Umstellung einzelner Perioden erzielt. Eine bewunderungswürdige kleine Coda, aus Motiven der ersten Melodie gewoben (T. 111–117), schließt das unvergleichlich schöne Stück. Die der italiänischen Arie nachgebildete Form verräth sich auch an einem Zuge des Eingangs; wie hier die Melodie gleichsam versuchend einsetzt, nach zwei Takten sich unterbricht, und mit dem vierten von neuem beginnt, eben so legte Bach sehr häufig seine kirchlichen Arien an69. Der zweite Satz in D dur, largo e dolce, einfach zweigetheilt mit Reprisen, ist seines Vorgängers vollauf würdig; im Besonderen wird der überaus schmerzlich-süße Ausdruck des vorletzten Taktes, wo die Flöte in langsamen Synkopen durch den verminderten Septimenaccord abwärts steigt, niemanden unberührt lassen. Durch den letzten Satz scheint der Componist nachholen zu wollen, was er im ersten unterließ: im Presto schwingt sich eine leidenschaftlich schöne Trio-Fuge daher. Aber es scheint nur so; bald wird auf der Dominante Halt geboten und den Forderungen der Concertform folgend schwebt eine italiänische Gigue im 12/16 Takt vorüber, ganz neu und doch bekannt, da sie aus dem Fugenthema in Buxtehudes Weise auf das schönste entwickelt ist. So gehorcht dem Winke des Meisters der gesammte Formenapparat seiner und der vorhergehenden Zeit; alles errungene fügt sich unter der Hand seines schöpferischen Genius zu immer neuen und überraschenderen Gebilden in einander.

Die von Bach vorhandenen selbständigen Kammertrios mit obligatem Clavier sind hiermit vollständig vorgeführt bis auf eins, das weder Sonaten- noch Concertform zeigt, sondern sich frei an die Suite anlehnt. Eine wirkliche Suite in der strengsten Bedeutung des [731] Kunstausdrucks ist diese in A dur stehende Composition für Violine und Clavier nicht, und ist auch nur unter dem Titel »Trio« überliefert. Denn sie wahrt freilich die Einheit der Tonart und besteht überwiegend aus Tänzen, aber Zahl und Anordnung ist abnorm: sieben weit ausgeführte Stücke bilden den Bestand, deren letztes ein freierfundenes Allegro im 3. Takt ist, sowie eine freie Fantasia den Eingang bildet70. Die Composition steht unter Bachs Werken ganz allein, eine Ausnahmebildung, wie sie der mit allen Formen frei schaltende Meister sich gestatten durfte, um so mehr als die Orchestersuite eine solche Freiheit nahe legte. Das vollständige Gelingen hat den Versuch begleitet; die meisterlich gestalteten Stücke sind nirgends ins Großartige hineingebaut, aber Muster von Anmuth und feiner Arbeit, erquickliche, frische Musik, der volle Ausdruck unangetasteter Gesundheit. –

Solosonaten zum accompagnirenden Cembalo waren als nicht gänzlich durchgebildete Kunstorganismen weniger nach Bachs Geschmack. Bekannt sind solcher nur vier, nebst einer vereinzelten Fuge. Für Violine und Cembalo in E moll gesetzt ist die eine: auf ein Praeludium in laufenden und arpeggirenden Sechzehnteln folgt ein kostbares Adagio, dann Allemande und italiänische Gigue – der ältere, Corellische Zuschnitt. Denselben Instrumenten ist die großartige Fuge in G moll bestimmt; solche Compositionen mögen als Vorstufen zu den Fugen der Solo-Violinsonaten gedient haben71. Für Flöte und Clavier sind die andern drei Sonaten. Aus C dur die eine hat ebenfalls ein etwas älteres Aussehen, den vierten (Schluß-) Satz bildet ein reizendes Menuettenpaar, zu dessen ersterem Bach selbst den Begleitungspart vollständig ausgeschrieben hat. Die andern, aus E moll und E dur, haben die regelmäßige Gestalt, ihre Allegrosätze sind aber meistens zweitheilig, und überhaupt kann von einer so reichen Entfaltung des Tonlebens wie in den Sonaten mit obligatem Cembalo keine Rede sein. Schönes und Interessantes bieten sie sämmtlich in Fülle72.

Auch das Trio für zwei Instrumente mit Generalbass ist nur [732] durch ganz wenige Exemplare vertreten. Daß aus einem derartigen Flöten-Trio die Gambensonate in G dur entstand, wurde erwähnt. Eine Sonate derselben Tonart für Flöte, Violine und Bass ist mit ihren blanken, knappen und von holder Anmuth durchwehten Formen wie aus dem Schmuckkästchen genommen73. Eine andre Sonate für zwei Violinen und Bass in C dur steht wohl an Werth jener nicht ganz gleich; zum letzten Satze dient hier eine Gigue. Sonst sind die Formen regelmäßig74. –

Das Princip concerthafter Gestaltung, das in Bachs Kunstschaffen eine so beachtenswerthe Rolle spielt, wurde bis jetzt nur an solchen Werken constatirt, die nicht zugleich äußerliche Concerte waren. In der That eignete er sich zunächst nur das Princip an, um es für seine Zwecke auszunutzen (vrgl. S. 407 ff.); wirkliche Concerte wird er schwerlich früher als in Cöthen geschrieben haben. Um diese in die vollständig richtige historische Beleuchtung zu bringen, ist einer Licenz zu gedenken, welche sich die damaligen Componisten in der Ausarbeitung des Concertsatzes häufig gestatteten. Der Regel nach wurden ein Tutti- und ein Solo-Gedanke neben einander gestellt, und Soloinstrument und Tuttiinstrumente freuten sich wetteifernd der Ausgiebigkeit ihres Besitzes. Die Haupttonart und nächsten Nebentonarten waren gleichsam die gewechselten Kampfplätze; wenn die Ringer in ihre Anfangsposition zurückkamen, war das Spiel aus. Dem Klangcharakter seines Trägers gemäß war das eine Thema wuchtig und fest, das andre leicht und geschmeidig. Daneben kam es aber auch vor, daß man sich mit nur einem Haupt-Gedanken begnügte. Er wurde vom Tutti vorgespielt und nun vom Soloinstrumente aufgenommen und fortgesetzt. Strict durchgeführt ergab diese Anlage ein ärmliches Gebilde, wer jedoch motivische Erfindungskraft besaß, konnte einen Einzelzug des Tutti-Gedankens aufgreifen, daraus [733] immer neue Solo-Gedanken entwickeln und so der Form einen besondern Reiz verleihen. Der gleichsam dramatische Kampf zweier Individualitäten wurde allerdings dadurch sehr abgeschwächt, die Form trat entschiedener noch auf das Gebiet des Reinmusikalischen hinüber. Was aber Bach hauptsächlich an ihr interessirte, war eben die rein musikalische Zweiheit, ihr Gegensatz, ihre Verflechtung, die in ihrem Antagonismus liegen den Impulse zu motivischer Arbeit. Daher ließ er schon in den concertmäßigen Flötensonaten nach musikalischem Bedürfniß Clavier und Flöte die Themen tauschen. Und so kommt es auch in seinen Concerten vor, daß der Tuttisatz schon das ganze Material des Sologedankens mit enthält. Von der Art der Besetzung hängt es ab, wie weit dies abweichende Gestaltungsprincip in Wirksamkeit treten soll. Bescheidener macht es sich in den Violinconcerten geltend. Hier, wo die Sologeige dem vom Cembalo vervollständigten Streichorchester gegenüber steht, drängte sich der Contrast beider Tonkörper zu natürlich hervor. Die Gattung ist von Bach mit Interesse gepflegt, was sich bei jemandem, der so gründlich den Bau der Vivaldischen Concerte hatte studiren mögen, leicht begreift. Drei Concerte besitzen wir noch in ihrer Originalgestalt, zwei nur in späteren Ueberarbeitungen für Clavier mit Instrumentalbegleitung, und auch von den drei Originalwerken erfuhren zwei dieses Schicksal75. Diese Ueberarbeitungen haben nach der Beschaffenheit des Autographs zu schließen in Leipzig stattgefunden; daß die Originale in Cöthen entstanden sind, wird zwar nicht ausdrücklich überliefert, wir wissen es aber von einer Reihe andrer Instrumentalconcerte, zu denen diese in ihrer weit einfacheren Construction die natürliche Vorstufe bilden, und auch wegen der amtlichen Stellung Bachs ist es äußerst wahrscheinlich. Wenn trotz des Mangels an gediegenen Violincompositionen mit Orchester diese Concerte bis heute noch nicht diejenige Verbreitung gefunden haben, deren ihr hoher musikalischer Werth sie würdig macht, so liegt der Grund zum Theil in dem verhältnißmäßigen Zurücktreten der einfachen, allgemein eingänglichen Cantilene, da der bewegliche Cembalostil, welcher auch diese Gattung sich unterworfen hatte, die Passage und Figuration [734] bevorzugte. Einen zweiten Grund bildet die uns fremd gewordene Form. An beides wird man sich gewöhnen, an letzteres um so leichter, da die ältere Concertform viel übersichtlicher und faßlicher ist als die neuere, mehr oder weniger ganz mit der modernen Sonatenform zusammengeflossene. Der Reiz motivischer Arbeit ist bei Bach in Wahrheit um nichts geringer, als bei den besten Concertcomponisten der Beethovenschen Periode. Bewunderungswürdig ist nach dieser Seite besonders der erste Satz des E dur-Concerts mit der Durchführung des Motivs


3.

den Bach außerdem in die dreitheilige Form hineingegossen hat, welche wir aus den Violinsonaten mit Cembalo zur Genüge kennen. In dem zweiten Satze hat man eine jener freien Umbildungen allbekannter Formen, wie sie nur ein Bach herstellen konnte. Er ist eine Ciacone, deren Anwendung schon in der E dur-Violinsonate entgegen trat; aber das Bassthema wandelt nicht nur frei durch die Tonarten, sondern wird auch taktweise zerlegt und ausgesponnen; oft schweigt es ganz, um dann mit nur wenigen Noten sofort wieder die Ueberzeugung wach zu rufen, daß in ihm trotz alledem der Schwerpunkt des ganzen Stückes beruht. Der Mittelsatz des A moll-Concerts hat, was man mit dieser Entschiedenheit in den Adagios selten findet, einen wuchtigen Tuttigedanken und einen leicht figurirenden Sologegensatz, aus deren Verkehr der Organismus sich bildet, ohne daß es zu einer ordentlichen Violin-Cantilene käme. Dem D moll-Concert ist unstreitig der höchste Werth eigen und in dieser Eigenschaft findet es auch unter der heutigen musikalischen Welt schon eine erfreuliche Beachtung. Zwei Soloviolinen sind hier herangezogen, doch kann man nicht wohl von einem Doppelconcerte reden, da die beiden Geigen weniger unter sich, als vereinigt gegen den Instrumentalchor concertiren. Eine jede ist natürlich mit der Selbständigkeit behandelt, die bei dem Bachschen Stile ohne weiteres vorausgesetzt wird. Im Mittelsatze, einer wahren Perle an edlem, innigem Gesange, verhält sich das Orchester fast nur accompagnirend, wie es bei den Concertadagios ja das Gewöhnliche war.

Ihre völlige und uneingeschränkte Entfaltung jedoch gewann die frei musikalische Concertform in einem Gesammtwerke von sechs Concerten, welches im März 1721 vollendet war. Es hatte damit [735] eine besondere Bewandtniß. Einige Jahre zuvor nämlich war Bach, vielleicht in Karlsbad, mit einem kunstliebenden preußischen Prinzen zusammengetroffen, der an seinem Spiel großes Gefallen gefunden und ihn zur Uebersendung einiger Compositionen für seine Hauscapelle aufgefordert hatte76. Es war Christian Ludwig, Markgraf von Brandenburg, geb. am 14. Mai 1677 als jüngster Sohn des großen Kurfürsten aus zweiter Ehe. Eine Schwester desselben hatte der Herzog Ernst Ludwig von Sachsen-Meiningen zur zweiten Gemahlin, mit dessen Hof Bach wahrscheinlicherweise von Weimar aus in Verbindung trat. Der Markgraf, zugleich Dompropst von Halberstadt und unvermählt, lebte abwechselnd in Berlin und auf seinen Gütern in Malchow, neben dem gewöhnlichen ritterlichen Zeitvertreib der Wissenschaft und der Kunst, vor allem der Musik ergeben, und hierfür seine bedeutenden Jahreseinkünfte verbrauchend77. Im Frühjahre 1721 verweilte er in Berlin und dorthin wird Bach jene sechs Concerte gesendet haben, mit denen er sich unter dem 24. März des ihm gewordenen ehrenvollen Auftrages entledigte. Die französische Fassung der Dedication, in welcher er die Veranlassung zu diesen Compositionen angiebt, dürfte von einem Cöthener Höfling herstammen. Er selbst war des Französischen augenscheinlich nicht in dem Maße mächtig, um in einem solchen Falle den eignen Kenntnissen vertrauen zu können, außerdem herrscht hier ganz jene fehlerhafte Art, in welcher man damals an deutschen Höfen das Französische sprach und schrieb. Wie der Markgraf die Gabe aufgenommen hat, ist unbekannt geblieben. An Kräften, diese schwierigen Sachen entsprechend zu executiren, fehlte es in seiner Capelle wohl nicht; wir kennen den Namen eines seiner Kammermusiker, Emmerling, und erfahren, daß dieser als Componist, Clavier- und Gambenspieler erwähnenswerthes leistete78. Nach dem Tode des Markgrafen, der am 3. September 1734 in Malchow eintrat, lief das kostbare Bachsche [736] Manuscript Gefahr, unbeachtet verschleudert und in einem Convolute unter andern Instrumentalconcerten für einen Spottpreis verkauft zu werden. Ein glückliches Geschick hat es uns erhalten und mit ihm die Werke, welche das Höchste darstellen, zu dem die ältere Form des Concerts entwickelt werden konnte79.

Bach nennt sie Concerts avec plusieurs instruments. Mit Rücksicht auf die damalige Sitte würden hierunter sogenannte Concerti grossi zu verstehen sein, in denen nicht ein Instrument, sondern mehre, gewöhnlich drei gegen das Tutti concertirten. Aber in diese Gattung passen nur allenfalls das zweite, vierte und fünfte Concert; das gemeinsame Merkmal, welches sie zu einer einzigartigen Einheit verbindet, ist vielmehr der zur höchsten musikalischen Freiheit entwickelte concerthafte Formgedanke. Auf der Fährte dieses Kunstideals befand sich Bach schon lange. Man erinnert sich an die großen Instrumentaleinleitungen der weimarischen Cantaten »Uns ist ein Kind geboren«, »Gleichwie der Regen« und »Der Himmel lacht, die Erde jubiliret« (s. S. 482, 486 f. und 535). Aber nicht nur den einzelnen Satz, auch die gesammte mehrtheilige Form hat er mit größter Entschiedenheit auf ihre idealmusikalische Grundlage gestellt. Durchweg herrscht in seinen Concerten die Dreisätzigkeit, welche für Violinconcerte freilich schon der feine Forminstinct des Vivaldi zum Canon erhoben hatte; jedoch beim Concerto grosso band man sich daran durchaus nicht, brachte bald vier Sätze mit Anlehnung an die Sonate, bald auch mehr, und mischte gar Tanzstücke ein. Der Raum von drei Sätzen aber reicht für die Kräfte, welche sich im Concert entfalten sollen, nach allen Seiten hin aus: für den ernst fesselnden Kampf zwischen dem kühngewandten Solo und dem machtvoll aufgerichteten [737] Tutti, für die breite, von geistreichen Ornamenten umwobene Cantilene, für die fröhlich triumphirende und alles mit sich fortreißende Bravour. Deshalb ist auch die Dreitheiligkeit des Instrumentalconcerts bis auf den heutigen Tag allgemeiner Grundsatz geblieben. Die Besetzung der Bachschen Concerte ist sehr stark, besonders sind auch die Blasinstrumente in reicher Auswahl vertreten, welche an sich übrigens im Kammerconcerte keine Fremdlinge mehr waren. Eine Verwendung freilich, wie sie sie hier fanden, hatte sich kein andrer träumen lassen; ganz und gar wurden sie gleich den Streichinstrumenten unter das Gebot jener Bachschen Polyphonie gestellt, die alles belebt und zum eignen Handeln zwingt. Sehen wir nun die Concerte einzeln an.

Erstes Concert, F dur. Besetzung: Streichquartett, im Bass durch Violone grosso (den Contrabass), in der ersten Geige durch Violino piccolo (eine hellklingende, um eine Quart höher stehende, kleinere Geige) verstärkt; zwei Hörner, drei Oboen, Fagott und selbstverständlich accompagnirendes Cembalo (Continuo). Die üblichen Begriffe von Solo und Tutti sind in diesem Concerte ganz aufgehoben, ebensowenig wird ein Tutti- und ein Solo-Gedanke hingestellt. Den Grundstoff des ersten Satzes legen die vereinigten Instrumente von Takt 1–13 dar. Dann beginnen sie zu drei Chören – Hörnern, Oboen und Fagott, Streichern – gruppirt diesen Stoff concertmäßig zu verarbeiten. Der erste Takt:


3.

wird nun zum Tutti-Motiv erhoben und bezeichnet mit seinem Eintritte jedesmal einen neuen Abschnitt, das Uebrige gilt als Solo-Gegensatz. In der Vertheilung auf die Instrumente aber tritt dieser Antagonismus nicht weiter hervor, die Ausführung erfolgt nach frei musikalischen Gesetzen, allerdings so, daß es immer ein Concertiren zwischen den drei Gruppen genannt werden kann, die sich an Höhepunkten zu einem großartigen zehnstimmigen Tongeflecht vereinigen. Die Disposition ist, wie in allen gut concertmäßig angelegten Sätzen, sehr klar und faßlich; ihre Theile sind, die Exposition mitgerechnet: A: 1–13 (F-dur); B: 13–27 (F dur); C: 27–43 (D moll); D: 43–52 (C dur); E: 52–57 (G moll); F: 57–72 (F dur); G: 72–84 [738] (F dur). Von besonderem Interesse sind die gegenseitigen Beziehungen der Theile: die ersten beiden, welche die Grundtonart festhalten, kehren am Schlusse wieder und nehmen die übrigen in die Mitte; dies geschieht aber in umgekehrter Reihenfolge, so daß folgende Corresponsion entsteht:


3.

Die Form ist also in derselben Weise chiastisch-cyk lisch, wie. mit Ausdehnung auf ein ganzes Werk, die der Violinsonate aus G dur, die der Cantate »Gottes Zeit« (vrgl. S. 458). Genau diese Anlage kehrt auch im dritten Satze wieder, hier entsprechen die Takte 1–17 den Schlußtakten 108–124, die Takte 17–40 den Takten 84–108, die eigentliche Durchführung wird in die Mitte genommen. Wiederum umschließen diese beiden gleichgestalteten, frischen und lebenstrotzenden Sätze in dem Adagio (D moll 3/4) das wahre Herz des Ganzen. Das Adagio gehört zu den leidenschaftlichsten Klagegesängen, die je geschrieben sind. Ein schneidendes, oft zum schrillen Aufschrei gesteigertes Weh tönt aus der Melodie, mit der die Oboe rücksichtslos sofort auf der Dominante anhebt, welche sodann die Quartgeige und die düstern Bässe nach einander sich aneignen, mit der im enggeführten Canon Oboe und Geige einander nachdrängen; traurig und still ziehen die Achtel der begleitenden Instrumente darunter her. Der Schluß, kühn und genial wie der Anfang war, zerbröckelt, gleich dem Trauermarsche aus Beethovens Eroica; das unersättliche Klagewort verstummt plötzlich, nur ein leises Schluchzen tönt durch die öden Räume. – Angehängt sind dem Concerte ein Menuett und eine Polacca, beide mit Trios. Feine, geistvolle Musik, die jedoch mit dem eigentlichen Concerte nichts mehr zu thun hat! Man liebte, wie gesagt, auch im Orchesterconcert die Tanzsätze, obwohl diese der Idee seiner Form widersprachen. Bach hat diese Concession an den Zeitgeschmack nur hier gemacht; da man die Tänze beliebig abtrennen kann, schädigen sie auch kaum das Werk.

Zweites Concert, F dur. Besetzung: Trompete, Flöte, Oboe, Violine und das Tutti des Streicherchors. Es ist also ein wirkliches Concerto grosso, nur daß das Concertino, d.h. der dem Tutti gegenüberstehende Complex durch vier, sämmtlich hochliegende Instrumente, nämlich ein streichendes und drei blasende, hergestellt wird, [739] also in einer Weise, die nach allen Seiten von dem Ueblichen abweicht, denn man pflegte gemeinhin das Concertino aus zwei Geigen und Violoncell zu bilden. Die Anlage des ersten Satzes ist von musterhafter Klarheit und Einfachheit, aber eine unbeschreibliche Fülle motivischer Erfindung und feinster Combination perlt und sprudelt überall entgegen. Das Andante (D moll) besteht aus einem Quatuor von Flöte, Oboe, Violine und Violoncell mit Cembalo; der Schlußsatz, Allegro assai, aus einer Fuge des Concertinos mit dem Basse, zu der das Tutti discret und meisterlich begleitet. Schon wegen seines krystallhellen, durchsichtigen Organismus ist dieses Concert eingänglicher, als das dicht gewobene erste; aber auch die Gesammtstimmung ist eine durchaus populäre. Das wunderschöne Andante klagt nur sanft und mädchenhaft, die Außensätze schwärmen und tummeln sich in zauberhafter Frische und Jugendlust. Fürwahr, wenn auch Bach noch nicht über die satten Farben Späterer verfügt, doch lebt in seiner Instrumentalmusik die ganze deutsche Romantik. Dieser erste Satz! Wie er dahin zieht gleich einer Schaar jugendlicher Reiter mit blitzenden Augen und flatternden Helmbüschen! Ein Einzelner läßt sein jubelndes Lied in die Waldeskronen hinaufwirbeln, ein Zweiter, ein Dritter, und machtvoll fällt der Chor der Genossen dazwischen; nun verliert sich der Gesang in der Ferne, schwächer und schwächer, zuweilen dringt er durch eine Lichtung vernehmlicher herüber, dann verweht ihn der Wind, das Flüstern der Blätter übertönt ihn –


Immer weiter und weiter die Klänge ziehn

Durch Felder und Haiden, wohin? ach wohin? –


Was ist hier aus der simpeln Concertform geworden!

Drittes Concert, G dur. Besetzung: drei Violinen, drei Violen, drei Violoncelle, Violone und Cembalo. Der erste Satz gleicht in der Entwicklung dem des ersten Concerts, überragt aber diesen wohl noch an kunst- und reizvoller Behandlung. Die Geigen, Bratschen und Celli concertiren chorisch, unter sich werden sie theils polyphon geführt, theils nicht, oft auch zum Unisono zusammen gezogen. Was aus den Motiven


3.

und


3.

gemacht [740] wird, ist erstaunlich, thatsächlich entwickelt sich aus ihnen der ganze Satz. Ueberhaupt funkelt alles von Geist und Leben. Eine Stelle (von T. 78 an), wo zum Hauptthema in der zweiten Geige unerwartet die erste Geige einen gänzlich neuen Gedanken bringt, der dann auch in der zweiten Geige erscheint, mehr Instrumente heranlockt, endlich von der dritten Geige und dritten Bratsche mit aller Wucht auf der G-Saite erfaßt wird und, wie ein Signal, eine von allen Seiten hereinbrechende Tonfluth entfesselt, in deren Wogenschwall für mehre Takte alle Polyphonie ertränkt wird – diese Stelle gehört wohl zu den genialsten Erfindungen, welche die deutsche Instrumentalmusik zieren. Ein ordentliches Adagio fehlt. Nur zwei langgezogene Accorde lassen die Phantasie für einen Augenblick frei; dann geht es hinein in den Schlußsatz, ein echtes Concertfinale im Zwölfachteltakt.

Viertes Concert, G dur. Besetzung: Violine, zwei Flöten und das Tutti der Streichinstrumente. Ein Concerto grosso in der Weise von Nr. 280. Der erste Satz, Allegro 3/8, hat einen sehr freundlichen Charakter. Das Material wird von Takt 1–83 exponirt, größtentheils schon hier durch das Concertino, das Tutti greift nur mit Unterbrechung ein. Wieder begegnet uns, zum Zeichen, daß dies ein festes Formideal des Meisters war, die chiastisch-cyklische Anordnung. Auf die Exposition A folgt von T. 83–157 eine Durchführung B, welche nach der Mollparallele hinüber geht, dann bis T. 235 eine weitere Durchführung C, jetzt kehrt mit einigen Veränderungen und Erweiterungen B wieder bis 345, und zum Schlusse A. Das Adagio in E moll verläuft ganz im Wechselspiel zwischen Tutti und Concertino, es ist ein schönes ernstes Stück, gemessen und wehmüthig, wie die Begleitungsmusik eines Trauerzuges. Den letzten Satz bildet eine in jeder Beziehung grandiose Fuge, Presto 3.. Sie zählt 244 Takte und steht an Schwung, Wucht der Gedanken, Reichthum der Entfaltung, spielender Beherrschung der complicirtesten Technik, Brillanz und Grazie unter den derartigen Werken Bachs in allererster Reihe.

[741] Fünftes Concert, D dur. Besetzung: Flöte, Violine. Cembalo und das gewöhnliche Tutti. Es ist kein eigentliches Clavierconcert mit Begleitung, sondern das Clavier bildet mit der Geige und Flöte vereinigt den Gegensatz gegen das Tutti; zu diesem wird vermuthlich ein zweiter, nur accompagnirender Flügel in Anspruch genommen sein, wie das Bach ja auch bei reinen Clavierconcerten zu thun pflegte. Demnach gehört auch dieses Werk streng genommen ins Gebiet der Concerti grossi, oder muß wenigstens aus ihnen abgeleitet werden. Daß jedoch in einer solchen Verbindung das Clavier einigermaßen dominirt, liegt schon in seiner Beschaffenheit an sich und ist bei der großen innern Bedeutung, welche das Cembalo für diese Art der Bachschen Kammermusik hat, doppelt leicht begreiflich. Ein Tutti- und ein Solo-Gedanke treten hier voll ausgestaltet einander gegenüber, um dann das entzückendste Wechselspiel auszuführen. Namentlich ist es eine Partikel der Tutti-Periode:


3.

die in den reizendsten Combinationen durchgearbeitet wird. In der Mitte spinnt sich einmal (in Fis moll) ganz still und heimlich ein neues Motiv an:


3.

schwimmt auf leise wallenden Accordfluthen weiter und weiter und verliert sich wie im unabsehbaren Ocean, nur ein eintöniger Rhythmus lenkt nunmehr die Fahrt, bis der Wind die Segel stärker zu schwellen anfängt und wir endlich glücklich anlanden (T. 71–101). Vor dem Schlußtutti tritt ein großes Claviersolo ein; es beansprucht, wie auch der übrige Clavierpart, eine Fingergeläufigkeit, welche außer Bach damals wohl so leicht kein Zweiter besitzen mochte. Den Mittelsatz stellt ein lieblich-zartes Affettuoso dar aus H moll. Ueberhaupt ist der Charakter des ganzen Concerts nicht sowohl tief und großartig, als heiter, fein und gewählt. So auch der letzte Satz. Er führt jene Form vor, die zuerst in den Violinsonaten mit obligatem Cembalo bemerkbar wurde, beispielsweise im zweiten Satze der [742] A dur-Sonate. Der Bau ist dreitheilig nach Maßgabe der italiänischen Arie: der erste Theil, welcher als dritter vollständig wiederholt wird, ist fugirt, der zweite führt einen Seitengedanken ein, um ihn mit dem Hauptgedanken concertiren zu lassen. Dieser Seitengedanke entsteht aber in unserem Falle aus dem Hauptgedanken und ist von ausnehmender melodischer Anmuth; in der Harmonisirung macht sich ein immer wiederkehrender, schnell vorüberschwebender Querstand ganz merkwürdig gut.

Sechstes Concert, B dur. Besetzung: zwei Bratschen, zwei Gamben, Violoncell, Violone mit Cembalo. Ein Tutti- und Solo-Gegensatz ist vorhanden (T. 1–17 und 17–25), aber nur ideal-musikalisch, nicht durch besondere Instrumente inscenirt. Das Tutti besteht aus einem Canon der beiden Bratschen im Abstande eines Achteltakts81, die andern Instrumente haben dazu eine einfach harmonische Achtelbegleitung, so daß ein der Gabrieli-Bachschen Kirchensonate ähnliches Tonbild entsteht. Erst in der Solo-Periode bringt das Motiv:


3.

alle Stimmen zu lebendiger Theilnahme. Der ganze weitausgespannte Satz ist ein seltsam verschleiertes Stimmungsbild, dergleichen wohl nur einem Bach beikommen konnte, doppelt seltsam, wenn man den ursprünglichen Zweck eines Concerts ins Auge faßt. Eine herrliche Melodie bildet das Thema des Adagio (Es dur 3/2), welches nur die beiden Bratschen über den Bässen verwendet. Sie fugiren in verschiedenen Tonarten das Thema eine lange Zeit allein, bis es endlich mit prachtvoller Wirkung auch die Bässe ergreifen. Der endgültige Schluß erfolgt merkwürdig genug in G moll. Dieses Stück ist ungemein edel und groß. Der letzte Satz ist Concertfinale im Zwölfachteltakt, kräftig ohne die Grundstimmung des ersten Satzes aufzugeben, und verlangt sehr tüchtige Bratschisten. Im allgemeinen Charakter der italiänischen Gigue gehalten hat er übrigens die dreitheilige Form, jedoch in durchweg concerthafter Ausführung.

[743] Von einer Kunstleistung höchster Genialität und Meisterschaft, wie diese sechs brandenburgischen Concerte genannt werden müssen, richtet sich der Blick naturgemäß auf die entsprechenden Schöpfungen der Bachschen Zeitgenossen. Das Concerto grosso war im Anfange des 18. Jahrhunderts rasch beliebt geworden und die besten Kräfte versuchten sich darin. Aber nur zum Theil folgten sie der Vivaldischen Form, ein andrer Theil legte, wie schon angedeutet, die Corellische Sonate zu Grunde. Diese Künstler hielten also zunächst an der Viertheiligkeit fest in der bekannten Ordnung: Adagio, Fuge in derselben Tonart, Adagio in einer verwandten Tonart, Finale, vergaßen dabei aber nicht, daß die Form auch mehr Sätze gestatte und Tanztypen nicht ausschließe. Auf die Gestalt der einzelnen Sätze übte diese Anlehnung aber ebenfalls einen starken Einfluß aus. Das Concertiren zwischen Soli und Tutti blieb ein äußerliches Alterniren verschiedenartiger Klangmassen bei stofflicher Einheitlichkeit, nicht viel mehr als ein periodenweises Abwechseln zwischen stark und schwach; in der Clavier- und Orgelmusik stellte man es so durch die verschiedenen Manuale her, in den Fugensätzen der französischen Ouverture durch den Contrast des Gesammtorchesters gegen das Trio der Oboen und des Fagotts. Auf das Wesen der Sache gesehen darf man also hier von Concerten garnicht reden, es sind Orchestersonaten. Telemann liebte diese Form, ohne sich ihr ausschließlich hinzugeben; der das Größte darin leistete, war Händel. Händels Concerti grossi soll man mit den Bachschen nicht vergleichen, sie haben fast nur den Namen gemeinsam. Man könnte dies ohne Einschränkung aussprechen, wenn er sich in ihnen von der Form des Vivaldischen Concertsatzes ganz fern gehalten hätte. Wo er sie dennoch benutzt, bleibt er freilich immer der große Künstler, verräth aber doch, daß für dieses Gebiet sein Genius nicht geschaffen war82. In den breiten Adagios, Fugen und einfachen Tänzen der Corellischen Sonate fand er die Impulse, welche das Reinmusikalische seiner Natur am sichersten in Bewegung setzten. Gemäß seiner auf das [744] Glänzende und Prachtvolle gerichteten Anlage übertrug er diese Form in großartigere Verhältnisse, um sie hier mit mächtigem Inhalt zu füllen. Eine ganz ähnliche Bewandtniß hat es mit Händels Orgelconcerten, deren Erwähnung das fünfte der brandenburgischen Concerte nahe legt. Auch sie sind in Form und Anordnung der Sätze durch die Sonate merklichst beeinflußt. Die Orgel aber ist ihm nur ein potenzirtes Clavier, von eigentlichem Orgelstil findet sich so gut wie nichts. Doch treten hier mehr noch, als in denConcerti grossi, auch wirkliche Concertsatzformen entgegen, weil das selbständige und vollkommene Wesen des Claviers oder der Orgel zu nachdrücklich darauf hinwies83. So weit nun die Italiäner, namentlich also Vivaldi, die Satzform ausgebildet hatten, so weit wird sie auch von Händel mit Meisterschaft beherrscht. Gefördert hat er aber ihren wahren Organismus nirgends. Es ist für seine musikalische Natur bedeutsam, daß überhaupt keine der vielen damals sich entwickelnden Instrumentalformen durch ihn eine Weiterbildung erfahren hat. Was ihm davon während der Zeit seiner Ausbildung entgegentrat, eignete er sich an, und eine ungleich überlegene Gedankenfülle ließ ihn die betreffenden Werke Anderer leicht überflügeln. Wo er daher schon etwas verhältnißmäßig ausgebildetes vorfand, gelang es ihm auch, Instrumentalwerke von bleibenderem Werthe zu schaffen. Sieht man von den Unentwickeltheiten der Corellischen Sonate in Anordnung und Zusammenhang der Sätze ab, dann sind Händels Concerti grossi, soweit sie auf jener beruhen, bedeutend genug um für immer einen Ehrenplatz in der deutschen Instrumentalmusik einzunehmen; wir wünschen die Zeit nicht zu erleben, in der Werke wie das E moll-, A moll- und G moll-Concert ihre Wirkung verloren haben84. Denn feste, geschlossene Einzelformen sind wenigstens vorhanden. Für die Form des Concertsatzes aber hatten die Italiäner kaum mehr, als ein nacktes Gerüst hingestellt; das Beste mußte erst noch geschehen und zwar vorzugsweise durch das Mittel motivischer Kunst. Gleich den Italiänern besaß Händel von ihr nur wenig, und daraus erklärt sich das Unbefriedigende, was seinen concerthaft geformten [745] Sätzen mehr oder minder anhaftet. Es entwickelt sich nichts, alles ist von Anfang an zur Stelle und harrt nur der Aufstellung85. Andere deutsche Künstler, wie Telemann und mehr noch der Dresdener Kammermusicus Dismas Zelenka, haben im Concertsatze wenn auch nicht Gedankenreicheres, so doch Angemesseneres geleistet. Diese aber stehen wiederum an Begabung zu weit hinter Bach zurück, als daß sie von dem Ruhme, die Concertform zur höchstmöglichen Blüthe gebracht zu haben, sich einen Theil aneignen dürften.

Die brandenburgischen Concerte bilden in der deutschen Orchestermusik, denn dahin muß man sie rechnen, eine Gattung ganz für sich. Wie in Bergesgegenden die höchsten Spitzen sich einander zu nähern scheinen und dem frei durch den Luftraum schwebenden Blicke die Kluft fast verschwindet, deren Durchwandern mühselige Stunden erfordert, so winken sie deutlich hinüber zu der modernen Symphonie und doch führt von ihnen kein directer Weg dahin. Sie ruhen auf anderer, viel dürftigerer Grundlage, von der aus nur eine riesige Schöpferkraft sie zu dieser Höhe emporbauen konnte. Die eigentliche Orchestermusik jener Zeit waren nicht die kaum erfundenen Concerti grossi, sondern die Orchestersuiten. Diese Form fand zugleich mit der Claviersuite, welche sich im 17. Jahrhundert aus ihrer Wurzel abgezweigt hatte, in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die mögliche Vollendung. Von einem so vernunftgemäßen Ganzen, wie es die Claviersuite darstellte, konnte bei der Orchestersuite wegen der Umgebung, in der sie aufwuchs, nicht die Rede sein. Ob überhaupt eine halbwegs feste Gewohnheit für die Anordnung der Tänze vorhanden war, ist vorläufig unklar, sicher dagegen, daß die gewichtigsten Vertreter eine solche nicht anerkannten und die einzelnen Bestandtheile jedesmal nach Gutdünken gruppirten. Aber dieser Mangel an formeller Bestimmtheit war nur die Kehrseite des eben so bedeutenden Vorzugs, daß die Orchestersuite unmittelbar aus dem deutschen Volksleben herausgeboren ist. Der frisch sprudelnde Volksliederquell älterer Jahrhunderte drang aus dem Schutt des dreißigjährigen Krieges in zwei Arme getheilt von neuem hervor, [746] als geistliches Lied, dessen sich die Orgelkunst alsbald bemächtigte und als gespielter Tanz, welcher der Pflege der Kunstpfeifer anheim fiel. Es verschlägt nichts, daß so viele andre Völker, namentlich die Franzosen von ihren Weisen und ihrer Manier beigesteuert haben. Im Gegentheil, es wurde dadurch der deutsche Geist in jener ihm eigenthümlichen Thätigkeit befeuert, die erst an der Verarbeitung fremder Elemente die ganze Fülle der eignen Kräfte in Fluß bringt; es war dies, wie schon früher bemerkt, eine gradezu aus der Verwirrung des Krieges gewonnene Förderung. Zur feineren Ausbildung der Rhythmik in der deutschen Tanzmusik haben jedenfalls die Franzosen sehr viel beigetragen, und nicht nur das, wir verdanken ihnen auch die erste freie Orchesterform weltlichen Charakters, die sogenannte französische Ouverture. Aber an der kunstmäßigen Entwicklung und Veredlung dieser Ouverture und der Tanztypen haben die Franzosen sich kaum betheiligt. Ebensowenig haben sie aus diesen Elementen ein Kunstganzes zu machen gesucht. Schon die Italiäner waren ihnen in diesen Dingen weit voraus: es giebt Ouverturen von Antonio Lotti im französischen Stil, wie sie in solcher Vortrefflichkeit nie ein wirklicher Franzose hätte machen können, des italiänisch gebildeten Händel garnicht zu gedenken. Die Deutschen aber schlossen eine passende Reihe von Tanzstücken, der sie eine französische Ouverture voranschickten, zu einer rein musikalischen Collectivform zusammen. Man sieht dies aus dem merkenswerthen Umstande, daß der Name »Suite« für die analoge Orchestermusik nicht im Gebrauch ist, was doch der Fall sein würde, wenn die Franzosen auch nur so viel dafür gethan hätten, wie für die Tanzgebinde des Claviers. Es existirt überhaupt kein zusammenfassender Name dafür. Mit der dem echten deutschen Musiker eignen Bescheidenheit, die sich unbekümmert um die äußere Repräsentation nur an die Sache hält, zählte man auf dem Titel solcher Werke entweder die einzelnen Bestandtheile auf oder begnügte sich abkürzend mit: »Ouverture u.s.w.«, worauf dann die Angabe der verwendeten Instrumente folgte. Die einzelnen in eine gewisse Reihenfolge gebrachten Tänze aber nannten die Kunstpfeifer »Partien« (»Partheyen«), und wir erweisen den Deutschen nur das gebührende Recht, wenn wir die Gattung hinfort mit dem deutschen Namen »Orchesterpartien« belegen.

[747] Wenn jemand bestimmt war, in dieser Gattung etwas ausgezeichnetes hervorzubringen, so war es sicherlich Sebastian Bach. Zum Beweise genügt wohl eine einfache Zurückdeutung auf seine Vorfahren. Vater, Oheim, Großvater hatten ausschließlich dem Kunstpfeiferberufe gelebt. Wie hätte es anders sein können, als daß in dem Musiker, welcher alle die durch hundert Jahre entwickelten Fähigkeiten seines Geschlechts in sich zusammenfassen sollte, auch diese Richtung deutschen Kunstlebens ihre Vollendung feierte? Ist die Anzahl seiner Orchesterpartien gleich nicht groß – denn dazu war die ganze Form nicht tiefsinnig und ausgiebig genug, auch absorbirte einen guten Theil des nach dieser Richtung drängenden Schaffenstriebes die Claviersuite –, so reicht doch allein ihr Vorhandensein schon hin, zu zeigen, wie durch und durch volksthümlich die Individualität Bachs war. Wolle Niemand, wir sagten es einmal schon86, von der musikalischen Bedeutung gering denken, welche dem Kunstpfeiferthum des 17. Jahrhunderts zukommt. Einerlei, daß Rohheit und Zügellosigkeit bei ihm nicht spärlich gedieh; roh und zügellos waren zum Theil auch die Volkssänger des 16. Jahrhunderts. Nichtsdestoweniger kam durch die Lieder derselben ein unverfälschtes Stück der deutschen Volksseele zum mustergültigen Ausdruck, und eben so war es mit den Instrumentaltänzen der späteren Periode. Man nehme hinzu, daß in Bachs Geschlecht das entschiedenste Streben herrschte, sich von allen Gemeinheiten der Standesgenossen nach Möglichkeit rein zu erhalten. Der große Künstler brauchte sich wahrlich nicht zu schämen, auch diesen Theil der Erbschaft seiner Altvorderen anzutreten. Und in der That, mit freudigem Muthe hat er von ihm Besitz ergriffen, mit dem vollen Ernst, dieses Ideal volkstümlicher Tonkunst mit dem ganzen Reichthum seiner Kräfte zu bedienen. Das Herz lacht einem im Leibe bei diesen drallen, aus echtestem Kernholz geschnitzten Gestalten, bei diesen gesunden Stimmungen, die uns wie der kräftige Brodem frischgeackerten Landes entgegenströmen. Seine vier Orchesterpartien sind sämmtlich Bildungen einer Meisterhand und in dieser Hinsicht von gleicher Vorzüglichkeit. Ihre Tonarten sind C dur, H moll [748] und zweimal D dur87. Alle beginnen mit einer weit ausgeführten französischen Ouverture: voran ein Grave mit Repetition, dann eine Fuge, die schließend ins Grave zurückleitet und mit ihm ebenfalls repetirt wird. Der typische, in der Abwechslung zwischen breiter Pracht und feurigem Flusse bestehende Charakter ist deutlich erkennbar geblieben, aber unvergleichlich verfeinert worden, man hört keine Opernmusik mehr sondern die distinguirteste Kammermusik, namentlich in der H moll-Ouverture. Die C dur-Partie läßt nun folgen: Courante, Gavotte, Forlane (ein venetianischer Tanz im 6/4 Takt, gigueähnlich), Menuett, Bourrée, Passepied. Außer der Courante und Forlane sind alle Stücke doppelt vorhanden, um den für einzelne Perioden beliebten Gegensatz von kräftig und zart auch auf abgeschlossene Tongebilde anzuwenden. Der allgemein bekannte Name »Trio« stammt von dieser Sitte her, da der zarte Gegensatz nur von drei Instrumenten, oder dreistimmig ausgeführt zu werden pflegte; bald jedoch nahm man es mit der Stimmenzahl nicht mehr so genau, nur der allgemeine musikalische Charakter blieb bestehen. Trios im strengsten Sinne haben hier nur Bourrée und Passepied; letzterer erscheint ungemein geistreich als sein eigner Gegensatz, indem sämmtliche Violinen und Bratschen die in die Mitte gelegte Melodie geigen, die Oboen aber in Achtelgängen sich darüber hin wiegen. Das Trio der Gavotte ist eigentlich auch nur dreistimmig, die vereinigten Geigen und Bratschen lassen in Intervallen und ohne damit bis zu Ende zu reichen einen leisen, fanfarenartigen Gang hineintönen – ein Spaß, den sich Bach auch im ersten Satze des ersten brandenburgischen Concerts mit den Hörnern gemacht hatte. Das Trio des Menuetts dagegen wird vierstimmig nur von den Saiteninstrumenten vorgetragen; duftig süß und heimlich kosend schwebt es mit elastischem Tritt. In der H moll-Partie folgen auf die Ouverture: Rondo, Sarabande, Bourrée, Polonaise, Menuett und ein freies Stückchen im 2/4 Takt, »Tändelei« (Badinerie) überschrieben; Bourrée hat ein Trio, Polonaise eine Variation. Durchweg hat diese Partie, in der außer dem Streichquartett nur eine Flöte mitwirkt, ein ganz besonders vornehmes und gewähltes Wesen; sie steht hiermit sogar [749] in einem gewissen Gegensatze zu den übrigen, ohne jedoch des populären Zuges ganz zu entbehren. Die Rondoform, welche uns in Bachschen Werken hier zum ersten Male begegnet, scheint aus Frankreich importirt zu sein; in ihr wechselt ein kurzer, gewöhnlich achttaktiger Satz mit etwas längeren Zwischensätzen von beliebiger Anzahl ab. Das in Rede stehende Rondo bewegt sich frei innerhalb dieses Schemas, indem es auch in den Zwischenperioden den Hauptsatz anklingen läßt, dieser ist eine wahre Perle an musikalischer Erfindung und ganz in Bachsche Melancholie getaucht. Die Sarabande beschäftigt das Ohr durch interessante Canonik zwischen Oberstimme und Bass, die erste Bourrée ergötzt durch eine burleske Durchführung des Basso ostinato


3.

die Variation der reizenden Polonaise bringt von Anfang bis zu Ende die Melodie im Basse, wozu die Flöte figurirt, gestützt von den Accorden des Cembalo. Mit ihr muß die prächtig wohllautende G dur-Polonaise aus Händels E moll-Concert vergleichen, wer sich die Verschiedenheit beider Meister auch auf diesem Gebiete einmal recht hell ins Bewußtsein bringen will88. Die Badinerie am Schlusse repräsentirt zwar keinen bestimmten Tanztypus, ist aber doch ganz in der zweitheiligen Form gehalten. Die Verwendung solcher Stücke hatte man, wie schon der Name sagt, von den Franzosen angenommen. Man gab auch wohl wirklichen Tänzen Ueberschriften à la Couperin, so nennt Bernhard Bach einmal eine Bourrée les plaisirs, ein andres Mal eine solche la joye, doch mischt grade dieser Künstler auch wohl Stücke ein, die von der Tanzform ganz abgehen, andrerseits kenne ich eine Orchesterpartie von Telemann, in der alle Stücke in Tanzrhythmen stehen, aber kein einziges einen Namen hat. Es herrschte, wie man sieht, große Freiheit. Eine zusammenfassende Bezeichnung solcher freier Tanzformen war Air, welche keineswegs nur von einfachen und gesangreichen Stücken gebraucht wurde89. In derselben Weise wie die H moll-Partie endigt auch die eine der beiden in D dur stehenden.Réjouissance heißt hier das Finale, und [750] bewegt sich frisch und keck im Tripeltakt. Die übrigen Nummern sind, von der Ouverture aus gezählt: Bourrée 1 und 2, Gavotte, Menuett 1 und 2. Den Bestand der andern D dur-Partie machen aus: Air, Gavotte 1 und 2, Bourrée, Gigue im italiänischen Stil. Außer der Tonart haben sie noch die stärkere Besetzung gemeinsam, dieselbe besteht neben dem Streichquartett in drei Trompeten, drei, beziehungsweise zwei Oboen, und Pauken. Die letztgenannte Partie wird auch in unserer Zeit wieder gern und häufig gehört, die andern sind dessen nicht minder würdig. Sämmtliche Orchesterwerke Bachs werden sich hoffentlich dauernd in unserm öffentlichen Musikleben einbürgern, sobald die materiellen Hindernisse beseitigt sind, welche einem großen Theile von ihnen den Einzug bis jetzt versperren. Vor allem ist die Herstellung der alten beweglichen, umfang- und ausdrucksreichen Trompeten unerläßlich. Das Instrument, welches man an ihrer Stelle jetzt zu verwenden hat, kann das Geforderte entweder garnicht leisten, oder vergröbert durch seinen auf dringlichen Ton die feinen Bachschen Linien dergestalt, daß nur ein Zerrbild entstehen kann.

Es ist früher darauf hingewiesen90, daß auch Bernhard Bach, der Vetter Sebastians, als Componist von Orchesterpartien Ausgezeichnetes geleistet habe. Auch bei diesem Künstler treten dadurch die Einwirkungen des Kunstpfeifergeschlechts, das ihn hervorgebracht hatte, recht greifbar zu Tage. Er darf wohl das Recht beanspruchen, als der erste in dieser Kunstgattung nach Sebastian Bach angesehen zu werden. Ludwig Bach in Meiningen ist der Nachwelt nur durch eine einzige Partie bekannt geworden, aber auch aus dieser spürt sich jener urwüchsige Zug heraus, der bei der Neigung dieses Meisters zu Weichheit und italiänischem Wohlklang um so merkenswerther ist. Jedenfalls stehen alle Orchesterpartien andrer Componisten, die ich kennen lernen konnte, weit hinter den Erzeugnissen der Bachs zurück. Händel hat sich meines Wissens auf diesem Felde nicht versucht.

Wir nennen Händel im Gegensatze zu Bach das universalere Talent; mit Recht, insofern darunter sein Verhältniß zum Culturleben der Völker und seine Wirkung auf dasselbe verstanden sein [751] soll. Er schulte sich in Deutschland, durchwanderte Italien, studirte französische Musik, lebte in England. Wie kein andrer unsrer großen Meister vermag er es, diejenigen Saiten des Menschengemüthes in Schwingung zu setzen, die von Nationalität und Zeit unabhängig mehr oder weniger überall dieselben sind und bleiben. Sieht man dagegen auf die in der Gesammtheit seines Schaffens zu Tage tretenden musikalischen Grundstoffe, so findet sich, daß er einen beträchtlichen Theil der Elemente, welche damals die musikalische Atmosphäre erfüllten, ganz unbenutzt gelassen hat. Universal im Zusammenfassen aller Musikformen der damaligen Culturvölker war nicht er, sondern Bach. Der Gang unsrer Darstellung berechtigt dazu, es schon an dieser Stelle auszusprechen, daß keine einzige musikalische Form im Laufe des 17. Jahrhunderts oder am Beginn des 18. entstanden ist, welche nicht durch Bach entweder allein, oder durch Bach im Verein mit Händel zur endgültigen Entwicklung gebracht wäre. Schon beim Abschluß der Schilderung seiner weimarischen Periode war auf den gewaltigen, von Bach verarbeiteten Reichthum der Formen aufmerksam gemacht. Rechnet man zu ihnen noch die Kammersonate, die Suite und die Orchesterpartie mit der französischen Ouverture, so ist thatsächlich alles erschöpft, was auf rein musikalischem Gebiete Deutschland, Italien und Frankreich boten. Wenn also das Urtheil treffend bleiben soll, daß Händel sich mehr ausbreitete, Bach mehr vertiefte, so darf es nicht so verstanden werden, daß letzterer nur auf ein Kunstgebiet oder wenige beschränkt geblieben wäre. Das Wesen der Musik geht an und für sich in die Tiefe, und wird es um so mehr thun, je reicher es sich entfaltet. Vielmehr überwog bei Händel die poetische und durch das gesungene Wort allgemeiner verständliche, bei Bach die rein musikalische Seite ihrer Kunst. Ohne Frage gelangt auch in Händel eine Reihe echt deutscher Züge zum reinsten, preiswürdigen Ausdruck: jene Neigung, sich dem Fremden hinzugeben, um es in der eignen Persönlichkeit zu überwältigen, zu reinigen, zu vervollkommnen; dazu die Unerschrockenheit, die Ausdauer, der gerade Sinn, die sittliche Hoheit! Aus diesen Gründen ist und bleibt er der unsere, mehr jedoch als ganzer Mensch, als speciell in seinem Musikerthum. Denn grade die eigentlich deutsche Kunst seiner Zeit, die Orgelkunst mit dem Choral als Mittelpunkt, hat er vernachlässigt. [752] Daß dieselbe bei Bach recht eigentlich der Focus war, in den alle Lichtstrahlen gesammelt wurden, um von dort aus zu neuen Wirkungen entlassen zu werden, das macht diesen nun im eminentesten Sinne zu einem nationalen Musiker. Nicht seine Persönlichkeit bildete das Ferment, welches alle Kunstelemente der Zeit durchsäuerte, sondern diejenige Musik, welche damals allein der vollste und reinste Ausdruck des deutschen Wesens war, und die an ihm nur ihren berufensten Vertreter hatte. Auf ihrem Grunde erbaute er in Weimar die Kirchencantate, von ihr aus durchdrang er dort und energischer noch in Cöthen jede nur irgend berechtigte musikalische Form und füllte sie mit edlerem Inhalte. Aber damit nicht genug. Diese neugeschaffenen Tonwesen wirken lebenzeugend weiter, umschlingen sich, senden ihre Kräfte hierhin und dorthin, streben von entfernten Polen einander entgegen, scheiden Trennendes aus, schießen krystallisch zusammen zu neuen und neuen, größeren und größeren Bildungen. Bachs Entwicklung, wenn man nur einmal das treibende Element darin erkannt hat, wächst und blüht auf wie eine Blume, es ist als sähe man in die großartige Werkstatt der Natur:


Wie alles sich zum Ganzen webt,

Eins in dem Andern wirkt und lebt!

Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen

Und sich die goldnen Eimer reichen,

Mit segenduftenden Schwingen

Vom Himmel durch die Erde dringen,

Harmonisch all' das All durchklingen!


Ja wohl, nicht nur die Bachschen Schöpfungen klingen, klingen das Wesen der Tonkunst reiner vielleicht zurück, als die eines andern deutschen Meisters, nein, sein eignes Werden, Wachsen und Leben ist Musik, Musik in jenem tiefsten Verstande, wie ihn die Worte des Goetheschen Faust zum Ausdruck bringen, ein Spiegelbild der ewigen Harmonie des Makrokosmus. Jene sittlich kräftigende und beglückende Wirkung, welche der Versenkung in die Natur wie dem Genusse jeder echten Musik entströmt, ruht auch in dem scheinbar einfachen, bewegungs- und abwechslungsarmen Lebensgange des großen Mannes; schlummernd bisher; möchte es gelingen, sie zur Freude und Erhebung seines Volkes zu erwecken!

Fußnoten

1 Forkel, S. 46. – Quantz, Versuch einer Anweisung u.s.w. S. 207 ff.


2 Quantz, a.a.O. S. 179: »Doch ist es eben keine dringende Nothwendigkeit, daß er [der Anführer der Musik] die Fähigkeit besitzen müsse, besondere Schwierigkeiten auf seinem Instrumente hervor zu bringen: denn dieses könnte man allenfalls denen überlassen, so sich nur durch das gefällige Spielen zu unterscheiden suchen; deren man auch genug findet.«


3 Chrysander, Händel I, S. 226.


4 Vergl. darüber Anhang A. Nr. 38 (zu Anmerk. 9).


5 Mattheson, Ehrenpforte S. 26.


6 Gerber, L. II, Sp. 604. Strungk stimmte vorher die Geige um, was auch wohl zur Erleichterung des harmonischen Spiels geschah.


7 »Hortulus Chelicus. Das ist Wohl-gepflanzter Violinischer Lust-Garten Darin – auch durch Berührung zuweilen zwey, drey, vier Seithen, auff der Violin die lieblichiste Harmonie erwiesen wird.«


8 Man müßte denn eine Aeußerung Matthesons in der Critica musica I, (1722) S. 224, i. dahin deuten: »Man hat mir neulich eine Suonata per Violino solo del Sigr: M.M. gezeiget, welche, zu geschweigen des Tones F mol, solche lange Finger erfordert, daß ich niemand so leicht wüste, der hierinn praestanda praestiren könnte. Dennoch kann ich solche Arbeit nicht tadeln, falls die Absicht derselben, mehr auf seinen besondern Vortheil an langen Fingern, oder sonst auf ein Exercitium, als auf jedermanns execution und Prahlerey gerichtet ist.« Aber der Sprachgebrauch ist dagegen.


9 P.S. III, C. 4. – S. Anhang A. Nr. 38.


10 Mir liegt zur Begründung meiner Ansichten freilich nur ein lückenhaftes Material vor. Wer die Lage kennt, in der sich die Musikgeschichte dem 17. Jahrhundert gegenüber befindet, wird dies verzeihlich finden.


11 Vrgl. Carl Israël, Die musikalischen Schätze der Gymnasialbibliothek und der Peterskirche zu Frankfurt a.M., 1872. S. 41.


12 Der »lustige Cotala« (vrgl. S. 20, Anmerk. 10) erzählt S. 181: »Einer fragte uns, ob wir keine Sonaten oder andere auff Instrumenta gesetzte Sachen bey uns hätten? Ich sagte ja: schlosse mein Felliß auff, und nahm etliche Stücke und Partheyen heraus«. Ueber Kuhnaus Partien s. S. 233, Anmerk. 29; über die Partie als Variation S. 125.


13 Vrgl. S. 197. Den Kunstpfeifern war in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts das Hautbois oder die »französische Schalmey« schon ein ganz geläufiges Instrument, wie aus »Battalus, der vorwitzige Musicant«. Freyburg, 1691. S. 63 und 64 hervorgeht. Vrgl. auch das Verzeichniß auf S. 166.


14 Wie die bekannte Definition bei M. Praetorius imSyntagma musicum III, S. 22 lautet.


15 Der »lustige Cotala« sagt S. 44 bei Schilderung einer hochzeitlichen Tafelmusik: »Wir machten damals eine Sonata, in welcher eine Fuga war; er selbst spielte die Bratsche darin.« Battalus a.a.O. S. 63: »Gleich itzt fiengen die Musicanten an zu musiciren. Sie machten eine Sonata mit zwo Trommeten, zweyen Hautbois und einem Fagotto, welche sich sehr wohl hören ließ.«


16 Kern melodischer Wissenschaft. Hamburg, 1737. S. 147. – Vollkommener Capellmeister, S. 369. Mattheson citirt an beiden Stellen ungenau, am ungenauesten an der ersten, wo er das Thema im Dreivierteltakt schreibt; das Kreuz vor 3. fehlt auch an der zweiten.


17 P.S. I, C. 3, Nr. 3.


18 B.-G. XV, S. 149; transponirt nach D moll. – P.S. V, C. 3, Nr. 4. Vrgl. Anhang A. Nr. 38.


19 P.S. I, C. 3, Anhang S. 1 und 2.


20 Auch in dem Vollkommenen Capellmeister S. 368 wird das Thema angeführt.


21 Z.B. in einer Pachelbelschen Fuge über ein fast übereinstimmendes Hauptthema bei Commer, Musica sacra, I.S. 156; auch in Seb. Bachs Orgel-Canzone.


22 P.S. I, C. 3, Nr. 1 und 2.


23 Lexicon, S. 28.


24 Ausgabe der deutschen Händel-Gesellschaft, Bd. II.


25 Neu eröffnetes Orchestre, S. 187.


26 Couperins Werke, herausg. von J. Brahms. 1. Band. Bergedorf bei Hamburg, 1871. S. 55 f. Ebendaher die übrigen Beispiele.


27 Vollkommener Capellmeister, S. 232, § 128.


28 Vollkommener Capellmeister, S. 231, § 123.


29 Intermezzi nennt treffend diese Zwischenstücke G. Nottebohm, der eine Reihe von besonnenen und eingehenden Artikeln über das Wesen der Suite verfaßte (Wiener Monatsschrift für Theater und Musik. Jahrg. 1855. S. 408–412, 457–461; Jahrg. 1857. S. 288–292, 341–345, 391–396); er hat auch schon auf das gegenseitige innere Verhältniß der übrigen Sätze hingewiesen.


30 Fürstenau, Zur Geschichte der Musik am Hofe zu Dresden I, S. 267 und 299.


31 Joh. Jak. Walther beginnt seine 1676 erschienenen Scherzi da Violino solo mit einer regelrechten viersätzigen Suite, in welcher der Allemande nicht weniger als sechs Variationen nachfolgen, während die Courante nur eine, Sarabande und Gigue garkeine haben. Da aber Courante, Sarabande und Gigue sämmtlich auch aus dem Stoff der Allemande gebildet werden, so ist es eigentlich nur eine fortlaufende Variationenreihe.


32 Die Deutung dieser Stelle (von Takt 89–97) ist nicht zweifellos, einen klaren Eindruck vom ersten Thema bekommt man nicht. Es ist aber ordnungsgemäß, daß es nach so langem Schweigen sich einmal wieder vernehmen läßt. Mendelssohn und Schumann sind, wie aus ihren Bearbeitungen hervorgeht, derselben Ansicht gewesen.


33 Und dadurch seines Schülers Kirnberger merkwürdige Behauptung, man könne zu den Violin- und Violoncellsoli keine Stimme hinzusetzen, ohne Harmoniefehler zu machen (Kunst des reinen Satzes I, S. 176), selbst widerlegt.


34 B.-G. V, 1, Nr. 29. Die ganze Suite ist auch im Clavierarrangement vorhanden (kgl. Bibl. zu Berlin), dessen Autograph ebenfalls noch existiren soll.


35 Mattheson sagt (Vollkommener Capellmeister S. 228, §. 102), die Louren hätten ein «stoltzes, aufgeblasenes Wesen« an sich, wovon wenigstens die Bachschen Louren das genaue Gegentheil sind.


36 P.S. IV, C. 1.


37 In der Peters'schen, durch Fr. Grützmacher besorgten, Ausgabe ist sie für Violoncell eingerichtet und nach D dur transponirt, wodurch natürlich vieles verloren ging.


38 S. Anhang A. Nr. 39.


39 Heinichen, Der Generalbass in der Composition. Dresden, 1728. S. 131 und 132.


40 Quantz, Versuch einer Anweisung u.s.w. S. 223: »Die allgemeine Regel vom Generalbaß ist, daß man allezeit vierstimmig spiele: wenn man aber recht gut accompagniren will, thut es oft bessere Wirkung, wenn man sich nicht so genau hieran bindet.«


41 Johann Christian Kittel, Der angehende praktische Organist. Dritte Abtheilung. Erfurt, 1808. S. 33.


42 Musikalische Bibliothek, vierter Theil. Leipzig, 1738. S. 48. Den Grundsatz empfiehlt übrigens auch Heinichen, a.a.O. S. 547 f.


43 Gerber, Lexic. I, Sp. 492.


44 P.S. III, C. 6, Nr. 4.


45 B.-G. XI, 2, S. 97 ff.


46 B.-G. IX, S. 175 ff. und 260 ff.


47 Nämlich zu der im »Musikalischen Opfer« befindlichen für Flöte, Violine und Clavier. P.S. III, C. 8, Nr. 3. Die Begleitung zum dritten Satze hat Kirnberger auch in seinen »Grundsätzen des Generalbasses« mitgetheilt, und sagt dazu S. 87: »Um endlich einen überzeugenden Beweis von der Notwendigkeit der Kenntniß der verschiedenen Bezifferungen zu haben, habe ich Fig. LI. ein Exempel von Johann Sebastian Bach aus einem Trio beigefüget, welches, ohngeachtet es nur ein Trio ist, dennoch vierstimmig accompagnirt werden muß, und kann dieses zur Widerlegung der gemeinen Meinung dienen, als müßten Trios, Sonaten, für eine concertirende Stimme und den Baß; imgleichen Cantaten, die nur von einem Flügel begleitet werden, nicht vierstimmig accompagniret werden.«


48 Quantz, a.a.O. S. 233.


49 Forkel, a.a.O. S. 16 und 17.


50 P.S. I, C. 4, Nr. 7 und 8. – Auf der königl. Bibl. zu Berlin ist ein Heft mit der Aufschrift: »Praeludia et Fugen | del signor | Johann Sebastian | Bach. |Possessor | A.W. Langloz | Anno 1763.« | Es enthält 62 Praeludien und Fugen, ebenfalls nur einsystemig und mit Bezifferung. Kein einziges Fugenthema ist aber sonst als Bachisch bekannt und die Compositionen sind so dürftig, daß ich nicht an den Bachschen Ursprung glaube. Vielleicht sind es Uebungsstücke für das Generalbassspiel, die sich ein Schüler Bachs gesammelt hatte und der genannte Langloz abschrieb. – Vrgl. noch über die ältere Manier, Fugen in der Continuo-Stimme zu notiren Niedt, Musikalische Handleitung, I. Hamburg, 1710. Bogen E.


51 Kirnberger, a.a.O. S. 87.


52 Hierauf hat zuerst W. Rust aufmerksam gemacht B.-G. IX, S. XVII; zu vergl. B.-G. XVII, S. XV.


53 Die Orgelchoräle »Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ«, »Meine Seele erhebet den Herren«, »Wachet auf, ruft uns die Stimme« (P.S. V, C. 6, Nr. 2. C. 7, Nr. 42 und 57), vom Componisten selbst mit drei andern bei G. Schübler in Zella herausgegeben; entnommen den Cantaten »Bleib bei uns, denn es will Abend werden« (B.-G. I, Nr. 6), »Meine Seele erhebet den Herren« (B.-G. I, Nr. 10), »Wachet auf, ruft uns die Stimme« (Winterfeld, Evang. K. III, Beilage S. 172).


54 S. Anhang A. Nr. 40.


55 Forkel, S. 57 sagt es ganz bestimmt, muß es also von Bachs Söhnen erfahren haben.


56 B.-G. IX, S. 69–172. P.S. III, C. 5.


57 Motetten von Johann Sebastian Bach. Leipzig, Breitkopf und Härtel, Nr. 4.


58 Später hat Bach an deren Stelle Zweiunddreißigstel-Gruppen gesetzt; die erste Gestalt ist mitgetheilt B.-G. IX, S. 250 f.


59 B.-G. VII, S. 146 ff.


60 B.-G. XIII, 1, S. 34 ff.


61 Ueber das Verhältniß der verschiedenen Gestaltungsversuche zu einander, deren letzter in der Ausgabe der Bach-Gesellschaft wiedergegeben ist, vergleiche man die sorgfältigen Untersuchungen W. Rusts in der Vorrede von Bd. IX, S. XX f. Die Abweichungen des ersten finden sich dort im Anhange S. 252 ff.


62 B.-G. IX, S. 175 ff. (die ältere Gestalt im Anhange S. 260 ff.). – P.S. IV, C. 2, Nr. 1.


63 B.-G. IX, S. 189 ff. – P.S. IV, C. 2, Nr. 2.


64 B.-G. IX, S. 203 ff. – P.S. IV, C. 2, Nr. 3.


65 B.-G. IX, S. 22 ff. – P.S. III, C. 6, Nr. 2.


66 B.-G. IX, S. 274 ff. Daß die Sonate nicht unecht sein kann, so lange der Ursprung der Es dur-Sonate unbezweifelt ist, hat schon W. Rust bemerkt ebend. S. XXV. Außerdem ist auch im Adagio der Anklang an das Largo des Concerts für zwei Violinen unverkennbar.


67 B.-G. III, S. 173 ff. – P.S. V, C. 3, Nr. 1.


68 B.-G. IX, S. 245 ff. und 32 ff. – P.S. III, C. 6, Nr. 3.


69 Daß der Anfang der Melodie mit einem Fugenthema aus einer Bernh. Bachschen Orchestersuite übereinstimmt, ist S. 26 bemerkt.


70 B.-G. IX, S. 43 ff. – P.S. III, C. 7, Nr. 1.


71 P.S. III, C. 7, Nr. 2 und 3.


72 P.S. III, C. 6, Nr. 4, 5 und 6. – S. Anhang A. Nr. 41.


73 B.-G. IX, S. 221 ff. – P.S. III, C. 8, Nr. 2. Die autographen. während der Leipziger Zeit geschriebenen Stimmen besitzt jetzt Herr Capellmeister J. Rietz in Dresden.


74 B.-G. IX, S. 231 ff. – P.S. III, C. 8, Nr. 1. Die zu diesem und andern Stücken in der Peters'schen Ausgabe von Fr. Hermann gelieferte Ausführung des Bachschen bezifferten Basses ist gewandt gemacht und sehr gut musikalisch; nur wäre überall ein strenger Anschluß an die originale Bezifferung wünschenswerth gewesen. – S. Anhang A. Nr. 42.


75 P.S. III, C. 1, 2 und 3. Vrgl. die Untersuchungen von W. Rust in B.-G. XVII, S. XIII ff.


76 Bach selbst nennt in seiner Zueignung den Zeitraum, welcher seitdem verstrichen sei, »une couple d'années«. Will man dies, was übrigens kaum nöthig erscheint, ganz wörtlich fassen, so ergäbe sich das Jahr 1719, aus dem eine Karlsbader Reise des Fürsten Leopold allerdings nicht bekannt ist.


77 Sie beliefen sich zeitweilig auf ungefähr 48,945 Thaler, womit er aber nicht immer ausreichte.


78 Walther, Lexicon.


79 Das wenige, was ich hier über den Markgrafen Christian Ludwig mittheilen kann, sind Ergebnisse meiner im königl. Hausarchiv zu Berlin angestellten Nachforschungen. Der ansehnliche musikalische Nachlaß wurde inventarisirt und abgeschätzt. Neben Concerten von Vivaldi, Venturini, Valentini, Brescianello u.a. ist Bachs Werk der Ehre einer namentlichen Aufführung nicht für werth erachtet, muß sich also unter einem von folgenden beiden Convoluten befunden haben: »77 Concerte von diversen Meistern, und für verschiedene Instrumente à 4 ggr. [zusammen:] 12 Thlr. 20 ggr.« und »100 Concerte von diversen Meistern vor verschiedene Instrumente. No. 3. 16 Thlr.« Ueber die späteren Schicksale des Autographs s. B.-G. XIX, Vorwort. Außerdem sind die Concerte veröffentlicht mit facsimilirter Dedication P.S. VI, Nr. 1–6.


80 Mit Unrecht von W. Rust in der Ausg. der B.-G. ein Violinconcert genannt. Das ripieni des Titels bezieht sich nur auf die Geigen, denn Flauti ripieni gab es nicht. Außerdem wird ja das Verhältnlß aus dem Werke selbst ganz klar. Dehn in der Peters'schen Ausgabe bezeichnet richtig.


81 Kirnberger in der »Kunst des reinen Satzes« II, 2, S. 57 f. führt ihn als Muster an.


82 Z.B. im C dur-Concert (Ausg. d. Händel-Ges. XXI, S. 63), das abzüglich der Schlußgavotte ganz die Vivaldische Form hat; im zweiten Satze des großen G dur-Concerts (H.-G. XXX, Nr. 1).


83 H.-G. XXVIII. Man vergl. besonders die Concerte 1, 2, 4 und 6 aus Op. 4; aus Op. 7 die Concerte 3–6.


84 H.-G. XXX, Nr. 3, 4, 6.


85 Vergl. die verständnißvolle und erschöpfende Untersuchung über Händel als Instrumentalcomponisten bei Chrysander, Händel III, S. 174 ff.


86 S. Buch I, VII. (S. 150).


87 Drei derselben sind veröffentlicht P.S. VI, Nr. 7, 8, 9. – S. Anhang A. Nr. 43.


88 H.-G. XXX, S. 40.


89 Vrgl. S. 567 f. Complicirte und bunte Gebilde bietet unter diesem Namen auch Dismas Zelenka.


90 S. 26 f.

Quelle:
Spitta, Philipp: Johann Sebastian Bach. Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1873.
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