Hoftrompeter Johann Andreas Schachtner über den Knaben Mozart

[5] Aus einem Briefe an Marianne Berchthold zu Sonnenburg3;

Salzburg, am 24. April 1792


... Sobald er (Mozart) mit der Musik sich abzugeben anfing, waren alle seine Sinne für alle übrigen Geschäfte soviel als tot, und selbst die Kindereyen und Tändelspiele mußten, wenn sie für ihn interessant seyn sollten, von der Musik begleitet werden; wenn wir, er und ich, Spielzeuge zum Tändeln von einem Zimmer ins andere trugen, mußte allemal derjenige von uns, so leer ging, einen Marsch dazu singen und geigen. Vor dieser Zeit aber, eh er die Musik anfing, war er für jede Kinderey, die mit ein bischen Witz gewürzt war, so empfänglich, daß er darüber Essen und Trinken und alles andere vergessen konnte. Ich ward ihm daher, weil ich mich mit ihm abgab, so äußerst lieb, daß er mich oft zehnmal an einem Tage fragte, ob ich ihn lieb hätte und wenn ich es zuweilen, auch nur zum Spaß verneinte, stunden ihm gleich die hellichten Zähren im Auge, so zärtlich und so wohlwollend war sein gutes Herzchen.

[5] ... Er wollte nie spielen, außer seine Zuhörer waren große Musikkenner, oder man mußte ihn wenigstens betrügen, und sie dafür ausgeben ...

... Er war voll Feuer, seine Neigung hing jedem Gegenstand sehr leicht an; ich denke, daß er im Ermanglungsfalle einer so vorteilhaft guten Erziehung, wie er hatte, der ruchloseste Bösewicht hätte werden können, so empfänglich war er für jeden Reiz, dessen Güte oder Schädlichkeit er zu prüfen noch nicht im Stande war ...

Einmal ging ich mit Herrn Papa nach dem Donnerstagamt zu Ihnen nach Hause, wir trafen den vierjährigen Wolfgangerl in der Beschäftigung mit der Feder an.

Papa: was machst Du?

Wolfgang: ein Concert fürs Clavier, der erste Teil ist bald fertig.

Papa: laß sehen.

Wolfgang: ist noch nicht fertig.

Papa: laß sehen, das muß was sauberes seyn.

Der Papa nahm ihms weg, und zeigte mir ein Geschmiere von Noten, die meistenteils über ausgewischte Tintendolken4 geschrieben waren (NB der kleine Wolfgangerl tauchte die Feder aus Unverstand allemal bis auf den Grund des Tintenfasses ein, daher mußte ihm, sobald er damit aufs Papier kam, ein Tintendolken entfallen, aber er war gleich entschlossen, fuhr mit der flachen Hand darüber hin, und wischte es auseinander, und schrieb wieder darauf fort), wir lachten anfänglich über dieses scheinbare Galimathias, aber der Papa fing hernach seine Betrachtungen über die Hauptsache, über die Noten, über die Composition an, er hing lange Zeit steif mit seiner Betrachtung an dem Blatte, endlich fielen zwei Thränen, Thränen der Bewunderung und Freude aus seinen Augen. Sehen Sie, Herr Schachtner, sagte er, wie alles [6] richtig und regelmäßig gesetzt ist, nur ists nicht zu brauchen, weil es so außerordentlich schwer ist, daß es kein Mensch zu spielen im Stande wäre. Der Wolfgangerl fiel ein: Drum ists ein Concert, man muß so lange exercieren bis man es treffen kann, sehen Sie, so muß es gehn. Er spielte, konnte aber auch just soviel heraus bringen, daß wir kennen konnten, wo er aus wollte. Er hatte damals den Begriff, daß Concert spielen und Mirakel wirken einerley sein müsse.

... Sie wissen sich zu erinnern, daß ich eine sehr gute Geige habe, die weiland Wolfgangerl wegen seinem sanften und vollen Ton immer Buttergeige nannte. Einmals geigte er darauf und konnte meine Geige nicht genug loben. Nach ein oder zween Tagen kam ich wieder ihn zu besuchen, und traf ihn als er sich eben mit seiner eigenen Geige unterhielt an, sogleich sprach er: Was macht Ihre Buttergeige? geigte dann wieder in seiner Phantasie fort, endlich dachte er ein bischen nach und sagte zu mir: Herr Schachtner, Ihre Geige ist um einen halben Viertelton tiefer gestimmt als meine da, wenn Sie sie doch so gestimmt ließen, wie sie war, als ich das letztemal darauf spielte. Ich lachte darüber, aber Papa, der das außerordentliche Tönegefühl und Gedächtnis dieses Kindes kannte, bat mich, meine Geige zu holen und zu sehen, ob er recht hätte. Ich tats, und richtig wars.

... Wir spielten Trio, und der Papa spielte mit der Viola den Baß, der Wentzl das erste Violin und ich sollte das zweite spielen. Wolfgangerl bat, daß er das zweite Violin spielen dürfte, der Papa aber verwies ihm seine närrische Bitte, weil er noch nicht die geringste Anweisung in der Violin hatte, und der Papa glaubte, daß er nicht im mindesten zu leisten im Stande wäre. Wolfgang sagte: Um ein zweites Violin zu spielen, braucht man es ja wohl nicht erst gelernt zu haben, und als Papa darauf bestand, daß er gleich fortgehen [7] und uns nicht weiter beunruhigen sollte, fing Wolfgang an bitterlich zu weinen und trollte sich mit seinem Geigerl weg. Ich bat, daß man ihn mit mir möchte spielen lassen; endlich sagte Papa: Geig mit Herrn Schachtner, aber so stille, daß man Dich nicht hört, sonst mußt Du fort. Das geschah, Wolfgang geigte mit mir. Bald bemerkte ich mit Erstaunen, daß ich da ganz überflüssig seye; ich legte still meine Geige weg und sah Ihren Herrn Papa an, dem bei dieser Szene die Thränen der Bewunderung und des Trostes über die Wangen rollten; und so spielte er alle 6 Trio. Als wir fertig waren, wurde Wolfgang durch unsern Beyfall so kühn, daß er behauptete auch das erste Violin spielen zu können. Wir machten zum Spaß einen Versuch, und wir mußten uns fast zu Tode lachen, als er auch dies, wiewohl mit lauter unrechten und unregelmäßigen Applicaturen doch so spielte, daß er doch nie ganz stecken blieb.

... Fast bis in sein zehntes Jahr hatte er eine unbezwingliche Furcht vor der Trompete, wenn sie allein, ohne andere Musik geblasen wurde; wenn man ihm eine Trompete nur vorhielt, war es ebensoviel als wenn man ihm eine geladene Pistole aufs Herz setzte. Papa wollte ihm diese kindische Furcht benehmen und befahl mir einmal trotz seines Weigerns ihm entgegen zu blasen, aber mein Gott! hätte ich mich nicht dazu verleiten lassen. Wolfgangerl hörte kaum den schmetternden Ton, ward er bleich und begann zur Erde zu sinken, und hätte ich länger angehalten, er hätte sicher das Fraise bekommen.

Quelle:
Mozart. Zusammengestellt und erläutert von Dr. Roland Tenschert. Leipzig, Amsterdam [1931], S. 5-8.
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