Da Ponte schreibt drei Libretti auf einmal

[210] Aus den »Denkwürdigkeiten des Lorenzo Da Ponte von Ceneda« Nachdem ich meine drei Stoffe gefunden, stellte ich mich dem Kaiser vor und gab ihm meine Absicht zu erkennen, sie nebeneinander vorzuführen. Er schrie laut auf. »Sie werden scheitern«, sagte er zu mir. »Vielleicht, aber ich will den Versuch wagen. Ich werde für Mozart schreiben, zuvor aber einige Seiten in Dantes Hölle lesen, um in die rechte Stimmung zu geraten.« Gegen Mitternacht setzte ich mich an meinen Arbeitstisch; eine Flasche vortrefflicher Tokayer-Wein stand rechts von mir, mein Schreibzeug links, eine Tabaksdose voll Tabak aus Sevilla vor mir. Um jene Zeit wohnte ein junges und schönes Mädchen von sechzehn Jahren, die ich nur hätte wie ein Vater lieben mögen, mit ihrer Mutter in meinem Hause; sie kam stets in mein Zimmer zur Verrichtung kleiner innerer Dienste, sobald ich mit der Klingel schellte, um etwas zu verlangen; ich mißbrauchte etwas die Klingel, zumal wenn ich meine Wärme schwinden und ein Erkalten fühlte. Dieses reizende Mädchen [210] brachte mir dann bald etwas Bisquit, bald eine Tasse Schokolade, bald nur ihr stets heiteres, stets lächelndes Antlitz, das eigens geschaffen war, um den ermüdeten Geist wieder zu erheitern und die poetische Begeisterung neu zu erwecken. Ich unterzog mich also zwölf Stunden täglich hintereinander mit nur kurzen Unterbrechungen zu arbeiten und führte dies zwei Monate lang durch ... So zwischen dem Wein von Tokay, dem Schnupftabak von Sevilla, der Klingel auf meinem Tische und der schönen Deutschen, die der jüngsten der Musen glich, schrieb ich die erste Nacht für Mozart die beiden ersten Szenen des »Don Juan«, zwei Akte vom »Baum der Diana«96 und mehr als die Hälfte des ersten Aktes von »Tarare«, welchen Titel ich jedoch in dem von »Axur«97 umänderte. Am nächsten Morgen trug ich die Arbeit zu meinen Drei Componisten, die ihren Augen nicht recht trauen wollten. In zwei Monaten waren »Don Juan« und der »Baum der Diana« beendigt, auch bereits mehr als das Drittel der Oper »Axur« fertig.
Quelle:
Mozart. Zusammengestellt und erläutert von Dr. Roland Tenschert. Leipzig, Amsterdam [1931], S. 210-211.
Lizenz:
Kategorien: