In der Schweiz

[24] Auszug aus einer Rede9, die von einem Anonymus aus dem Französischen übersetzt und, mit einem Vorwort versehen, Wolfgang zugeschickt wurde


Der Übersetzer

an den Herrn Wolfgang Mozart

hochfürstlich- Salzburgischen

Concertmeister.


Verwundern Sie sich nicht, mein Herr, daß ich eine Schrift aus dem Französischen übersetzt habe, welche Ihnen zu Ehren auf Ihrer Reise durch Schweizerland von einer durchlauchtigen Feder (wie man mutmaßet) ist aufgesetzt worden.

Ich suche nicht damit dero Ruhm zu vergrößern, den Sie von gekrönten Häuptern schon einige Zeit her sich erworben haben: ach nein, dieses wäre eine Torheit von mir, und ebenso viel, als wenn ich den in vollen Flammen stehenden Vesuvio ein kleines Nachtlicht wollte anhängen, um denselben sichtbarer zu machen. Es hat mich nur darzu bewogen, daß der durchlauchtige Redner in Ihnen nicht nur den natürlichen sondern auch den sittlichen Menschen beobachtet und gefunden hat: fürwahr ein schöner Gegenwurf, der einer Betrachtung würdig ist und den man bei großen Künstlern wenig oder gar nicht zu sehen bekommt.

Betrachte man nur durchgehends die großen Künstler, der eine ist so höhnisch und prahlerisch wie ein spanischer Marktschreier, der andere so faul und unfreundlich wie ein grönländischer Bär, der dritte so schmierig und unverschämt wie ein nordischer Lappländer, [24] der vierte glaubt gar, die Kunst müsse mit ihm absterben, und dergleichen Narren gibt es ins Allgemein unter allen den Künstlern.

Sie aber, mein Herr, werden in dieser Schrift vorgestellt als ein Muster der Kunst und Tugend: was Trost, Freud und Ehre vor ihre lieben Eltern, welche in Ihnen den sittlich und natürlichen Menschen so rühmlich haben wissen zu vereinigen und empor zu bringen.

Gott beschütze und bewahre Sie noch viele Jahre vor allem Unglück und aller Widerwärtigkeit, auf daß die vernünftige Welt in Ihnen die Hand des Allmächtigen ewig bewundern könne.

Leben Sie wohl und vergnügt!


Aristides oder

der bürgerliche Philosoph

XVI. Sinn-Rede

Am 11. Oktober 1766 zu Lausanne in der Schweiz

gehalten.


Ich zweifle nicht, meine Herrn, daß Sie den jungen Mozart werden gehört haben, und ich bin überzeugt, daß derselbe bei Ihnen eben den Eindruck wird gemacht haben als bei allen den Personen, welche eine natürliche Fähigkeit besitzen, die Früchte der freien Künste zu schätzen. Sie werden mit ebenso viel Bewunderung als Vergnügen ein Kind von neun Jahren das Clavier haben spielen sehen so gut als große Meister.

Am meisten aber werden Sie erstaunt gewesen sein, von glaubenswürdigen Personen zu vernehmen, daß derselbe schon vor drei Jahren vortrefflich gespielt habe: es ist zu wissen, daß fast Alles, was derselbe gespielt, von seiner Composition ist.

Man hat in allen seinen Stücken, ja sogar in seinen Fantaseyen jene Art der Stärke gefunden, so das Zeichen [25] der natürlichen Geschicklichkeit ist, jene Abwechslung, so das Feuer der Einbildungskraft angibt, und jene Annehmlichkeit, so einen festen Geschmack beweiset. Man wird endlich die schwersten Stücke von demselben mit einer Fertigkeit haben ausführen gesehen, so man in einem Mann von 30 Jahren selbst bewundern würde ...

Die Empfindlichkeit und Richtigkeit des Gehörs sind bei dem jungen Mozart so groß, daß ihn falsche, unleidliche oder zu sehr gezwungene Klänge weinen machen. Seine Einbildungskraft ist eben so musikalisch als sein Gehör, dieselbe hat allezeit eine Menge der Töne auf einmal gegenwärtig, ein einziger angegebener Ton verschafft ihm in demselben Augenblick diejenige Spannung, welche ein wohlklingendes und vollständiges Spiel oder Singstück ausmachen könne.

Bei allen Personen, welche eine vortreffliche Naturgabe besitzen, zeigen sich alle Vorstellungen in möglichstem Zusammenhang mit dieser. Dieses war bei unserem jungen Mozart handgreiflich zu bemerken. Er ging oft wider seinen Willen, gleichsam von einer heimlichen Kraft gezogen, an sein Clavier, auf dem er Klänge herausbrachte, die ein lebendiger Ausdruck der Vorstellungen waren, mit welchen seine Seele beschäftigt war. Man könnte sagen, daß er in einem solchen Augenblick selber ein Instrument seye unter den Händen der Musik, von wohlgestimmten Saiten harmonisch zusammengesetzt und zwar so künstlich, daß man eine davon nicht berühren kann, ohne daß sich alle die andern bewegen: er spielt alle Vorstellungen, gleichwie der Poet selbige in Reimen, und der Maler in Farben darstellt ...

Ein guter Verstand scheint gemacht zu sein vor eine tugendhafte Seele und vor liebreiche Sitten, die Erfahrung hat dies bekräftigt bei vielen großen Künstlern [26] und der junge Mozart verschafft uns einen neuen Beweis davon. Sein Herz ist so empfindlich wie sein Gehör, er hat eine Sittsamkeit, so in diesem Alter und bei dieser Kunst was Sonderbares ist: Man ist wahrhaftig erbauet, als man denselben hört, seine Naturgaben dem Urheber alles Guten zuzuschreiben und mit einer angenehmen Art und Aufrichtigkeit der innigsten Überzeugung Ausdruck zu geben, daß es unverantwortlich wäre, wenn er sich deswegen rühmte.

Man kann nicht ohne Bewegung ansehen all die Merkzeichen seiner Zärtlichkeit gegen einen Vater, welcher es würdig ist, welcher sich vielmehr bemüht hat, ihn tugendhaft als künstlich zu machen, und welcher von der guten Erziehung mit ebensoviel Einsicht redet als von der Musik, dafür er durch den guten Erfolg wohl belohnt ist: denn was kann vor ihn Angenehmeres seyn, als zwey liebenswerte Kinder über seine Gutheißung, welche sie mit einer zärtlichen Unruhe in seinen Augen suchen, viel vergnügter zu sehn als über den Beyfall der ganzen Welt ...

... daß es zu wünschen seyn würde, wenn die Väter, deren Kinder außerordentliche Naturgaben besitzen, dem Herrn Mozart nachfolgten, welcher, anstatt seinen Sohn anzutreiben, allezeit aufmerksam gewesen ist, seinen Eifer zu mäßigen und ihn abzuhalten, daß er sich darin nicht übertreibe. Eine entgegengesetzte Aufführung unterdrückt dauernd die besten Eigenschaften und kann die vortrefflichen Naturgaben zugrunde richten.

Quelle:
Mozart. Zusammengestellt und erläutert von Dr. Roland Tenschert. Leipzig, Amsterdam [1931], S. 24-27.
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