Erstes Kapitel.

Das Kurfürstentum Köln. Kurfürst Joseph Klemens (1689–1723).

Eine der Folgen der französischen Revolution, und zwar eine von jenen, in denen man häufig einen Ersatz für ihre Schrecken erblickt, war die Auflösung einer großen Zahl jener kleinen Herrschaften, in welche damals das Deutsche Reich zerfiel, und deren Bestehen einer Einigung des deutschen Volkes, wie wir sie in unseren Tagen erlebt haben, im Wege stand. Die ersten, welche dem Sturme zum Opfer fielen, waren die zahlreichen kirchlich-bürgerlichen Glieder des alten, lockeren Verbandes. Mehrere von ihnen hatten in dem Fortschritte der Zivilisation eine weder unwichtige noch unrühmliche Rolle gespielt; aber ihre Zeit war vorüber.

Die Bewohner dieser Staaten hatten in mancher Hinsicht ein besseres Los, als die Untertanen erblicher Herrscher, und das alte deutsche Wort: »unter dem Krummstabe ist gut wohnen« hatte eine tatsächliche Grundlage. Wenigstens wurden sie nicht als Soldtruppen verkauft, und ihr Blut wurde nicht auf fremden Schlachtfeldern vergossen, um für den glänzenden Prunk ihrer Fürsten die Mittel zu schaffen. Aber die veralteten Ideen, an welchen die geistlichen Herrscher mit Zähigkeit festhielten, waren ein Hemmnis weiterer Entwicklung geworden; der Ausnahmen gab es zu wenige, um ihr ferneres Bestehen wünschenswert zu machen.

Diese Staaten, an Bevölkerung, Wohlstand und politischem Einfluß außerordentlich verschieden, wurden von Fürsten beherrscht, welche zum größten Teile, wenn nicht durchgehends, ihre Stellung der Wahl von seiten der Kapitel oder anderer kleinen kirchlichen Korporationen verdankten. Die Mitgliederzahl der letzteren war beschränkt genug, um jeder Art von Intrige freien Spielraum zu geben. Die Gewählten konnten aber ihre Stellung nicht früher antreten, als bis die Wahl vom Papste als dem Oberhaupte der Kirche und vom Kaiser als dem des Reiches bestätigt war. Die Untertanen hatten demnach keine Stimme in der Sache; und es ist [5] kaum nötig hinzuzufügen, daß ihre Wohlfahrt und ihr Glück sich nicht unter den Beweggründen befand, welche bei der Wahl in Betracht kamen. Diese Throne waren der Regel nach durch Urkunden und Statuten auf Personen von hoher Geburtsstellung beschränkt; sie waren Benefizien und Sinekuren für jüngere Söhne aus fürstlichen Häusern. In den langen Reihen ihrer Inhaber erscheint hier und da ein Name, um welchen sich geschichtliche Vereinigungen bilden; es begegnet uns zuweilen ein wissenschaftlich gebildeter Mann, welcher das Wachstum und die Ausbreitung der schwerfälligen Gelehrsamkeit seiner Zeit unterstützt; ein Krieger, welcher das Priestergewand mit dem Panzer vertauscht; ein Politiker, der seine Rolle in den Angelegenheiten und Intrigen des Reiches mehr oder weniger ehrenvoll spielt; sehr selten aber ein Mann, dessen täglicher Wandel und Verkehr einigermaßen das Leben und die Grundsätze des Gründers des Christentums widerspiegelte. Kurz, wie sie ihre Stellungen ausschließlich politischen und Familieneinflüssen verdankten, so übernahmen sie im allgemeinen die Gelübde und Attribute des geistlichen Standes als notwendige Stufen zu einem Leben in Überfluß und Genuß.

In jenen Tagen des 18. Jahrhunderts war das Reisen langsam, beschwerlich und kostspielig. Daher bildeten, wenn wir von den wenigen Reicheren und Mächtigeren absehen, ein paar Reisen in langen Zwischenräumen, zu einem Konzil, einer Kaiserkrönung oder einem Reichstage, die seltene Unterbrechung der Eintönigkeit ihres täglichen Daseins. Da sie nicht die Möglichkeit hatten, ihre Herrschaften durch Vererbung ihren Kindern zu überliefern, so hatten sie auch um so geringeren Antrieb, bei ihrer Regierung das Wohl ihrer Untertanen im Auge zu haben; auf der anderen Seite dagegen war die Versuchung sehr groß, ihre Einkünfte zu vermehren, um ihre Verwandten und Diener zu unterstützen und ihren persönlichen Begierden und Liebhabereien sich hingeben zu können. Der Glanz und die luxuriösen Schaustellungen, deren sie bedurften, mußten zu unmäßiger Verschwendung führen.

Die meisten von ihnen nahmen das Leben leicht; sie konnten mit dem Prediger (II, 4–8) sagen: »Ich unternahm große Werke; ich baute mir Häuser und pflanzte Weinberge; legte Luft- und Baumgärten an, und pflanzte darin Bäume von allerlei Art; ich machte mir Wasserteiche, um den Wald der grünenden Bäume zu wässern; ich hatte Knechte und Mägde und viele Hausgeborne ...; ich sammelte mir Silber und Gold, und die Schätze der Könige und Länder; ich schaffte mir Sänger und Sängerinnen an, und die Lust der Menschenkinder, Becher und Gefäße, die da dienen [6] zum Weinschenken; ... und alles, was meine Augen verlangten, versagt' ich ihnen nicht; und ich wehrte meinem Herzen nicht, alle Luft zu genießen ...«

In solcher Weise auf ihre eigenen kleinen Residenzen und auf den Verkehr mit ihren unmittelbaren Nachbarn beschränkt, waren sie noch ausschließlicher auf ihre eigenen Genußquellen angewiesen, als die erblichen Fürsten des Reiches; und was ist so zugänglich, so leicht zu haben, und was befriedigt so leicht, als Musik, Theater und Tanz? So geschah es, daß jeder kleine Hof eine Pflegestätte dieser Künste wurde; und beinahe Generationen hindurch kann man die meisten von jenen, welche sich in einer dieser Künste einen bedeutenden Namen erwarben, in den Hofkalendern verzeichnet finden. Man ist daher nicht überrascht, wenn man erfährt, wie viele der hervorragendsten Komponisten ihre Laufbahn als Sängerknaben in Domchören von Deutschland und England begannen. Die weltlichen Fürsten, besonders die von höherem Range, hatten außer der bürgerlichen Verwaltung ihre Aufmerksamkeit zu richten auf die aufregenden Kriegsereignisse, auf Fragen der öffentlichen Politik, auf Pläne und Intrigen zur Förderung ihrer Familieninteressen und ähnliches; die kirchlichen hingegen überließen die bürgerliche Verwaltung in der Regel den Händen ihrer Minister, und hatten daher außer der oft beschwerlichen Übung ihrer kirchlichen Pflichten nur weniges, was sie amtlich in Anspruch nahm. Daher waren Theater, Musik für den Gottesdienst, Oper, Salon und Tanzsaal Gegenstände von großer Wichtigkeit; sie füllten zum großen Teil ihr Dasein und wurden demgemäß eifrig gepflegt.

Die drei deutschen Kirchenfürsten, welche die größte Macht und den stärksten Einfluß hatten, waren die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln; sie waren Kurfürsten des Reiches und Beherrscher der schönsten Landschaften längs des Rheines. Johann Hübner beschreibt in seiner Vollständigen Geographie (7. Ausg. 1763) das Kurfürstentum Köln so:

»Dieses Ertz-Stift lieget die Länge hin an dem Nieder-Rhein, in der schönsten und fruchtbarsten Gegend der Welt, die man deswegen die Pfaffen-Gasse zu nennen pfleget.

Das Stift an sich selber ist wohl 30 deutsche Meilen lang; aber die Breite ist an manchen Orten nur 2 oder 3 Meilen.

Die Nachbarn sind gegen Westen das Hertzogthum Jülich; gegen Osten das Hertzogthum Berg; gegen Süden das Churfürstenthum Trier; und gegen Norden die Hertzogthümer Geldern und Cleve.

Bißthümer sind nur drey, die von der Cöllnischen Kirche dependiren, nämlich: 1. Lüttich, 2. Münster, 3. Osnabrugg, und in dem [7] letzten ist noch dazu die Alternation zwischen den beyden Religionen eingeführt.

Die Stadt Cöln, davon das Stift seinen Namen hat, ist eine freye Reichs-Stadt und gehört zu dem benachbarten Westphälischen Kreyße.

Weil unterdessen dieses Cöln fast mitten im Stifte lieget, so hat es Gelegenheit gegeben, daß man dieses Ertz-Stift in das Ober- und in das Nieder-Stift abgetheilet hat.

Das Ober-Stift. Erstrecket sich von Coblentz bis nach Cöln ... Das Nieder-Stift. Erstrecket sich von Cöln bis nach Nieder-Wesel

Die bürgerlichen Einkünfte dieses reichen kleinen Landes, hauptsächlich aus Rheinzöllen, Akzisen, direkten Steuern und Lotterien hergeleitet, wurden zu Anfang des 18. Jahrhunderts auf eine Million Gulden geschätzt, in jener Zeit eine beträchtliche Summe; das kirchliche Einkommen war vermutlich ebensogroß, wenn nicht noch größer. Ein Herrscher, der die Verfügung über beides hatte, konnte namentlich dann, wenn er, wie mehrere der Kölnischen Kurfürsten, auch noch andere Fürstensitze innehatte, leicht es so einrichten, daß er diese Einkünfte schuldenfrei erhielt. Die meisten der späteren Inhaber des Sitzes handelten leider nicht so; mehrere von ihnen suchten ihr Defizit ganz oder zum Teil durch Hilfsgelder vom französischen Könige zu decken – richtig ausgedrückt, durch Belohnungen für ihre Untreue gegen den Kaiser.

Zwischen der Stadt Köln und ihren Erzbischöfen war das Wort Friede kaum bekannt; im 13. Jahrhundert führte ein langwieriger und blutiger Zwist schließlich zum Siege der Stadt. Sie blieb eine freie Reichsstadt; die Erzbischöfe behielten keine bürgerliche oder politische Gewalt in ihren Mauern, nicht einmal das Recht, zu irgendeiner Zeit länger wie drei Tage in ihr zu verweilen. So geschah es, daß im Jahre 1257 Erzbischof Engelbert sich Bonn zur Residenz wählte und es förmlich zur Hauptstadt des Kurfürstentums machte, die es seitdem geblieben, bis Kurfürst und Hof im Jahre 1794 für immer vertrieben wurden.

Von den vier letzten Kurfürsten war der erste Joseph Klemens, ein bayrischer Prinz und Neffe seines Vorgängers Maximilian Heinrich. Die Wahl des Kapitels war anfangs mit 13 gegen 9 Stimmen auf den Kardinal Fürstenberg gefallen; aber dessen bekannte oder wenigstens angenommene Hinneigung zu den Interessen des französischen Königs hatte die Bestätigung der Wahl durch Papst und Kaiser verhindert. Es wurde eine neue Wahl angeordnet, und diese fiel zugunsten des bayrischen Prinzen aus, welcher damals im Alter von 18 Jahren stand. Der Papst hatte [8] seine Wahl bestätigt und für die Zwischenzeit einen Bischof bestellt, welcher seine kirchlichen Funktionen wahrnehmen sollte; der Kaiser bekleidete ihn am 1. Dezember 1689 mit der kurfürstlichen Würde.

Vehse in seiner Geschichte der deutschen geistlichen Höfe schreibt über ihn folgendes: »Joseph Clemens cumulirte wieder, wie zwei seiner Vorfahren, fünf Infuln; er war Erzbischof von Köln, Bischof von Hildesheim und Lüttich und Bischof von Regensburg und Freisingen. Er war ein besonders prachtliebender Herr: dieser Prachtliebe entsprach der Glanz seines Hofes, an dem Clemens es liebte, schöne und geistreiche Damen zu sehen; Madame de Raysbeck [Ruysbeck] und die Gräfin Fugger, Gemahlin des Oberstallmeisters, waren seine erklärten Gunstdamen. 17 Jahre lang bis zum Unglücksjahre 1706, wo Fenelon ihn consecrirte, hatte er es aufgeschoben, die heiligen Weihen zu nehmen. Er glaubte nach dem allgemeinen Glauben an den Höfen damaliger Zeit mit gutem Gewissen das Leben nach den damals herrschenden Grundsätzen eines weltlichen Fürsten genießen zu können. Den Damen zu Liebe achtete er keine Kosten zu hoch und veranstaltete zu ihrer Unterhaltung glänzende Bälle, prachtvolle Maskeraden, musikalische und dramatische Soiréen und Jagdpartien.« (I, S. 296–297.) Mehrere Jahre seiner Verbannung brachte er in Valenciennes zu, wo er, obwohl Flüchtling, demselben Wechsel kostspieliger Vergnügungen und Unterhaltungen sich hingab. Der Herzog von St. Simon (bei Vehse S. 298) erzählt einen Scherz von ihm, der an Mutwillen alles das übertrifft, was von seinem Zeitgenossen Dekan Swift mitgeteilt wird. Er ließ einige Zeit nach seiner Konsekration öffentlich ankündigen, er werde an dem bevorstehenden 1. April predigen. Zur festgesetzten Zeit bestieg er die Kanzel, verbeugte sich gravitätisch, machte das Kreuzeszeichen und rief: »Zum April!« Unter dem Schalle der Trompeten und Pauken verließ er die Kanzel. Derselbe Schriftsteller beschreibt ihn so: »Er war blond und trug eine sehr dicke, lange Perücke; er war ein gewaltig häßlicher Herr, mit einem großen Buckel hinten und einem kleineren vorn, aber mit seiner Person und seinem Gespräch nicht im mindesten verlegen.« Das letztere scheint allerdings, nach seinen Briefen zu urteilen, in besonderem Maße geziert und seltsam gewesen zu sein.

Dr. Ennen1 ist eifrig bemüht, zu beweisen, daß Joseph Klemens' Vorliebe in seinen späteren Jahren, an allen größeren kirchlichen Zeremonien [9] teilzunehmen, auf höhere Motive gegründet war, als auf die bloße Lust, sich in seinen prächtigen Gewändern zu zeigen; er versichert, daß er nach Ablegung der priesterlichen Gelübde ein der Kirche geweihtes, seiner Stellung würdiges Leben geführt habe, und daß er von der Zeit an Madame de Ruysbeck, die Mutter seiner illegitimen Kinder, nur noch in Gegenwart dritter Personen gesehen habe.

Das Obige mußte, wie uns scheint, vorausgeschickt werden über einen Fürsten, dessen Regierung uns als Ausgangspunkt für einige Mitteilungen über Musik und Musiker in Bonn während des 18. Jahrhunderts dienen soll; denn dieser Fürst war nicht allein ein großer Liebhaber der Musik und erhielt sowohl im Exile wie zu Hause seine Kapelle auf einer für jenes Zeitalter hohen Stufe, sondern machte sogar selbst einige Ansprüche auf den Namen eines Komponisten. In welcher Weise, kann man aus folgendem Briefe an den Hofkammerrat Rauch entnehmen2.


»Lieber Hoff-Camer Rath Rauch.


Es scheinet vermessen zu sein, das ein Ignorant, der gar kein musicque kann, sich unterfanget zu componieren. Dieses widerfahret mir, Indem ich hiermit die 11 motetten und compositiones Iberschikhe, welche ich selbst componiert habe, und zwar auf eine wunderliche weiß, weilen weder Noten kenne, noch die musicque imb geringsten verstehe, Dahero gezwungen bin jenes, so mir imb Kopf kommt, einem musikalischen componisten vor zu singen, so meine Gedankhen zu Papier bringet. Indessen mueß ich ein gutes gehör und gusto haben, weilen das Publicum, so solches gehört selbe jederzeit approbiert hatt. Den methodum aber, so ich mir hierin vorgeschrieben habe, ist allein jener, so die Imben zu thun pflegen, welche aus denen schönsten Blumen das Hönig heraus ziehen und solches zusammen tragen, also auch ich alles, was ich componirt habe, allein genommen von gueten Meistern, deren Musicalien mir gefallen. Gestehe also frei meinen Diebstall, welches doch andere läugnen und ihnen zu Eignen wollen, was selbe von andern genommen. Darf also Niemand sich Ergern, wan er alte Arien darin hören wirdt. dan weilen selbe schön seint, als thuet das Alterthumb darumb nicht ihnen den Preis benemen. Habe also dieses werkhlein zum Praesent der Kirchen S. Mich. arch. bei denen P. P. Soc. Jesu, wo meine voraltern ein seminarium musicale gestiftet, verehren wollen, damit von mir zu ewigen Zeiten dieses [10] Kennzeichen dort gelassen möge werden, und dieses darumb, weilen ich die musicque in Zeit meiner Verfolgung ahmb meisten componirt habe. Die Ursachen, warumb jedes Stück componirt worden, setze ich hierbey.

1. Adjutorium nostrum in nomine Domini: hab ich gemacht da ich die größte Verfolgung ausgestanden,ao. 1706.

2. non nobis Domine: wegen erhaltenen victorien.

3. tempus est: als ich die 2 Stätt Rüssel und Valencien, verlassen habe, zu Dankbarkeit, weilen ich in selben Stätten vill gutes von denen Inwohnern vor mich und die meinige empfangen.

4. victoria: nach der Schlacht zu Belgrad 1717 wider die Türken.

5. per hoc vitae spatium: als ich in mir selbst gestritten, was standt ich ahnnehmen solle, ob ich geistlich oder weltlich bleiben werde.

6. quare fremuerunt gentes: als man mich aufs eifrigste ohngerechter weis verfolget hat, mir selbst zum Trost. 7. Quem vidistis pastores: zu Weihnacht. 8.parce domine: zur Fasten Zeit. 9. maria mater gratiae: der allers. Mutter Gottes zu Ehren. 10, 11. als mein Schwager der dauphin 1711 und mein neveu und sein Gemahlin 1712 gestorben, welches auch das Kosthaus ersuche, nach meinem Todt vor mich selbst singen zu lassen.

Dahero Dir auftrage, dem P. Magister Chori solches in meinem Namen sammt diesem eigenhändigen Brief von mir zu überliefern, und ihme dabey und das ganze Kosthaus meiner Gnaden zu versichern. Schrieb alles dieses der göttlichen Gnad zu, welche mich Ohnwissenden erleuchtet hat, dieses zu thun. Der ich annebens Dich auch meiner Gnaden versichere.

Bonn, d. 28st. Jul. 1720.

Joseph Clemens m. pro


Andere königliche und fürstliche Autoren komponierten ebenfalls »auf eine wunderliche weiß«, und die Kompositionen von Joseph Klemens waren auch nicht die einzigen, in denen man jene »Aneignungen, wie es der Weise nennt«, finden konnte; aber wenige solcher Komponisten können sich seiner Ehrlichkeit rühmen.

Es trifft sich günstig für unseren Zweck, daß der Teil des kurfürstlichen Archivs, der nach Verlauf von beinahe siebzig Jahren wieder aufgefunden wurde und sich jetzt in dem Staatsarchiv zu Düsseldorf befindet, eine große Zahl von Verordnungen und anderen Dokumenten enthält, welche sich auf die musikalischen Einrichtungen am Bonner Hofe während des letzten Jahrhunderts seines Bestehens beziehen. Nur selten geben sie Auskunft über den Charakter der aufgeführten Musikstücke; wenn man sie aber [11] durch die jährlichen Hofkalender ergänzt, sind sie hinreichend vollständig, um die Zahl, den Charakter, die Stellung und die äußere Lage der Mitglieder mit ziemlicher Sicherheit zu bestimmen. Die wenigen Bittschriften und Dekrete, welche wegen ihres Zusammenhangs mit der Familie Beethoven unten vollständig mitgeteilt sind, genügen als Proben für die lange Reihe ähnlicher Dokumente, welche zu einförmig in ihrem Charakter und überhaupt von geringem Interesse sind, um der Mitteilung wert zu sein. Da hier jedoch der erste Versuch in der musikalischen Literatur gemacht wird, von der Beschaffenheit und den Satzungen dieser Institute, welchen die Kunst so viel verdankt, einen einigermaßen vollständigen Bericht zu geben, so ist ein etwas freier Gebrauch auch anderer offizieller Urkunden und Papiere unvermeidlich. Das wird um so eher Entschuldigung finden, weil – nach den spärlichen Mitteilungen und Andeutungen zu urteilen, die man in alten musikalischen Zeitschriften und Kalendern, in Biographien berühmter Sänger und Musiker des 18. Jahrhunderts und in anderen Schriften aus jenen Tagen findet – die Annalen der Bonner Musik mutatis mutandis als Erläuterung der Geschichte mancher anderen deutschen Kapellen betrachtet werden können, so z.B. der von Anhalt-Köthen, an deren Spitze gerade damals (1720) Joh. Sebastian Bach stand, der von Hannover, als deren Leiter einige Jahre vorher Georg Friedrich Händel angestellt worden war, der von Salzburg, hochberühmt durch die Familie Mozart, endlich der von Esterhaz, dem Schauplatze der Wirksamkeit Joseph Haydns.

Unsere Auszüge aus den Düsseldorfer Dokumenten beginnen mit einem Dekret vom 10. Juli 1693, durch welches die beiden Priester Georg Strasser und Johann Georg Heinzl »bei der Hofmusic« angestellt werden mit einem Gehalt von 400 bzw. 300 rheinischen Gulden. Durch ein Dekret vom 1. Januar 1695 wurde Johann Christoph Petz, vorher Kammermusiker in München und dadurch Joseph Klemens wohl bekannt, »seiner in derMusic sonderbar habenden experienz und Ihm bißher darum zu Gdistn gefallen bezeugten contentements halber« als Kapellmeister und Kammerdiener mit 800 Gulden Gehalt nach Bonn berufen. Ältere musikalische Wörterbücher enthalten Verzeichnisse seiner Kompositionen für Kirche und Kammer; es fehlen darin drei, welche am Hofe von Joseph Klemens aufgeführt wurden, nämlich: 1. »Il giudizio di Marforio, Festa di Camera« in 12 Szenen, aufgeführt auf Befehl von Joseph Klemens 1695 in Lüttich (Textbuch auch in französischen Versen von Passerat; vgl. Sammelb. d. Intern. Musik-Ges. XII, S. 230). 2. »Trajano, Imperatore[12] Romano, Drama musicale« in 3 Akten, aufgeführt auf Befehl Joseph Klemens' beim Karneval 1699 in Bonn, mit Balletts, welche Giovanni Buzzon, »Ajutante di Camera e maestro di balli«, arrangiert hatte. Die Szenerie war von Daniel Klemens Münch, »Pittore aulico«, und die Maschinerie von Giovanni Antonio Monte, »Machinista«. 3. »Il Riso d'Apolline, serenata theatrale«, zum Karneval 1701 in Bonn; Musik, Szenerie usw. wie beim vorhergehenden. Diesem Stücke lag, wie Mering3 erzählt, das Sprichwort: »Einmal im Jahre lacht Apollo« zugrunde.

Petz blieb in seiner Stellung bis 1705 und übernahm dann eine Kapellmeisterstelle in Stuttgart, wo er 1716 starb.

Im Jahre 1695 erließ Joseph Klemens aus Lüttich, wo er sich damals, wenngleich noch nicht konsekriert, als Titularbischof aufhielt, ein Dekret, durch welches der Liste der »Hoffmusici« drei neue Namen beigefügt wurden. Einer derselben, van den Eeden4, erscheint ununterbrochen in den Akten und Hofkalendern wieder bis zum Jahre 1782. Die beiden anderen waren Karl Laurens und Wilhelm de Beche. In einer Besoldungsliste aus Lüttich für das zweite Vierteljahr 1696 wird Petz als Kapellmeister, Henri Vandeneed (van den Eeden) als Baßsänger aufgeführt; die Gesamtzahl der Sänger und Instrumentisten nebst dem Kalkanten betrug 18 Personen. (S. Anh. I.)

Nach Bonn zurückgekehrt, nahm Joseph Klemens den Plan, seine Musik auf einen besseren Fuß zu bringen, wieder auf, und gab ihr für jene Zeit mit ihren kleinen Orchestern und kärglichen Gehältern eine recht reichliche Ausstattung. Ein Reglement vom 1. April 1698 wurde im folgenden Monat durch nachstehendes Dekret in Kraft gesetzt.


»Reglement und Bestallung der Churfürstl. Hoffmusique

de dato 1. Aprilis 1698.


NB: ein und anders hierinnen dmahlen

nit gültig, sondern es befindet sich bey

H. Jung, welche Personen zur musique

angeschaft sind.


Demnach Ihro Churfl. Dchl. zu Cöllen hertzog Joseph Clemens in obern und niedern bayeren unser gnädigster herr gnädigst entschlossen, dero [13] hiesige hoffmusic in einen richtigeren stand setzen und zu dessen bewerckstelligung für gueth befunden, das, Ihrem Capellmeisteren Johann Christoph Petzen und übrigen dero hoffmusicis gnädigst zugelegtes jährliches Salarium, denenselben durch ihren rath und Cammer-Zallmeisteren Johann Michael Jung von dem 1ten Aprilis dieses tausend sechshundert acht und neunzigsten Jahrs quartal weiß ordentlich hinfuhro zahlen zu lassen. Jedoch dergestalt, daß wan höchst besagt Se Churfl. Dchlt. künfftig etwa nach dero bischtumb Luttig, Cöllen oder anderstwohin verreisen solten, berürte ihre hoffmusici auff besagtes ihres Capellmeisters |: deme sie auch so viehl ihre zu verrichten habende dienst betrifft, fleißig in allem zu pariren :| ansagung alsolche raisen ohne weithere empfangung einiger Costgelter thuen sollen: Als haben höchstmehr erwendt Se Churfl. dchlt. unser gnädigster herr gnädigst befohlen, oft angeregtem ihrem Capellmeister die hiebeykommende listam der gehalter zu dem end onverzüglich zuzustellen, damit Er einem jeden in particulari das quantum seines salarij und die gnädigste intention unseres gdsten herrn wie umgestelt bedeute und sich ein jeglicher darnach zu richten zu wissen möge.

Urkund hochst gedacht ihr Churfürst. durchlaucht gnedigsten handzeichen und hierunder getruckten signets. Bonn den 24. May 1698.«


Hieran schloß sich das Verzeichnis der in dieser Weise erhöhten Gehälter mit der Gesamtsumme von 8890 Gulden; Petz erhielt 1200 Gulden. Man findet das Verzeichnis im Anhang II. –

Nach Max Heinrichs Tode war die Regierung einstweilen in die Hände seines Koadjutors, des bereits erwähnten Kardinals Fürstenberg übergegangen, welcher seine Stellung den Intrigen Ludwigs XIV. verdankte und sie nun benutzte, um durch alle möglichen Mittel die französischen Interessen zu fördern. Er gestattete den königlichen Truppen, unter französischen Befehlshabern in die wichtigsten Städte des Kurfürstentums einzuziehen, und nahm zu seinem eigenen Schutze in Bonn eine französische Besatzung von 10000 Mann auf. Das mußte zum Kriege führen; eine kaiserliche Armee drang in das Land ein, rückte bis zur Hauptstadt vor und verhängte über die unglücklichen Bewohner alle Schrecken einer erbarmungslosen Belagerung. Dieselbe endete am 15. Oktober 1689 mit der Vertreibung der Besatzung, welche auf 3900 Mann zusammengeschmolzen war, darunter 1500 kampfunfähige. Aber in dem Kriege um die spanische Erbfolge, der 1701 begann, nahm der unglückliche Joseph Klemens, ungeachtet der vor elf Jahren erhaltenen schrecklichen Lehre, wiederum die[14] Partei Ludwigs XIV. Kaiser Leopold behandelte ihn mit ungewöhnlicher Milde, doch vergeblich; der Kurfürst verharrte auf seinem Standpunkte. Infolgedessen wurde er 1702 seiner bürgerlichen Herrschaft enthoben und floh aus Bonn; das Domkapitel in Köln wurde vom Kaiser ermächtigt, an seiner Stelle zu regieren. Im folgenden Jahre feierte er in Namur mit aller Pracht den großen Erfolg der französischen Armee gegen die Verbündeten; aber sein Triumph war nur kurz. Der Herzog von Marlborough hatte inzwischen den Oberbefehl über die verbündeten Truppen übernommen, war in den Niederlanden erschienen und unternahm im April 1703 die Belagerung von Bonn, bei welcher besonders der mit der Leitung beauftragte holländische General Coehorn rücksichtslose Energie entwickelte. Am 15. Mai waren alle Vorbereitungen zu einem allgemeinen Sturm getroffen, als der französische Kommandant d'Allegre die Kapitulation anbot; am 19. durfte er abziehen. »Nun war Bonn zum dritten Male aus den Händen der Franzosen gerissen und dem Erzstifte wiedergegeben, leider aber in einem Zustande, der Ärgernis, Trauer und Mitleid von allen Seiten hervorrief (Müller, Geschichte der Stadt Bonn, S. 208).«

Kaiser Leopold war gegen Joseph Klemens immer noch freundlich gestimmt; er starb aber am 5. Mai 1705, und sein Nachfolger Joseph I. erklärte den Kurfürsten unverzüglich in die Reichsacht. Dies beraubte ihn der Gelegenheit und der Mittel, als Kurfürst seiner leidenschaftlichen Neigung zu Pracht und Aufwand nachzugeben; und da er auf Grund päpstlicher Dispensation die zur Ausübung kirchlicher Funktionen erforderlichen Gelübde bisher nicht abgelegt hatte, konnte er ebensowenig als Erzbischof jene Neigung befriedigen. Dem ließ sich nun abhelfen. Fenelon, der berühmte Erzbischof von Cambray, ordinierte ihn am 15. August 1706 als Subdiakon; der Bischof von Tournay weihte ihn am 8. Dezember zum Diakon und am 25. Dezember zum Priester. Am 1. Januar 1707 las er in Lille seine erste Messe und konnte dabei auch seiner Lust an äußerem Gepränge sich hingeben, wie eine Flugschrift über die Feier und außerdem silberne und kupferne Medaillen, welche sich auf dieselbe beziehen, noch heute beweisen. Zwei Jahre später, am 1. Mai 1709, empfing Joseph Klemens in Lille die Konsekration als Erzbischof und das Pallium.

Nach Marlboroughs Sieg bei Oudenarde und nach dem Falle von Lille wählte er Mons als Zufluchtsort. Von dort schrieb er in einem Briefe an seinen Kanzler Karg folgende charakteristische Worte:

[15] »P. S. Ich stirbe auf chagrin, so von allen orthen mir herkomt

Brussel manquirt, mein leibregiment zu fues zu schanden gehauet, alle meine trouppen crepirn aufmisere, weillen 3 Monat man ihnen schuldig, sye pigliren, Rauben und stehlen und desertirn, Ich stürb vor Hunger mit meinem hofstabb, mus mich vertrieben sehen aus dem lieben lille und Ibel tractirt in Valenciennes, kan schon 9 täg nicht mehr schlaffen, habe keinen apetit weder zum Essen noch trinkhen, Einen husten so mich Erwirget, wegen der abtey bonne esperance chagrinirt mich der Bergeik und Mallknecht, Meinen Bruder zu sehen, der sich umb mein haus so vüll ahnimt als ich umb den Tirkischen alkoran, die Printzen gehen nicht wekh von der armee und begehen alle tag neue sottisen, ich sihe alles dises und kan mir gar nichts helfen, und noch zu allem disen komt hinzu, das in meinem haus selbst keine Ruhe finden kan und von der Grafin mit 1000 sorten querellen und ibler beklagung torquirt werde, oh pour cela das ist zu vüll und wüll ichs nun machen wie der Carolus V. fortuna tu me deseras et ego te, und mich in Ein Closter reterirn, dort gleichwoll in Ruhe den frieden oder den Todt Erwarten5

Durch die Friedensschlüsse zu Rastatt und Baden (1714) wurde Joseph Klemens in seine ehemaligen Würden wiedereingesetzt und kehrte an den Rhein zurück; aber holländische Truppen hielten Bonn bis zum 11. Dezember 1715 besetzt. Am Morgen dieses Tages räumten sie die Stadt, und am Nachmittag zog der Kurfürst in großer und feierlicher Prozession ein; silberne Medaillen feierten das Andenken dieses Ereignisses.

Wir nehmen hier die Annalen der Hofmusik wieder auf.

In Lüttich war am 23. August 1697 Henry de Rochez, joueur de Bason de la Compagnie des gardes à pied, als Hofmusikus angestellt worden6. Am 10. Juli 1698 wurde Dominikus Alberici zum Hoforganisten ernannt; am 16. September 1698 Karl Maria Fagnani, der schon unter dem Vorgänger des Kurfürsten als Sänger Dienste geleistet hatte, als »Hof- und Kammermusikus« berufen. Am 31. Juli 1700 wurde der Hofkaplan Johann Elias Corneus zum »Kammer- und Hof-Bassisten« mit 400 Gulden Gehalt »nebst Tafel und Quartier« ernannt, mit der besonderen Bedingung, »daß ihm kein Hindernis entstehe in officio Divino rite et decenter peragendo«. Es folgten die »Hautbois« [16] Flammand, Fabry, Brairelle (am 13. Oktober) und Purfürst (am 19. Oktober). Am 23. November 1700 trat Joseph Zierbst mit 400 Gulden Gehalt an die Stelle Albericis als Hoforganist. Am 22. Januar 1701 wurden dem ersten Violinisten Arnold Antgarten 100 Gulden bewilligt, um »die Kapellknaben in musikalischen Wissenschaften« zu unterrichten; doch wurde dieser Dienst im folgenden September dem Bassisten Franz N. Poitevin mit einem Gehalt von 400 Gulden über tragen. Am 9. März 1702 erhielt der Hofmusikus August Herterich ein Gehalt von 300 Gulden.

Von den musikalischen Dekreten aus der Zeit der Verbannung haben sich nur wenige gefunden; dieselben enthalten mit einer einzigen Ausnahme (Colbault) deutsche Namen. Am 27. April 1706 erfolgte in Brüssel die Anstellung von Theodor Kircher mit 150 und von Max Heinrich Antgarten mit 100 Gulden; am 12. Januar 1710 wird nach Absterben des Hofmusici Arnold »dessen auch in der hoff-musique stehendem Sohn Maximilian« sein vorhin gehabter Sold bis auf 300 Gulden erhöht; anscheinend werden hier Vater und Sohn Antgarten mit ihren Vornamen bezeichnet. Am 11. März 1712 wird in Valenciennes die Anstellung des Claude Colbault mit 200 Gulden verfügt. Dann folgen am 24. Juni 1714 Franz Granger (Kopist) und am 1. Oktober 1714 Franz Ferd. Petit als Hofmusikus mit 300 Gulden. In dem Verzeichnisse der Mitglieder der Hofkapelle im Hofkalender von 1722 findet sich eine so große Zahl französischer und flämischer Namen, daß man annehmen darf, sie seien in jenen Jahren berufen worden.

In Valenciennes scheint einmal Unzufriedenheit der Musiker über ihre Behandlung entstanden zu sein; darauf deutet folgende Antwort auf eine (nicht erhaltene) Eingabe derselben.


»Auf die Supplique der sämbtlichen Hautbois und Instrumentisten.

Ihre churfürstl. Dchlt. nehmen ungnädigst auf, daß die Supplicanten auß dem, was ihnen ein- und andersmahl freywillig gegeben worden, nun gleichfalls eine gerechtigkeit machen wollen: weshalben sie dann mit dießer ihrer unbefugter forderung ein- für allemahl ab-und dahin angewießen werden, daß sie sich gleichwohl mit einem trunck wein, so selbigen in dergleichen gelegenheiten jedesmahl gereicht wird, befriedigen sollen.

Sig. Valenciennes d. 13. Merz 1712.«


Die vorstehenden Notizen, so spärlich sie sind, lassen doch erkennen, daß Joseph Klemens, woher er auch die Mittel dazu nehmen mochte, [17] seine Musik während seiner Verbannung nicht auf einen niedrigeren Standpunkt sinken lassen wollte. Nachdem er in Bonn die öffentlichen Geschäfte geordnet und in ihren früheren Gang gebracht hatte, säumte er nicht, auch der Hebung der musikalischen Verhältnisse wieder seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Nur wenige Dekrete, die freilich von Interesse sind, haben sich gefunden; ein längeres Dokument erscheint jedoch durch seine ins einzelne gehenden Bestimmungen und Vorschriften so wichtig und belehrend, daß es hier voll ständig mitgeteilt werden muß.


»Verordnung

welche die Churfürstl. hoffmusicanten genawest zu beobachten haben.


I.S.C.D. Unser gnädigster Herr haben in unterschiedtlichen gelegenheiten mißfälligst vermercken müssen, daß zwischen dero hofmusicanten eine große unordnung und fast ohnaufhörlicher zweispalt sich hervorthue. Da im gegentheil eine gute Verständtnis und vollkommene einigkeit einen jeden unter ihnen anfrischen sollte, seiner schuldigkeit zum gnädigsten wollgefallen höchstgedachter sr Churfl. Dchlt. bestmöglichst nachzuleben; daher umb dieser misverständtnis zu steuren, haben Sie so wohl zu höchster Ehr Gottes als zu ihrer eigenen vergnügung folgende verordnung, wornach sich jechlicher zu richten hatt, gnädigst vorschreiben wollen:


1.


Ihrer Churfl. dchlt. hof Capellan, Cantor und Canonicus Le teneur soll sowohl in denen kirchen- als anderen gotts-diensten den tact geben: in seiner abwesenheit aber und auf denen reisen7 solle solches durch einen hof Capellan, welcher zugleich musicus ist, geschehen; zumahlen es der kirchen-ordnung halber ungeziemend wäre, wan solches durch einen weltlichen verrichtet würde.


2.


Was die weltliche music belanget, solle solche zwischen den beiden concert Meisteren vertheilet sein, nehmlich die vocal unter Aufsicht des Donnini, und die Instrumental unter jener des Lambert; wohl zu verstehen, daß einer dem anderen ohne die gringste nebensicht zu diensten und zur befriedigung I.C.D. unsers gnädigsten herrens an hand gehen solle. Wann mit zustimmung der Instrumenten gesungen wird, solle der [18] Donnini die music dirigiren und den tact geben, in was für sprach es auch seye, und in desselben abwesenheit der ältiste geist- oder weltlicher vocalist, nach dem alterthumb ihrer aufnahm in Churfl. diensten, ohne auf anderwertlichen Charakter, den man sonst haben mag, acht zu haben; hingegen wan ein Concert von Instrumenten und ohne Gesang gehalten wird, solle alsdan der Lambert den tact besorgen: wehrend seiner abwesenheit aber der ältiste Instrumentist, der gegenwärtig ist, und solches auf gleiche weis, wie der vocalisten halber oben gemeldet worden.

3.


Wie nun Ihre Churfl. Dchlt. zwey Zimmer in dero pallast zur music gewidmet, als wollen Sie auch, daß das Erste zur haltung des Concerts und zur Verwahrung der Instrumenten in besonderen Kasten gebraucht werde, von welchen letzteren der Lambert die schlüsselen halten solle; für welches Erste Zimmer dan aber drey schlüsselen sein müssen, als einer für den Cantorn le Teneur, der andere für den Concert Meister Lambert und der dritte für den Concert-Meister Donnini, umb ihnen behändiget zu werden. Das 2te Zimmer soll zu drey seithen zur Verwahrung der musicalien, worvon der bibliothecarius die obsicht hat, also eingerichtet werden, daß nemblich eine seithe zu der kirchen-, die andere zu der vocal, und die dritte zu denen Concerten der Instrumenten gebraucht und aus allen diessen musicalien nicht das gringste nicht abgeschrieben oder ausgezogen werden solle: wie dan S. Churfl. Dchlt. hiermit ernstlich und austrücklich verbieten, daß jemand, Er seye auch, wer er wolle, das gringste mit sich oder nach haus nehme; sondern solches nach geendigtem Churfürstl. dienst dem bibliothecario widerumb zurückstelle. Dem cantori le Teneur ist die Inspection auf die kirchen music, dem Concert meister Lambert auf die weltliche instrumental music allein, und dem Concert meister Donnini auf die weltliche vocal music in allen sprachen, keine ausgenommen, aufgetragen, ohne daß das geringste darvon, unter was vorwand es auch seye, von ein oder anderen verbracht werden solle.


4.


Ihre Churfl. Dchlt. befehlen ferners, daß dero musicanten brigadeweis auf denen reisen, gleich vor diesem, dienen sollen: weilen aber in dergleichen gelegenheiten allzeit zwistigkeiten zwischen ihnen vorgefallen seynd, als wird zu derer abschneidung eine tabelle beygefügt, welche desfalls zu einem reglement dienen, von dem bibliothecario gemacht und auf [19] dem Doxal8 jederzeit angehenckt werden solle. Sollte auch Ihre Churfl. Dchlt. nur allein außer dero residentzstatt Bonn zu mittag oder abend speisen, ist solches allzeit für eine reis zu halten und in diesem fall haben diejenige, so denen reisen nach ihre abwechslung haben, den erforderlichen dienst zu versehen.


5.


Aller Zank und zwistigkeit seynd auf das schärffeste verbotten, insonderheit wan solche aus einer eyfersucht und daraus entstehen, wer die beste wissenschafft der music habe; zumahlen Ihrer Churfl. Dchlt. eintzig und allein die entscheidung und die erkändtnus hierüber zustehet, welche jeder zeit für jenen nach der gerechtigkeit urtheilen werden, welchen sie am mehresten dero diensten würdig erachten, daß also, wann einer den anderen anzäpfet, solches auf jenen nicht ankommt, welcher deßhalben angefochten wird, sonderen auf unsseren Herren selbst auszudeuten ist, als welcher solchen in seine diensten gnädigsten hatt aufnehmen wollen, gestalten dan auch die Uebertreter dieses befehlchs der gebühr nach gestraft werden sollen, wie jene, welche gegen Ihren gnädigst Herren den schuldigen respect verlohren und den pflichtmäßigen gehohrsamb nit beobachtet haben.


[20] 6.


Alle musicanten sollen sowohl dem Gottes- als dem hof dienst fleißig beywohnen, und nicht nach eigener willkühr, weder von einem, noch anderem ausbleiben; sonderen wan solche eine erhebliche verhindernus haben, bey einem der dreyen Directorn, unter dessen obsicht sie gehören, sich anmelden.


7.


Ihre Churfl. Dchlt. haben ingleichen ungnädigst wahrgenommen, daß dero Cammerdienern, welche zugleich musici sind, sich sowohl bey der kirchen- als anderer music einzufinden befreien wollen unter dem vorwand ihres Cammerdiensts. Höchstgedachte Se Churfl. Dchlt. hingegen wollen, daß solche niemahlen unterlassen erstgemelten music-Diensten beyzuwohnen, und ihren bey der music habenden dienst gleicher gestalten zu versehen, es seye dan, daß sie unumbgänglich wehrender dieser Zeit ihren Dienst bey der Cammer versehen müssen.


8.


Alle musicanten, mit welcher anderer würde sie auch bekleydet seyn mögen, sollen ohne ausnahm im weißen Chor-Rock, schwartzen talar und mit einer zur geistlicher Kleydung wohl ahnstehende perruque in abgang des eigenen haars aufziehen, das ist zu verstehen, bey den Gottes diensten außer dem Doxal unten in der kirchen, oder denen processionen.


9.


Gleicher gestalt wie die weltliche musicanten verpflichtet seynd, allen kirchen diensten beyzuwohnen, also auch wollen Ihre Churfürstl. Durchl. gnädigst kraft dieses befehlen, daß dero geistliche musici nicht weniger in den Concerten als in denen Choris der Operen und Comoedien, welche zu dienst und lustbarkeit Ihrer Churfl. Durchl. oder auf deroselben gnädigsten befehlch gehalten werden, mit singen und instrumenten spielen sich jedesmahl gewärtig bezeigen.


10.


Der Frhr. v. Hohenkirchen, Intendant von der Churfürstl. music solle bestmöglichst daran seyn und sorg tragen, daß diese gegenwärtige Verordnung auf das genauiste vollzogen werde, ohne sich durch schmeichlerey oder einige nebenabsicht von einigen aufhezeren einnehmen zu lassen, wie dann alle und jede musicanten ihme von Hohenkirchen den schuldigen respect nicht allein zu leisten, sondern auch bey Ihme Ihre rechtmäßige [21] klagen anzubringen haben: und im fall mit ihnen nit auskommen könnte, oder auch er selbst die behörige gerechtigkeit nicht wurde widerfahren lassen; alsdann solle alles, was die vocalisten ahnbelangt, Ihrer C. Durchl. Obrist Landtshoffmeisteren, was aber die Instrumentisten betrifft, dero Obrist-Stallmeisteren vorbracht werden, gleichwie es von sich selbst die hof-ordnung vorschreibt.


11.


Und letztlich damit gegenwärtige Verordnung mehrere Kraft bekomme, ist sie in gegenwart des Hrn bischoffen von Leitmeritz als Obrist-Landtshof-Meisteren und des Hrn Grafen von Fugger als obrist-stallmeisteren, denen sämbtlichen Churfürstl. Hofmusicanten vorzulesen und zu verkündigen, vor welcher der Baron von Hohenkirch, als Intendant, in dieser gelegenheit stehen, und sonst, seinem äussersten vermögen nach, dahin antragen soll, damit diese Verordnung unverbrüchlich gehalten und nach mehrhöchstbesagter I.C.D. gnädigster Meinung vollbracht werde.

Gegeben Bonn, d. 19. Julii 1719.«


Aus diesem Schriftstücke geht hervor, daß die Stelle eines Kapellmeisters nicht wieder besetzt worden war; statt dessen erscheint ein Kantor und zwei Konzertmeister. Der bereits erwähnte Hofkalender von 1722 gibt folgende Übersicht:

Hoffmusikanten: Le Teneur, Singmeister; Lambert, Concertmeister von Instrumenten; Donnini (auch Donini und Doninni geschrieben), Musiccomponist und Director von Vocal-Concerten; Montée, Degrimon, Marquier, Delvincour, Dantoin, van den Eede und 12 andere Vocalisten. Instrumentisten: 17 an der Zahl, unter ihnen Stumpff senior, Stumpff junior und Piva; außerdem 8 Hoftrompeter und Pauker und 6 Hofoboisten. Die große Zahl der Oboisten erklärt sich daraus, daß die Fagottisten darunter einbegriffen waren. Die Klarinette erhielt bekanntlich erst später ihre Stelle im Orchester.

Fußnoten

1 Ennen, Der spanische Erbfolgekrieg und Kurfürst Joseph Clemens von Cöln (Jena 1851), S. 259 fg., aus welchem Buche Vehse die meisten seiner Angaben geschöpft zu haben scheint.


2 Der Brief findet sich in Ennens Frankreich und der Niederrhein II, S. 513, und Allg. Mus. Ztg. XV, S. 207.


3 Geschichte der vier letzten Kurfürsten von Köln, S. 80.


4 Die Schreibung dieses Namens wechselt vielfach. Der Baßsänger Henri van den Eeden ist wohl der Vater des von 1722 bis 1782 funktionierenden Hoforganisten Gilles van den Eeden.


5 Der Brief steht bei Ennen, Span. Erbfolgekr., Dokumente S. LXVI. Der Bruder, von dem der Kurfürst spricht, war der Kurfürst von Bayern, der ebenfalls in die Reichsacht erklärt war und in der Verbannung in Flandern lebte.


6 Dies ist der »Roche Hauthbois« des Verzeichnisses im Anhang.


7 Hier sind nach des Verfassers Annahme Reisen mit dem Kurfürsten gemeint, wenn er als Erzbischof seine anderen Sitze besuchte; denn er ließ sich bei solchen Gelegenheiten von einem Teile seiner Kapelle begleiten.


8 Doxale, odeum Ecclesiae, quibusdam in locis Flandriae etiamnum doxale, Gall. Jubé. Ducange s. v. In Stifts- und Klosterkirchen wurde etwa seit dem 13. Jahrh. zwischen Chor und Schiff oft eine förmliche Emporkirche quer durch die Kirche errichtet, welche gewöhnlich zur Vorlesung des Evangeliums bestimmt war (lectorium, Lettner). Wo solche Querbühnen unter dem Namen Odeum oder Doxal vorkamen, dienten sie zugleich zur Aufstellung von Sängerchören, welche mit Begleitung einer kleinen Orgel liturgische Gesänge (Doxologien, d. i. Lobpreisungen, woher der Name Doxal) aufführten (Otte, Handbuch der christlichen Kunstgeschichte, 4. Aufl., 1. Abh., S. 39 fg.). Später, hier und da bis auf den heutigen Tag, nannte man so überhaupt den in der Kirche für die Ausführung der zum Gottesdienste gehörigen Gesänge bestimmten Raum, z.B. den neben der Orgel befindlichen. Bei vielen Kirchen stand ein solcher Raum mit der Kirche in Verbindung, ohne eigentlich einen Teil derselben zu bilden; auf diesen ging ebenfalls das Wort Doxal über. Das ältere Bonner Doxal lag erhöht, wie § 8 dieser Verordnung zeigt; das spätere zur kurfürstlichen Hofkapelle gehörige Doxal befand sich, wie sich noch die Bonner Tradition erinnert, rechts über dem Chor und wurde später zu einem Sitzungszimmer eingerichtet. Dieser Raum scheint nun, da er nicht eigentlich zur Kirche gehörte, zu Musikübungen verschiedener Art und zur Aufbewahrung der Pulte und Instrumente gedient zu haben und so gleichsam der offizielle Versammlungsort für die Musiker gewesen zu sein; und so erklärt sich der fernere Sprachgebrauch, nach welchem das Wort kurzweg die Gesamtheit der angestellten Hofmusiker bezeichnete. In den Gesuchen und Dekreten kommt das Wort unzählige Male in der mannigfaltigsten Schreibweise (Doxal, Toxal, Doc sal, Duc sahl usw.) vor. Anm. d. Herausg.

Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 1, 3. Auflage, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1917.
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