Fünftes Kapitel

Das Jahr 1810.

Auf Freies Füßen. Therese Malfatti. Bettina Brentano. Die Musik zu Egmont.

Die Gegenstände, deren Betrachtung uns zuletzt beschäftigte, haben uns über den Zeitpunkt, an welchem wir stehen, weit hinaus, ja bis zu den letzten Lebensjahren Beethovens geführt. Wir kehren jetzt zu dem Ende des Jahres 1809 zurück, zu dem Meister in der ganzen Reise und Fülle seiner Schaffenskraft. Die letzten Monate jenes Jahres waren bezeichnet durch das Wiedererwachen der alten Arbeitsfreudigkeit nach längerer durch die Belagerung und Besetzung Wiens bedingten Störung seines seelischen Gleichgewichts. Während jenes unglücklichen Sommers fehlte ihm ja so ziemlich alles, dessen er bedufte, um zu ersprießlichem Schaffen [198] angeregt zu werden, der Umgang und Meinungsaustausch mit lieben Freunden, die Anspornung seines Ehrgeizes durch kunstsinnige Gönner, die täglichen Wanderungen in Wald und Feld; sogar die Verpflegung mit Speise und Trank war so schlecht, daß seine Gesundheit darunter litt. Klagt er doch noch am 2. Januar 1810 (an Breitkopf & Härtel) »wir haben nicht einmal mehr gutes genießbares Brod« und am 4. Februar (an dieselben) »ich fürchte oder ich hoffe beinahe, ich werde das Weite suchen müssen, selbst vieleicht meiner Gesundheit wegen, lange dürfte es dauern, bis nur auch ein besserer Zustand als der jetzige, an den vorigen ist nie mehr zu denken« (!). Das sind doch aus seinem Munde ungewohnte sehr ernsthafte Klagen über sein Befinden, welche es vollkommen erklären, daß die Zeit gesteigerter Arbeitslust und Schaffenskraft im Herbst 1809 schnell zu Ende ging und eine an neuen Schöpfungen auffallende arme Epoche seines Lebens folgte. Sicher bedurfte es des Zusammenwirkens mehrerer Umstände, dies betrübende Resultat herbeizuführen. Die körperliche Folge schlechter Ernährung überwand er wohl nach einigen Monaten; dann aber sind seelische Depressionen ganz gewiß stark mit in Rechnung zu stellen. Die Geschichte der nächsten Jahre wird die Gründe derselben wenigstens zum Teil enthüllen.

Die fürstlichen Personen, deren Freigebigkeit ihn gerade damals ernster pekuniärer Sorgen enthoben hatte, mochten sich wohl eine unmittelbare Erfüllung ihres Wunsches vorgestellt haben, »daß er die größten Erwartungen übertreffe, wozu man durch die bisher gemachte Erfahrung berechtigt« war. Dieselben wurden bitter enttäuscht. Kinsky lebte nicht so lange, um irgend ein neues Orchesterwerk aus dieser in letzter Zeit so fruchtbaren Feder zu hören; Lobkowitz, dessen Unzufriedenheit uns noch im Gedächtnisse ist, hörte deren nur drei; der Erzherzog sah die folgenden Jahre im Vergleiche mit früheren ohne Ergebnis dahingehen, da in den nächsten zehn Jahren kaum mehr als früher in zwei Jahren vollendet wurde – das wunderbare Jahr 1814 ausgenommen. Das Ende des Jahres 1809 beschloß eine Dekade (1800–1809), während welcher, wenn wir die Qualität, die Zahl, die Mannigfaltigkeit, die Ausdehnung und die Originalität in gleicher Weise in Betracht ziehen, Beethovens Werke eine glänzendere Betätigung geistiger Kraft offenbaren, als die von irgend einem andern Komponisten in dem gleichen Zeitraume hervorgebrachten Werke. Mit dem Jahre 1810 hingegen beginnt eine neue, welche, mit der vorhergehenden verglichen, eine auffallende Abnahme der Produktivität des Komponisten zeigt.

[199] Schindlers Einteilung von Beethovens Leben in drei deutlich abgegrenzte Perioden erscheint gezwungen und mehr in der Phantasie als in den Tatsachen begründet1; aber wer sich auch nur im geringsten Maße mit dem Gegenstande vertraut macht, bemerkt bald, daß mit dem Manne eine Veränderung vorgegangen war, zu groß und. zu plötzlich, um dem gewöhnlichen Einflusse der vorrückenden Jahre zugeschrieben werden zu können. Wann aber war dieselbe eingetreten? Die plötzliche Unterbrechung seines Triumphzuges als Komponist, die soeben erwähnt wurde, scheint die Zeit zu bestimmen. Ist dies jedoch richtig, so folgt naturgemäß, daß beide Erscheinungen Wirkungen einer und derselben Ursache waren.

Es gab einen Zeitpunkt in dem Leben Händels (1737), in welchem die bisher unermüdliche Feder seiner Hand entsank und mehrere Monate der Ermüdung folgten, ehe er sie wieder aufnehmen konnte. Der Mißerfolg seiner Opern, seine ungünstige Theaterspekulation, der darauf folgende Bankerott, und als Gipfel seiner Not die teilweise Lähmung seiner physischen Kräfte waren die Ursachen jener Erschlaffung. Wenn die Unterbrechung der regelmäßigen Arbeiten bei Beethoven nicht so vollständig war, wie in dem Falle von Händel, so erscheint sie andrerseits viel auffallender, da sie länger dauerte und durch keine jener natürlichen und naheliegenden Ursachen herbeigeführt war. Die Tatsache steht fest, und sie wird, wie wir glauben, ihre ausreichende Erklärung finden, wenn wir zu den Einzelheiten in des Meisters persönlichen Erlebnissen während dieser Periode kommen. Sollte sie sich nicht finden, so wäre dies wieder eine von den Fragen, deren Lösung von dem glücklichen Zufalle oder von tieferem Eindringen und ausgedehnterer Kenntnis eines andern Forschers erwartet werden muß. –

Dem Schaffen Beethovens wurde damals zum dritten Male durch einen Auftrag der Theaterdirektoren eine besondere Richtung gegeben, nämlich den Auftrag, die Musik zu Egmont zu komponieren (vgl. S. 154). Das gesteigerte Arbeiten, daß es schien »mehr für den Tod als für die Unsterblichkeit«, von dem Beethoven am 2. November 1809 an Breitkopf [200] & Härtel berichtet, ist durch die bis Oktober fertiggestellten im 3. Kapitel besprochenen Werke hinlänglich erklärt. Wenn wir auch nicht genau nachweisen können, wann die Arbeiten an der Egmontmusik begonnen wurden, so ist doch klar, daß es nicht lange vor Ende 1809 geschehen sein kann. Skizzen zu »Freudvoll und Leidvoll«, die sich zwischen solchen zu der Sonate Op. 81 a und der 1809 nachkomponierten Klaviereinleitung der Chorphantasie finden (Nottebohm, II. Beethovenaria, S. 270), müssen nicht auf die Egmontmusik für das Theater bezogen werden; doch sind wir ja nicht genau unterrichtet, wann die Aufforderung an Beethoven ergangen ist. Daß die Skizzen nichts von Orchestrierung verraten und eine zweite Stimme (Duett?) markieren, ist aber kein strikter Beweis, daß sie nicht doch für die bestellte Egmontmusik berechnet waren. Die Ouvertüre trägt von des Komponisten eigener Hand das Datum 1810; die erste Aufführung fand statt am Abende Donnerstags den 24 Mai 1810. Die Rolle des Klärchen wurde von Antonie Adamberger2 gespielt, einer durch Schönheit, Talent und Charaktereigenschaften gleich ausgezeichneten jungen Schauspielerin, deren 1817 geschlossene Vermählung mit dem ausgezeichneten Archäologen Joseph von Arneth einen ähnlichen Verlust für die Wiener Bühne bedeutete, wie ihn die Londoner Theater erlitten, als die anmutige und vorzügliche Eliza Anna Linley, das »Mädchen von Bath«, die Gattin Sheridans wurde.

Die beiden Lieder, welche Klärchen zu singen hat, mußten Fräulein Adamberger natürlich vorübergehend in persönliche Beziehung zu Beethoven bringen, über welche sie dem Verfasser folgende schlichte und anmutige Erzählung für sein Werk gegeben hat.


»Wien am 5. Jänner 4867.


. . . . . . . . . .

Da Sie sich die schöne Aufgabe machten, kleine Züge aus dem Leben Beethovens zu sammeln, um sie zu einem Lebensbilde des großen Meisters zu vereinigen, so geschieht es gewiß nicht aus Selbstsucht, sondern aus Achtung für den Namen Beethovens, wenn ich mit Zagen daran gehe, Ihnen die Veranlassung zu schildern, die mich mit ihm zusammenführte.

Ich war damals ein kindliches heiteres fröhlich junges Ding, das dieses Mannes Werth nicht zu schätzen wußte, und dem er auch gar nicht imponirte, während ich jetzt – mit sechs und siebenzig Jahren, das Glück ihn gekannt [201] zu haben vollkommen fühle. Daher kam es auch, daß ich ihm ohne alle Befangenheit entgegentrat, als meine selige Tante, meine Erzieherin und Wohlthäterin, mich auf ihr Zimmer rufen ließ und ihn mir nannte. – Seine Frage: ›Können Sie singen?‹ beantwortete ich ohne Verlegenheit mit einem ›Nein? – Ich soll ja die Lieder zum Egmont für Sie setzen.‹ – Ich versetzte ganz einfach, daß ich nur vier Monate gesungen, nach einer Heiserkeit aber aufgehört, weil man fürchtete, daß bei meinem angestrengten Studium des Recitirens mein Organ leiden könnte. Da sagte er lustig im scherzhaft angenommenen Wiener Dialect: ›Nun, das wird was sauberes werden‹, – und von seiner Seite wurde es etwas Herrliches.

Wir gingen an das Klavier und meine Musikalien – alte Erbstücke von meinem Vater – die ich alle wie ein Papagei ihm nachsang und zu dieser Stunde auswendig weiß umstörend, fand er oben auf das allbekante Rondo mit Recitation aus Romeo und Julie von Zingarelli. ›Das singen Sie‹, rief er lachend heraus, daß es ihn schüttelte, indem er sich zweifelnd zum Accompagniren setzte. Eben so harmlos als ich mit ihm schwatzte und lachte, sang ich meine Arie herunter. Ta wurde sein Auge sehr wohlwollend, er strich mir mit der Hand über die Stirne und sagte: ›Ja so, jetzt weiß ich es‹ – kam nach drei Tagen wieder und sang mir die Lieder einigemal vor. Als ich sie nach wenigen Tagen inne hatte, ging er von mir, mit den Worten: ›So, jetzt ists recht. So, so ists recht, so singen Sie, lassen Sie sich nichts einreden und machen mir nicht ein Mortant hinein.‹ Er ging, ich sah ihn in meinem Zimmer nie mehr. Nur auf der Probe, als er dirigirte, nickte er mir öfters freundlich wohlwollend zu. Einer der alten Herren meinte, man solle die Lieder, welche der Meister auf die Begleitung dieses Effects mit dem Orchester gesetzt hatte, in der Scene nur mit einer Guitarre begleiten. Da drehte er äußerst komisch den Kopf herüber und sagte mit einem flammenden Blick: ›Der verstehts!‹


. . . . . . . . . .«


Lange Zeit später schrieb eine unbekannte Hand in einem Konversationsbuche: »Ich erinnere mich noch an die Qual, die Sie bei der Probe von Egmont mit dem Pauker hatten.«

Das ist alles, was über die Geschichte dieses Werkes bekannt ist3.

Beethovens Name erscheint in beiden in diesem Jahre für den Theaterarmenfonds veranstalteten Konzerten, am 25. März mit dem ersten Satze der 4. Symphonie, am 17. April mit der Coriolan, Ouvertüre; doch wird nicht mitgeteilt, daß er bei einer der beiden Gelegenheiten [202] dirigiert hätte. Daß er jedoch die Proben und die Aufführung einer Symphonie in Schuppanzighs erstem Augartenkonzert im Mai leitete, ist wahrscheinlich. Fügen wir zu dem obigen noch die weiterhin folgenden Notizen über einige Lieder und das Quartett Op. 95, nebst einigen Briefen an seine Verleger, so ist damit die dürftige Geschichte Beethovens des Komponisten für 1810 erschöpft. Was übrig bleibt, ist lediglich privater und persönlicher Natur. –

Militärische Dienstleistung im Feldzuge von 1809 und darauf folgende Verpflichtungen in Böhmen waren die Ursache, daß Fürst Kinsky bis dahin seinen Verbindlichkeiten aus dem Vertrage über Beethovens Jahrgehalt nicht nachgekommen war; aber die regelmäßigen Zahlungen des Erzherzogs und Lobkowitz' in Verbindung mit den doch recht ansehnlichen Bezügen an Honorar für seine Werke, neuerdings besonders auch von Breitkopf & Härtel, setzten doch Beethoven instand, trotz der schlimmen Teuerung bequem leben zu können. Gerade das Jahr 1810 brachte ihm sehr bedeutende Einnahmen, so zunächst die nach 2 1/2 jährigem Warten erfolgte Zahlung der 200 ₤ von Collard-Clementi.


Auf Freiers Füßen.

Wenn sich auch nicht ganz genau feststellen läßt, wann endlich die Zahlung dieses Honorars für die 1807 an Clementi verkauften Kompositionen erfolgte – es geschah gelegentlich einer abermaligen Anwesenheit Clementis in Wien –, so finden sich doch Anhaltspunkte dafür, daß die Auszahlung zwischen Anfang Februar und Ende April 1810 erfolgt sein muß. Nicht früher, weil der Erzherzog Rudolf bereits wieder in Wien war (er kehrte am 30. Januar zurück), und nicht später, weil im Mai die Ablehnung von Beethovens Heiratsantrag durch Therese Malfatti erfolgte. In einem Briefe an Breitkopf & Härtel vom 4. Februar 1810 schreibt Beethoven:


»Da ich gewärtig bin, dieselben Werke4 vieleicht nach London schicken zu können, so dürften Sie dieselben außer England überall aller Orten versenden, jedoch dürfte die Herausgabe aus obiger Ursache nicht eher als den 1. September dieses Jahres 1810 ans Licht treten –.«


Das sieht allerdings so aus, als wäre das Geld eingetroffen oder doch die Anweisung avisiert. Damit wäre für die Unterbringung der Briefe an Gleichenstein, welche die erfolgte Zahlung voraussetzen, ein fester Anhaltspunkt gewonnen. Vielleicht darf man auch in dem Mieten [203] einer neuen Wohnung am 8. Februar für den Termin Georgi (24. April) einen weiteren Anhaltspunkt sehen:


»Für Herrn Professor von Loëb


P. S.

Da mir der Herr Baron Pascolati gesagt, daß ich die Wohnung in seinem Hause im 4ten Stock, welche ich vor zwei Jahren bewohnt habe, wieder besitzen könne, so bitte ich Euer hochwg. mich deswegen als ihr Miethsh. zu betrachten – d.h. von künftigen Georgi an für jährliche 500 fl. – die Zeit ist heute zu kurz sonst würde ich das Drangeld gerne errichtet haben, welches ich mir dieser Tage vorbehalte. –


Ihr ergebenster Diener

Ludwig van Beethoven.

Wien den 8ten Februar 18105


Es mag nun hier zunächst eine Reihe Briefe Platz finden, für deren strenge chronologische Folge allerdings eine Bürgschaft unmöglich ist; für einige ergibt sie sich aber bestimmt aus dem Inhalt:


An Gleichenstein.


»Ich schicke Dir hier 360 fl. – mache mir nur zu wissen, ob Du mehr brauchst und wie viel?? so schicke ich's gleich – und bitte Dich mir, da ich ebensowenig davon verstehe als sehr zuwider mir alles dergleichen ist, Leinwand oder Bengalen für Hemden, auch wenigstens ein halb Dutzend Halstücher zu kaufen. – Handle nach Deinem Gutdünken hierin, nur laß es nicht anstehen, Du weißt, ich brauch's. – Dem Lind habe ich 360 fl. heute vorausgegeben und habe hierin ganz nach Deiner Maxime gehandelt. –

Joseph Henickstein6 hat mir heute das Pfund Sterling zu 27 fl. und einem halben ausbezahlt und ladet Dich und mich sammt Clementi auf Morgen zu Mittage ein, schlag es ja nicht ab, Du weißt, wie gern ich mit Dir bin, laß mir jedoch sagen, ob ich dem Henickstein darf ankündigen, daß man sicher auf Dich rechnet – nicht wahr, Du schlägst nicht aus. – Grüße nur Alles was Dir und mir lieb ist, wie gern würde ich noch hinzusetzen und wem wir lieb sind???? wenigstens gebührt mir dieses? Zeichen. – Ich habe heute und morgen so viel zu thun, daß ich nicht, wie ich wünsche, zu Dir kommen kann. Leb' wohl, sei glücklich – ich bin's nicht.


Dein

Beethoven.«


[204] (An denselben.)


»Der Erzherzog läßt mich noch gestern Abends ersuchen, heute gegen halb 2 Uhr zu ihm zu kommen, wahrscheinlich komme ich vor 3 Uhr nicht fort, ich habe daher gestern gleich für uns beide absagen lassen – begegnest Du dem Henickstein, so sag ihm, daß ich Dir seine Einladung gleich zu wissen gemacht, indem er eben keinen zu starken Glauben auf mich hat, worin er auch in Betrachtung seiner nicht ganz unrecht hat. Ich habe geschrieben, daß wir uns selbst auf ein andermal einladen wollen – ich danke sehr für Deine Bemühungen, – es war mir leid Dich verfehlt zu haben, aber – ich erwarte Dich so selten bei mir, daß es mir zu verzeihen, wenn ich hierin nie auf Dich rechne – ob Du mit Dorner zum Erzherzog heute Abend kommen kannst, erhältst Du von mir noch zeitig genug Nachricht. –


Dein

Beethoven.«


(An denselben.)


»Den Einschluß sandte ich Dir gleich gestern Nachmittags nach Deiner ersten abschläglichen Antwort. Man sagte Du seist im Theater und doch war's kaum halb 5 Uhr. – Aus dem Beigeschlossenen von Schweiger siehst Du, daß ich darauf rechnete, daß Dorner schon wisse, daß er kommen könnte, und so sagte ich Dir weder Stunde noch sonst was – ich selbst kündigte Dich vor dem Anfang der Probe beim Erzherzog an, und er nahm es sehr gütig auf. – Du hast viel verloren, nicht wegen Nichtanhörens meiner Musik7, aber Du hättest einen liebenswürdigen talentvollen Prinzen gesehen und Du würdest als der Freund Deines Freundes gewiß nicht die Höhe des Rangs gefühlt haben. – Verzeih mir diese kleine stolze Aeußerung, sie gründet sich mehr auf das Vergnügen, auch diejenigen, die ich liebe, gleich hervorgezogen zu wissen, als auf eine kleinliche Eitelkeit. – So habe ich doch nur immer nur Empfindlichkeit und Wehe von Deiner Freundschaft. Leb wohl, diesen Abend komme ich zu den lieben Malfattis.«


Das diesem Briefe Beigeschlossene war folgendes:


»Pour Monsieur Louis van Beethoven.


Dorner habe ich bereits mit Erlaubniß des Erzherzogs schon avertirt, er ist auch schon bestimmt, dem Herrn umzublättern. Ihr Freund Gleichenstein wird wohl auch ein Plätzchen finden, das er mit uns theilen wird. Der Erzherzog befindet sich wie gestern, und freut sich auf diesen Abend wie


Ihr Freund

Schweiger.«


(An Gleichenstein.)


»Da ich mit meiner Zeit nicht auslange diesen Morgen, so komme ich gegen Mittag zum Wilden Mann im Prater, ich vermuthe, daß ich dort keine wilden Männer sondern schöne Grazien finden werde und dafür muß ich mich auch erst noch harnischen – daß du mich, weil ich gerade nur zum Mittage kommen kann, für keinen Schmaruzer hältst weiß ich, und so komme [205] ich gerade, finde ich euch noch zu Hause, so ists gut, wo nicht, so eile ich zum Prater, um euch zu umarmen.


Freund Beethoven.


(An denselben.)


Hier die S[onate]8 die ich der Therese versprochen. Da ich sie heute nicht sehen kann, so übergib sie ihr – empfehl mich ihnen allen, mir ist so wohl bei ihnen allen, es ist, als könnten die Wunden, wodurch mir böse Menschen die Seele zerrissen haben, wieder durch sie könnten geheilt werden, ich danke Dir, guter G., daß Du mich dorthin gebracht hast – hier noch 50 fl. für die Halstücher, brauchst Du mehr, laß mich's wissen. Du irrst wenn Du glaubst, daß Gigons Dich allein nur suche, nein auch ich habe das Glück gehabt ihn gar nicht von meiner Seite kommen zu sehen, er speiste an meiner Seite zu Nacht, er begleitete mich noch nach Hause, kurzum er verschaffte mir eine sehr gute Unterhaltung, wenigstens konnte ich niemals oben seyn, aber ziemlich tief unten – leb wohl, lieb mich


Dein Beethoven.«


Diese Erzählung von Malfattis kleinem Hunde (Gigons), welcher mit Beethoven ins Gasthaus zum Abendessen und von da wieder mit ihm nach seinem Hause ging, ist unterhaltend; es ist das beinahe die einzige Anspielung9 auf ein Lieblingshaustier, welche wir in sämtlichen auf Beethoven bezüglichen gedruckten und handschriftlichen Mitteilungen gefunden zu haben uns erinnern.


(An Gleichenstein).


»Ich bitte Dich mir heute sagen zu lassen, wenn die M. zu Hause Abends bleiben – Du wirst sicher einen angenehmen Schlaf gehabt haben – ich habe zwar wenig geschlafen, aber ein solches Erwachen ziehe ich allem Schlaf vor –


Leb wohl.

Dein treuer

Beethoven«.


(An denselben).


»Da mir die Frau von M. gestern sagte, daß sie heute doch ein anderes Piano bei Schanz aussuchen wollte, so wünschte ich daß sie mir hierin völlige Freiheit ließ, eins auszusuchen, über 500 fl. soll's nicht kosten, soll aber weit mehr werth sein, Du weißt daß mir diese Herren immer eine gewisse Summe anbieten, wovon ich nie Gebrauch mache, dieses macht aber wohl, daß ich einmal ein theures Instrument sehr wohlfeil bezahlen kann, und gerne würde ich hier die erste Ausnahme von meinem festgesetzten Betragen in diesem Stücke machen, sobald Du mir nur zu wissen machen wirst, ob man meinen Vorschlag annehme. – Leb wohl lieber guter Gl. Heute sehen wir uns, wo Du mir zugleich die Antwort geben kannst.


Dein treuer

Beethoven.«


[206] (An Gleichenstein).


»Hier sehe den Kaiserlichen Geschmack – die Musik hat sich der Poesie so herrlich angeschmiegt, daß wirklich man sagen kann, daß sie beide ein par langweilige Schwestern sind – mach mir zu wissen, ob ihr zu Hause bleibt – aber bei Zeiten – Kalter Freund leb wohl – was es auch mit Dir sein mag, Du bists einmal nicht recht – auch nicht im entferntesten Grade wie ich der Deine


Beethoven.«


Hier ist wohl ungefähr die rechte Stelle, ein paar Billetts an Zmeskall einzuschalten, deren erstem dieser das Empfangsdatum beigefügt hat (18. April 1810). Von Beethovens Wohnung in der Wallfischgasse führten nur wenige Schritte um die Ecke der Kärntnerstraße zu einem Eingange in das Bürgerspital, in welchem Zmeskall wohnte. Beethoven machte sich (wie er ja auch durfte) die Bereitwilligkeit dieses Freundes, ihm gefällig zu sein, in einer Ausdehnung zunutze, daß schließlich in seiner eigenen Seele die Besorgnis entstand, er könne in der Tat zu weit gehen und seines Freundes Gefälligkeit mißbrauchen. Diesmal hatte Beethoven ein ganz besonderes Bedürfnis, nämlich einen Spiegel; daß es sich nicht ums Rasiern handelte, sondern um eine allgemeinere Kontrolle seiner Toilette, beweist das zweite der Briefchen.


1.


(18. April 1810)10 »Lieber Zmeskall schicken Sie mir doch ihren Spiegel, der nächst ihrem Fenster hängt auf ein par Stunden, der meinige ist gebrochen, falls Sie zugleich die Güte haben wollten mir noch heute einen solchen zu kaufen, so erzeigten Sie mir einen großen Gefallen, ihre Auslagen sollen Sie sogleich zurück erhalten – verzeihn Sie lieber Z. meine Zudringlichkeit


Ich hoffe Sie bald zu sehen

ihr

Bthven.«


2.


»Lieber Z. Seyn Sie nicht böse über meine Blättchen – erinnern Sie sich nicht die Lage worin ich bin, wie einst Hercules bei der Königin Omphale??? ich bat Sie mir einen Spiegel zu kaufen, wie der Ihrige, und bitte Sie sobald Sie den Ihrigen, den ich ihnen hier mitschicke nicht brauchen, mir ihn doch heute wiederzusenden denn der meinige ist zerbrochen – leben Sie wohl und schreiben ja nicht mehr der große Mann über mich – denn nie habe ich die Macht oder die Schwäche der menschlichen Natur so gefühlt als itzt.

Haben Sie mich lieb11


[207] 3.


(Ohne Datum)12. »Werden Sie nicht unwillig, Lieber Z. indem ich mit beständigen Anforderungen an Sie gelange – lassen Sie mich zugleich wissen, wie viel Sie für den Spiegel bezahlt?

Leben Sie wohl wir sehen uns bald in dem Schwann wieder da das Essen täglich schlechter im [unleserlich] wird – ich habe seit vorgestern wieder einen heftigen Anfall von Kolik, doch ist es heute schon besser.


Ihr Freund

Beethvn.«


Das Datum 18. April ist auch insofern wichtig, als es beweist, daß Beethoven um diese Zeit noch in Wien und nicht auf dem Lande ist und daß daher der in dem gleich folgenden Briefe an Therese Malfatti erwähnte 8te nicht der 8. April, sondern der 8. Mai sein muß. Aus demselben geht hervor, daß Beethovens Verkehr im Malfattischen Hause in Wien ein lebhafter und vertrauter geworden ist, daß Beethoven auch am Klavier improvisiert und daß beim Punsch auch die Stimmung gelegentlich eine angeregtere geworden ist (»vergessen Sie das Tolle«); der Schluß spielt schon recht deutlich an auf seinen Wunsch, durch festere Bande mit der Familie verknüpft zu werden. Malfattis hatten sich wahrscheinlich Ende. April oder Anfang Mai auf ihr Gut begeben. Noch vor die Zeit dieser Abreise gehört wohl der folgende Brief an Gleichenstein, der vielleicht am Tage nach dem angeregten Abend geschrieben ist, von dem der Brief an Therese spricht (veröffentlicht durch Nohl in Westermanns Monatsheften Dez. 1865):


(An Gleichenstein)


»Deine Nachricht stürzte mich aus den Regionen des Glücks wieder tief herab. – Wozu denn der Zusatz, Du wolltest mir es sagen lassen, wenn wieder Musik sei, bin ich denn gar nichts als Dein Musicus oder der Andern? – so ist es wenigstens auszulegen, ich kann also nur wieder in meinem eigenen Busen einen Anlehnungspunkt suchen, von außen gibt es also gar keinen für mich; nein nichts als Wunden hat die Freundschaft und ihr ähnliche Gefühle für mich. – So sei es denn, für Dich, armer B., gibt es kein Glück von außen, Du mußt Dir Alles in Dir selbst erschaffen, nur in der idealen Welt findest Du Freunde. –

Ich bitte Dich, mich zu beruhigen, ob ich selbst den gestrigen Tag verschuldet, oder wenn Du das nicht kannst, so sage mir die Wahrheit, ich höre sie ebenso gern, als ich sie sage – jetzt ist es noch Zeit, noch können mir Wahrheiten nützen. – Leb wohl – laß Deinen einzigen Freund Dorner nichts von alle dem wissen.«


[208] Der Brief an Therese lautet:


»Sie erhalten hier, verehrte Therese, das Versprochene, und wären nicht die triftigsten Hindernisse gewesen, so erhielten sie noch mehr, um ihnen zu zeigen, daß ich immer mehr meinen Freunden leiste als ich verspreche – ich hoffe und zweifle nicht daran, daß sie sich eben so schön beschäftigen als angenehm Unterhalten – letzteres doch nicht zu sehr, damit man auch noch unser gedenke. – Es wäre wohl zuviel gebaut auf sie oder Mein Werth zu hoch angesetzt, wenn ich ihnen zuschriebe ›die Menschen sind nicht nur zusammen, wenn sie beysammen sind, auch der Entfernte, der Abgeschiedene lebt unß‹. wer wollte der flüchtigen alles im Leben leicht behandelnden T. so etwas zuschreiben? – Vergessen Sie doch ja nicht in Ansehung ihrer Beschäftigung das Klavier oder überhaupt die Musik im ganzen genommen, sie haben so schönes Talent darzu, warum es nicht ganz kultivieren, sie die für alles schöne und gute soviel Gefühl haben, warum wollen sie dieses nicht verwenden, um in einer so schönen Kunst auch das Vollkommenere zu erkennen, das selbst auf uns immer wieder zurückstralt – ich lebe sehr einsam und still, obschon hier oder da mich Lichter aufwecken möchten, so ist doch eine Unausfüllbare Lücke, seit sie alle fort von hier sind, in mir entstanden, worüber selbst meine Kunst, die mir sonst so getreu ist, noch keinen Triumph hat erhalten können – ihr Klavier ist bestellt und sie werden es bald haben – welchen Unterschied werden sie gefunden haben in der Behandlung des an einem Abend erfundenen Themas und so wie ich es ihnen letztlich niedergeschrieben habe, erklären sie sich das selbst, doch nehmen Sie ja den Punsch nicht zu hülfe – wie glücklich sind sie, daß sie schon so früh aufs Land konnten, erst am Lien kann ich diese Glückseeligkeit genießen, kindlich freue ich mich darauf, wie froh bin ich einmal in Gebüschen, Wäldern, unter Bäumen, Kräutern, Felsen wandeln zu können, kein Mensch kann das Land so lieben wie ich – geben doch Wälder, Bäume, Felsen den Widerhall, den der Mensch wünscht.

(vier Zeilen durchstrichen)

Bald erhalten sie einige andere Kompositionen von mir wobey sie nicht zu sehr über schwierigkeiten klagen sollen – haben Sie Göthes Wilhelm Meister gelesen, den von Schlegel übersetzten Shakespear, auf dem Lande hat man so viele Muße es wird Inen vieleicht angenehm sein, wenn ich ihnen diese Werke schicke. – Der Zufall fügt es, daß ich einen Bekannten in ihrer Gegend habe, vieleicht sehen sie mich an einem frühen Morgen auf eine halbe Stunde bey ihnen, und wieder fort, sie sehen daß ich ihnen die kürzeste Langeweile bereiten will. – Emphelen sie mich dem Wohlwollen ihres Vaters, ihrer Mutter, obschon ich mit Recht noch keinen Anspruch darauf machen kann, ebenfalls dem der Base M. Leben Sie nun wohl, verehrte T., ich wünsche ihnen alles was im Leben gut und schön ist, Erinnern sie sich meiner und gern – vergessen sie das Tolle – seyen sie überzeugt, Niemand kann ihr Leben froher, glücklicher wissen wollen als ich und selbst dann, wenn Sie gar keinen Antheil nehmen


an ihrem ergebensten Diener und Freund

Beethoven.


NB. Es wäre wohl sehr hübsch von ihnen, in einigen Zeilen mir zu sagen, worin ich ihnen hier dienen kann? –«


[209] (Zuerst veröffentlicht 1865 von L. Nohl, Br. Bs. Nr. 61.)

In dieser Situation schrieb nun Beethoven den berühmten Brief an Wegeler in Koblenz mit der dringlichen Bitte um Besorgung seines Taufscheins (nach Ries und Wegeler, Notizen, S. 45).


»Wien, am 2. Mai 1810.


Guter, alter Freund – beinahe kann ich es denken, erwecken meine Zeilen Staunen bei Dir, – und doch, obschon Du keine schriftlichen Beweise hast, bist Du noch immer bei mir im lebhaftesten Andenken. – Unter meinen Manuscripten ist selbst schon lange eins, was Dir zugedacht ist und was Du gewiß noch diesen Sommer erhältst (1). Seit ein Paar Jahren hörte ein stilleres ruhigeres Leben bei mir auf, und ich ward mit Gewalt in das Weltleben gezogen; noch habe ich kein Resultat dafür gefaßt und vielleicht eher dawider – doch auf wen mußten nicht auch die Stürme von außen wirken? Doch ich wäre glücklich, vielleicht einer der glücklichsten Menschen, wenn nicht der Dämon in meinen Ohren seinen Aufenthalt aufgeschlagen. Hätte ich nicht irgendwo gelesen, der Mensch dürfe nicht freiwillig scheiden von seinem Leben, so lange er noch eine gute That verrichten kann, längst wär' ich nicht mehr – und zwar durch mich selbst. – O so schön ist das Leben, aber bei mir ist es für immer vergiftet. –

Du wirst mir eine freundschaftliche Bitte nicht abschlagen, wenn ich Dich ersuche, mir meinen Taufschein zu besorgen. – Was nur immer für Unkosten dabei sind, da Steffen Breuning mit Dir in Verrechnung steht, so kannst Du Dich da gleich bezahlt machen, so wie ich hier an Steffen gleich Alles ersetzen werde. – Solltest Du auch selbst es der Mühe werth halten, der Sache nachzuforschen und es Dir gefallen, die Reise von Coblenz nach Bonn zu machen, so rechne mir nur alles an. – Etwas ist unterdessen in Acht zu nehmen; nämlich: daß noch ein Bruder früherer Geburt vor mir war, der ebenfalls Ludwig hieß, nur mit dem Zusatze: Maria, aber gestorben ist. Um mein gewisses Alter zu bestimmen, muß man also diesen erst finden, da ich ohnedies schon weiß, daß durch Andere hierin ein Irrthum entstanden, da man mich älter angegeben, als ich war (2). – Leider habe ich eine Zeitlang gelebt, ohne selbst zu wissen, wie alt ich bin. – Ein Familienbuch hatte ich, aber es hat sich verloren, der Himmel weiß, wie. – Also, laß Dich's nicht verdrießen, wenn ich Dir diese Sache sehr warm empfehle, den Ludwig Maria und den jetzigen nach ihm gekommenen Ludwig ausfindig zu machen. – Je bälder Du mir den Taufschein schickst, desto größer meine Verbindlichkeit. – Man sagt mir, daß Du in euren Freimaurer-Logen ein Lied von mir singst, vermuthlich in E dur und was ich selbst nicht habe; schick' mir's, ich verspreche Dir's drei und vierfältig auf eine andere Art zu ersetzen (3). – Denke mit einigem Wohlwollen an mich, so wenig ich's dem äußern Scheine nach um Dich verdiene. – Umarme, küsse Deine verehrte Frau, Deine Kinder, Alles was Dir lieb ist, im Namen Deines Freundes


Beethoven


Hierzu gehören die Anmerkungen von Wegeler (Notizen S. 136):


[210] (1) »Mein Loos hierin war auch jenes seines Schülers Ries; die Dedikation blieb in den Briefen. Sind diese aber nicht höheren Wertes?«

(2) »Bezieht sich, wie sich später herausstellt, auf eine von Ries mitgetheilte Nachricht.« [Notizen S. 135. Als Ries vom Herbst 1808 bis Sommer 1809 in Wien war, erhielt er von Beethoven folgenden nicht genauer datierbaren Brief:


»Ihre Freunde, mein Lieber! haben Ihnen auf jeden Fall schlecht gerathen. Ich kenne diese aber schon; – es sind die nämlichen, denen Sie auch die schönen Nachrichten über mich aus Paris geschickt (I), dir nämlichen, die sich um mein Alter erkundigt, wovon Sie so gute Kunde zu geben gewußt (II), die nämlichen, die Ihnen bei mir schon manchmal, jetzt aber auf immer (III) geschadet haben.

Leben Sie wohl!


Beethoven.«]


(3) »Beethoven ist hier im Irrtum; es war nicht ein eigenes von ihm komponiertes Lied, was er nicht mehr hatte, sondern nur ein anderer dem Opferlied von Matthisson unterlegter Text. Gleiches unternahm ich bei dem von ihm sehr früh komponierten Lied: ›Wer ist ein freier Mann?‹ Ich erlaube mir, diese Texte im Anhang zuzusetzen, sowie die Singstimmen und den Text zu einem Adagio, welches mit Beethovens Gutheißen gestochen wurde. Beethoven wünschte zugleich einen Text zu dem Thema der Variationen zu haben, womit die große dem Fürsten Lichnowsky dedizierte Sonate (Opus 26) anfängt, den ich ihm jedoch, da er mir selbst nicht genügte, so wenig wie einen andern, je übermachte.«


Und zu diesen Anmerkungen gehören wieder die Erläuterungen von Ries:


(I) »Der ersten Veranlassung zu diesem Billet erinnere ich mich nicht. Aus Paris hatte ich geschrieben, daß der Geschmack an Musik daselbst nur ein schlechter sei und man Beethovens Werke dort wenig kenne und spiele.

(II) Einige Freunde Beethovens wünschten Gewißheit über seinen Geburtstag zu haben. Mit vieler Mühe suchte ich, als ich 1806 in Bonn war, seinen Taufact, den ich endlich auch fand und nach Wien schickte. Von seinem Alter wollte er nie sprechen,

(III) Sein Groll ging gar bald vorüber und die alte Freundschaft trat wieder ein.« –


In dem Nachtrage zu den Notizen, welchen Wegeler im J. 1845 bei Gelegenheit des Beethovenfestes in Bonn veröffentlichte, gab er noch nachfolgende, sehr wichtige Erklärung zu vorstehendem Briefe (S. 14):


»Es scheint allerdings, daß Beethoven einmal im Leben den Gedanken hegte, sich zu verehelichen, nachdem er oft in Liebesverhältnissen gestanden, wie dies (Notizen S. 40, 42f. und 117f.) gesagt ist. Mehreren Lesern war, so wie mir, das Drängen auffallend, womit Beethoven in seinem Briefe [211] vom 10. Mai 181013 mich ersucht, ihm seinen Taufschein zu besorgen. Alle Auslagen, sogar die Reisekosten von Koblenz nach Bonn, will er mir ersetzen. Dann kommt noch eine ausführliche Instruktion, was ich beim Aufsuchen des Scheins zu beobachten hätte, um ja den rechten zu erhalten. – Die Auflösung des Rätsels fand ich in einem drei Monate nachher geschriebenen Briefe meines Schwagers St. v. Breuning an mich. In diesem heißt es: ›Beethoven sagt mir alle Woche wenigstens einmal, daß er Dir schreiben will; allein ich glaube, seine Heirats-Partie hat sich zerschlagen, und so fühlt er keinen so regen Trieb mehr, Dir für die Besorgung des Taufscheins zu danken.‹ Beethoven hatte demnach im 39. Jahre seines Alters aufs Heiraten noch nicht verzichtet.«


Wir wissen jetzt, daß die »Heiratspartie« schon sehr bald, nachdem der Brief an Wegeler geschrieben war, d.h. Früh im Mai, zu ihrem vorzeitigen Ende gelangte.

Nur zwei kurze Briefe an Gleichenstein orientieren uns noch ein wenig über das Ende dieses Seelendramas, welches ganz zweifellos Beethoven stark erschüttert hat. Wie es scheint, wollte anfänglich Beethoven mit Gleichenstein nach dem Malfattischen Gute reisen, zog aber schließlich vor, einen förmlichen schriftlichen Heiratsantrag durch Gleichenstein besorgen zu lassen. Für die ablehnende Antwort haben wir keinen Beleg als die Aussage der Nichte (Bd. II2 S. 553) und das Aufhören jeder bezüglichen Korrespondenz.


114.


»Du lebst auf stiller ruhiger See oder schon im sichern Hafen – des Freundes Noth, der sich im Sturm befindet, fühlst Du nicht – oder darfst Du nicht fühlen – was wird man im Stern Venus Urania von mir denken, wie wird man mich beurtheilen, ohne mich zu sehen – mein Stolz ist so gebeugt, auch unaufgefordert würde ich mit Dir reisen dahin – laß mich Dich sehen morgen früh bei mir, ich erwarte Dich gegen 9 Uhr zum Frühstücken – Dorner kann auch ein andermal mit Dir kommen – wenn Du nur aufrichtiger seyn wolltest, Du verhehlst mir gewiß etwas, Du willst mich schonen, und erregst mir mehr Wehe in dieser Ungewißheit, als in der noch so fatalen Gewißheit – Leb wohl kannst Du nicht kommen, so laß mich es vorher wissen – denk und handle für mich – dem Papier läßt sich nichts weiter von dem, was in mir vorgeht, anvertrauen –«


[212] 2.


»Lieber Freund, so verflucht spät – drücke alle warm an's Herz – warum kann meines nicht dabei sein? Leb wohl, Mittwochs früh bin ich bei Dir – der Brief ist so geschrieben, daß ihn die ganze Welt lesen kann – findest Du das Papier von dem Umschlag nicht rein genug, so mach ein anderes drum, bei der Nacht kann ich nicht ausnehmen, ob's rein ist – leb wohl, lieber Freund, denke und handle auch für Deinen treuen Freund


Beethoven.«


Bettina Brentano.

In der Wiener Vorstadt Landstraße, Erdberggasse, steht ein hohes Haus, damals mit der Nummer 98 versehen, aus dessen hintern Fenstern man die Rasumowskyschen Gärten, den Donaukanal und den Prater überblickt. Aus diesem Hause schrieb am 15. Mai 1810 Elisabeth Brentano (nachmals Bettina von Arnim) an Goethe folgendes:


»Ein ungeheurer Maiblumenstrauß durchduftet mein kleines Cabinet, mir ist wohl hier im engen kleinen Kämmerchen auf dem alten Thurm, wo ich den ganzen Prater übersehe: Bäume und Bäume von majestätischem Ansehen, herrlicher grüner Rasen. Hier wohne ich im Hause des verstorbenen Birkenstock, mitten zwischen zweitausend Kupferstichen, eben so viel Handzeichnungen, so viel hundert alten Aschenkrügen und hetrurischen Lampen, Marmorvasen, antiken Bruchstücken von Händen und Füßen, Gemälden, chinesischen Kleidern, Münzen, Steinsammlung, Meerinsekten, Ferngläser, unzählbare Landkarten, Plane alter versunkener Reiche und Städte, kunstreich geschnitzte Stöcke, kostbare Dokumente und endlich das Schwert des Kaisers Karolus. Dies alles umgibt uns in bunter Verwirrung und soll gerade in Ordnung gebracht werden, da ist denn nichts zu berühren und zu verstellen, die Kastanienallee in voller Blüthe und die rauschende Donau die uns hinüberträgt auf ihrem Rücken, da kann man es im Kunstsaal nicht aushalten« usw.


Joseph Melchior von Birkenstock, geboren 1738, der hochgeehrte, vertraute und verdienstvolle Diener Maria Theresias und Kaiser Josephs, der Freund und Schwager des berühmten Sonnenfels, der Reformator des österreichischen Schulwesens, der Förderer aller liberalen Ideen, soweit in jenen Tagen ein Fortschritt statthaft war, der Mann, welcher mit vielen der edelsten Männer seiner Zeit, unter denen sich auch der amerikanische Philosoph Franklin und der schottische Historiker Robertson befanden, in brieflichem Verkehr stand, war 1803 pensioniert worden und lebte seitdem nur der Wissenschaft, der Kunst und schriftstellerischer [213] Tätigkeit bis zu seinem Tode am 30. Oktober 1809. Sein Haus, fast bis zum Übermaße mit jenen künstlerischen, antiquarischen und wissenschaftlichen Sammlungen angefüllt, von welchen Bettina spricht, war eine jener wahrhaft edeln Stätten wissenschaftlichen Strebens, hoher Bildung und seiner Sitte. Und in diesem Hause war Beethoven zu seinem offenbaren geistigen Gewinn ein willkommener Gast.


»Der Graf Herberstein,« schreibt Bettina am 27. Mai, »der in meiner Schwester Sophie eine geliebte Braut verloren hat, hat mich mehrmals besucht und ist mit mir spazieren gegangen und hat mich alle Wege geführt, die er mit Sophie gewandert ist, da hat er mir sehr schönes, rührendes von ihr erzählt, es ist seine Freude meiner Ähnlichkeit mit ihr nachzuspüren; er nannte mich gleich Du, weil er die Sophie auch so genannt hatte, manchmal wenn ich lachte wurde er blaß, weil die Ähnlichkeit mit Sophie ihn frappirte. Wie muß diese Schwester liebenswürdig gewesen sein, da sie jetzt noch im Herzen der Freunde so tiefe Spuren der Wehmuth ließ.«


Sophie Brentano, älter als Bettina, trotz des Verlustes eines Auges sehr schön, und gleich allen Gliedern jener ausgezeichneten Familie von hoher Begabung und Bildung, war als Herbersteins Braut lange in Wien zum Besuche gewesen; die Vermählung vereitelte ihr vorzeitiger Tod. »Sie hat die Verbindung ihres Bruders Franz mit Antonie von Birkenstock vermittelt,« wie Jahn mitteilt. Die junge Frau, welche sich in Frankfurt nicht heimisch fühlte (und zwar, wie wir hinzufügen dürfen, wegen des bedenklichen Gesundheitszustandes ihres Vaters), veranlaßte Brentano, nach Wien zu ziehen, wo sie mehrere Jahre im Birkenstockschen Hause die Wohnung inne hatten, welche Bettine so hübsch beschreibt. In diesem Hause, wo die Musik gepflegt wurde, ging Beethoven freundschaftlich aus und ein. Seine »kleine Freundin«, für die er »zur Aufmunterung im Klavierspielen« im Jahre 1812 das kleine Trio in einem Satze schrieb, war die Tochter derselben, Maximiliane Brentano (»Maxe«, später Frau von Plittersdorf). Zehn Jahre später dedizierte er ihr die Sonate Op. 109 in E-dur. Nach Birkenstocks Tode suchte er sich auch praktisch als Freund zu erweisen und den Ankauf eines Teils seines Nachlasses durch den Erzherzog Rudolf zu vermitteln. Wirksamer war aber wohl der Beistand, welchen Brentano ihm leistete, bei dem er später in bedrängten Zeiten, wenn er ein Darlehn bedurfte, stets offene Kasse fand. Frau Antonie Brentano war während ihres Wiener Aufenthalts vielfach kränklich und oft Wochen lang so leidend, daß sie sich in ihrem Zimmer, für jeden Besuch unzugänglich, zurückgezogen halten mußte. In solchen Zeiten pflegte Beethoven regelmäßig zu kommen, setzte sich in ihrem Vorzimmer [214] ohne weiteres ans Klavier und phantasierte; wenn er der Leidenden in seiner Sprache »alles gesagt und Trost gegeben hatte«, ging er wieder fort, wie er gekommen war, ohne sonst von jemand Notiz zu nehmen15.

Die Glaubwürdigkeit von Bettinas Beiträgen zur Beethovenliteratur ist in allen Graden von Entschiedenheit angefochten worden, von einer einfachen Äußerung des Zweifels an einzelnen Stellen an bis zu vollständiger Verwerfung aller ihrer Mitteilungen, als grober Verdrehungen der Wahrheit, sogar als Erdichtungen der Einbildungskraft.

Kategorische Behauptungen stehen selten in richtigem, ja oft sogar in umgekehrtem Verhältnisse zu wirklicher Kenntnis. Die bittersten Angriffe auf die Glaubwürdigkeit von Bettina von Arnim sind von solchen gemacht worden, deren Unkenntnis des Gegenstandes in die Augen fällt; aber es befinden sich unter den Zweiflern auch Männer von Redlichkeit, gutem Urteil und ausgebreiteter Kenntnis von Beethovens Geschichte; und die geziemende Achtung vor den Ansichten solcher Männer läßt es gerecht und angemessen erscheinen, die Frage etwas eingehender zu behandeln.

Gleich zu Anfang begegnet uns eine Behauptung in Schindlers Biographie (Ausg. von 1840), welche, wenn sie richtig wäre, die Glaubwürdigkeit von Bettina von Arnims erster Zusammenkunft mit Beethoven mit einem Schlage zerstören würde. Er sagt: »Beethoven wurde durch sie [Bettine] mit dem Hause Brentano in Frankfurt bekannt«. Ein späterer Schriftsteller (Ludwig Nohl) unterstützt ihn in dieser Behauptung unter Berufung auf die Autorität der »jetzt 87 jährigen Frau Brentano«, der Tochter Birkenstocks (Neue Briefe Beethovens [1867] S. 53).

Nachdem nun aber Schindler lange Zeit in und bei Frankfurt gewohnt hatte, schreibt er (1860): »Da selbst befindet sich noch eine der ältesten Freundinnen unseres Meisters am Leben, welche er bereits bei seiner Ankunft in Wien, 1792, im väterlichen Hause kennen gelernt«. Diese war die obengenannte »87jährige Frau«. Nohl zieht ebenfalls seine Behauptung wieder zurück in einer späteren Publikation, wo er von der Tochter dieser bejahrten Dame spricht, »Maxe, die als Kind im Jahre 1808 in Wien bei Birkenstocks oft auf seinen [Beethovens] Knieen gesessen« (Biogr. III. 275) und korrigiert weiterhin (III. 873) das Jahr 1808 in 1810 »oder noch später«.

[215] Jeder mögliche, auch der schwächste Zweifel über diesen Punkt wird beseitigt durch eine Mitteilung des Herrn Brentano, des gegenwärtigen Hauptes der Familie, welche der Verfasser durch Vermittelung des Herrn W. P. Webster, des verstorbenen amerikanischen Generalkonsuls in Frankfurt, erhielt. Brentano schreibt:


»Die freundschaftlichen Beziehungen Beethovens zu der Familie Brentano in Frankfurt a/M, resp. zu

Frau Antonie Brentano geb. Birkenstock, geb. in Wien d. 28. May 1780, getraut daselbst d. 23. July 1798, gestorben zu Frankfurt a/M. den 12ten May 1869,

und ihrem Gatten

Herrn Franz Brentano, Kaufmann, dann Schöff und Senator der freyen Stadt Frankfurt, geb. zu Frankfurt d. 17. Novr 1765, gestorben daselbst den 28. Juni 1844,

entsprangen aus dem freundschaftlichen Verkehr, in welchem Beethoven zu dem Vater der Frau Brentano, dem

Kaiserlichen Hofrath Johann Melchior von Birkenstock in Wien geb. zu Heiligenstadt im Eichsfeld den 11. Mai 1738, getraut d. 1. März 1778, mit Carolina Josepha von Hay, Wittwer seit dem 18. Mai 1788, gestorben zu Wien den 30. October 1809,


schon zur Zeit gestanden hatte, in welcher Frau Brentano ihren Vater in Wien besuchte, wohin sie sich im Jahre 1809 mit ihren älteren Kindern für längere Zeit begab, weil ihr Vater, Hofrath von Birkenstock, schon seit einiger Zeit in ernster Weise kränkelte. Dieser freundschaftliche Umgang wurde auch nach dem am 30. Octob. 1609 in Wien erfolgten Tode des Hofrath von Birken stock und während des dreijährigen Verbleibens in Wien der Familie Brentano fortgesetzt. Beethoven kam oft in das Birkenstock'sche, nun Brentano'sche Haus, wohnte dort den von ausgezeichneten Musikern Wiens ausgeführten Quartetten bei, und erfreute selber öfters seine Freunde durch sein herrliches Spiel. Die Kinder Brentano brachten ihm zuweilen Obst und Blumen in seine Wohnung, er dagegen schenkte ihnen Bonbons und zeigte denselben stets große Freundlichkeit.«


Herr Webster schrieb außerdem (den 18. Oktober 1872):


»Ich erfuhr, daß Hofrath Birkenstock ein Freund Beethovens war; daß Beethoven sehr oft im Birkenstockschen Hause war; und daß die Bekanntschaft der Tochter mit ihm vor ihrer Heirath mit Hrn. Brentano begann«.


Wir kehren zu Bettinas Bericht zurück. An einem Tage im Mai wurde Beethoven, als er gerade mit einem eben komponierten Liede vor sich am Klavier saß, durch zwei Hände, die sich auf seine Schultern legten, überrascht. Er sah »mit finsterem Blicke« auf, aber sein Antlitz erhellte sich, als er in das Antlitz einer schönen jungen Dame sah, welche ihren [216] Mund an sein Ohr hielt und sagte: »Ich heiße Brentano.« Sie bedurfte keiner weiteren Einführung. Er lächelte, reichte ihr, ohne aufzustehen, seine Hand und sagte: »Ich habe eben ein schönes Lied gemacht für Sie; wollen Sie es hören?« Dann sang er scharf und schneidend – nicht schmelzend, nicht weich – hart war die Stimme, über Bildung und Gefälligkeit sich hinausschwingend durch den Schrei der Leidenschaft – daß die Wehmut auf den Hörer zurückwirkte – »Kennst Du das Land«. Er fragte: »Nun, wie gefällt es Ihnen?« Sie nickte. »Nicht wahr, es ist schön«, sagte er begeistert; »wunderschön; ich will's noch einmal singen.« Er sang es von neuem, blickte mit einem triumphierenden Ausdrucke zu ihr hin, und als er ihre Wangen und Augen glänzen sah, freute er sich über ihren heitern Beifall. – »Aha«, sagte er, »die meisten Menschen sind gerührt über etwas Gutes; das sind aber keine Künstlernaturen. Künstler sind feurig, sie weinen nicht.« Dann sang er noch ein anderes Lied von Goethe: »Trocknet nicht Thränen der ewigen Liebe«.

An jenem Tage fand bei Franz Brentano im Birkenstockschen Hause ein großes Mittagsmahl statt, und Bettina – denn diese war die Dame – forderte Beethoven auf, seinen alten Rock mit einem besseren zu vertauschen und sie dorthin zu begleiten. »Oh«, sagte er scherzend, »ich habe mehrere gute Röcke« und nahm sie mit zur Garderobe, um sie zu zeigen. Nachdem er den Rock gewechselt, ging er mit ihr auf die Straße hinab, blieb aber dort stehen und sagte, er müsse für einen Augenblick wieder zurückkehren. Lachend kam er wieder zurück und hatte den alten Rock wieder an. Sie machte dagegen Einwendungen: da ging er von neuem hinauf, kleidete sich nunmehr sein und ging mit ihr16. Doch trotz seiner ziemlich ungeschickten Späße entdeckte sie bald eine Größe in dem Manne, auf welche sie vollständig unvorbereitet war. Sein Genius leuchtete auf sie mit einem Glanze, von welchem sie sich vorher keine Vorstellung gemacht hatte, und die plötzliche Enthüllung desselben überraschte sie, blendete sie, riß sie hin. Diesem Eindrucke verdankt ihr [217] Brief über Beethoven17 an Goethe seinen Ton. In der Tat, der Beethoven unserer Vorstellung war damals noch nicht bekannt; der erste Versuch, dasjenige, was seiner verstehende Geister in seiner Musik zu fühlen angefangen hatten, zu beschreiben oder in Worte zu fassen, war E. T. A. Hoffmanns Artikel über die C-Moll-Symphonie in der A. M. Z. vom 4. Juli, fünf Wochen später (vgl. S. 97). Aus diesen Gründen neigt der Verfasser zu der Ansicht, daß der fragliche Brief ein Versuch ist, über eine wirklich stattgehabte, aber unvollkommen verstandene Unterhaltung Bericht zu geben. Überhaupt aber war derselbe bei dieser ausführlichen Mitteilung von der Überzeugung geleitet, daß in einer vollständigen Biographie Beethovens dieser Brief nicht fehlen könne, und überläßt es dabei dem Leser, zu entscheiden, was darin als Äußerung Beethovens betrachtet werden könne und was nicht.

Die wesentlichen Teile von Bettinas langer Mitteilung sind folgende:


(An Goethe.)

»Wien, am 28. Mai.


Wie ich diesen sah, von dem ich Dir jetzt sprechen will, da vergaß ich der ganzen Welt, schwindet mir doch auch die Welt, wenn mich Erinnerung ergreift, – ja sie schwindet...... Es ist Beethoven, von dem ich Dir jetzt sprechen will, und bei dem ich der Welt und Dei ner vergessen habe; ich bin zwar unmündig, aber ich irre darum nicht, wenn ich ausspreche (was jetzt vielleicht keiner versteht und glaubt), er schreite weit der Bildung der ganzen Menschheit voran, und ob wir ihn je einholen? – ich zweifle; möge er nur leben, bis das gewaltige und erhabene Räthsel, was in seinem Geiste liegt, zu seiner höchsten Vollendung herangereift ist, ja, möge er sein höchstes Ziel erreichen, gewiß dann läßt er den Schlüssel zu einer himmlischen Erkenntniß in unseren Händen, die uns der wahren Seligkeit um eine Stufe näher rückt,

Vor Dir kann ich's wohl bekennen, daß ich an einen göttlichen Zauber glaube, der das Element der geistigen Natur ist, diesen Zauber übt Beethoven in seiner Kunst; alles wessen er Dich darüber belehren kann, ist reine Magie, jede Stellung ist Organisation einer höheren Existenz und so fühlt Beethoven sich auch als Begründer einer neuen sinnlichen Basis im geistigen Leben; Du wirst wohl herausverstehen was ich sagen will und was wahr ist. Wer könnte uns diesen Geist ersetzen? von wem könnten wir ein gleiches erwarten? – Das gänzliche menschliche Treiben geht wie ein Uhrwerk an ihm auf und nieder, er allein erzeugt frei aus sich das Ungeahnte, Unerschaffne, was sollte diesem auch der Verkehr mit der Welt, der schon vor Sonnenaufgang am heiligen Tagwerk ist, und nach Sonnenuntergang kaum um sich sieht, der seines Leibes Nahrung vergißt und von dem Strom der Begeisterung im Flug an den Ufern des flachen Alltagslebens vorübergetragen wird; er selber [218] sagte: ›wenn ich die Augen aufschlage, so muß ich seufzen, denn was ich sehe ist gegen meine Religion, und die Welt muß ich verach ten, die nicht ahnt daß Musik höhere Offenbarung ist als alle Weisheit und Philosophie, sie ist der Wein, der zu neuen Erzeugungen begeistert, und ich bin der Bacchus, der für die Menschen diesen herrlichen Wein keltert und sie geistestrunken macht, wenn sie dann wieder nüchtern sind, dann haben sie allerlei gefischt was sie mit auf's Trockne bringen. – Keinen Freund hab' ich, ich muß mit mir allein leben; ich weiß aber wohl daß Gott mir näher ist wie den andern in meiner Kunst, ich gehe ohne Furcht mit ihm um, ich hab ihn jedesmal erkannt und verstanden, mir ist auch gar nicht bange um meine Musik, die kann kein bös Schicksal haben, wem sie sich verständlich macht, der muß frei werden von all dem Elend, womit sich die andern schleppen.‹ –

Dies alles hat mir Beethoven gesagt wie ich ihn zum erstenmal sah, mich durchdrang ein Gefühl von Ehrfurcht, wie er sich mit so freundlicher Offenheit gegen mich äußerte, da ich ihm doch ganz unbedeutend sein mußte; auch war ich verwundert, denn man hatte mir gesagt, er sei ganz menschenscheu und lasse sich mit Niemand in ein Gespräch ein. Man fürchtete sich mich zu ihm zu führen, ich mußte ihn allein aufsuchen, er hat drei Wohnungen18, in denen er abwechselnd sich versteckt, eine auf dem Lande, eine in der Stadt und die dritte auf der Bastei, da fand ich ihn im dritten Stock, unangemeldet trat ich ein, er saß am Clavier.....

Er begleitete mich nach Hause, und unterwegs sprach er eben das viele Schöne über die Kunst, dabei sprach er so laut und blieb auf der Straße stehn, daß Muth dazu gehörte, zuzuhören, er sprach mit großer Leidenschaft und viel zu überraschend, als daß ich nicht auch der Straße vergessen hätte, man war sehr verwundert ihn mit mir in eine große Gesellschaft, die bei uns zu Diné war, eintreten zu sehen. Nach Tisch setzte er sich unaufgefordert an's Instrument und spielte lang und wunderbar, sein Stolz fermentirte zugleich mit seinem Genie; in solcher Aufregung erzeugt sein Geist das Unbegreifliche und seine Finger leisten das Unmögliche«.


In dem Briefe an Fürst Pückler-Muskau, in welchem Bettina von Arnim mehr bei den Einzelheiten der Begegnung sich aufhält, schreibt sie so:


»Man war erstaunt, mich mit dem menschenscheuen Beethoven Hand in Hand eintreten zu sehen in eine Gesellschaft von mehr als vierzig Menschen, die bei Tische saßen; er nahm ohne Umstände Platz, sagte wenig, wohl weil er taub war; zweimal nahm er seine Schreibtafel aus der Tasche, [219] und schrieb ein paar Ziffern hinein. Nach Tisch stieg die ganze Gesellschaft auf den Thurm des Hauses19, um die Gegend zu übersehen; wie Alle wieder hinab waren, und er und ich allein, da zog er die Tafel hervor, übersah sie, schrieb und strich aus, dann sagte er: ›Mein Lied ist fertig‹. Er legte sich in's Fenster und sang es vollends hinaus in die Lüfte. Dann sagte er: ›Gelt, das schallt? Es gehört Ihnen, wenn's Ihnen gefällt, ich hab's für Sie gemacht, Sie haben mich dazu gereizt, ich las es in Ihrem Blick wie geschrieben.‹«


Ein anderes Ereignis aus diesem Briefe, offenbar auf eine andere Gelegenheit bezüglich, ist folgendes.


»Eine Dame aus der Gesellschaft, eine der ersten Klavierspielerinnen, trug eine Sonate von ihm vor. Nachdem er eine Weile zugehört hatte, sagte er: ›Das ist nichts!‹ Er setzte sich selber an's Klavier und trug dieselbe Sonate vor, die übermenschlich zu nennen war.«


In dem Briefe an Goethe fährt sie fort:


»Seitdem kommt er alle Tage oder ich gehe zu ihm. Darüber versäume ich Gesellschaften, Gallerien, Theater und sogar den Stephansthurm. Beethoven sagt: ›Ach, was wollen Sie da sehen! Ich werde Sie abholen, wir gehen gegen Abend durch die Allee von Schönbrunn‹. Gestern ging ich mit ihm in einen herrlichen Garten20, in voller Blüthe, alle Treibhäuser offen, der Duft war betäubend; Beethoven blieb in der drückenden Sonnenhitze stehen und sagte: ›Goethe's Gedichte behaupten nicht allein durch den Inhalt, auch durch den Rhythmus eine große Gewalt über mich, ich werde gestimmt und aufgeregt zum Componiren durch diese Sprache, die wie durch Geister zu höherer Ordnung sich aufbaut und das Geheimniß der Harmonieen schon in sich trägt. Da muß ich denn von dem Brennpunkt der Begeisterung die Melodie nach allen Seiten hin ausladen, ich verfolge sie, hole sie mit Leidenschaft wieder ein, ich sehe sie dahin fliehen, in der Masse verschiedener Aufregungen verschwinden, bald erfasse ich sie mit erneuter Leidenschaft, ich kann mich nicht von ihr trennen, ich muß mit raschem Entzücken in allen Modulationen sie vervielfältigen, und im letzten Augenblick da triumphire ich über den ersten musikalischen Gedanken, sehen Sie, das ist eine Symphonie; ja, Musik ist so recht die Vermittelung des geistigen Lebens zum sinnlichen. Ich möchte mit Goethe hierüber sprechen, ob der mich verstehen würde? – Melodie ist das sinnliche Leben der Poesie. Wird nicht der geistige Inhalt eines Gedichts zum sinnlichen Gefühl durch die Melodie? – empfindet man nicht in dem Lied der Mignon ihre ganze sinnliche Stimmung durch die Melodie? und erregt diese Empfindung nicht wieder zu neuen Erzeugungen? – Da will der Geist zu schrankenloser Allgemeinheit sich ausdehnen, wo alles in Allem sich bildet zum Bett der Gefühle, die aus dem einfachen musikalischen Gedanken entspringen, und die sonst ungeahnt verhallen würden; das ist [220] Harmonie, das spricht sich in meinen Symphonieen aus, der Schmelz vielseitiger Formen wogt dahin in einem Bett bis zum Ziel. Da fühlt man denn wohl, daß ein Ewiges, Unendliches, nie ganz zu Umfassendes in allem geistigen liege, und obschon ich bei meinen Werken immer die Empfindung des Gelingens habe, so fühle ich einen ewigen Hunger was mir eben erschöpft schien, mit dem letzten Paukenschlag, mit dem ich meinen Genuß, meine musikalische Ueberzeugung den Zuhörern einkeilte, wie ein Kind von neuem anzufangen.

Sprechen Sie dem Goethe von mir, sagen Sie ihm, er soll meine Symphonieen hören, da wird er mir recht geben, daß Musik der einzige unverkörperte Eingang in eine höhere Welt des Wissens ist, die wohl den Menschen umfaßt, daß er aber nicht sie zu fassen vermag. – Es gehört Rhythmus des Geistes dazu, um Musik in ihrer Wesenheit zu fassen, sie gibt Ahnung, Inspiration himmlischer Wissenschaften, und was der Geist sinnlich von ihr empfindet, das ist die Verkörperung geistiger Erkenntniß. – Obschon die Geister von ihr leben, wie man von der Luft lebt, so ist es noch ein anders, sie mit dem Geiste begreifen; – je mehr aber die Seele ihre sinnliche Nahrung aus ihr schöpft, je reifer wird der Geist zum glücklichen Einverständniß mit ihr. – Aber wenige gelangen dazu, denn so wie Tausende sich um der Liebe willen vermählen, und die Liebe in diesen Tausenden sich nicht einmal offenbart, obschon sie alle das Handwerk der Liebe treiben, so treiben Tausende einen Verkehr mit der Musik, und haben doch ihre Offenbarung nicht; auch ihr liegen die hohen Zeichen des Moralsinns zum Grunde wie jeder Kunst, alle ächte Empfindung ist ein moralischer Fortschritt. – Sich selbst ihren unerforschlichen Gesetzen unterwerfen, vermöge dieser Gesetze den eigenen Geist bändigen und lenken, daß er ihre Offenbarungen ausströme, das ist das isolirende Prinzip der Kunst; von ihrer Offenbarung aufgelöst zu werden, das ist die Hingebung an das Göttliche, was in Ruhe seine Herrschaft an dem Rasen ungebändigter Kräfte übt, und so der Phantasie die höchste Wirksamkeit verleihet. So vertritt die Kunst allemal die Gottheit, und das menschliche Verhältniß zu ihr ist Religion, was wir durch die Kunst erwerben, das ist von Gott, göttliche Eingebung, die den menschlichen Befähigungen ein Ziel steckt was er erreicht.

Wir wissen nicht was uns Erkenntniß verleihet; das fest verschlossne Samenkorn bedarf des feuchten, elek trisch warmen Bodens, um zu treiben, zu denken, sich auszusprechen. Musik ist der elektrische Boden, in dem der Geist lebt, denkt, erfindet. Philosophie ist ein Niederschlag ihres elektrischen Geistes; ihre Bedürftigkeit, die alles auf ein Urprincip gründen will, wird durch sie gehoben, und obschon der Geist dessen nicht mächtig ist was er durch sie erzeugt, so ist er doch glückselig in dieser Erzeugung, so ist jede ächte Erzeugung der Kunst, unabhängig, mächtiger als der Künstler selbst, und kehrt durch ihre Erscheinung zur göttlichen zurück, hängt nur darin mit dem Menschen zusammen, daß sie Zeugniß giebt von der Vermittlung des Göttlichen in ihm.

Musik giebt dem Geist die Beziehung zur Harmonie. Ein Gedanke abgesondert, hat doch das Gefühl der Gesammtheit, der Verwandtschaft im Geist; so ist jeder Gedanke in der Musik in innigster, untheilbarster Verwandtschaft mit der Gesammtheit der Harmonie, die Einheit ist.

[221] Alles elektrische regt den Geist zu musikalischer, fließender, ausströmender Erzeugung.

Ich bin elektrischer Natur. – Ich muß abbrechen mit meiner unerweislichen Weisheit, sonst möchte ich die Probe versäumen, schreiben Sie an Goethe von mir, wenn Sie mich verstehen, aber verantworten kann ich nichts und will mich auch gern belehren lassen von ihm.‹ – Ich versprach ihm, so gut ich's begreife, Dir alles zu schreiben.

Er führte mich zu einer großen Musikprobe21 mit vollem Orchester, da saß ich im weiten unerhellten Raum in einer Loge ganz allein; einzelne Streiflichter stahlen sich durch Ritzen und Astlöcher, in denen ein Strom bunter Lichtfunken hin und her tanzte, wie Himmelsstraßen mit seligen Geistern bevölkert.

Da sah ich denn diesen ungeheuren Geist sein Regiment führen. O, Goethe! kein Kaiser und kein König hat so das Bewußtsein seiner Macht, und daß alle Kraft von ihm ausgehe, wie dieser Beethoven, der eben noch im Garten nach einem Grund suchte, wo ihm denn alles herkomme; verstünd ich ihn so wie ich ihn fühle, dann wüßt ich alles. Dort stand er, so fest entschlossen, seine Bewegungen, sein Gesicht drückten die Vollendung seiner Schöpfung aus, er kam jedem Fehler, jedem Mißverstehen zuvor, kein Hauch war willkührlich, alles war durch die großartige Gegenwart seines Geistes in die besonnenste Thätigkeit versetzt. – Man möchte weissagen daß ein solcher Geist in späterer Vollendung als Weltherrscher wieder auftreten werde.

Gestern Abend schrieb ich noch alles auf, heute Morgen las ich's ihm vor, er sagte: ›Hab' ich das gesagt? – nun, dann hab' ich einen Raptus gehabt‹; er las es noch einmal aufmerksam, und strich das oben aus und schrieb zwischen die Zeilen, denn es ist ihm drum zu thun daß du ihn verstehst.

Erfreue mich nun mit einer baldigen Antwort, die dem Beethoven beweist daß Du ihn würdigst. Es war ja immer unser Plan, über Musik zu sprechen, ja ich wollte auch, aber durch Beethoven fühl ich nun erst, daß ich der Sache nicht gewachsen bin.


Bettine.«


Auf diesen Brief antwortete Goethe:


»Dein Brief, herzlich geliebtes Kind, ist zur glücklichen Stunde an mich gelangt, Du hast Dich brav zusammengenommen, um mir eine große und schöne Natur in ihren Leistungen wie in ihrem Streben, in ihren Bedürfnissen wie in dem Überfluß ihrer Begabtheit darzustellen, es hat mir großes Vergnügen gemacht, dies Bild eines wahrhaft genialen Geistes in mich aufzunehmen, ohne ihn klassifiziren zu wollen, gehört doch ein psychologisches Rechnungskunststück dazu, um das wahre Facit der Übereinstimmung da herauszuziehen, [222] indessen fühle ich keinen Widerspruch gegen das, was sich von Deiner raschen Explosion erfassen läßt: im Gegentheil möchte ich Dir für einen inneren Zusammenhang meiner Natur, mit dem was sich aus diesen mannigfaltigen Aeußerungen erkennen läßt, einstweilen einstehen, der gewöhnliche Menschenverstand würde vielleicht Widersprüche darin finden, was aber ein solcher vom Dämon besessener ausspricht, davor muß ein Laie Ehrfurcht haben, und es muß gleich viel gelten, ob er aus Gefühl oder aus Erkenntniß spricht, denn hier walten die Götter und streuen Samen zu künftiger Einsicht, von der nur zu wünschen ist, daß sie zu ungestörter Ausbildung gedeihen möge; bis sie indessen allgemein werde, da müssen die Nebel vor dem menschlichen Geist sich erst theilen. Sage Beethoven das Herzlichste von mir, und daß ich gern Opfer bringen würde, um seine persönliche Bekanntschaft zu haben, wo denn ein Austausch von Gedanken und Empfindungen gewiß den schönsten Vortheil brächte, vielleicht vermagst Du so viel über ihn, daß er sich zu einer Reise nach Karlsbad bestimmen läßt, wo ich doch beinah jedes Jahr hinkomme und die beste Muse haben würde von ihm zu hören und zu lernen; ihn belehren zu wollen, wäre wohl selbst von einsichtigeren als ich, Frevel, da ihm sein Genie vorleuchtet und ihm oft wie durch einen Blitz Hellung giebt, wo wir im Dunkel sitzen und kaum ahnen, von welcher Seite der Tag anbrechen werde.

Sehr viel Freude würde es mir machen, wenn Beethoven mir die beiden componirten Lieder von mir schicken wollte, aber hübsch deutlich geschrieben, ich bin sehr begierig sie zu hören, es gehört mit zu meinen erfreulichsten Genüssen, für die ich sehr dankbar bin, wenn ein solches Gedicht früherer Stimmung mir durch eine Melodie (wie Beethoven ganz richtig erwähnt) wieder aufs neue versinnlicht wird.....

am 6. Juni 1810.«


(Bettina an Goethe.)


»Liebster Freund! dem Beethoven hab ich Deinen schönen Brief mitgetheilt, so weit es ihn anging, er war voll Freude und rief: ›Wenn ihm jemand Verstand über Musik beibringen kann so bin ich's.‹ Die Idee Dich in Karlsbad aufzusuchen, ergriff er mit Begeisterung, er schlug sich vor den Kopf und sagte: ›konnte ich das nicht schon früher gethan haben? – aber wahrhaftig ich hab schon daran gedacht, ich hab's aus Timidität unterlassen, die neckt mich manchmal als ob ich kein rechter Mensch wär, aber vor dem Goethe fürcht ich mich nun nicht mehr.‹ – Rechne daher darauf, daß Du ihn im nächsten Jahr siehst........

Beide Lieder von Beethoven sind hier beigelegt, die beiden andern sind von mir22, Beethoven hat sie gesehen und mir viel schönes darüber gesagt, daß, wenn ich mich dieser Kunst gewidmet hätte, ich große Hoffnungen darauf [223] bauen könnte; ich aber streife sie nur im Flug, denn meine Kunst ist Lachen und Seufzen in einem Säckelchen, und über die ist mir keine. – –


Bettine.«


Mitte Juni war Bettina in Böhmen.

Beethoven mußte durch seinen vertrauten Verkehr mit Brentanos natürlich Kenntnis von dem erwarteten Besuche Bettinas und ihren Beziehungen zu Goethe haben. Ihre Erzählung von ihrem ersten Zusammentreffen mit ihm ist demnach in jeder Hinsicht glaubwürdig, auch ist sie, soviel bekannt, nicht angefochten worden. Sie ist zweimal von ihrer eigenen Feder niedergeschrieben, einmal in dem Briefwechsel mit Goethe unter dem Datum 1810, und dann in der später veröffentlichten Pückler-Muskauschen Korrespondenz, also ins Jahr 1832 gehörig. In diesem letzteren Jahre hatte sie ihre Briefe an Goethe von dem Kanzler von Müller noch nicht zurückerhalten und schrieb nach dem Gedächtnisse, indem sie ihre Erzählung auf weniger wichtige Einzelheiten der Begegnung einschränkte. Die beiden Erzählungen sind voneinander verschieden, widersprechen sich jedoch nicht, sondern ergänzen einander.

Der Verfasser hatte in den Jahren 1849–50 die Ehre, mit Frau von Arnim einige Male zusammenzukommen und die Geschichte aus ihrem eigenen Munde zu hören; in den Jahren 1854–55 hatte er das Glück, sie öfter in zwei anziehenden Familienkreisen zu treffen, ihrem eigenen und dem der Brüder Grimm. So hatte er nach einem Zwischenraum von fünf Jahren Gelegenheit, ihre Mitteilungen zu vergleichen und sie ungezwungen zu befragen und sich, soweit es diesen Punkt betrifft, von ihrer schlichten Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit zu überzeugen.

Hierin liegt jedoch nicht der Stein des Anstoßes; er liegt in der langen Unterhaltung Beethovens, welche wir in den Text aufgenommen haben. Schindler erhebt gegen dieselbe sowohl hinsichtlich des Inhalts als der Form Einspruch, aus dem Grunde, weil er »den Meister« niemals in dieser Weise habe sprechen hören. Der Beethoven jedoch, welchen Schindler in seinen letzten Jahren kannte, war nicht der Beethoven von 1810, und Anton Schindler war jedenfalls nicht eine Elisabeth Brentano. Es läßt sich zum Glück beweisen, daß gerade in der früheren Periode der Komponist ungezwungen und mit Beredsamkeit zu sprechen imstande war. Jahn sagt: »Beethoven's Persönlichkeit und Wesen war übrigens geeignet auch auf Frauen einen nicht bloß bedeutenden, sondern gewinnenden Eindruck zu machen«, und führt zum Beweise Frau Hummel (Elisabeth Röckel) an. »Als bejahrte Matrone«, [224] sagt er, »auch da noch durch frische Anmuth gewinnend, sprach sie sich mit wohlthuender Wärme über das Glück aus, von Beethoven beachtet zu sein, und vertraulich mit ihm verkehrt zu haben. ›Wer ihn gesehen hat in guter Laune, geistig angeregt, wem er in solcher Stimmung sich ausgesprochen hat‹, sagte sie mit leuchtenden Augen ›der kann den Eindruck nie vergessen!‹«23.

Es existieren zwei Hypothesen über die Entstehung des Briefes an Goethe. Die eine ist die, daß Frau von Arnim, als sie den Briefwechsel zur Veröffentlichung vorbereitete, ihre eigenen unreifen und nebelhaften Einfälle niedergeschrieben und ihnen die Form eines fingierten Berichtes über eine Unterhaltung mit Beethoven gegeben habe. Die andere: sie habe Beethoven gefunden, frisch von der Komposition des Egmont kommend, voll Enthusiasmus für Goethe, und heftig verlangend, daß seine – des großen Komponisten – Ansichten über Musik von dem großen Dichter erkannt und begriffen würden; als dann zufällig bei ihrer ersten Begegnung dieser Gegenstand zur Sprache kam, habe er ihr seine Ansichten ausdrücklich in dieser Absicht mitgeteilt; und sie habe, soweit sie imstande gewesen, dem Sprecher zu folgen und ihn zu verstehen, und soweit ihr Gedächtnis einige Stunden später seine Worte zurückrufen konnte, dieselben richtig aufgezeichnet und wiedergegeben.

Die erste Hypothese beruht auch jetzt noch ganz auf dem gleichen Grunde, welchen Schindler geltend macht, nämlich auf der Voraussetzung, daß Beethoven nicht so gesprochen haben könne. Aber ein Gespräch, welches unter solchen Umständen und in einer solchen Absicht geführt wurde, und welches sich an das willige Ohr einer schönen, hochgebildeten und in hohem Grade bezaubernden jungen Dame wendete, welche die höheren künstlerischen und geistigen Eigenschaften in ungewöhnlichem Grade besaß: ein solches Gespräch mag sich wohl reichlich in Gedanken und Ausdrücken bewegt haben, welche der prosaische Schindler in der prosaischsten Periode von des Meisters Leben niemals aus ihm hervorlocken konnte.

Zwei kleine, jedoch bezeichnende Punkte seien hier noch angemerkt.

In der Breuningschen Familie war in den alten Bonner Tagen ein lateinisches Wort in einer Bedeutung im Gebrauche, welche in den Wörterbüchern nicht angegeben wird. Wir erfahren dies aus Wegelers Notizen und nur aus ihnen. Frau von Arnim aber legte dieses Wort raptus [225] ganz in dieser besondern Bedeutung Beethoven in den Mund, mehrere Jahre vor Veröffentlichung der Notizen!

Ferner: Als die Entdeckungen von Galvani und Volta noch ein neuer Gegenstand für das allgemeine Interesse waren; als die Physiologen, wie es Dubois-Reymond ausdrückt, glaubten, daß sie durch dieselben endlich ihre Träume von einer lebendigen Kraft verwirklicht sehen würden; und als die halbgebildete Welt voll war von den Theorien Mesmers und seiner Schüler – in jener Zeit, den ersten Jahren unseres Jahrhunderts, gab die Gewohnheit dem Worte »elektrisch« eine Bedeutung, die es seitdem längst verloren hat, und welche wohl geeignet war, den Gedanken wiederzugeben, den Beethoven in jener Mitteilung hatte ausdrücken wollen. In den Jahren 1834–35 jedoch dieses Wort, in jenem Sinne zurückblickend, anzuwenden in einer erdichteten Unterhaltung, welche in das Jahr 1810 verlegt werden sollte, zeigt nicht weniger wie der »raptus« ein so seltenes und außergewöhnliches seines Gefühl, daß man es wohl als einen besonders glücklichen Zug des Genies bezeichnen möchte; ein solches, worauf ein Romanschreiber wohl stolz sein dürfte.

Wir haben noch einige Briefe Beethovens aus dieser Zeit; zunächst folgenden:


»Für Herrn von Zmeskall24.


Lieber Z! – Sie reisen, ich soll auch reisen und das wegen meiner Gesundheit, unterdessen geht noch sonst alles bei mir drunter und drüber, der Herr25 will mich bei sich haben, die Kunst nicht weniger, ich bin halb in Schönbrunn, halb hier, jeden Tag kommen neue Nachfragen von Fremden, neue Bekanntschaften, neue Verhältnisse, selbst auch in Rücksicht der Kunst, manchmal möchte ich bald toll werden über meinen unverdienten Ruhm, das Glück sucht mich und ich fürchte mich fast deswegen vor einem neuen Unglück.

Mit Ihrer Iphigenie verhält es sich so, nemlich: Ich habe sie schon wenigstens dritthalb Jahre nicht gesehen, habe sie jemand geliehen, aber wem? Das ist die große Frage, hin und her habe ich geschickt und hab's noch nicht entdeckt, ich hoffe sie aber auszufinden, ist sie verloren so sollen Sie schadlos gehalten werden – Leben Sie wohl, guter Z., wir werden uns hoffentlich so wiedersehen, daß Sie finden, daß meine Kunst in der Zeit wieder gewonnen hat. –


Bleiben Sie mein Freund

wie ich der Ihrige

Beethoven.«


[226] Wenige Tage später, den 17. Juli, schickte Beethoven die von ihm bearbeiteten schottischen Gesänge an Thomson mit einem französischen Briefe, den man im Anhange (I) findet. In demselben wiederholt er, neben Bemerkungen geschäftlicher Art und Anweisungen über die Ausführung der Kompositionen, das Versprechen, drei Quintette und drei Sonaten zu liefern, und erbietet sich in einer Nachschrift zur Übersendung der für Quartett oder Quintett arrangierten Symphonien.

Bald nachher schrieb er an Bettina Brentano26:


»Wien 11. August 1810.


Theuerste Bettine27,


Kein schönerer Frühling als der heurige, das sage ich und fühle es auch, weil ich Ihre Bekanntschaft gemacht habe. Sie haben wohl selbst gesehen, daß ich in der Gesellschaft bin, wie ein Frosch28 auf dem Sand, der wälzt sich und wälzt sich und kann nicht fort, bis eine wohlwollende Galathee ihn wieder ins29 gewaltige Meer hineinschafft. Ja ich war recht auf dem Trockenen, liebste Bettine30, ich ward von Ihnen überrascht in einem Augenblick, wo der Mißmuth ganz meiner Meister war; aber wahrlich er verschwand mit Ihrem Anblick, ich hab's gleich weg gehabt, daß Sie aus einer andern Welt sind, als aus dieser absurden, der man mit dem besten Willen die Ohren nicht aufthun kann. Ich bin ein elender Mensch und beklage mich über die andern!! – Das verzeihen Sie mir wohl mit Ihrem guten Herzen, das aus Ihren Augen sieht, und Ihrem Verstand, der in Ihren Ohren liegt; – zum wenigsten verstehen Ihre Ohren zu schmeicheln, wenn Sie zuhören. Meine Ohren sind leider, leider eine Scheidewand, durch die ich keine freundliche Communication mit Menschen leicht haben kann. Sonst! – Vielleicht! – hätt' ich mehr Zutrauen gefaßt zu Ihnen. So, konnt ich nur den großen, gescheuten Blick Ihrer Augen verstehn, und der hat mir zugesetzt, daß ichs nimmermehr31, vergessen werde. Liebe Bettine32, liebstes Mädchen! Die Kunst! – Wer versteht die, mit wem kann man sich bereden über diese große Göttin! – Wie lieb sind mir die wenigen Tage, wo wir zusammen schwätzten, oder vielmehr correspondirten, ich habe die kleinen Zettel alle aufbewahrt, auf denen Ihre geistreichen, lieben, liebsten Anworten stehen. So hab ich meinen schlechten Ohren doch zu verdanken, daß der beste Theil dieser flüchtigen Gespräche aufgeschrieben ist. Seit Sie weg sind, hab' ich verdrießliche Stunden gehabt, Schattenstunden, in denen man nichts thun kann; ich bin wohl an drei Stunden in der Schönbrunner Allee herumgelaufen, als Sie weg waren, und auf der Bastey33; aber kein Engel ist mir da begegnet, der mich gebannt34 hätte, wie Du Engel. Verzeihen Sie, liebste Bettine35, diese Abweichung von der Tonart; solche Intervalle muß ich haben, um [227] meinem Herzen Lust zu machen. Und an Goethe haben Sie von mir geschrieben, nicht wahr? – daß ich meinen Kopf möchte in einen Sack stecken, wo ich nichts höre und nichts sehe von allem, was in der Welt vorgeht. Weil Du, liebster Engel, mir doch nicht darin begegnen wirst. Aber einen Brief werd' ich doch von Ihnen erhalten? – Die Hoffnung nährt mich, sie nährt ja die halbe Welt, und ich hab' sie mein Lebtag zur Nachbarin gehabt, was wäre sonst mit mir geworden? – Ich schicke hier mit eigener Hand geschrieben: ›Kennst Du das Land‹, als eine Erinnerung an die Stunde, wo ich Sie kennen lernte, ich schicke auch das andere, was ich componirt habe, seit ich Abschied von Dir genommen habe, liebes, liebstes Herz!


Herz, mein Herz, was soll das geben,

Was bedränget Dich so sehr?

Welch ein fremdes, neues Leben!

Ich erkenne Dich nicht mehr.


Ja, liebste Bettine, antworten Sie mir hierauf, schreiben Sie mir, was es geben soll mit mir, seit mein Herz ein solcher Rebelle36 geworden ist. Schreiben Sie Ihrem treusten Freund –


Beethoven.«


Gegen die Echtheit dieses Briefes sind begründete Zweifel erhoben worden (vgl. die ausführliche Zusammenstellung der Literatur in Marx' »Beethoven« 4. Aufl., II, 299); von den ins Gefecht geführten Gründen ist vielleicht der am schwersten wiegende der, daß Beethovens sicher echter Brief vom 10. Februar 1811 nicht erkennen läßt, daß ihm schon ein anderer an Bettina vorangegangen ist. Da aber Beethoven schwerlich der Familie Birkenstock von seinem zerschlagenen Heiratsplane Mitteilung gemacht haben wird, so ist doch gerade der Eingang recht vertrauenerweckend. Eine andere Frage ist, ob nicht manches in dem Briefe (das auf die Lieder bezügliche) von Bettina erfunden ist. So fällt auf, daß Beethoven das Lied »Kennst du das Land« Bettina nochmals »mit eigener Hand geschrieben« schickt, obgleich es doch eines der beiden ist, welche Bettina im Juni 1810 an Goethe geschickt hat. Und daß hier »Herz, mein Herz, was soll es geben« als »das andere« Lied bezeichnet wird, sieht fast so aus, als erinnere sich Bettina nicht mehr, welches das zweite der an Goethe gesendeten Lieder war (»Trocknet nicht«). Da ein Autograph des Briefes nicht existiert, so liegt der Gedanke nahe, daß er eine freie Reproduktion von Äußerungen Beethovens ist (wie sicher der dritte vom Jahre 1812). Daß das »Herz, mein Herz« als an Bettina persönlich gerichtet dargestellt ist, würde man auch, wenn der Brief als echt erweisbar [228] wäre, mehr halb scherzhaft nehmen. An eine ernste Neigung Beethovens zu Bettina zu denken, berechtigt der Brief nicht, und gänzlich von der Hand zu weisen ist natürlich Kalischers Gedanke, daß der Heiratsplan vom Mai 1810 Bettina gegolten habe (»Beethoven und die Sibylle der romantischen Literatur«, Klavierlehrer 1886, Nr. 1–3 und wieder gedruckt in »Beethoven und seine Zeitgenossen« I. Bd., S. 67ff.). Nicht zu bezweifeln ist aber, daß das Auftauchen des geistvollen und kunstverständigen Mädchens in Beethovens Bekanntenkreise befreiend auf sein begreiflicherweise deprimiertes Gemüt gewirkt hat. Sie war für ihn eine seengleiche Lichtgestalt, welche die Wolken von seiner Stirn verscheuchte. So verstanden ist auch das wiederholte »Du Engel«, »liebster Engel« wohlverständlich. –

Der Stillstand in der Produktion Beethovens erklärt sich außer den früher angeführten Gründen auch durch die Arbeit, welche ihm die angehäuften Manuskriptschätze durch die Fertigstellung für den Druck verursachten. Wir verweisen dieserhalb zunächst auf die große Offerte vom 4. Februar 1810 an Breitkopf & Härtel (S. 146). Die Herstellung von Abschriften, die natürlich mindestens sorgfältig revidiert werden mußten, dazu die Korrektur bereits im Stich befindlicher Werke beschäftigten den Meister ganz gewiß sehr stark. Ein Brief vom 2. Juli 1810 an Breitkopf & Härtel mag davon einen Begriff geben. Derselbe ist nur mehr in Abschrift im Besitz der Firma. Das Original wurde am 21. Dezember 1833 an Justizkommissar Wilke nach Berlin gesandt, um das Eigentumsrecht von der Egmont-Musik in einer Klage gegen Schlesinger zu erweisen:


»Wien am 2ten Juli 1810.


Da sie ein so großer Freund von runden Summen, so überlasse ich ihnen die benannten Werke für ein Honorar von 250 ⌗ in Gold, wo ich aber auch nichts mehr nachlassen kann, indem ich hier vermittelst meines Bruders mehr haben konnte, der Himmel gebe nur, daß ich mich nicht immer erst, um etwas zu erhalten, herumschlagen muß mit ihnen. sie erhalten hier den 1. Transport, welcher bis 1ten September 1810 erscheinen soll und besteht aus einem Violinquartett in Es, aus eine Fantasie fürs Piano, 2 Sonaten fürs Piano, 5 Variationen fürs Piano, 6 Arietten37. –

Der zweite Transport besteht aus einem Conzert inEs, der Fantasie mit gantzem Orchester und Chören – aus 3 Arietten38, welches alles den 1. November er scheinen soll 1810.

Der dritte besteht aus der charakteristischen Sonate der Abschied, Abwesenheit, das Wiedersehen – sodann aus 5 italienischen Arietten39, sodann [229] aus Partitur von Egmont welcher nicht in England herauskommt40 und sie können erscheinen lassen wie sie wollen.

Diese können am 1ten Februar 1811 erscheinen.

Diese zwei Transporte erhalten sie binnen 14 Tägen, sie können also bis dahin, indem ich die 2 letzten Transporte bei Hrn. Kunz und Compagnie abgeben werde, schon die Anweisung hierher verfügen. –


in Eile

Beethoven.


Anmerkungen.


Egmont ist ganz allein ihr Eigentum.

Ich habe gleich die zum ersten Transport gehörigen Werke bei Kunz und Compagnie abgegeben, damit sie sie ohne Verzug erhalten, übrigens bin ich aus mehreren Ursachen überzeugt, daß es nicht möglich ist, daß um diese Zeit die im ersten Transport angegebenen Werke in London herauskommen, noch viel weniger, daß ein Exemplar davon nach Deutschland komme – und ebenso von den andern. Doch ist es gewiß für ihr Merkantilisches Beste durchaus nöthig, daß sie den 1ten September herauskommen, d.h. die Werke des ersten Transport. Sie finden Manuskripte und abgeschriebene Werke, wie ichs am besten gefunden – Die Zeit ist zu kurz um alles über zu schreiben was mir noch einfällt, nächstens mehr. Leben sie wohl und antworten Sie bald


ihr

ergebener Diener

Beethoven.«


Einen ungewöhnlich langen Brief (12 Quartseiten und noch ein Postskriptum und eine Beilage) schrieb Beethoven am 26. August 1810 an Breitkopf & Härtel. Der Brief wurde zuerst durch den mehrerwähnten MS.-Druck (vgl. S. 40) bekannt und folgt hier, verglichen mit dem in Besitz der Firma befindlichen Original. Auf seinen Inhalt ist an verschiedenen Stellen dieses Bandes Bezug genommen.


»Baden, am 21ten Sommer-Monath 1810.


Der beigefügte Brief41 ist von einem meiner Freunde an sie aufgesezt und ich füge ihn bey nebst meinen Bemerkungen – mit Paris oder Frankreich habe ich keineswegs auf alle diese Werke mich eingelassen, wie der Schein Es ihnen auch schriftlich ausweisen wird, sobald sie alles von mir und ich von ihnen empfangen habe – Von einem Exemplar auf dem Kontinent kann gar keine Rede seyn, ich glaube kaum daß diese Werke aller Wahrscheinlichkeit [230] nach, jetzt in London angekommen sind, denn die Sperrung ist nun jezt noch stärker als jemals, und der Engländer muß mit ungeheueren Kosten nur Briefe nach Deutschland bezahlen und schwerere Pakete gar noch viel theurer – Kurz ich bin überzeugt, daß im Monath September nach keine Note von den ihnen übersandten Werken herausgekommen. – übrigens theilen sie mir einmal zu was sie mir für ein Konzert, ein Quartett etc. zukommen würden lassen und dann können sie gewiß einsehen, daß 250 ⌗ ein kleines Honorar sind, ich habe zu den Zeiten, wo die Bankozettel nur um eine Kleinigkeit geringer als das Silber oder Gold, hundert ⌗ bekommen für 8 Sonaten NB. soll ich statt vorwärts rückwärts gehen, da ich doch hoffe, daß man mir diesen Vorwurf in meiner Kunst nicht machen wird – mag auch der ⌗ noch so viel Gulden bey uns machen, so ist das kein Gewinn, wir bezahlen jetzt 30 fl. für ein Paar Stiefel, 160 auch 70 fl. für einen Rock etc. Hol der Henker das Ökonomisch-Musikalische – meine 4000 fl. waren voriges Jahr, ehe die Franzosen gekommen, etwas, dieses Jahr sind es nicht einmal 1060 fl. in Konventionsgeld – ich habe nicht zum Endzweck, wie sie glauben, ein Musikalischer Kunstwucherer zu werden, der nur schreibt, um reich zu werden, o bewahre, doch liebe ich ein Unabhängiges Leben, dieses kann ich nicht anders als ohne ein kleines Vermögen, und dann muß dashonorar selbst dem Künstler einige Ehre, wie alles was er unternimmt, hiermit umgeben sein muß, machen; ich dörfte keinem Menschen sagen, daß mir Breitkopf & Härtel 250 ⌗ für diese Werke gegeben – sie, als ein humanerer und weit gebildeterer Kopf als alle anderen Musikalischen Verleger dörften auch zugleich den Endzweck haben, den Künstler nicht bloß nothdürftig zu bezahlen, sondern ihn vielmehr auf den Weg zu leiten, daß er alles das ungestört leisten könne, was in ihm ist, und man von außen von ihm erwartet – Es ist kein aufblasen, wenn ich ihnen sage, daß ich ihnen vor allen anderen den Vorzug gebe, selbst von Leiptzig bin ich oft genug angegangen worden, und hier durch andre von dort aus Bevollmächtigt, und vor kurzer Zeit persönlich, wo man mir geben wollte, was ich verlangte; ich habe aber alle Anträge abgelehnt um ihnen zu zeigen, daß ich vorzüglich gern, und zwar von Seite ihres Kopfs (von ihren Herzen weiß ich nichts) mit ihnen zu thun habe, und selbst gern etwas verliehren will, um diese Verbindung zu erhalten – Von den 250 ⌗ kann ich aber nicht abgehen, ich würde zuviel verlieren, welches sie nicht verlangen können, also bleibts dabey –.

NB. sie selbst haben mir für ein 5tett 50 ⌗ gegeben.

Nun von den herauszugebenden Werken: Es war mir unmöglich ihnen darüber eher zu schreiben, von Dedikationen: wäre folgende Das Violin-Quartett42 an Fürst Lobkowitz, wozu sie seine unmusikalischen Titulaturen bey einem andern Werke nachsehen können – die Sonate in Fis dur43 A Madame la Comtesse Thérèse Brunswick, die Fantasie fürs Klavier allein44 A mon ami Monsieur le Comte François de Brunswick. Die 6 Arietten45 der Fürstin Kynsky gebohrnen Gräfin Kerpen.

Was die zwei Sonaten angeht, so geben sie jede allein heraus, oder wollen sie sie zusammen herausgeben, so setzen sie auf die aus dem G dur Sonate facile46 oder Sonatine, was sie auch thun können im Fall sie sie [231] [nicht] zusammen herausgeben. – Bey dem Violinquartett erinnere ich sie, daß das Umwenden bequem eingerichtet werde, dann setzen sie zu der Überschrift des zweiten Stücks noch adagio ma non troppo – beym dritten Stück aus C moll 3/4tel Takt nach dem dur più presto quasi prestissimo, wo hernach wieder das moll einfällt. Das erstemal wird der erste Theil zweimal, wie es auch vorgeschrieben, gespielt, hingegen steht da, daß der zweite Theil wiederholt werden soll, dies Wiederholungszeichen wird ausgelöscht, damit man den zweiten Theil nur einmal spiele. –

Das Lied vom Floh aus Faust, sollte es ihnen nicht deutlich genug eingeleuchtet, was ich dabey angemerkt, so dörfen sie nur in Goethes Faust nachsuchen, oder mir nur die Melodie abgeschrieben schicken daß ichs durchsehe – die letzte Nummer von den letzten Werken, welche bey ihnen herausgekommen, mag ihnen zum Leitfaden dienen, diese Werke gehörig zu nummerieren, – Das Quartett ist früher als die andern – das Konzert47 ist noch früher als das Quartett, wenn sie die Nummern chronologisch ordnen wollen, da beide von einem Jahr, so brauchts eben nicht – Beym Quartett ist noch in Acht zu nehmen, daß beym dritten Stück in C moll, da wo das più presto quasi prestissimo anfängt noch ein NB. gesetzt wird, nemlich so: NB: Si ha s'immaginar la battuta di 6/8 – übrigens, denn ich weiß es, das Manuscript mag so richtig seyn wie es will, es werden noch Mißdeutungen gemacht, wünschte ich doch die Exemplare vorher zu sehen, damit ihre schönen Auflagen auch hierbey mehr gewännen – Zugleich wünsche ich 4 Exemplare von jedem Stück für mich, hier mein Ehrenwort, daß ich nie eins verkaufe, wohl aber ist hier oder da ein armer Musikus, denen ich gerne entgegenkomme, dafür sind sie bestimmt – Wann kommen denn die Messe, das Oratorium, die Oper mal ans Tageslicht? –

Schreiben sie mir gefälligst die Überschriften von den Gesängen, die sie schon erhalten, denn ich erinnere mich nicht, welche ich ihnen schon geschickt, vieleicht erhalten sie welche, die in London nicht herauskommen – Sie werden nun bald alles was zur zweiten Lieferung gehört empfangen haben, bis auf die 3 Gesänge, womit ich warte bis sie mir die Überschriften geschickt von denen die sie schon haben – in einigen Tägen geht alles von der 3ten Lieferung an sie ab, doch erwarte ich noch eine Antwort indessen von ihnen – Das Konzert wird dem Erzherzog R. gewidmet und hat nichts zum Titel als ›Großes Konzert gewidmet Sr. Kaiserl. Hoheit dem Erzherzog Rudolf vonetc.‹ Der Egmont auch demselben48, sobald sie die Partitur hiervon empfangen haben, werden sie selbst am besten einsehen, welchen Gebrauch sie davon und wie sie das Publikum darauf aufmerksam machen werden – ich habe ihn bloß aus Liebe zum Dichter geschrieben, und habe auch, um dieses zu zeigen nichts dafür von der Theatraldirekzion dafür genommen, welches sie auch angenommen, und zur Belohnung, wie immer, und von jeher sehr nachläßig meine Musik behandelt hat, Etwas Kleineres als unsere Großen gibt's nicht, doch nehme ich die Erzherzoge davon aus – sagen sie mir ihre Meynung was sie zu einer sämtlich. Ausgabe meiner Werke [232] sagen, mir scheint eine Hauptschwierigkeit müsse die seyn, daß ich für die ganz neuen Werke, die ich immerfort auf die Welt bringe, in Ansehung des Unterbringens wohl leiden müßte – Was mein Freund49 in Ansehung von Paris wegen einemExemplar in die Nationalbibliothek schreibt, verhält sich so, indem mir dieses selbst ein französischer Verleger geschrieben, – daß auf diese Art der Prozeß von Pleyel etc. entstanden, weil er vergessen, ein Exemplar in die Nationalbibliothek einzutragen, nun ist dieses aber sicher und klar festgesetzt. –

Für Wien sollten sie wohl auch eine andere Einrichtung treffen, vieleicht erhalte ich's, daß meine Werke, die auswärts gestochen werden, niemand hier in loco nachstechen wird. Beym Egmont lassen sie in die Violinstimmen ja überall, wo andere Instrumente eintreten, aussetzen, auch selbst wo die Violine zu gleicher Zeit mitspielt, soz.B. in der Trauermusik nach Klärchens Tod, wo die Pauke eintritt


5. Kapitel. Das Jahr 1810

Dies ist nöthig in einem Jahrhundert, wo es keine Konservatorien mehr giebt, und daher kein Direktor mehr wie alles andere auch nicht ausgebildet wird, sondern dem Zufall überlassen wird, dafür haben wir aber Geld für einen ohne Hoden-Mann, wobey die Kunst nichts gewinnt, aber der Gaumen unserer ohnedem appetitlosen, reizlosen sogenannten Großen gekizelt wird. – Bei der Fantasie mit Chören50 könnten sie vieleicht auch die Singstimmen in die Klavierstimme hineinstechen lassen, wollen sie vielleicht einen anderen Text unterlegen, da der Text wie die Musik das Werk einer51 sehr kurzen Zeit war, so daß ich nicht einmal eine Partitur schreiben konnte; doch müßte bei einer anderen Unterlegung das Wort Kraft beybehalten werden, oder ein anderes äußerst ähnliches dafür an die Stelle kommen. –

Satis est – sie haben eine gute Portion bekommen, behalten sie wohl davon, was nöthig, denn ich bin froh, daß alles da ist, da ich über d. g. nicht gern viel schreibe – ich hoffe baldigst von ihnen geistvollen schriftlichen Vortrag zu erhalten und bin mit Achtung


ihr ergebenster

Freund und Diener

Beethoven.


Briefe an mich wie immer nach Wien.«


Ohne Datierung, aber von der Firma mit demselben Datum versehen, also vermutlich dem vorigen Briefe beigelegt, ist der folgende kleine Zettel, der eine wichtige nachträgliche Korrektur für das Scherzo der 5. Symphonie notifizierte (vgl. S. 95). Der darin angezogene Brief von Härtel »von schon ziemlich langer Zeit« ist wahrscheinlich Ende Februar oder Anfang März 1810 geschrieben gewesen, da er auf eine Anfrage [233] Beethovens bezüglich der Posaunen in »Christus am Ölberg« in dem Briefe am 4. Februar 1810 Antwort gab. Der Anfang des lange Zeit nur durch das in der Allg. Mus. Ztg. am 8. Juli 1846 faksimilierte Stück (2. Seite) bekannten Postskripts lautet vollständig:


»P. P.


Indem ich ihren Brief finde von ziemlich langer Zeit finde ich eine Stelle, wo es heißt ›Zu den übrigen No des Oratoriums sind Posaunen da, zum Chor fehlen sie aber, so wie die Trompeten und Pauken‹ aber zu was für einem Chor ist nicht gesagt, sehr lieb wär es mir, wenn sie mir dieses gleich anzeigen könnten, sollte es sich nicht finden, so muß ich freylich noch einmal nachsuchen, ums herauszubringen – schreiben sie mir doch zugleich, welches von den 3 Werken52 sie zuerst herausgeben – ich wollte ihnen damal eine andere Orgelstimme53 schicken, unterdessen war ich gedrängt von so vielen Seiten, daß es unmöglich war, sollte es noch Zeit seyn würde ich sie ihnen schicken –« (Der Schluß ist bereits S. 95 abgedruckt; er moniert den Fehler im Scherzo der C-Moll-Symphonie).


Wir lassen diesen Briefen gleich einen weiteren vom 23. September an Breitkopf & Härtel folgen. Die in demselben erwähnten »Lieferungen« sind die drei »Transporte« des Briefes vom 2. Juli 1810 (S. 229). Der Brief wurde mit Anmerkungen Nottebohms in der Allg. Mus. Zeitg. 1874 (S. 17) veröffentlicht:


»Baden am 23ten September.


Schon sehr lange erwartete ich ein Schreiben von ihnen aber vergebens. Am 1ten August habe ich einen Brief von Leipzig in ihrem Namen, worin man mir meldet, daß sie nicht zugegen, seit der Zeit, da ich ihnen doch einen schrecklich großen Brief geschrieben, habe ich noch keine Antwort, und doch bedarf ich sie – ich konnte ihnen die Gesänge zur zweiten Lieferung gehörig noch nicht schicken, indem ich durch die Geschwindigkeit nicht weiß, welche ich ihnen schon geschickt. Von der dritten Lieferung ist nichts als die große karakteristische Sonate und die italienischen Gesänge, welche bereit liegen, das übrige müssen sie alles empfangen haben – ich erwarte daher nun sehr eine mich befriedigende Antwort – da es mit unserer Post geht, wie mit allem andern, so bitte ich sie die Adresse54 nebst meiner Adresse noch ein anderes Couvert zu machen nemlich: an Herrn von Oliva abzugeben bei Ofenheim und Herz auf dem Bauern Markt – da ich Sommers und Herbstzeit selten in Wien bin, ist dieses der sicherste Weg – ich hoffe auf baldige Zeilen von ihnen


Ihr ergebenster

Beethoven.«


[234] Am 3. Oktober 1810 signalisierte der Verlag in der Allg. Mus. Ztg. das bevorstehende Erscheinen der neu erworbenen Werke Beethovens Fidelio, Egmont, Chorphantasie, Es-Dur-Konzert, mehrere Klaviersonaten und -variationen, das Quartett Op. 74, mehrere italienische Gesänge und eine Sammlung »meistens höchst originelle und treffliche Lieder«, von denen als Probe »Als die Geliebte sich trennen wollte« (»Empfindungen bei Lydiens Untreue«) der Zeitung als Beilage gegeben wurde55.

Hätte Beethovens Heiratsprojekt sich verwirklicht, so würde das erste Jahr des neubegründeten Hausstandes pekuniär wohl fundiert gewesen sein. Denn wie schon im Februar Clementi gezahlt und neue Abschlüsse gemacht hatte, so zahlt nun am 31. Juli 1810 Kinsky auf einmal den garantierten Gehalt mit 2250 fl. Noch am 6. Mai hatte Beethoven mindestens zum dritten Male gegenüber Breitkopf & Härtel sich beschwert, daß »Kynsky noch keinen Heller« bezahlt hatte, allerdings diesmal mit den Zusatz »obschon es sicher ist«. Vermutlich war ihm kund geworden, daß Kinsky verfügt hatte, im Mai diese Summe zu zahlen; durch irgend welche Zufälle kam aber die Verfügung erst am 1. Juli in die Hände der Kassenbeamten (vgl. Frimmels 2. Beethoven-Jahrbuch [1909], V. Kratochvil »Beethoven und Fürst Kinsky«). Eine weitere ausgiebige Einnahmequelle erschloß sich um dieselbe Zeit in Thomson, der Beethoven für jede bearbeitete irische, schottische usw. Melodie 3–4 Dukaten zahlte und am 17. Juli 1810 gegen Ablieferung der 43 oder 53 ersten Nummern durch Fries und Co. seine Zahlungen eröffnete. Grund zu Klagen über schlechte pekuniäre Verhältnisse hatte also Beethoven 1810 ganz bestimmt nicht.

Wenn nun auch die Korrespondenz in diesem Kapitel in Ton und Charakter mit der Annahme, daß aus einem oder dem anderen Grunde dieses Jahr für Beethoven ein unglückliches war, im Widerspruche zu stehen scheint, so darf man nicht vergessen, daß es Bedrängnisse und Sorgen gibt, welche stillschweigend ertragen werden müssen, und bei welchen Klagen und Jammern eher Spott als Mitgefühl hervorrufen würden. Mag auch die Bürde beinahe unerträglich sein, so muß der Leidende dennoch seine Pflichten erfüllen und sich den Aufgaben des täglichen Lebens mit einer heiteren Fassung widmen, und er darf kein [235] äußeres Zeichen hervortreten lassen, welches den heimlichen Kummer enthüllen könnte. »Der Untergang einer großen Hoffnung ist wie der Untergang der Sonne«, sagt Longfellow. »Der Glanz unseres Lebens ist dahin. Schatten des Abends fallen rings um uns her, und die Welt erscheint nur als ein trüber Abglanz – selbst ein größerer Schatten. Wir sehen vorwärts in die kommende einsame Nacht. Die Seele zieht sich in sich selbst zurück.« Als Beethoven von Bettina überrascht wurde, war ihm eine große Hoffnung untergegangen, und »Mißmuth war ganz seiner Meister«. »Seine Heiraths-Partie hatte sich zerschlagen.«

Walter Scott sagt in »S. Ronans Quelle«: »Zur Beschämung des männlichen Geschlechtes sei es gesagt, daß kein Grad hoffnungsloser Liebe, sei sie auch noch so verzweifelt und aufrichtig, imstande ist, das Leben fortgesetzt Jahre hindurch zu verbittern. Es muß Hoffnung, es muß Ungewißheit, es muß Gegenseitigkeit vorhanden sein, um es diesem Tyrannen der Seele zu ermöglichen, sich eine Herrschaft von sehr langer Dauer über ein männliches und wohlgeordnetes Gemüt zu sichern, welches von selbst darnach verlangt, seine Freiheit zu wollen

Es gibt Beispiele von Männern, welche, gleich Washington Irving, nachdem sie ihre Verlobte durch den Tod verloren, treu der Erinnerung an dieselbe unvermählt lebten und starben. Die gewissenhafte Erfüllung gebieterischer Pflichten hat ebenfalls nicht selten zwei liebende Herzen voneinander getrennt gehalten, bis schließlich die Zeit unübersteigliche Hindernisse in den Weg legte, und jeder von beiden, dem andern treu, allein zu Grabe ging. Als allgemeine Regel jedoch sind Walter Scotts Worte wahr. Sie erwiesen sich als richtig bei ihm selbst, bei Mozart, bei Hoffmann (Kreißler), bei dem trefflichen Abr. Lincoln, bei unzähligen andern. Daß Beethoven eine Frau suchte, war verständig und klug; aber er irrte in der Wahl der Persönlichkeit, sowie in der Einbildung, daß des jungen Mädchens Bewunderung für den Künstler, ihre Achtung und Verehrung für den Freund ihrer Eltern und Gleichensteins mit zunehmenden Jahren (sie zählte jetzt 19) zu einer wärmeren Empfindung sich gesteigert hätte, und ferner darin, daß er die Aufmerksamkeiten, Höflichkeiten und Artigkeiten, welche ihm von allen Gliedern der Familie erwiesen wurden, irrtümlich als Ermutigung zu einer Bewerbung auffaßte, an deren Möglichkeit wahrscheinlich keiner derselben jemals gedacht hatte. Man kann sich die Überraschung, den Schrecken, die Bestürzung Gleichensteins vorstellen, welche dieser plötzliche Einfall des Freundes bei ihm verursachte; Spuren davon lassen sich sehr wohl in den mitgeteilten [236] Briefen erkennen. Derselbe brachte ihn in ein Dilemma von besonderer Schwierigkeit. Wie er demselben entging, vermögen wir nicht zu erkennen; die Angelegenheit wurde jedoch so geleitet, daß die Zurückweisung von Beethovens Antrag keine – oder höchstens eine vorübergehende – Unterbrechung in den freundschaftlichen Beziehungen aller unmittelbar beteiligten Personen herbeiführte. Nach dem Verlaufe einer so langen Zeit, und in der sehr unklaren Beleuchtung, in welcher wir die ganze Sache erblicken, hat dieselbe völlig den Anschein einer bloßen wunderlichen Episode im Leben des Komponisten, die ihm eine gewisse flüchtige Unruhe und Demütigung verursachte; aber es liegt kein Grund vor, daraus zu folgern, daß seine Verstimmung besonders ernst oder besonders dauernd gewesen wäre.

Der Schlag aber war gefallen und mußte stillschweigend ertragen werden. Sein hemmender Einfluß auf Beethovens Berufstätigkeit ist demnach für uns der einzige Maßstab für seine Schwere. Freilich schreibt er an Zmeskall und erzählt ihm von seiner Kunst, als ständen große Dinge in Aussicht; aber sein Herz war nicht bei der Arbeit, und bis zum Oktober beendigte er nur das Quartetto serioso für seinen Freund. Die langen hellen Sommertage, welche in anderen Jahren seine Fähigkeit zu neuer und froher Tätigkeit erweckt und jährlich wenigstens eins zu der Reihe seiner größten Werke hinzugefügt hatten, kamen und gingen, ohne ein Erinnerungszeichen zu hinterlassen, außer ein paar Liedern und kleineren Instrumentalkompositionen, die letzteren offenbar infolge von Aufträgen komponiert. Er nahm in diesem Sommer keinen entfernten Landaufenthalt; fürchtete er die Wirkungen zu großer Einsamkeit? vielmehr wechselte er seinen Wohnsitz zwischen Baden und Wien und gab sich seinen Lieblingsstreifereien in Wäldern und auf Bergen hin. Wie wir glauben, war es in dieser Periode der Liederkomposition und der orientalischen Studien, daß er auf einer solchen Wanderung das undatierte Blatt bei sich hatte, welches eine Auswahl von Gesängen aus Herders »Morgenländischer Blumenlese« enthielt, und folgendes mit Bleistift auf dasselbe schrieb:


»Mein Dekret56 hat ›nur im Lande zu bleiben‹, vielleicht ist in jedem Flecken dieses erfüllt. Mein unglück seeliges Gehör plagt mich hier nicht. – Ist es doch als wenn jeder Baum zu mir spräche auf dem Lande Heilig! Heilig! – im Walde entzücken. wer kann alles ausdrücken. – Schlägt alles fehl so bleibt das Land selbst im Winter, wie Gaden, untere Brühl etc. – leicht bei einem Bauer eine Wohnung gemiethet um diese Zeit gewiß wohlfeil.«


[237] Ein anderer halber Bogen in der Bibliothek der Musikfreunde in Wien, hauptsächlich mit ungeordneten musikalischen Skizzen bedeckt, bildet ein passendes Seitenstück zu dem Obigen; er enthält folgende Worte:


»Ohne irgend doch eine menschliche liebe Gesellschaft wäre es auch nicht möglich auf dem Lande zu leben.«


Beethovens Verpflichtungen gegen den Erzherzog Rudolf wurden, wie bekannt ist, später für ihn ermüdend und schließlich beinahe unerträglich; doch gereichte es zu seinem Besten, daß er gegenwärtig gezwungen war, denselben nachzukommen und wenigstens bis zu diesem Grade sich selbst zu bemeistern. Ebenso war es ein glücklicher Umstand, daß Bettina Brentano gerade in der Zeit der Krisis mit ihrer Schönheit, ihrer Anmut und ihrem Genie zu ihm kam und seine Gedanken auf andere Bahnen leitete.

Gerade beim Schlusse des Jahres verbreitete sich das Gerücht, daß er für »künftiges Frühjahr« eine Reise nach Italien beabsichtige, »um seine Gesundheit, welche seit einigen Jahren sehr angegriffen war, unter dem südlichen Himmel wieder herzustellen«. Dieses Gerücht hatte eine gewisse Begründung; denn einige Jahre später sagt Beethoven in einem seiner Briefe selbst: »einen Ruf nach Neapel schlug ich aus.«


Kompositionen des Jahres 1810.

Die Musik zu Goethes Egmont op. 84 (ohne Widmung)57 ist geschrieben in der Zeit zwischen Oktober 1809 bis Mai 1810. Die erste Aufführung fand am 24. Mai 1810 statt. Die ersten Skizzen, nämlich solche zu Klärchens Lied »Freudvoll und leidvoll« stehen in dem mehrerwähnten Skizzenbuche von 1809 gegen Ende zwischen solchen der Sonate op. 79, der D dur-Variationen und der Phantasie op. 77. Nottebohm spricht denselben zwar den Zusammenhang mit der Egmontmusik ab (II. Beeth. 271), doch sind seine Gründe nicht stichhaltig. Die endgültige Melodie ist annähernd gefunden, und das Fehlen der auf derselben basierenden Nummern 4 und 5 der Egmontmusik unter den ins Jahr 1810 gehörigen Skizzen (das. 276ff.) ist ein schwerwiegender Grund anzunehmen, daß diese Nummern so gut wie fertig waren, als dieses Skizzenbuch von 1810 in Angriff genommen wurde. Die Skizzen zur Ouvertüre fehlen in dem Heft vielleicht aus dem gegenteiligen Grunde, daß nämlich die Ouvertüre [238] zuletzt geschrieben wurde. Doch ist auch sehr wohl möglich, daß nicht erhaltene Skizzen der Ouvertüre ins Jahr 1809 zurückreichen und nur die Vollendung in die letzte Zeit vor der Aufführung fällt; darauf deuten einige anderweit erhaltene Skizzen in Verbindung mit solchen zum B dur-Trio op. 97, das auch gegen Ende des Skizzenbuchs von 1810 reichlich mit Skizzen vertreten ist. Es ist wohl zu beachten, daß in dieser Zeit Beethoven sich auch mit anderen Gedichten Goethes in größerer Zahl beschäftigte. Das hängt nicht etwa mit der Ankunft von Bettina Brentano zusammen; war doch der Meister schon 1809 eifrig bemüht, in den Geist von Goethes Dichtungen einzudringen, indem er »Nur wer die Sehnsucht kennt« viermal verschieden komponierte. Dagegen erweist sich aus der Korrespondenz, daß die Komposition der Egmontmusik in die Zeit der ernsten Heiratspläne und ihres Scheiterns fällt und daß Bettina ungefähr gerade in den Tagen ihn aufgesucht haben muß, wo Therese Malfatti sein Zukunftshoffen durch eine bestimmte Ablehnung zerstört hatte. Wir wollen keinen Versuch machen, Spuren dieses ganz gewiß sein Gleichgewicht stark erschütternden Erlebnisses in den Kompositionen dieser Zeit aufzuweisen. Selbst die unverkennbare Vertiefung des Ausdrucks in den Liedern dieser Zeit ist doch wohl mehr das Ergebnis der für das Jahr 1809 erwiesenen vielfachen und anhaltenden Beschäftigung mit dem Liede als der Reflex seiner Schicksale. Man darf auch auf Beethovens Charakteristik der Therese Malfatti in dem Briefe an sie (S. 209) hinweisen, die »alles im Leben leicht nehmende Therese«. – Wenn uns auch Beethovens Korrespondenz die Überzeugung aufdrängt, daß diese Zukunftshoffnung ihn längere Zeit in einen Zustand starker Erregung versetzt hat, so ist doch anderseits nicht zu verkennen, daß Therese Malfatti schwerlich geeignet gewesen wäre, die Lebensgefährtin eines Beethoven zu werden, und daß doch vielleicht mehr verletztes Selbstgefühl als zerstörtes Lebensglück die direkte Wirkung der Abweisung gewesen ist. –

Am 6. Mai58 1810 bietet Beethoven Breitkopf & Härtel die Egmontmusik erstmalig an:


»Wien am 6. Mai:


PS.


Viel zu thun, etwas auch zu leben, viel beschäftigt auf einmal, und zuweilen auch dem Müßiggange nicht entgehen können läßt mich ihnen erst eben antworten – Sie können noch alles haben, was ich ihnen ange tragen59 [239] NB. ich gebe ihnen nun noch die Musik zu Egmont von Goethe, welche aus 10 Stücken besteht, Ouvertur, Zwischenakte etc. und verlange dafür die Summe von vierzehnhundert Gulden in Silbergeld oder+ auch dem nemlichen Fuß wie mit dem Oratorium etc. die 250 fl.: – anders kann ich nicht ohne zu verliehren. Ich habe zurückgehalten wegen ihnen, obschon sie es nicht um mich verdienen, indem ihr Betragen oft so unvermutet ist, daß man nur ein so großes Vorurtheil überhaupt für sie haben muß, als ich, um mit ihnen ferner zu Unterhandeln – ich selbst mögte auf eine gewisse Art das Verhältniß mit ihnen fortgesetzt werden – doch kann ich auch nicht verliehren – ich bitte sie, indem sie mir schreiben das Verzeichniß der Werke, die ich ihnen angetragen habe, noch einmal mitzusenden, damit keine Verwirrung entstehe – antworten sie aber gleich, damit ich nun nicht länger aufgehalten werde um so mehr, da Egmont in einigen Tagen aufgeführt wird und ich um die Musik angegangen werde werden60 – übrigens hat die Theuerung hier noch mehr zugenommen, und das ist schreckbar, was man nur hier braucht, und insofern wie überhaupt ist das Honorar nun gewiß nicht zu hoch angeschlagen – Meine 4000 fl. womit ich jetzt nicht auskommen kann, und noch obendrein Kynsky keinen Heller bezahlt hat – obschon es sicher ist – machen ja nicht einmal Tausend fl. in Konvenzionsmünze – Morgen mehr – eilen sie mit der Antwort.


Ludwig von Beethoven.«


NB. unter den Liedern, die ich ihnen angetragen, sind mehrere von Goethe auch »Kennst Du das Land?« welches viel Eindruck auf die Menschen macht – solche können sie gleich herausgeben.

+Konventionsfuß


Da Beethovens Musik für uns heute mit Goethes Tragödie verwachsen ist, so bedarf es einer eingehenden Analyse derselben nicht. Es sei nur kurz darauf hingewiesen, daß die Ouvertüre ähnlich der zu Coriolan mit kräftigen Strichen bestimmt zeichnet und raffiniertes Detail der Instrumentierung vermeidet. Der gleich in den Einleitungstakten aufgestellte Gegensatz der durch den breitspurigen Sarabanden-Rhythmus charakterisierten spanischen Gewaltherrscher


5. Kapitel. Das Jahr 1810

und der flehend die Hände erhebenden geknechteten Niederländer


5. Kapitel. Das Jahr 1810

[240] die ganze Ouvertüre beherrscht. Die beiden Motive des Allegros sind nur durch Verkürzung entstandene Umbildungen, aus a zunächst der Rhythmus der Bässe:


5. Kapitel. Das Jahr 1810

aus b durch Vorbereitung schon vor Eintritt des Allegros:


5. Kapitel. Das Jahr 1810

bis zu den sieghaften dreinschlagenden


5. Kapitel. Das Jahr 1810

Im zweiten Thema stehen wieder beide noch einmal in ihrer ursprünglichen Gestalt gegenüber.


5. Kapitel. Das Jahr 1810

Kurz vor dem F dur 4/4 triumphiert noch einmal die Tyrannei (a ff), bis der Schwertstreich


5. Kapitel. Das Jahr 1810

Egmonts Haupt vom Rumpfe trennt. Der Schlußteil einschließlich der unheimlich drohenden Bläserharmonien ppp bringt die Vergeltung, die Abschüttelung der Gewaltherrschaft und den Triumph der Freiheit. Motivisch ist er identisch mit einer der Schlußnummern der Egmontmusik, der Siegessymphonie. Eine hübsche Charakteristik der übrigen Nummern der Musik gibt Wasielewski (Beethoven II 76ff.). Wenn Marx (Beethoven, 4. Aufl. S. 164) Klärchens Lied »Die Trommel gerührt« wegen des naturalistischen Eingehens auf die Textworte »operettenhaft« findet, so [241] ist dem zu widersprechen, der Text. fordert eine derartige Behandlung unbedingt heraus; dies Lied und auch »Freudvoll und leidvoll« von Klärchen ganz schlicht »für sich hin« singen zu lassen, ging. doch nicht an61. Das von Wasielewski eingewendete praktische Bedenken, daß es schwer ist, Schauspielerinnen zu finden, welche die beiden Lieder so zur Geltung bringen, wie sie gemeint sind, hat gewiß Berechtigung, kann aber die Beurteilung der Leistung Beethovens nicht beeinflussen.

Das zweite Hauptwerk des Jahres 1810, das Streichquartett F-Moll op. 95, ist Beethovens vertrautem Freunde Nikolaus Zmeskall von Domanowecz gewidmet, der wie wir wissen (S. 2076.) auch speziell in das Geheimnis der Liebeswerbung Beethovens und ihres negativen Erfolgs eingeweiht war. Das Originalmanuskript (in der k. k. Hofbibliothek zu Wien) trägt die Aufschrift:


»Quartetto serioso

1810

im Monath Oktober


Dem Herrn von Zmeskall gewidmet und geschrieben im Monat Oktober von seinem Freunde


L. v. Bthovn.«


Daß das »geschrieben im Oktober« sich nicht auf die Erfindung, sondern nur auf die endgültige Niederschrift bezieht, beweisen die Skizzen sämtlicher Sätze, direkt anschließend an solche der im Mai beendeten Egmontmusik (Nottebohm II Beeth. S. 278ff.). Dieselben machen sehr wahrscheinlich, daß die Komposition des Werks gerade in die Zeit unmittelbar nach dem abgewiesenen Heiratsantrag fällt, geben also dem (in die Druckausgaben nicht übergegangenen) charakteristischen Zusatze serioso einen bedeutsamen Sinn. War es doch Zmeskall, dem Beethoven in jenen Tagen geschrieben hatte (S. 207 Nr. 2) »nie habe ich die Macht oder die Schwäche der menschlichen Natur so gefühlt wie jetzt«.

Der erste Satz dieses Quartetts ist vielleicht das unwirscheste Stück, das Beethoven überhaupt geschrieben hat. Sehr merkwürdig ist die Rolle, welche in demselben eine Figur spielt, die der Melodik der Mannheimer Schule entstammt, wenigstens in derselben zuerst auffällig hervortritt, nämlich die Bebung (a).


5. Kapitel. Das Jahr 1810

[242] Etwa 50 mal kommt dieselbe in dem nur 150 Takte langen Satze vor, ungerechnet die ziemlich zahlreichen mehrmaligen Wiederholungen derselben auf der Stelle! Auch die direkte Fortsetzung derselben hier im Kopfmotiv des Satzes: forte-Abwärtsbewegung bis zur Quarte mit Wiederaufsteigen zum Ausgangstone tritt sehr häufig wieder auf und trägt dazu bei, dem Satze eine Signatur zu geben, die sich etwa dem auf den Wegweiser festgebannten Blicke in Schuberts bekanntem Liede vergleichen läßt. Immer wieder taucht dieses Sichdrehen auf der Stelle auf, dies Nichtloskommen von einer öden, inhaltslosen Vorstellung. Was dazwischen auftritt, sind teils heftige, abrupte rhythmische Bildungen, Ausbrüche des Zornes, so gleich die direkt anschließenden Takte:


5. Kapitel. Das Jahr 1810

die etwa die Vorstellung erwecken, als risse Beethoven das unglückliche Stück Papier, das ihm eine Zukunfthoffnung zerstört hat, in Fetzen. Ähnliche Zornesäußerungen sind die vier mit Trugfortschreitungen eintretenden ff unisono Skalen (A-Dur nach as7, D-Dur nach der Tonika Desdur [Akkord der neapolitanischen Sexte], D-Dur nach c7, G-Dur nach der Tonika F dur). Neben diesen und ähnlichen Gewaltsamkeiten (das stufenweise Fortrücken und auch hin und herspringen der Anfangsfigur [a] wirkt, als stieße Beethoven die Papierfetzen mit dem Fuße fort; gegen Ende der Durchführung taucht auch der Rhythmus der Takte 3–4 wieder auf, zuletzt in ein Oktaventremolo übergehend, als entführte der Wind die Schnitzel oder verzehrten sie die Flammen); dann aber erscheinen als eigentlicher Kontrast schmerzlich klagende melodische Motive, zum Teil auf komplizierter harmonischen Unterlage, wie gleich Takt 6ff. (über dem Kopfmotiv):


5. Kapitel. Das Jahr 1810

und Takt 40 ff nach der ff A dur Skala (eigentlich Hesesdur)


5. Kapitel. Das Jahr 1810

[243] Auch minder schmerzverzerrte Bilder mischen sich ein, Erinnerungen an Träume von Glück und Liebe, die aber mit unheimlich bohrenden Triolen kontrapunktiert sind, so Takt 25ff.


5. Kapitel. Das Jahr 1810

Über eine nachträgliche Änderung (Takt 36ff. des ersten Satzes) vgl. Nottebohm, II Beeth. 279 und Frimmel, Neue Beeth. 105f.

»Seriös« ist auch der zweite Satz Allegretto ma non troppo D-dur 2/4. Das Dur ist durch die mixolydische Septime und die Mollsubdominante elegisch gefärbt, chromatische Elemente treten wiederholt sehr stark hervor, befriedigende Schlüsse werden durch Wechselnoten und Trugfortschreitungen gestört, der ganze Satz brütet mehr, als daß er eigentlich entwickelt. Zu Anfang geht suchend, fragend ein einsamer Wanderer einher:


5. Kapitel. Das Jahr 1810

Denselben erkennen wir wieder auch in den modulierenden Verkleidungen;


5. Kapitel. Das Jahr 1810

aber auch in dem schlangenartig gleitenden Thema des Fugato:


5. Kapitel. Das Jahr 1810

Der ganze Satz ist ganz eigenartig zerfahren und verstört, führt bunt wechselnde Kontrapunktierungen ein, kommt aber erst gegen das Ende zu einigen größeren Linien und etwas zuversichtlicherem Ausdruck.

[244] Sehr merkwürdig geartet ist auch der dritte Satz:Allegro assai vivace, ma serioso (!) F-Moll 3/4. Vielleicht versteht man ihn richtig, wenn man aus dem choralartigen Seitenthema, das mehrmals das in punktierter Achtelbewegung einhergehende Hauptthema ablöst, dieses ableitet. Das von den drei Unterstimmen in langen Noten vorgetragene, von der Violine mit einer Achtelfigur begleitete Choralsätzchen lautet (Marx nennt es wohl mit Recht einen Cantus firmus fictus):


5. Kapitel. Das Jahr 1810

Das für dasselbe charakteristische Steigen um eine kleine Terz resp. Fallen um dieses Intervall spielt auch in dem Hauptthema eine Rolle:


5. Kapitel. Das Jahr 1810

Eine Art forcierter, aber flügellahmer Lustigkeit herrscht in diesen hüpfenden Rythmen, deren mystische Verwebung mit dem Choralthema auszudeuten andere versuchen mögen. Die Stimmung bleibt bis zum Ende trotz der wohl mehr geschauten als erlebten geistlichen Episoden trübe.

Erst der Schlußsatz bannt die finsteren Gedanken und ringt sich zu heller Lustigkeit durch. Die kurze Einleitung Larghetto espressivo 2/4 baut sich zwar noch auf dem Motiv der kleinen Terz, wie es den vorgehenden Satz beherrscht, auf, bringt aber mit schneller Steigerung zum Allegretto ein Jagdstück von ganz ausgezeichneter Faktur. Das erste Hauptthema sieht so aus:


5. Kapitel. Das Jahr 1810

Daß es sich um eine Parforcejagd handelt, beweist das wirre Hörnergetön und die Peitschenhiebe und Zurufe in Stellen wie dieser:


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[245] In strahlendem F-Dur schließt der Satz ab. Beethoven hat sich wiedergefunden. Wenn auch die Biographie nichts von Jagden zu berichten weiß, die er mitgemacht, so versteht es sich doch ganz von selbst, daß er z.B. bei seinem Besuche Lichnowskis in Grätz Gelegenheit genug gehabt haben wird, dergleichen wenigstens als Zuschauer mit zu erleben62.

Wir dürfen hier dem Quartett op. 95 sogleich das große Trio op. 97 B-Dur, dem Erzherzog Rudolf gewidmet, anschließen, obgleich das Originalmanuskript (im Besitz von Paul Mendelssohn) zu Anfang das Datum 3. März 1811 trägt und am Ende: Il fine. Geendigt am 26. März 1811. Öffentlich gespielt wurde es, soweit bekannt, zuerst 1814 in einem von Schuppanzigh im Römischen Kaiser veranstalteten Wohltätigkeitskonzert am 11. April, und im darauf folgenden Mai in einer Matinee im Prater; beide Male spielte Beethoven selbst den Klavierpart, Schuppanzigh Violine und Linke Violoncell; damit »schied Beethoven als ausübender Klavierspieler für immer aus der Öffentlichkeit« (Schindler, Beethoven I. 197). Wie schon bemerkt, sind in dem Skizzenbuche von 1810, das nach Nottebohm (II. 287) bis spätestens September 1810 reicht, sämtliche Sätze vertreten und ziemlich weit gefördert, woraus sich ergibt, daß die Datierungen auf dem Autograph sich nur auf die Reinschrift beziehen. Das herrliche Trio gibt uns die Gewißheit, daß Beethoven die Depression, welche die Ablehnung seines Heiratsantrages brachte, in verhältnismäßig kurzer Zeit überwunden hat. Das Trio [246] steht wieder voll und ganz im Zeichen der reich strömenden Erfindung und der souveränen Disposition über die Formgebung. Gern wird man Wasielewski beistimmen, wenn er (I. 365) in dem Werke den Höhepunkt der Klaviertrio-Literatur erblickt. Auch die Hervorhebung des Gegensatzes zum Quartett op. 95 ist treffend: »Wenn das genannte Quartett als Frucht jener schweren Bekümmernisse betrachtet werden darf, welche dem Meister aus der Vernichtung seiner Herzenswünsche erwuchsen, so erscheint das kurz darauf komponierte B-Dur-Trio als Wiedererhebung von dem erlittenen schweren Schlage. Ein hochgehendes, selbstbewußtes Gefühl spricht sich namentlich im ersten Satze dieses unvergleichlich herrlichen, großartig durchgeführten Werkes aus.« Es versteht sich von selbst, daß den beiden erwähnten öffentlichen Aufführungen des Trio im Jahre 1814 private vorangegangen sind und zwar sicher schon 1811. Noch vor Beendigung der Reinschrift am 23. März 1811 korrespondierte Beethoven mit der Gräfin Erdödy wegen einer für dieselbe zu beschaffenden Abschrift, und zuerst ist das Werk jedenfalls beim Erzherzog gespielt worden, dem es gewidmet ist. Es wäre auch wohl möglich, daß es in dem 3. der Donnerstags-Mittags-Konzerte des Baron Neuwirth am 28. März 1811 gespielt wurde (vgl. S. 260). Am 12. April 1811 beauftragte Beethoven seinen Freund Oliva, persönlich in Leipzig mit Breitkopf und Härtel wegen Verlags des Werkes zu verhandeln.

Leider gehört das B-Dur-Trio zu den Werken, welche bezüglich der thematischen Struktur argen Mißverständnissen ausgesetzt sind. Gleich der Anfang bietet ein charakteristisches Beispiel. Wasielewski schreibt denselben (I. 366)


5. Kapitel. Das Jahr 1810

liest also beide Motive (a und b) als bis zu der langen Note reichend, obgleich Beethoven doch alles nur mögliche getan hat, das zu verhüten, indem er durchsfp. die Motivanfänge markiert:


5. Kapitel. Das Jahr 1810

noch deutlicher S. 8 der Partitur (Ges. Ausg. Serie II Nr. 6).


5. Kapitel. Das Jahr 1810

[247] Freilich muß man den Quartsextakkord im 4. Takte (b es g), der erst im fünften sich auflöst, bemerken, wenn nicht die läppischen Motive


5. Kapitel. Das Jahr 1810

entstehen sollen, wie sie allen Ernstes Wasielewski aufweist. Bei der sehr prominenten Rolle, welche dieses Thema in dem ganzen Satze spielt, ist es wohl der Mühe wert, ernstlich auf den sehr verbreiteten Irrtum aufmerksam zu machen. Daß so gleich zu Anfang die Motive des Hauptthemas mißdeutet werden, muß natürlich für ihre Durchführung verhängnisvoll werden. Ähnliche Mißverständnisse gefährden aber das Werk an allen Ecken und Enden, z.B. in zweiten Thema:


5. Kapitel. Das Jahr 1810

und in den Epilogen:


5. Kapitel. Das Jahr 1810

Beethovens Vorliebe für emphatische lange Auftaktbildungen stößt Note oder Pause überall als Ende nimmt. Im Scherzo gilt das wieder für den Hauptgedanken:


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[248] Auch der Anfang des Adagio hat darunter zu leiden:


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obgleich Beethoven Takt 17ff. durch getan hat, was er konnte, seine Absicht klar zu stellen. Im Finale sei wenigstens darauf aufmerksam gemacht, daß Takt 7ff. gelesen werden muß wie a und nicht wie b:


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und gleich darauf:


5. Kapitel. Das Jahr 1810

Eine Frucht der Miniaturarbeit in den H-Dur-Variationen der Phantasie op. 77 ist das zweite Thema:


5. Kapitel. Das Jahr 1810

Bis derartige Dinge Gemeingut auch nur der Gebildeten werden, hat's freilich gute Weile. Wir haben recht wenig Grund, mit überlegenem [249] Lächeln auf die zeitgenössischen Kritiker Beethovens herabzusehen, welche ehrlich gestanden, seine »Bizarrerieen«, sein »barockes« Wesen nicht überall zu begreifen. Sind wir wirklich heute so viel weiter?

Die bis in das Jahr 1803 zurückreichende Korrespondenz mit Thomson (vgl. B. II2 405ff.) führte im Jahre 1810 zu einem positiven Resultate; wenn auch aus den von Thomson geplanten Sonaten, Trios usw. über schottische, irische und walisische Lieder nichts wurde, so nahm doch Beethoven, nachdem eine Einigung über die Honorierung erfolgt war, 1809 die Ausarbeitung von Akkompagnements mit Vor- und Nachspielen zu den 43 irischen Liedern, die Thomson am 25. September 1809 abgesandt, ernsthaft in Angriff; bereits am 23. November 1809 schrieb er an Thomson: »Quant aux chansons je les ai déjà commencé et je donnerai en vers huit jours à Fries« – so schnell ging es zwar nicht, aber am 17. Juli 1810 (vgl. d. Korrespondenz im Anhang I) war er in der Lage, ihm sogar 53 airs Ecossais zu senden; es scheint aber, daß Thomson mit der Bezahlung ebenso wie Collard zurückhielt, bis er in Besitz der Sendung gelangte, die denn auch wirklich verloren ging und ein Jahr später wiederholt werden mußte (vgl. S. 262 und den Brief vom 20. Juli 1811 im Anhang I). Beethoven sah diese Arbeit mehr oder minder als Fronarbeit an, wie verschiedene Äußerungen beweisen, so in dem Briefe an Thomson vom 25. September 1809: »ce travail est outre cela une chose, qui ne fait pas grand plaisir à l'Artiste« (vgl. S. 162). Doch versichert er bei der Übersendung, daß er die Mehrzahl mit Liebe (con amore) gearbeitet hat. In der Tat verraten einzelne Lieder, daß der Komponist bei der Arbeit warm geworden ist, durch ausgeführtere Vorspiele und gewählteres Akkompagnement. Zumeist spielt aber die Violine, vielfach auch das Klavier die Melodie mit, das Violoncell geht mit dem Klavierbaß, und die Vorspiele entnehmen ihr Material den Anfängen der Melodie. Daß Beethovens Harmonisierungen in manchen Fällen dem reinen Mollcharakter der Melodie nicht ganz gerecht werden, ist schon lange bemerkt worden; besonders hat er mehrfach Leittöne nach gemeiner Gewöhnung bei Schlüssen eingefügt, wo sie den Melodien nicht eigen waren. Im Druck erschienen die für Thomson gearbeiteten 112 Lieder erst von 1814 ab (bis 1823). In mehreren der Briefe an Thomson moniert übrigens Beethoven, daß er nur die Melodien ohne Texte als Vorlagen habe.

Die immerhin nicht große Liste der Kompositionen des Jahres 1810 ist noch zu ergänzen durch je eine Ecossaise und Polonaise für Harmoniemusik[250] , einen Marsch in F-Dur für Militärmusik, dessen Manuskript die Aufschrift trägt: »1810 in Baden comp. für Erzh. Anton, 3ten Sommermonath« (vgl. S. 177) und einige der Goethelieder, deren Mehrzahl aber ins Jahr 1809 gehört.

Veröffentlicht wurden in diesem Jahre:

1. Das Lied aus der Ferne (Reißig) mit Begleitung des Pianoforte von Louis van Beethoven. Bei Breitkopf und Härtel in Leipzig u.s.w. (Februar.) Vgl. S. 145f.

2. Andenken (»Ich denke dein, wenn durch den Hain«) von Matthisson u.s.w. Breitkopf und Härtel. (März.) Vgl. S. 145 und 177.

3. Die Oper Leonore in zwei Aufzügen u.s.w. ohne Ouvertüre und Finales. Breitkopf u. Härtel. (März.) Vgl. Bd. II2 S. 474.

4. Sestetto pour 2 Clarinettes, 2 Cors et 2 Bassons par L. v. Beethoven. In Stimmen bei Breitkopf u. Härtel. (April.) Vgl. S. 144 und Bd. II2, S. 40ff.

5. Ouverture à grand Orchestre de l'Opéra Leonore u.s.w., Stimmen (die als No. 3 bezeichnete »große«). Breitkopf u. Härtel. (Juli.) Vgl. Bd. II2 S. 274.

6. Fünf Nummern, nämlich:


1. Lied aus der Ferne (»Als mir noch die Thräne –«, durchcomponirt, 13 Seiten, hier von neuem gedruckt);

6. Der Liebende (»Welch' ein wunderbares Leben«);

9. Der Jüngling in der Fremde (»Der Frühling entblühet«);

16. An den fernen Geliebten (»Einst wohnten süße Ruh«);

17. Der Zufriedene (»Zwar schuf das Glück hienieden«)


in der Sammlung »Achtzehn deutsche Gedichte mit Begleitung des Pianoforte von verschiedenen Meistern... Erzherzog Rudolph... gewidmet von C. L. Reißig«. Wien, Artaria u. Co. (Juli.) Vgl. dazu S. 145f.

7. Die Sehnsucht von Goethe mit vier Melodien nebst Clavierbegleitung... No. 38. Wien u. Pesth im Kunst- und Industrie-Comptoir (September.) Eine spätere Ausgabe gibt als Verleger S. A. Steiner u. Co. an. Vgl. S. 114f.

8. Variations pour le Pianoforte composées et dediées à son Ami Oliva par L. v. Beethoven. Oeuv. 76. Breitkopf u. Härtel. (October.) Vgl. S. 176.

9. Quatuor pour deux Violons etc. composé et dedié à son Altesse le Prince régnant de Lobkowitz, Duc de Raudnitz, par etc. Op. 74. Breitkopf u. Härtel. (November.) Vgl. S. 168ff.

[251] 10. Sechs Gesänge mit Begleitung u.s.w. Ihrer Durchlaucht der Frau Fürstin von Kinsky geb. Gräfin von Kerpen zugeeignet von L. v. Beethoven,Op. 75. (vgl. S. 177.) Breitkopf u. Härtel. (November.)


1. Mignon (»Kennst Du das Land«).

2. Neue Liebe, neues Leben (»Herz, mein Herz, was soll das geben?«).

3. Aus Goethes Faust (»Es war einmal ein König«).

4. Gretels Warnung (»Mit Liebesblick und Spiel und Sang«).

5. u. 6. dieselben wie 16. u. 17. in No. 6.


11. Fantaisie pour le Pianoforte composée et dediée à son Ami Monsieur le Conte François de Brunswik par L. v. Beethoven. Op. 77. Breitkopf u. Härtel. (November.) Vgl. S. 175f.

12. Sonate pour le Pianoforte composée et dediée à Madame la Comtesse Therese de Brunswik etc. Op. 78. Breitkopf u. Härtel. (November.) Vgl. S. 170ff.

13. Sonatine pour le Pianoforte etc. Op. 79. Breitkopf u. Härtel. (November.) Vgl. S. 170ff.

14. Sextuor pour 2 Violons, Alto, Violoncello et 2Cors obligés. Op. 81. (81)). Bonn. Simrock. (im Frühjahr.) Vgl. Bd. II2 S. 44ff.

Fußnoten

1 Der Verfasser meint hier eine Periodisierung des Lebens in seinen äußeren Beziehungen. Hinsichtlich des Stiles der Kompositionen ist wohl eine Dreiteilung gegenwärtig allgemein angenommen, wobei nur die Grenzbestimmung im einzelnen abweichen mag. Der Übersetzer hat sich in einem Vorworte zu dem Programm des Bonner Beethovenfestes von 1871 (Bonn, bei Neußer) ebenfalls zu dieser Einteilung der Perioden von Beethovens Schaffen bekannt. Anm. d. Übers.


2 Ihr Vater war der angesehene Wiener Opern- und Hofkapellsänger Valentin Adamberger (gest. 1604). Sie selbst wurde 1812 die Braut Theodor Körners (vgl. dessen »Liedes- und Liebesgrüße an Antonie Adamberger«, herausg. von Latendorf 1885).


3 »In dem Theater an der Wien wurde am 14. Juni zum erstenmal: Wilhelm Tell von Schiller, für diese Bühne eingerichtet von Franz Grüne, gegeben. Die hierzu verfertigte Musik von Hrn. Gyrowetz ist characteristisch und mit Einsicht geschrieben.« So schreibt der Korrespondent der A. M.-Z. Aber vergeblich sucht man irgend eine gleichzeitige Notiz von dieser oder irgend einer andern Hand über Beethovens Musik zu Egmont.


4 Op. 73–83 (mit Ausschluß von Op. 75).


5 Veröffentlicht durch L. Nohl 1867 in Neue Beethovenbriefe S. 48. Das Original befand sich im Besitz von Frau Antonie von Arneth, geb. Adamberger, die ihn vermutlich schon damals erhalten haben wird, da er in die Zeit der Komposition der Egmontmusik gehört (vgl. S. 201).


6 Joseph Henickstein war der älteste Sohn des Bankiers Adam Albert Edler v. Henickstein; er hatte eine schöne Baßstimme und gehörte zu den ältesten Mitgliedern der Gesellschaft der Musikfreunde. Schweiger war Erzherzog Rudolfs Kammerherr; Dr. Dorner (wie Ludwig Nohl sagt) Leibarzt des Grafen Cobenzl; Lind war ein Schneider.


7 Vielleicht die Sonate Op. 81 a? (»Lebewohl«).


8 Vielleicht Op. 28? Vgl. S. 171.


9 Eine zweite findet sich (S. 279) in dem Briefe Beethovens vom 6. Sept. 1811 aus Teplitz an Tiedge (»heute hat sich mein Zimmergesellschafter verlohren«).


10 Das Datum von Zmeskalls Hand. Der Brief war im Besitz des Herrn Rösner in der Wallishauserschen Buchhandlung zu Wien.


11 In der K. K. Bibliothek.


12 Original in Boston.


13 So irrtümlich bei Wegeler statt 2. Mai.


14 Mitgeteilt von Dr. Faust Pachler nach dem Original im Besitz von Dr. Anton Werle in Graz.


15 Grenzboten II. 1867. S. 100–101.


16 Diese Erzählung von der ersten Begegnung zwischen Bettina und Beethoven ist entnommen aus ihren Briefen an Goethe und Fürst Pückler-Muskau und Aufzeichnungen aus ihrer Unterhaltung mit dem Verfasser. Wie tief und deutlich die Eindrücke von ihren ersten Unterhaltungen mit Beethoven, selbst bis auf zufällige Einzelheiten, in der Erinnerung sowohl von Frau v. Arnim als von Frau v. Arneth, als sie schon 70 Jahre alt waren, hafteten, hatte der Verfasser Gelegenheit zu erkennen, als er dieselben von ihren eigenen Lippen hörte.


17 Goethes Briefwechsel mit einem Kinde, II. S. 190.


18 Diese Angabe ist nicht zu beanstanden. Außer der Wohnung bei Pasqualati verfügte Beethoven über ein Zimmer in der Wohnung seines Bruders Karl in der Rauhensteingasse (alte Nummer 987); daß er doch auch 1810 eine Sommerwohnung in Baden hatte, beweisen die Briefe an Breitkopf & Härtel vom 21. August, 23. Sept. und 6. Oktober 1810, die aus Baden datiert sind. Ein bestimmter Anhaltspunkt, daß er dieselbe nicht auch schon im Mai bezogen, liegt nicht vor. Seine Neigung, unliebsamen Besuchern durch Flucht in eins der anderen Quartiere zu entgehen, ist uns ja bekannt. Vgl. auf S. 226 den Brief vom 9. Juli an Zmeskall.


19 Die »kleine Sternwarte«.


20 Ohne Zweifel der Augarten.


21 Es ist wohl nicht nötig, die Angabe über diese Probe auf den »gestrigen Tag« zu beziehen; dann ist aber nicht ausgeschlossen, daß es Probe der Egmontmusik war, deren Aufführung ja am 24. Mai stattfand. Andernfalls könnten wir an Schuppanzighs Konzert im Augarten denken.


22 Im Jahre 1843 gab sie sieben Lieder für Altstimme heraus, Spontini gewidmet. Die beiden bestimmt um diese Zeit komponierten Lieder Beethovens »Kennst du das Land« und »Trocknet nicht« kamen also bereits im Juni 1810 in Goethes Hände. Das erstere erschien bereits im November 1810 als Op. 751, das zweite erst im Oktober 1811 als Op. 83 (aber im Autograph mit 1810 gezeichnet; vgl. Thayers Verzeichnis Nr. 155).


23 Grenzboten II. 1867, S. 101.


24 Nach Zmeskalls Datum vom 9. Juli 1810. In der K. K. Bibliothek.


25 Erzherzog Rudolf.


26 Aus dem Nürnberger Athenäum. Die Abweichungen der Fassung in »Ilius Pamphilius« von der hier gegebenen sind in den folgenden Anmerkungen angegeben.


27 Freundin.


28 Fisch.


29 in das.


30 Freundin.


31 nimmer.


32 Freundin.


33 »und auf der Bastey« fehlt.


34 gepackt.


35 Freundin.


36 solch ein Rebeller.


37 Op. 75.


38 Op. 83.


39 Op. 82.


40 Hier erhalten wir die Gewißheit, daß bei Auszahlung des Honorars durch Clementi gleich neue Abschlüsse gemacht worden sind. Wenigstens wird man bestimmt annehmen müssen, daß die Abmachung unter Nr. 5 des Kontrakts (S. 28), für 60 ₤ drei Sonaten zu liefern, zur Ausführung gelangt ist.


41 Die Beilage (von anderer Hand) bildet der Plan einer autorisierten Gesamtausgabe der Werke Beethovens, an welcher außer Breitkopf & Härtel, als Hauptfirma, eine Wiener und eine Pariser Firma als Nebenfirmen beteiligt werden sollten.


42 Op. 74.


43 Op. 78.


44 Op. 77.


45 Op. 75.


46 Op. 79.


47 Op. 73, Es dur


48 Vgl. S. 238.


49 Derjenige, der den dem Briefe beigelegten Plan aufgesetzt.


50 Op. 80.


51 »sehr kurzen Zeit« übergeschrieben über »Nacht war«.


52 Die 3 Werke sind »Fidelio«, »Christus am Ölberg« und die C-Dur-Messe.


53 nämlich zur C-Dur-Messe; vgl. S. 43.


54 »die Adresse« von Beethoven durchgestrichen.


55 Die Bd. II2, S. 625 erwähnte Veröffentlichung bei Simrock (nur als Beilage der Nachträge zu den Ries-Wegelerschen Notizen) war also nicht die erste. Simrocks ältere Ausgabe des Breuningschen Gedichtes hatte nicht Beethovens, sondern Soliés Musik.


56 Der Vertrag wegen des Jahrgehalts.


57 Das Werk darf wohl auch ohne Aufschrift auf dem Titel als Goethe gewidmet gelten; doch gedachte Beethoven einmal, es dem Erzherzog Rudolf zu widmen (S. 232).


58 Der ziemlich flüchtig lateinisch geschriebene Monatsname ist nicht, wie bisher geschehen, als Juni zu lesen, da die Erstaufführung des Egmont noch bevorsteht.


59 nämlich in dem Briefe vom 4. Febr. 1810.


60 natürlich von dem Wiener Verleger.


61 Vgl. S. 202 die Erzählung der Antonie Adamberger (»der verstehts!«).


62 Zwischen den Skizzen zum Quartett findet sich die Notiz: »Sich zu gewöhnen gleich das ganze – alle Stimmen wie es sich zeigt im Kopfe, zu entwerfen«. Das ist sicher so gemeint (das Komma nach Kopfe fehlt), daß Beethoven sich gewöhnen will, in Zukunft in den Skizzenbüchern nicht nur Melodieteile einzutragen, sondern auch die Harmonie bzw. die Gegenstimmen, das Ganze, wie es ihm klingend in der Phantasie erscheint. Vermutlich hat er die Erfahrung gemacht, daß hie und da bei Wiederauftauchen derselben Idee in der Phantasie Dinge nicht wieder erschienen sind, deren Verlust ihm schmerzlich war.

Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 3, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1911..
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