Zweites Kapitel.

Das Jahr 1818.

Neuer Aufschwung des Schaffens. Erster Plan der Messe und der 9. Symphonie. Plan des Oratoriums. Die B Dur-Sonate. Verhandlungen wegen des Neffen. Mödling. Das Bild Klöbers.

Der Eintritt in das neue Jahr war bezeichnet durch die Wünsche, welche Beethoven an Frau Streicher und am letzten Dezember 1817 an den Erzherzog Rudolf richtete.1 In dem Briefe, in welchem dies letztere geschah, sagt er nach dem Ausdruck seiner Wünsche: »Von mir zu reden, wenn es erlaubt ist, so ist meine Gesundheit sehr wankend und unsicher; ich bin genöthigt leider sehr entfernt von I. K. H. zu wohnen, dieß soll mich unterdessen nicht abhalten, ehestens mich erfreuen zu können, Ihnen meine Aufwartung zu machen.«

Im Anschlusse an diese Worte sei uns, ehe wir in der Erzählung der Ereignisse weiter gehen, ein kurzer Rück- und Vorblick auf die Verhältnisse gestattet, unter denen sein Leben und Schaffen sich weiter gestaltete. Wie seine äußere Lebenslage durch die Aufnahme des Neffen in sein Haus sich veränderte, so nahm jetzt auch nach der vorangegangenen unfruchtbaren Zeit sein Schaffen einen neuen Aufschwung durch die Ausarbeitung und Vorbereitung großer Werke, wenn auch deren erste Anfänge zum Teil etwas weiter zurückliegen. Blicken wir auf das Persönliche, so treten uns in seinen Briefen und sonstigen Äußerungen aus der nächstvergangenen Zeit vorwiegend trübe Bilder entgegen; es ist ein fortgesetzter Wechsel zwischen Hoffen und gänzlichem Verzagen, Befürchtung eines nicht mehr fernen Todes geben sich kund, die alte Lebenslust erscheint mitunter wie gebrochen, erwacht dann aber auch wieder. Welches die tiefere Quelle der anhaltenden körperlichen Leiden war, kann für jene Zeit nicht festgestellt werden; ein Arzt erklärt es einmal für Lungenkrankheit, und nach den Erzählungen der Fräulein Giannatasio scheint er selbst geglaubt zu haben, an einer solchen zu leiden, was aber die Folgezeit nicht bestätigt hat.2 Holz sieht einmal den Grund zu seiner Neigung zu Jähzorn und Mißtrauen in seinem »desorganisirten Unterleib«, und wir wissen, daß schon in seiner frühen Jugendzeit Krankheiten des Unterleids ihn quälten.3

[78] Es ist nicht unmöglich, daß die Anfänge des schlimmen Leberleidens, welches sich schon wenige Jahre nachher in einer Gelbsucht äußerte und schließlich zur tödlichen Krankheit wurde, schon damals sich zeigten. Inwieweit die tiefen gemütlichen Aufregungen, welchen er in diesen Jahren ausgesetzt war, vielleicht auch die Unruhe und Unregelmäßigkeit des eigenen Lebens darauf Einfluß übte, vermögen wir nicht zu entscheiden; darüber dürfte von medizinischer Seite bei Prüfung der einzelnen Angaben eher ein Urteil zu erwarten sein.

Wenn durch diese fortgesetzten Leiden die Schaffenslust beeinträchtigt wurde, so war das wohl noch mehr durch die Zunahme der Taubheit der Fall. Über diese haben wir beim Schlusse des vorigen Kapitels kurz gesprochen und die Zeugen dafür angeführt, nach welchen um die Zeit, in welcher wir stehen, die Schwierigkeit, sich ihm durch das Sprechen verständlich zu machen, immer größer wurde; infolgedessen wurde jetzt die schriftliche Unterhaltung mit ihm die Regel. Die zum größten Teile erhaltenen Konversationshefte, von welchen noch die Rede sein wird, bilden wie bekannt eine Hauptquelle für die Kenntnis von Beethovens späterer Lebenszeit.4 Wie dieser Zustand auf sein Gemütsleben wirkte, lassen seine Äußerungen erkennen. Wenn hierin einer der Hauptgründe lag, aus welchen die Reisepläne immer wieder unausgeführt blieben, so ermessen wir auch leicht, wie stark dies auf den ehemals so regen Verkehr, wie es besonders auf seine Schaffenslust einwirkte, wie es ihn mehr und mehr auf sich selbst, auf sein Innenleben zurückwies. Was dem schaffenden Künstler ein so wesentlicher Sporn ist, die Anschauung der unmittelbaren Wirkung seiner Werke auf Publikum und Kunstgenossen und auch das eigene Vorführen und Hören derselben, auch die Möglichkeit der eigenen Kontrolle beim Komponieren, fiel teils weg, teils war es sehr beschränkt. Das innere Hören, die Vorstellung des Gehörten blieb ihm, was nicht weiter bewiesen zu werden braucht. Wir sind ja über das törichte Gerede früherer Zeiten hinaus, daß Leute bei Stücken, die sie nicht verstanden, Beethovens Gehörlosigkeit als Erklärung glaubten anführen zu dürfen. Wenn aber nach Czernys Zeugnis5 Beethoven selbst sich dahin geäußert hat, daß er [79] infolge seiner Taubheit gehindert sei, den konsequenten Fluß und Zusammenhang seiner früheren Werke auch in seinen letzten zu befolgen, da er früher gewohnt war, alles beim Klavier zu komponieren, so werden wir dieses Zeugnis annehmen dürfen Zwischen der Idee, welcher der Komponist mittelst seiner Phantasie tonlichen Ausdruck gibt, und dem ausführenden Organe, dessen Klang er lebendig gegenwärtig haben muß, besteht immerhin ein Unterschied, und es finden sich doch einzelne – nicht viele – Stellen, in welchen wir eingestehen müssen, daß eine völlige Ausgleichung nicht erzielt ist. Wir haben dieselben später namhaft zu machen.

Zu diesen ganz persönlichen Erfahrungen, welche Leben und Schaffen unseres Meisters begleiteten und zum Teil bestimmten, kamen nun noch die vielen Aufregungen und Schmerzen, welche ihm die Sorge für seinen Neffen verursachte, hinzu, an welchem er nun einmal Vaterstelle zu vertreten sich verpflichtet glaubte, und den er jetzt in sein Haus aufnahm. Diese Sache wird uns weiterhin noch mehr beschäftigen, und wir wollen dem Bericht über dieselbe hier nicht durch allgemeine Erörterungen vorgreifen. Zu bemerken ist nur schon hier, wie durch diese Sorge seine schaffende Tätigkeit zeitweise ganz in den Hintergrund gedrängt wurde. Es kommt hinzu, daß durch diese Sorgen und durch die Einrichtung des eigenen Haushalts, bei welcher ihm ja die stets hülfsbereiten Streichers treu zur Seite standen, er zuweilen pekuniären Verlegenheiten ausgesetzt war, was ihn auch, wie seine Briefe erkennen lassen, mitunter niederdrückte. Die Abnahme der Schaffensfreudigkeit mußte sich auch in seinen Einnahmen empfindlich fühlbar machen. Wie bitter klagt er gerade in dieser Zeit, daß er des Geldverdienstes wegen komponieren müsse.

Aber auch ohne diesen Antrieb kam jetzt für Beethoven die Zeit, da er sich zum Schaffen gewaltig wieder aufraffte. Schon Ende 1817 hatte er wieder angefangen, Hand an ein großes Werk zu legen; es folgten andere, gerade die höchsten und edelsten Erzeugnisse seiner Kunst gehören dem letzten Jahrzehnte seines Lebens an. Aber sie traten in längeren Zwischenräumen hervor und reisten langsam. Wenn Beethoven später zu [80] Rochlitz nach dessen Bericht äußerte: er bringe sich nicht mehr so leicht zum Schreiben, ihm graue vor dem Anfange großer Werke, so paßt das ganz gut in die Periode in der wir stehen, erklärt das Liegenbleiben mancher Pläne und findet in seinen Erlebnissen seine Erklärung.

»Der 3. Styl Beethovens datirt sich von der Zeit als er nach und nach ganz gehörlos wurde,« sagt Czerny und bezieht dies auf Wahrnehmungen, die wir früher (S. 79) schon von ihm angeführt haben. In der Tat erscheint uns Beethoven in seinen Werken, die er nach der vorangegangenen unproduktiven Zeit seit 1818 und in den folgenden Jahren schuf, nicht bloß in technischen Dingen, an welche Czerny zunächst dachte, sondern in den ganzen Charakter seiner Tonsprache neu und eigenartig. Die Feststellung von mehreren, speziell von drei Hauptepochen in Beethovens Kunstschaffen hat ja manchen Widerspruch erfahren; der verehrte Thayer, dessen Hauptgesichtspunkt die treue Lebensdarstellung des Meisters war, hatte bestimmte Epochen seines Schaffens seiner Darstellung nicht zu Grunde gelegt. Uns scheint die Notwendigkeit dieser Teilung offenkundig. Für die frühere Zeit, die Scheidung zwischen dem ersten Wiener Jahrzehnt und der folgenden großen Periode, welche zunächst durch dieSinfonia eroica ihre Signatur erhält, braucht das wohl nicht bewiesen zu werden; haben wir doch seine eigene, gegen Krumpholz um 1803 getane Äußerung, er sei mit seinen bisherigen Arbeiten nicht zufrieden und wolle nun einen neuen Weg betreten. Aber auch seit 1818, nach einer längeren Unterbrechung seines Schaffens, kann es nicht verborgen sein, daß wir uns in einer neuen Zeit befinden. Schon äußerlich, die Zahl der Werke ist nicht groß, er mußte sich zur Arbeit zwingen und reflektierte eindringlicher arbeitete er doch z.B. an der großen Messe annähernd 5 Jahre. Gerade dieses bedächtige, geübterische Arbeiten ist so recht ein Kennzeichen der späteren Zeit. Und wenn früher die äußeren Antriebe stärker waren und er auch von außen ihm gebotene Stoffe mit voller Selbstentäußerung in sich aufnahm und künstlerisch gestaltete, so waren diese äußeren Antriebe jetzt nicht mehr so stark wirksam, seine Fühlung mit der Außenwelt war nicht mehr dieselbe, und wie ihn die Erfahrungen des Lebens in sein Inneres zurückgewiesen hatten, so entnimmt er auch daher im wesentlichen seine Anregungen; mit der verstärkten Richtung aufs Innere vertieft und verinnerlicht sich seine Kunst, er will nur geben was aus dem eigenen Herzen stammt. War doch auch die große Messe keine von außen erbetene, sondern eine selbstgewählte Arbeit. Wie manche Empfindungen hatten Besitz von seinem Gemüte, in Verbindung mit den gemütserregenden Erlebnissen [81] dieser Zeit er griffen; wie manche, die sich in dem schöpferischen Geiste zu ergreifenden Tongebilden gestalten konnten. Fromme Erhebung zu Gott – man denke an das Tagebuch –, Demut und Ergebung, Liebe und Wärme besonders im Verhältnis zum Neffen, aber auch Schmerz und Druck, wenn er an seinen Zustand dachte, Leidenschaft und Zorn bei den Schwierigkeiten die ihm erwuchsen, dann wieder Sehnsucht nach friedlichem Glück, stolze Erhebung über alles Gemeine, hohe Begeisterung in Ausübung seiner Kunst; alles Empfindungen, in denen der musikalische Impuls wurzelte und die wir auch in den Kompositionen jener Zeit finden; sie wirkten in seinem mehr wie früher nach innen gerichteten Leben mit besonderer Stärke und drängten ihn musikalisch sich auszusprechen. Wie Goethe seine poetischen Arbeiten Selbstbekenntnisse nennt, so trifft das in gewisser Weise auch bei Beethovens letzten großen Werken zu; auch sie sind Selbstbekenntnisse edelster Art, und ohne Kenntnis seiner Erlebnisse und Empfindungsweise nicht vollständig zu verstehen. Wenn wir die ganz eigene, unmittelbar ergreifende Wirkung, welche wir von Beethovens Erfindung in seinen letzten Werken erhalten, uns klar machen wollen, so fühlen wir wohl, daß wir damit ein Gebiet betreten würden, auf welchem es dem Worte nicht vergönnt ist, das Empfundene deutlich auszusprechen, man müßte die Stücke gleich hören oder spielen, um sich verständlich zu machen. Beethoven hat uns ja immer in seinen melodischen Gestaltungen mit Zuständen des Gemütslebens bekannt gemacht, und zwar in einer Mannigfaltigkeit und seinen Verzweigung, wie es seine Vorgänger kaum kannten. Die Melodien dieser letzten Epoche, im Tongebiet weit ausgreifend und in ihren Tonschritten und harmonischen Wendungen überall einfach und überzeugend, offenbaren eine Wärme und Innigkeit des Ausdruckes, die das Frühere entschieden hinter sich zurückläßt; sie zeigen eine Wahrheit und Reinheit, wie es ja die Musik immer soll, wie sie aber gerade in dieser Zeit bei Beethoven mit besonderem Nachdruck zu uns spricht; es ist oft als wolle der Meister uns noch mehr wie sonst sein Inneres zeigen, als wolle er sich unmittelbar und flehend an das Herz des Hörers wenden, daß es mit ihm fühle. Wie manche der Stimmungen, welche ihm in jenen Jahren eigen waren, erhalten hier einen überraschend wahren und überzeugenden Ausdruck: die Erhebung zum Göttlichen, das Hineinfühlen in eine reinere übersinnliche Welt, fromme und demütige Ergebung, rührende Hingabe, hoher Ernst, liebendes Umfassen seiner Mitmenschen, wiederum Schmerz und Leidenschaft, selbst Heftigkeit und Unmut finden ganz neue ergreifende Töne; auch edle Heiterkeit, tief in seiner Natur wurzelnd, fehlte nicht, wenn es ihm einmal gelang, über [82] die Eindrücke der Alltäglichkeit Herr zu werden. Wer mit Beethovens Werken dieser letzten Periode vertraut ist, dem werden unschwer Melodien vor der Erinnerung stehen, auf welche das Gesagte Anwendung findet; er wird ihre Eigenart unterscheiden und den »späten« Beethoven bis in die einzelnen Melodienschritte und melismatischen Figuren zu verfolgen wissen. Dazu kommt noch ein anderes. Beethoven, aus der Fülle des Herzens an das Herz sich wendend, ist in höherem Grade wie früher darauf bedacht, verstanden zu werden. Die äußeren Hinweise auf den Vortrag und Ausdruck sind häufiger und bewegen sich nicht ausschließlich in den üblichen Tempobezeichnungen, sondern sind mehrfach unmittelbar dem Affekt entnommen, z.B. »ermattet klagend«, »beklemmt«, »nach und nach wieder auflebend« usw. Damit verwandt ist das Bestreben, den inneren Zusammenhang der einzelnen Stücke eines größeren Werkes fühlbar zu machen und sich in den Formen und der Zahl der Sätze, seinen inneren Intentionen entsprechend, Freiheit zu gestatten; die überlieferten Formen verläßt er nicht, und wir stimmen Czerny nicht bei, wenn er auch hierin eine Wirkung der Gehörlosigkeit erblickt. Jedenfalls darf man sagen, daß Beethovens Kunst in der letzten Zeit ein in gutem Sinne subjektives Element beigemischt ist, daß er uns häufiger wie früher gleichsam in seine Werkstatt blicken läßt.

Hier muß noch auf einen Punkt hingewiesen werden, der auch diese letzte Periode bezeichnet, die Vorliebe für die polyphone Form, besonders die Fuge. Davon ist schon im vorigen Kapitel gelegentlich der Quintettfuge die Rede gewesen. Beethoven hat ja auch in Werken der früheren Zeit von der fugierten Form in freier Weise Gebrauch gemacht und Gegner, welche ihm die Fähigkeit dazu absprachen, verdienten schon damals keine Widerlegung; aber die ausgedehnte Pflege und Herrschaft, welche sie jetzt in Anspruch nimmt, fand sie früher nicht. Hauptbeispiele für die neue Zeit sind die Fuge in der Violocellsonate D dur Op. 102, die Quintettfuge, die Fuge in derB dur- Sonate, die große Quartettfuge, die Ouvertüre zur Weihe des Hauses und mehreres in der Messe und den letzten Quartetten. Daß Beethoven die Form beherrscht, wird wohl keines besonderen Beweises bedürfen; aber sein Absehen ist auch nicht bloß darauf gerichtet, dieses zu zeigen, sondern wie uns schon seine eigene Äußerung gezeigt hat, sie mit neuem Geiste zu erfüllen und die Phantasie walten zu lassen; wie er denn den Fortgang gern durch neue selbständige Elemente unterbricht. Hier führt er uns denn ganz an seine Arbeitsstätte, wir sehen ihn mächtig mit dem Stoffe ringen und ihn bezwingen, damit er seiner künstlerischen Idee entspreche. Aber das dürfen wir doch gestehen: der naturgemäße Ausdruck [83] seines Innern war es nicht; seine jetzt neu erwachte Vorliebe für diese Form war eine theoretische, der unbeugsamen Strenge des Künstlers gegen sich selbst und der hohen Verehrung für den Altmeister Bach entsprungen. Seine ganze Natur, wie sie sich bis dahin entwickelt, wies ihn auf die unmittelbare und nicht in dieser Weise gebundene Aussprache hin; da zündet er und reißt mit sich fort. So sehr wir den Meister in dem staunenswerten Aufbau dieser Sätze bewundern, so müssen wir doch sagen: es ist nicht unser Beethoven, den wir im Herzen tragen. Wir bewundern und verehren auch in diesen Sätzen die Kraft der Erfindung, so besonders in den Hauptmotiven, die Feinheit der Ausarbeitung, wir erkennen, mit welchem Ernste er bestrebt ist sie einzuleiten, ihnen ihre Stelle in dem psychologischen Zusammenhange anzuweisen, wie er durch die Anwendung der besonderen Künste und Feinheiten der Form den Sätzen besonderen Reiz und Nachdruck verleiht und wie auch hier die Phantasie frei waltet und uns aufs Innere zurückführt; für den Musiker werden sie immer eine Fundgrube für Züge genialer Meisterschaft bleiben, wie er sie denn auch mit besonderer Liebe ausgearbeitet hat; er legte besonderen Wert auf diese Arbeiten. Aber wenn wir von einem subjektiven Element in Beethovens späterem Schaffen reden, so gehört diese Neigung doch auch dazu.

Wir brechen von diesen Betrachtungen ab und nehmen den biographischen Faden wieder auf. –

Den Anfang des Jahres bezeichnet ein für Beethoven erfreuliches Ereignis, ein Zeichen der Huldigung von seiten eines seiner Londoner Verehrer; Thomas Broadwood, ein Mitglied der Firma John Broadwood und Söhne, machte ihm einen Flügel zum Geschenk. Thayer erhielt in dem Pianoforte-Magazin von Broadwood Einsicht in ein altes »Porter's book« und fand darin unterm 27. Dezember 1827 folgende Eintragung: »A 6 octave Grand P. F. No. 7362. tin and deal cases, Thos Broadwood Wsq., marked 2. Kapitel. Das Jahr 1818 care of F. E. J. Bareaux et Co. Trieste – a present to Mr. van Beethoven, Viene, delivd c [?] M Farlowes to be shipped. Millet.« Dieser Millet hatte also das wohlverpackte Instrument aus dem Warenraum aufs Schiff zu besorgen; wir müssen ihm für dieses Erinnerungszeichen dankbar sein. Thomas Broadwood hatte nicht lange vorher die wichtigsten Städte Deutschlands und Italiens besucht und auf dieser Reise, wie aus der späteren freundschaftlichen Anrede zu schließen ist, Beethoven wahrscheinlich persönlich kennen gelernt.6 Vielleicht hatte er ihm [84] schon damals angekündigt, ihm ein Instrument von seiner Firma zu schicken, und Beethoven hatte das Anerbieten angenommen. Thomas Broadwood kaufte nach seiner Rückkehr das Instrument, nachdem er es von mehreren hervorragenden Künstlern (darunter Ries) hatte prüfen lassen, und ließ es abgehen.7 Beethoven wurde benachrichtigt, wie wir aus folgendem undatierten Briefe an den Grafen Lichnowsky entnehmen:


»Mein sehr werther Freund,

mein lieber Graf!


aus beyliegendem ersehen sie die Lage der Sachen, ich zweifle nicht, daß man mir, ohne daß ich große Ansprüche machte, erlauben wird, dieses Instrument anzunehmen, zudem da es nun bald in Triest anlangen wird, Bridi hat von dem Engländer den Auftrag das geschäftsmäßige hiebey zu beforgen – ich warte nun das resultat von ihren gütigen Bemühungen oder Nachforschungen, alsdann wird wohl nichts besseres seyn, als mich an Se. EXZEllenz den gr. Stadion schriftlich oder mündlich zu wenden. – ich hoffe bald des Vergnügens, sie zu sehen, theilhaft zu werden;– mit inniger Liebe u. Verehrung


ihr

Freund Beethoven.«8


Daß Beethoven den Minister Grafen Stadion in Anspruch nehmen wollte, der die österreichischen Finanzen leitete, findet durch die Nachricht seine Erläuterung, daß die K. K. Hofkammer die Einfuhr des Instruments von Triest nach Wien zollfrei gestattete.9 Daß Beethoven keinerlei Kosten von [85] der Sache haben sollte, war auch die Absicht Broadwoods, wie aus dem Schreiben des in obigem Briefe genannten Kaufmanns Bridi10 hervorgeht, der das gleich zu erwähnende Dankschreiben Beethovens nach London übermittelte.

Er schreibt aus Wien am 5. Februar:


»Je profite de l'occasion, que Beethoven m'envoie cette lettre qui vous est dirigée pour faire reponse a votre amiable du 3e de Janvier dernier. J'ai envoyé la police de charge à Mr. Barraux et Co. à Trieste pour qu'ils prouvent l'Instrument en question, pour l'envoyer ici, Beethoven est dans la joie de son coeur, et veut vous consacrer la première composition qu'il fera, persuadé que le nouvel Instrument lui puisse inspirer quelque chose de bien bon. Je crois que votre intention est de livrer l'Instrument à Beethoven sans qu'il aie a payer les frais de Trieste et de notre Douane... Dans tous les cas dites moi de grace comment je dois me diriger.«


Der Brief Beethovens, nachdem er benachrichtig war, ebenfalls französisch geschrieben, lautet so:11


»A Monsieur

Monsieur Thomas

Broadwood

a

Londres

(en Angleterre)


Mon tres cher Ami Broadwood!


Jamais je n'eprouvais pas un plus grand Plaisir de ce que me causa votre Annonce de cette Piano, avec qui vous m'honorés de m'en faire présent; je regarderai comme un Autel, ou je deposerai les plus belles offrands de mon esprit au divine Apollon. Aussitôt comme je recevrai votre Excellent Instrument, je vous enverrai d'en abord les Fruits de l'Inspiration des premiers moments, que j'y passerai, pour vous servir d'un souvenir de moi à vous mon [86] très cher B., et je ne souhaits ce que, qu'ils soient dignes de votre Instrument.

Mon cher Monsieur et Ami recevés ma plus grande Consideration de votre Ami et très humble serviteur


Vienne le 3me

du mois Fevrier

1818.«

Louis van Beethoven.


Das Instrument lagerte eine Zeitlang in Triest und wurde dann zunächst zu Streicher in dessen Pianofortelager gebracht, wie wir aus dem obigen Berichte über die Ausstellung von 1862 (S. 85) und der Mitteilung von Cipriani Potter entnehmen. So kommt die Sache auch in den Briefen an Frau Streicher zur Erwähnung, an welche er schrieb:12


»An die Frau v. Streicher. Aus Beyfolgendem ersehen Sie die Lage der Sache – da ihr Herr Vetter von Krakau schon so gut sein will, so dürfte er nur nach dem Hr. Hofrath Anders auf der Hauptmauth fragen, der ihm auskunft geben wird u. von mir viele Empfehlungen an ihn machen, da seine schöne Tochter ebenfalls musikal. ist. Es handelt sich hauptsächlich darum daß man an die Hauptmauth in Triest von der hiesigen einen Befehl hinschicken kann, daß selbe dieses Instrument hieher verabfolgen lassen, sobald ich diesen Befehl von der hiesigen Hauptmauth habe, übergebe ich ihn an Henikstein u. Compagnie, welche damit beauftragt sind, das Instrument zu besorgen.


in Eil

Ihr Freund

Beethoven.«


Mit der Familie des Bankiers Henikstein war Beethoven schon lange bekannt (s. Bd. 3 S. 104) und hatte auch in Geldsachen vielfach mit dieser Firma Verbindung; welchen besonderen Auftrag dieselbe in diesem Falle neben Bridi hatte, wird nicht gesagt und wird kaum bestimmt aufzuklären sein. Bridi hatte seinen Auftrag von Broadwood und derselbe bezog sich, wie aus den Angaben ersichtlich, auf den zollfreien Eingang des Instruments in Triest und die gleiche Überführung nach Wien;13 wohin es dort kommen sollte, wie es in Beethovens Wohnung (nach dem Folgenden wohl gleich nach Mödling) gebracht werden sollte, das waren noch Gegenstände besonderer Mühewaltung, und es ist verständlich, daß Beethoven hier die Hülfe einer ihm bekannten Firma in Anspruch nahm. Wir können dies ebenso wenig genau [87] feststellen, wie die Verhältnisse der sonst in dem Briefe an Frau Streicher genannten Personen, welche übrigens in Beethovens Geschichte nicht weiter eingreifen. Nur der Herr Vetter in Krakau wird noch einmal in einen Zettel an Frau Streicher genannt, wo er Geld wechseln soll; seinen Namen erfahren wir auch da nicht und Beethoven kennt ihn offenbar nicht.

Einen Bericht über die Sendung verbunden mit einer Beschreibung des Instruments, vermutlich aus Bernards Feder, brachte das Wiener Modenjournal vom 23. Januar 1819. »Dieser« [der Geschenkgeber], heißt es dort, »ist Herr Broadwood in London, der das vorzüglichste Pianoforte, das sich daselbst zu solchem Zwecke würdig darboth, auswählte und es als Zeichen seiner Verehrung von Beethovens hohem Genius demselben frachtfrey in seine damahlige Sommerwohnung nach Mödling nächst Wien übersandte. Dieses kostbare und schöne Instrument hat sechs ganze Octaven vom Contra C bis fünfgestrichenen c, deren Klang durchaus voll, schön und kräftig und in den Contra-Tönen majestätisch, im Discant singend ist. Der Anschlag ist jenem eines guten Clavichords zu vergleichen und alle Modificationen eines Tons lassen sich ohne besonderen Zug hervorbringen. –14 Übrigens ist an diesem Instrumente alles von solcher Dauerhaftigkeit, daß es hierin mit keinem andern zu vergleichen ist. Einen Begriff von der Haltbarkeit seiner Stimmung kann es geben, wenn man bedenkt, daß es die Reise zur See von London, wo es Anfangs Januar 1818 abging, nach Triest, wo es bis Ende May gestanden,15 von da auf der Achse nach Wien, und von Wien nach Mödling gemacht hat, ohne daß es bey seiner Ankunft nöthig gewesen wäre, irgend einen Ton zu stimmen.16 Kurz es ist ein wahres Meisterwerk, im Innern des Baues, wie im Aeußern, das sich durch Einfachheit, Schmucklosigkeit, Festigkeit und Bewegbarkeit nach jedem beliebigen Orte hin, vor allen andern auszeichnet.

Auf der obern Seite über dem Griffbrette findet sich folgende lateinische Inschrift:

Hoc Instrumentum est Thomae Broadwood (Londini) donum, propter Ingenium illustrissimi Beethoven.

Vorn über dem Griffbrette ist der Name


Beethoven


[88] mit großen Lettern von schwartzgebeitztem Ebenholz eingelegt und darunter die Namen der Verfertiger:John Broadwood & Sons, Makers of Instruments to His Majesty and the Princesses.

Great Palteney Street. Golden Square. London.

Zur Rechten über dem Griffbrette befinden sich die autographischen Namen von fünf der ersten Klavierspieler Londons als Bestätiger von der Vortrefflichkeit des Instruments, nämlich


Frid. Kalkbrenner

Ferd. RiesJ. L. Cramer

C. G. FerariC. Kuyvelt.17


Bey Gelegenheit der Übersendung dieses Instrumentes hat die K. K. Hofkammer einen eben so ehrenden als ermunternden Beweis der Würdigung der hohen Talente unsers Beethoven dadurch an den Tag gelegt, daß sie die Einfuhr desselben von Triest bis an Ort und Stelle zollfrey gestattete.« Der Schreiber erwähnt hier Streicher nicht und wußte vielleicht nicht, daß es zunächst dorthin gebracht wurde. Für die Zeit der Überführung nach Mödling mag es einen Anhalt geben, daß Beethoven seit dem 19. Mai in Mödling war.

Wir erfahren hier nochmals, daß Thomas Broadwood der Geschenkgeber war.

Einige Tage nach dem Eintreffen des Instruments, während es noch in Streichers Magazin lagerte, wurde C. Potter von Streicher gebeten, mit ihm zu gehen und es zu versuchen, wobei er sagte, daß Moscheles und andere nichts mit demselben machen könnten, der Ton sei schön, aber die Mechanik zu schwerfällig um darauf zu spielen. Potter, welcher an die Instrumente aus englischen Fabriken gewöhnt war, fand keine Schwierigkeit, die Schönheiten des Instruments hervortreten zu lassen. Es war sehr verstimmt, was er auch Beethoven gegenüber bemerkte. Dieser aber erwiderte im wesentlichen: »So sagen sie alle, sie möchten es stimmen und verderben, aber sie sollen es nicht berühren.« Es scheint wirklich, daß er es nie stimmen ließ; nur mit Stumpff aus London, der ihn mit einer Empfehlung Broadwoods besuchte, machte er eine Ausnahme.18

Das Instrument fand auch bei späteren Besuchern noch Bewunderung; [89] einmal hat er es zur Reparatur weggegeben. Aus seinem Nachlasse wurde es von Spina angekauft, von welchem es an Fr. Liszt geschenkt wurde.

Und nun müssen wir zu trüberen Erlebnissen des Jahres übergehen. –

Der Entschluß Beethovens, seinen Messen aus dem Institute Giannatasios wegzunehmen, war gefaßt; die baldige Ausführung desselben kündigt der folgende Brief an:


den 6. Januar 1818.


»P. P.


Damit kein Irrthum obwalten möge, nehme ich mir die Freiheit Ihnen gehorsamst anzuzeigen, daß es leider dabei bleiben muß daß mein Neffe Ende dieses Monats Ihr vortreffliches Institut verlasse. Was Ihren anderen mir gemachten Vorschlag betrifft, so sind auch hier mir die Hände gebunden, indem dadurch andere Zwecke zum Besten meines Neffen gänzlich vereitelt würden; doch danke ich Ihnen noch sehr für Ihre gute Absicht.

Umstände können es heischen daß Karl noch früher als Ende dieses Monats abgeholt werde, und da ich wahrscheinlich nicht hier, von Jemandem den ich dazu bestimme. Ich sage Ihnen dieses jetzt schon, damit Ihnen nicht irgend etwas hierbei besonders auffallen möge; übrigens wird mein Neffe und ich Ihnen zeitlebens. dankbar sein. An Karl habe ich bemerkt daß er dieses jetzt schon ist, und dieses ist mir ein Beweis daß er zwar leichtsinnig aber doch keine Bösartigkeit in ihm herrsche, noch weniger ein schlechtes Herz habe. Ich hoffe alles Gute von ihm um so mehr, da er nun schon beinahe 2 Jahre sich unter Ihrer vortrefflichen Leitung befand. –


Mit wahrer Hochachtung Ihr Freund

L. v. Beethoven.«


[90] Diese Mitteilung wirkte schmerzlich auf das Gemüt der armen Fanny; am 8. Januar schreibt sie in ihr Tagebuch:


»Sonntags kränkte mich sehr was uns von Beethoven kam. Des Vaters Vorschlag, Karln um sehr geringes Geld zu behalten, nahm er nicht an, aus Gründen, welche er uns verschweigt und Ende dieses Monats müssen wir uns von ihm trennen, und mit ihm, wie es scheint, von jeder näheren Verbindung mit unserem so theueren Beethoven, der uns aber schon seit unserer näheren Bekanntschaft manchen Kummer bereitet. Ich wußte nicht gleich, was mir bei der Sache so sehr wehe that? Die Art wie sie geschieht. Der förmliche äußerst höfliche, aber nicht herzliche Brief, welchen er dem Vater geschrieben, nicht die mindeste Erwähnung von ihm, nebst dem Vorhersagen, daß; Karln ein Bestellter abholen würde., [weil er wahrscheinlich zu der Zeit verreist sein würde.]. Dies Benehmen aus welchem ich nur zu deutlich abnehme, daß er nicht gegen uns so denkt, wie er sollte und wie wir es verdienen, verursacht mir wirklich Schmerz und macht uns die Trennung von Karln nur desto fühlbarer.«


Noch am folgenden Tage wiederholen sich die »wehmütigen Empfindungen, welche der Gedanke an Beethoven und düstere Blicke in die Zukunft« in ihr erregten. Der Entschluß war unabwendbar; am 24. Januar schreibt Beethoven wieder:


»Ich komme nicht selbst, da es immer eine Art von Abschiednehmen wäre, und dergleichen habe ich von jeher vermieden.

Empfangen Sie die ungeheucheltsten Danksagungen für den Eifer und die Rechtlichkeit und Redlichkeit, womit Sie sich der Erziehung meines Neffen angenommen haben. – Sobald ich nur ein wenig zu mir selbst komme, besuchen wir Sie; übrigens wünsche ich der Mutter wegen, daß es eben nicht zu sehr bekannt werde, daß mein Neffe jetzt bei mir ist,

Ich grüße Sie alle und danke der Frau A. G. noch insbesondere für ihre an meinem Karl bewiesene mütterliche Fürsorge.


Mit wahrer Achtung

L. v. Beethoven.«


Dieser Brief beruhigte auch Fanny; an demselben Tage schreibt sie ins Tagebuch:


»Heute Morgen ist Karl Beethoven ausgetreten, um bei seinem Onkel zu leben. Möge er ihm doch alle Sorgen und Aufopferungen, durch sein Gelingen lohnen! Das schmerzliche dieses Abschiedes, war durch einen sehr herzlichen Brief seines theueren Oheims gemildert; überhaupt hat mich schon früher Einer über unsere unangenehmen Vermuthungen, daß ein Mißverständniß zwischen ihm und uns obwalte, beruhigt.«


Es trat jetzt für längere Zeit eine Unterbrechung der Beziehungen zur Familie Giannatasio ein. »Von Beethoven hören wir gar nichts,« [91] schreibt sie am 15. Juni. »Gestern in Brühl war die Zeit zu kurz, um ihn zu besuchen.« Beethoven war damals in Mödling.

Ob Beethoven sich über die Zweckmäßigkeit seines Entschlusses ganz klar war? Er glaubte es. Am Tage vor Karls Austritt, den 23. Januar, schrieb er an Frau von Streicher: »Morgen trifft Karl ein und ich habe mich in ihm geirrt, daß er vielleicht doch vorziehen würde, da zu bleiben. Er ist frohen Muthes und viel aufgeregter als sonst, und zeigt mir jeden Augenblick seine Liebe und Anhänglichkeit, übrigens hoffe ich, daß sie sehen, daß ich in einem einmal etwas fest beschlossenen nicht wanke, und Es war so gut!« Wir dürfen gegenwärtig objektiv zu urteilen versuchen.

Der Entschluß, welchen Beethoven jetzt faßte, den Knaben ganz unter seiner Obhut zu nehmen, machte seinem Herzen und seinem hohen Pflichtgefühl Ehre; wir verehren die idealen Beweggründe, welche sein Handeln bestimmten, die Pietät für den verstorbenen Bruder, die Liebe zu dem Knaben, wir bewundern ihn, wie er die Absicht, denselben zum guten und brauchbaren Menschen zu erziehen, auch mit großen persönlichen Opfern durchzuführen trachtet; es ist ihm geradezu eine religiöse Pflicht, wie die Äußerungen im Tagebuche erkennen lassen. Das darf uns aber nicht blind machen gegen die Kehrseite des Bildes, und der Verlauf der Ereignisse, besonders die schließliche Katastrophe rechtfertigen uns, wenn wir den Entschluß Beethovens einen übereilten und verfehlten nennen müssen. Wer hätte ihm auch sagen sollen, daß ihm zum Erzieher alles fehlte? Solche Fragen praktischer Art hatten ihn ja in seinem weltentrückten Dasein nie beschäftigt, er war überall in seinem Verfahren vom Gefühl, mitunter vom augenblicklichen Impuls geleitet. Er liebte den Knaben zärtlich und verkannte seine Begabung nicht, er erwartete Großes von seiner Entwickelung; schon seine Zeitgenossen zweifelten, ob er sich darin nicht täusche (vgl. Morgenblatt für 1819 bei Nohl, Beethoven nach der Schild. s. Z. S. 137). Von seiner gesamten Natur, besonders seiner Gemütsanlage, hatte er keine klare Anschauung, verkannte seine sittlichen Schwächen, seine Neigung zu Leichtsinn und Unwahrheit und schenkte ihm ein oft gar nicht gerechtfertigtes Vertrauen. So war auch sein Verfahren kein einheitliches, systematisches und konsequentes; bald übermäßig streng und hart bis zur Leidenschaftlichkeit, dann wieder weich und zum Verzeihen geneigt, wie wir ihn ja auch in anderen Verhältnissen kennen; so konnte eine feste Autorität und tiefer greifender Einfluß auf den leichtfertigen Knaben nicht erwachsen, ebenso wenig bei dem Knaben wirkliche Anhänglichkeit und Ehrfurcht, wie die Folge zeigte. Offenheit, eifriges Pflichtgefühl, Selbstbeherrschung, lebendiger Trieb zum [92] Guten konnte in dem Knaben sich nicht entwickeln. Fräulein Giannatasio findet es in einer Betrachtung vom 3. April 1816, als der Knabe im Institut war und Beethoven ihm einen schönen Brief geschrieben hatte, doch nicht ganz recht, »daß er ihn nicht in seiner Unbefangenheit fortleben läßt, sondern ein Vertrauen in Anspruch nimmt, dessen Vortheile und Werth der Kleine gar noch nicht zu schätzen weiß und ihn auf diese Weise nur grübeln machen könnte, was ihm etwa noch fehle, oder nach seiner nicht zu großen Liebe zur Wahrheit, noch gar verleiten könnte, ihm Unwahrheiten vorzusagen. Doch das kömmt wohl von dem Wunsche ihm die Liebe einer Mutter zu ersetzen, und ihm alles zu sein.« Sie zeigt durch diese Worte gute Einsicht.

Am wenigsten können wir uns mit den Maßregeln befreunden, welche die Absperrung des Knaben von seiner Mutter bezweckten; was auch nicht der Gesinnung des verstorbenen Vaters entsprach. Daß er ihr wehe tun muß, beklagt auch er im Tagebuch, auch das ist ihm von höherer Hand gesetzte Pflicht. Wir haben keinen Beruf, für diese nach allen Nachrichten schlechte und sittlich verkommene Frau hier irgendwie eine Lanze zu brechen; Beethovens Abneigung gegen sie war nur zu wohl begründet, ebenso sein Wunsch, einen schlechten Einfluß derselben auf den Sohn tunlichst zu verhindern. Er selbst aber erinnerte sich in einem Briefe einmal daran, daß es eben doch die Mutter war. »Karl hat gefehlt,« schreibt er aus Mödling an Frau Streicher, »aber – Mutter – Mutter – selbst eine schlechte bleibt doch immer Mutter. Insofern ist er zu entschuldigen, besonders von mir, da ich seine ränkevolle leidenschaftliche Mutter zu gut kenne.« Warum zog er nicht die Konsequenz dieser Gesinnung? warum duldete er es, daß der Knabe selbst bei ihm unehrerbietig von der Mutter sprach? Warum sucht er das Zusammenkommen tunlichst einzuschränken? Wenn die Mutter aus natürlichem Triebe – wenn wir das Wort Liebe bei dieser Frau nicht anwenden wollen – den Sohn sehen und wissen wollte, wie für ihn gesorgt wurde, wenn andererseits der Sohn die Anhänglichkeit an die Mutter bis späthin behielt, wie die Ereignisse nach der traurigen Katastrophe von 1826 zeigen, so floß das aus dem natürlichen Verhältnisse, welches durch gerichtlichen Spruch und Weisungen des Vormundes sich nicht einfach aus der Welt schaffen ließ. Das Intriguenspiel der Mutter, bei welchem sie den Knaben und die Dienstleute hineinzog, wurde durch dieses rigorose Auftreten des Oheims geradezu herausgefordert.19 Wir können in diesem Verhältnis [93] unsern Meister bei aller Anerkennung seiner edlen Absicht nicht mit unserer Sympathie begleiten.

Und erfahren wir, daß der seinem Schaffen hingegebene Meister, bei seiner Schwerhörigkeit und Kränklichkeit, die ihm an sich schon die Übernahme so hoher Verpflichtungen verbieten mußte, seine Lebensgewohnheiten dem Knaben zuliebe geändert, daß er sich demselben mit besonderer Sorge gewidmet hätte? Das konnte er wohl kaum. Eine Haushaltung allerdings wurde eingerichtet; aber man tue nur einen Blick in die Briefe an die stets hülfsbereite Frau Streicher,20 man nehme Kenntnis von all den Sorgen um Essen, Wäsche usw., von den Missetaten der »Nanni« und, »Peppi« und der Bedienten, und frage sich, ob Beethoven solchen Sorgen gewachsen war. Er brachte große Opfer, größere noch als er voraussehen konnte, selbst sein Schaffen wurde zeitweise dadurch beeinträchtigt. Unseres warmen Mitgefühls an diesen tragischen Erlebnissen ist er gewiß; aber es hilft nichts die Augen davor zu verschließen, daß dem unpraktischen, zum Erziehen nicht geschaffenen Manne ein Teil der Schuld zugeschrieben werden muß an der traurigen Katastrophe, die ihn nicht lange vor seinem Ende so schmerzlich traf.

Diese trüben Ereignisse begleiten uns auch noch während der folgenden Jahre, weshalb wir hier einstweilen damit inne halten. Wir führen für jetzt nur noch an, daß zunächst ein Privatlehrer für Karl angenommen wurde, um ihn zum Herbst für den Gymnasialkursus vorzubereiten; Beethoven hatte, wie er an Frau Streicher schreibt, einen der ausgezeichnetsten Professoren an der Universität gefunden, welcher ihm alles, was Karls Unterricht betreffe, aufs beste besorge und anrate.21 Diesen Entschluß mit dem »Hofmeister« will er aber ganz geheim gehalten wissen. Ob derselbe – wir wissen nicht wer es war – seinen Erwartungen entsprach, erfahren wir nicht; nur klagt er einmal, daß er über Nacht nicht nach Hause gekommen sei. Wie lange dieses Verhältnis gedauert hat, ist nicht bekannt; da aber noch im Januar Beethoven davon spricht, halben Juni oder Ende [94] September Wien verlassen zu wollen, so wird er solche Einrichtungen wohl nicht auf lange Hand hin getroffen haben. Für jetzt war nun freilich seiner Verhältnisse wegen die Reise nach London aufgegeben. Am 5. März schreibt er aus Wien an Ferdinand Ries:22


»Mein lieber Ries!


Trotz meinen Wünschen war es mir nicht möglich dieses Jahr nach London zu kommen; ich bitte Sie der philharmonischen Gesellschaft zu sagen, daß mich meine schwächliche Gesundheit daran verhindert; ich hoffe aber, dieses Frühjahr vielleicht gänzlich geheilt zu werden, und alsdann von dem mir neu gemachten Antrage der Gesellschaft im Spätjahre Gebrauch zu machen und alle Bedingungen derselben zu erfüllen.23

Neate bitten Sie in meinem Namen, daß er von so manchen Werken, die er von mir hat, wenigstens keinen öffentlichen Gebrauch mache, bis ich selbst komme; wie es nun auch mit ihm beschaffen sein mag, ich habe Ursache, mich über ihn zu beschweren.

Botter [C. Potter] besuchte mich einigemal, er scheint ein guter Mensch zu sein und hat Talent zur Composition; – ich wünsche und hoffe für Sie, daß sich Ihre Glücks-Umstände täglich verbessern; leider kann ich das nicht von mir sagen. Durch meine unglückliche Verbindung mit diesem Erzherzog bin ich beynahe an den Bettelstab gebracht, Darben kann ich nicht sehen, geben muß ich; so können Sie auch denken, wie ich bei dieser Sache noch mehr leide. Ich bitte Sie mir einmal bald zu schreiben. Wenn es mir nur möglich, mache ich mich noch früher von hier weg, um meinen gänzlichen Ruin zu entgehen, und treffe alsdann im Winter spätestens in London ein.

Ich weiß daß Sie einem unglücklichen Freunde beistehen werden; wäre es nur in meiner Macht gewesen, und wäre ich nicht, wie immer hier, durch Umstände gebunden gewesen, gewiß ich hätte weit mehr für Sie gethan. – Leben Sie recht wohl, grüßen Sie mir Neate, Smart, Cramer – obschon ich höre, daß er ein Contra- Subject von Ihnen und mir ist; unterdessen verstehe ich schon ein wenig die Kunst, dergleichen zu behandeln, und in London werden wir doch trotz dem eine angenehme Harmonie hervorbringen.

Ich grüße und umarme Sie von Herzen.


Ihr Freund

Ludwig van Beethoven.


Viel Schönes an Ihre liebe

schöne (so wie ich höre) Frau.«


Die unmutige Außerung über den Erzherzog, welche Ries weggelassen hatte, kann nur seiner ganz mißmutigen Stimmung über seine Gesundheit und seine Verhältnisse zu gute gehalten werden; sie war sicher ganz ungerecht [95] und Beethovens nicht ganz würdig, wie auch die Vergleichung mit den Äußerungen dem Erzherzog selbst gegenüber ergibt. Er hat gewiß nicht gedacht, daß solche Äußerungen jemals vor andere Augen kommen könnten.

Da nun der Reiseplan hinausgeschoben war – bekanntlich wurde auch diesmal nichts aus demselben –, so wurde wieder ein Sommeraufenthalt ins Auge gefaßt; es wurde Mödling gewählt, dessen schöne Umgebung (das Thal Brühl [»die göttliche Briel« wie Beethoven einmal aufschreibt]) seine Phantasie besonders anregte.24 »Am 19. Mai,« lesen wir in seinem Tagebuche, »hier in Mödling eingetroffen.« Seine Wohnung nahm er in dem sog. Hafnerhause in der Hauptstraße, welches jetzt eine Gedenktafel trägt. Hier, im Hause und im Freien, wendete er sich bald seinen Arbeiten zu, zunächst wohl der weiteren Förderung der B dur- Sonate. Hier gebraucht er für seine Gesundheit Bäder, nach dem Tagebuche vom 21. Mai ab.

Nach Mödling nahm er nun auch den Neffen mit, außerdem zwei Dienstboten, deren Bleibens aber nicht lange war, da sie hinter Beethovens Rücken den Verkehr Karls mit seiner Mutter unterstützten. Noch im Februar lesen wir im Tagebuche: »Seit 10. August sah die Mutter Karl nicht,« so lange also war es Beethoven gelungen, sie von ihm fern zu halten. Wie oft es ihr in den nächsten Monaten gestattet war, den Knaben zu sehen, wird nicht berichtet; der von Beethoven verbotene Verkehr hatte schon vor der Übersiedelung nach Mödling wieder begonnen, wie wir dem gleich zu nennendem Briefe entnehmen. Die Mutter, welcher ersichtlich daran lag, von den Plänen für den Mödlinger Aufenthalt und der ganzen Versorgung Karls Kenntnis zu haben, hatte zu dem Mittel gegriffen, die Dienstboten mit Geld und anderem zu bestechen; dessen wenigstens beschuldigte sie Beethoven, er war im höchsten Grade aufgebracht. Das ersehen wir aus dem langen Briefe, welchen er am 18. Juni an Frau Streicher schrieb, und den man im Anhange findet (I); gegen den Schluß desselben heißt es: »ich lade sie noch nicht ein hieher, denn alles ist in Verwirrung; jedoch wird man nicht nöthig haben mich in den Narrenthurm zu führen. – ich kann sagen, daß ich schon in Wien schrecklich wegen dieser Geschichte gelitten u. daher nur still für mich war. – Leben Sie recht[96] wohl, machen sie nichts hiervon bekannt, da man auf Karl nachtheilig schließen könnte; nur ich da ich alle Triebräder hier kenne, kann für ihn zeugen, daß er auf das schrecklichste verführt ward.« Karl wurde unter dem Versprechen voller Vergebung zum Geständnis gebracht, die Dienstboten, Peppi und »die alte Verrätherin« Frau D. wurden gleich weggejagt und Frau Streicher mußte wieder angegangen werden, fürs Haus mit zu sorgen.25 Ein Stubenmädchen und»die Französin« (für den Unterricht?) wird gewünscht.

Beethoven brachte den Knaben in eine Knabenklasse, welche der Pfarrer des Orts Fröhlich unterrichtete. Aus Gründen, welche er selbst angab,26 sah dieser sich genötigt, den Knaben nach einmonatlichem Unterricht aus der Schule wieder zu entlassen. Der Pfarrer führte einmal die mißlichen häuslichen Verhältnisse an, die Taubheit Beethovens und die Abneigung gegen die Mutter, welche den Knaben zu häßlichen Reden über dieselbe verleite, und die Nötigung, in die derselbe sich versetzt glaubte, dem Onkel Unwahrheiten zu sagen, wofür er des Knaben eigenes Geständnis anführt, dessen Talent er übrigens anerkennt, dann seine Gleichgültigkeit beim Religionsunterricht, und seine Ausgelassenheit in der Kirche und auf der Gasse, worüber die Ortsbewohner Klage führten; nach fruchtlosen Vorstellungen habe er den Knaben entlassen müssen, um seine übrigen Schüler nicht zu schädigen. Waren diese Angaben richtig, dann können wir den Pfarrer nicht tadeln, so sehr er auch den Zorn Beethovens erregte. Die Folgen des unrichtigen Schrittes, den Knaben aus der Familie und Schule Giannatasios wegzunehmen, begannen sich zu zeigen.

Wir verlassen auf kurze Zeit diesen unerfreulichen Gegenstand, der uns noch in demselben Jahre und in den folgenden beschäftigen wird, und wenden uns erfreulicheren Mitteilungen zu, welche uns Beethoven in seinem eigentlichen Elemente wieder näher bringen. –

Es war in diesem Jahre, daß Beethoven mit der Gesellschaft der Musikfreunde in Berührung kam; über diese seien daher einige einleitende Bemerkungen gestattet, welche wir den Angaben der Schrift von C. F. Pohl, »Die Gesellschaft der Musikfreunde« (Wien 1871) im wesentlichen entnehmen.27 Eine glänzende Aufführung von Händels »Timotheus« im November und Dezember 1812 hatte die Folge, daß kurz nachher auf [97] Jos. v. Sonnleithners Anregung die »Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaats« zusammentrat mit dem Hauptzweck der »Emporbringung der Musik in allen ihren Zweigen«, die hochverdiente Gesellschaft, welche noch heute nach der theoretischen und praktischen Seite eine eingreifende Wirksamkeit übt. 1814 erhielten ihre Statuten die kaiserliche Genehmigung; Erzherzog Rudolf übernahm das Protektorat. Regelmäßige Aufführungen wurden in Aussicht genommen; das erste eigentliche Gesellschaftskonzert war am 3. Dezember 1815; Leiter war Vincenz Hauschka, Violoncellist und Mitglied des leitenden Ausschusses,28 der auch in der Folge wiederholt, am häufigsten im ersten Jahrzehnt, die Leitung führte; die Musikfeste leitete in dem ersten Jahre Mosel. Beethoven begegnet häufig auf den Programmen.29 Als Hauptzweck verfolgte die Gesellschaft den Gedanken, ein Konservatorium zu gründen, wozu Ende 1816 die Mittek vorhanden waren; als erster Schritt dazu wurde die Errichtung einer Singschule beschlossen, welche im August 1817 erfolgte; auf dieser Grundlage hat sich das Konservatorium weiter entwickelt, was an dieser Stelle nicht verfolgt werden kann.

Schon 1815 ließ die Gesellschaft Beethoven durch Zmeskalls Vermittelung ersuchen, ein größeres Werk für sie zu komponieren, wozu er auch bereit war; man sah seinen Bedingungen entgegen; er hatte brieflich bei Zmeskall angefragt, ob ihm ein Honorar von 400 Dukaten wohl bewilligt würde.30 Am 17. Mai 181831 erhielt Hauschka von dem Repräsentantenkörper der Gesellschaft den Auftrag, mit Beethoven zu unterhandeln, »daß derselbe ein Oratorium heroischer Gattung für den ausschließenden Gebrauch der Gesellschaft auf I Jahr vom Tage der ersten Aufführung an gerechnet gegen ein Honorar von 200, höchstens 300 Stück in Gold in Musik setzen will.« Hauschka entledigte sich des Auftrags; Beethoven erhielt seinen Brief in Mödling und antwortete folgendes:32


[98] »Bestes Erstes Vereins Mitglied33

der Musik-Feinde

des österreichschen Kaiserstaats!


2. Kapitel. Das Jahr 1818

34


Kein anderes als geistliches Sujet habe ich, ihr wollt aber ein Heroisches, mir ist's auch recht, nur glaube auch was geistliches hinein zu mischen würde sehr für so eine solche Masse am platz sejn


2. Kapitel. Das Jahr 1818

Hr. v. Bernard wäre mir ganz recht, nur bezahlt ihn aber auch, von mir rede ich nicht, da ihr euch schon Musik Freunde nennt, so ist's natürlich, daß ihr manches auf diese rechnung gehn laßen wollt ––––!!! nun leb wohl bestes Hausekerel, ich wünsche dir einen offenen stuhlgang u. den schönsten leibstuhl, was mich angeht, so wandle ich hier mit einem Stück notenpapier [99] in Bergen Klüften, u. Thälern umher, u. schmiere manches um des Brodts u. Geldes willen, denn auf diese höhe habe ichs in diesem allgewaltigen ehmalichen Faijäken Lande gebracht, daß, um einige Zeit für ein großes Werk zu gewinnen, ich i ier vorher viel schmieren um des geldes willen muß, daß ich es aushalte bei einem großen Werk – übrigens ist meine gesundheit sehr gebessert u. wenn es Eile hat, so kann ich euch schon dienen –


2. Kapitel. Das Jahr 1818

35


wenn du nöthig findest mit mir zu sprechen, so schreibe mir, wo ich alsdenn alle Anstalt dazu treffen werde –


meine Emphelung an die Musikfeindliche gesellschaft


in Eil dein Freund

Beethoven.


An Seine Wohlgeboren

Herrn von Hauschka

Erstes Vereinsmitglied

der F – des öst. K.

statt. – wie auch groß

kreuz des Violonschell

ordens

etc. etc.«


[100] Diesen Brief setzt Schindler ebenfalls in das Jahr 1818 und wird dabei gewiß Recht haben,36 denn das war, wie der ganze Ton und Inhalt zeigt, kein offizielles Schreiben an die Gesellschaft; dieses erging erst später (nach dem Protokoll der Gesellschaft37 am 15. Juni 1819) und es ist gewiß vorher noch durch Hauschka weiter verhandelt worden, da sich Beethoven in dem Briefe über sein eigenes Honorar gar nicht hatte äußern wollen. Welches das vorläufige Ergebnis dieser Verhandlungen war, ersieht man aus eben jenem Antwort schreiben, in welchem Beethoven den Empfang eines Vorschusses von 400 Gulden bestätigt; diesen aber soll er nach Pohl (S. 9) erst am 18. August erhalten haben. Daß es zur Ausführung des Planes überhaupt nicht gekommen ist, ist bekannt und kommt auch später noch zur Sprache. –

Noch ein paar kleinere Zuschriften an Hauschka dürften ebenfalls den Beziehungen zur Gesellschaft entsprungen sein.


»Für Seine Wohlgeboren Herrn L. Haußka beym rothen Apfel 3ten Stock in der Musik Kanzley in der Singerstraße.

Liebes Hauschkerl! Schicke mir die Partitur und Stimmen von der Sinfonie in Es und wenn es möglich ist noch heute da ich Morgen auf's Land gehe, sollte man mich Morgen nicht mehr finden, so hat sie der Träger nur unten beim Haußmeister abzugeben – wegen unsern übrigen Vorhaben werde ich bald mit dir sprechen, ich bin zu allem bereit, wo ich sonst der Gesellschaft des Musik-Vereins mit meinen geringen Talenten dienen kann, und freue mich, daß wenigstens schon ein Anfang gemacht zur Grundlegung eines künftigen Konservatoriums. Dein wahrer Freund Beethoven.«38


Beethoven erbittet sich also Partitur und Stimmen der Eroica, welche hiernach Hauschka in Händen hatte, zurück; zu welchem Zwecke gibt er nicht an. Nun war die Sinfonie in Es (die Eroica), und zwar der erste Satz, am 3. Mai 1818 in einem Gesellschaftskonzert aufgeführt worden, dann [101] die ganze Symphonie am 20. Februar 182039 und am 27. November 1825. Die Erwähnung des Konservatoriums in dem Briefe macht es, wie Frimmel richtig bemerkte, klar, daß er nicht lange nach der Gründung des Konservatoriums (1817) geschrieben wurde, so daß von jenen drei Jahren das Jahr 1818 am wahrscheinlichsten ist. Noch Mitte des Monats Mai ging Beethoven aufs Land; die Übersiedelung aufs Land wird ebenfalls in dem Briefe erwähnt. Demnach war es bald nach jener Aufführung und unmittelbar vor der Abreise, daß er sich die Symphonie zurück erbat.

Ein weiterer Brief bezieht sich ebenfalls auf eine Aufführung, welcher er vorhergeht:40


»An H. Vz. Hauschka.


Ich schicke dir mein lieber H. 8 Bässe, 4 Violen 6 2den und 6 Primen, nebst 2 Harmonieen, partitur kann ich keine schicken, da ich keine als die Meinige habe, welche für jeden andern als für mich zu klein geschrieben ist, gut ist es aber eine Partitur dabey zu haben ihr könnt sie bei Steiner im Vaterunser gäßl haben. –

ich bin wieder nicht wohl u. werde gewiß nächstens mit Dir sprechen.


Dein

Freund

Beethoven m/p


NB. ausgeschriebene Stimmen kannst du noch mehrere bey mir haben.«


Da das aufzuführende Werk nicht angegeben wird, muß auch die Zeitbestimmung dieses Briefes ungewiß bleiben. Werke Beethovens, bei welchen Orchester erforderlich war, wurden seit 1816 in den Gesellschaftskonzerten wiederholt aufgeführt, so die C dur-Symphonie 1822, die D dur-Symphonie 1816, 1819, 1823 und 1826, die Eroica 1818, 1820 und 1825, die B dur-Symphonie 1821, 1825, die C mol-Symphonie 1820, 1822, die A dur-Symphonie 1817, 1821, 1826, die F dur-Symphonie (Nr. 8)1820, 1824, die Ouvertüren zu Coriolan 1818, zu Egmont 1816, 1822, 1823, 1826, zu Prometheus 1819, Adagio und Allegro des Violinkonzerts 1816 und mehrere Gesangwerke. Die Klage wegen Unwohlseins paßt schon in das Jahr 1816 und mehrere der folgenden Jahre, daher sind wir nur auf Vermutungen angewiesen. Frimmel (S. 102) dachte an 1816 und das Violinkonzert, was nicht unwahrscheinlich ist. –

Eine andere Anregung erhielt er in diesem Jahre, welche von dauerndem Erfolge sein sollte. Schon um die Mitte des Jahres 1818 war, wie [102] Schindler erzählt, die Ernennung des Erzherzogs Rudolf zum Erzbischof von Olmütz in Wien eine bekannte Tatsache. Der Tag seiner Installation wurde auf den 9. März 1820 festgesetzt. »Ohne irgendwelche Aufforderung,« erzählt Schindler,41 »faßte Beethoven den Entschluß zu dieser Feierlichkeit eine Messe zu schreiben, sich somit nach langen Jahren wieder dem Zweige seiner Kunst zuzuwenden, zu dem er sich – wie er oft geäußert – neben der Sinfonie am meisten hingezogen fühlte. Dieser Entschluß möchte wohl deutlich zeigen, daß der oben angeführte Ausfall gegen, diesen Erzherzog' nur einer vorüberziehenden Wolke vergleichbar, wüßten wir überdies nicht, daß der Meister keine Gelegenheit versäumt hatte, um seinem durchlauchtigsten Zöglinge die vollste Anhänglichkeit zu beweisen. Im Spätherbste von 1818 sah ich diese Partitur beginnen, nachdem so eben die Riesen-Sonate in B dur, Op. 106, beendigt war.«

Diese letztere Angabe bezüglich der B dur-Sonate ist nach aller Wahrscheinlichkeit unrichtig; im übrigen haben wir keinen Grund, die Mitteilungen Schindlers in Zweifel zu ziehen. Da 1819 das Credo schon weit vorgerückt war, darf man annehmen, daß jedenfalls das Kyrie, vielleicht auch das Gloria schon 1818 begonnen wurden. Auch was Schindler über die unmutigen Äußerungen über den Erzherzog sagt, dürfen wir annehmen. Die beiden großen Werke, welche jetzt Beethovens Seele füllten, Werke, die er so recht mit seinem Herzblute geschrieben hat, wurden dem Erzherzog nicht nur gewidmet, sondern waren ihm von Anfang an zugedacht; Beweis genug, wie tief die Verehrung für ihn in seinem Herzen begründet war.

Demselben Mödlinger Sommer gehört auch die Entstehung eines Bildes von Beethoven an, welches unter den vielen vorhandenen wohl am verbreitetsten ist. Der junge Maler August von Klöber (geb. 1793 in Breslau), welcher in den ersten Jahren nach den Befreiungskriegen, in denen er mitgekämpft, in Wien seine künstlerischen Studien fortsetzte, unternahm es auf die Bitte seines Schwagers, des Barons von Skrbensky, ein Bild Beethovens zu malen. Über seinen hierdurch veranlaßten Verkehr mit Beethoven besitzen wir seine eigenen Mitteilungen,42 welche auch hier nicht fehlen dürfen.


[103] »Die Bekanntschaft Beethovens zu machen, besonders aber ihn zum Sitzen zu bewegen, war eine schwierige Aufgabe. Die glückliche und zufällige Bekanntschaft eines Freundes Beethovens, des Violoncellisten Dont43 beim kaiserl. Hof-Operntheater, half mir glücklich darüber hinweg, besonders da derselbe sich selbst sehr für diese Sitzung interessirte. Dont rieth mir bis zum Sommer zu warten, da Beethoven gewöhnlich seinen Sommeraufenthalt in Mödling bei Wien nähme44 und dann am gemüthlichsten und zugänglichsten sei. Durch einen Brief des Freundes wurde Beethoven von meiner Ankunft daselbst benachrichtigt, und auch auf meinen Wunsch, ihn zeichnen zu wollen, vorbereitet. Beethoven war darauf eingegangen, doch nur unter der Bedingung, daß er nicht zu lange sitzen müsse.«

»Ich ließ mich am frühen Morgen bei ihm melden. Seine alte Haushälterin ließ mich wissen, daß er bald kommen würde, er wäre nur noch beim Frühstück, hier wären aber Bücher von Goethe und Herder, womit ich mich unterdeß unterhalten möchte. Endlich kam Beethoven und sagte: ›Sie wollen mich malen, ich bin aber sehr ungeduldig.‹ Er war schon sehr taub, und ich mußte ihm, wenn ich etwas sagen wollte, dasselbe entweder aufschreiben oder er setzte das Rohr an, wenn nicht sein Famulus (ein junger Verwandter von etwa 12 Jahren)45 zugegen war, welcher ihm dann die Worte in das Ohr schrie.«

»Beethoven setzte sich nun, und der Junge mußte auf dem Flügel üben, der ein Geschenk aus England war und mit einer großen Blechkuppel versehen war.46 Das Instrument stand ungefähr 4–5 Schritte hinter ihm und Beethoven corrigirte den Jungen, trotz seiner Taubheit, jeden Fehler, ließ ihn Einzelnes wiederholen etc.«

»Beethoven sah stets sehr ernst aus, seine äußerst lebendigen Augen schwärmten meist mit einem etwas finsteren gedrückten Blick nach oben, welchen ich im Bilde wiederzugeben versucht habe. Seine Lippen waren geschlossen, doch war der Zug um den Mund nicht unfreundlich. – Er sprach gern von der anmaßenden Eitelkeit und dem verkehrten Geschmack der Wiener Aristokratie, auf die er niemals gut zu sprechen war, denn er fand sich eigentlich zurückgesetzt oder nicht genugsam verstanden.«

»Nach ungefähr 3/4Stunden fing er an unruhig zu werden; nach dem Rathe Donts wußte ich nun, daß es Zeit sei aufzuhören, und bat ihn nur, morgen wiederkommen zu dürfen, da ich in Mödling selbst wohne. Beethoven war damit sehr einverstanden und sagte: ›Da können wir ja noch öfter zusammenkommen, denn ich kann nicht lange hintereinander sitzen; Sie müssen sich auch in Mödling ordentlich umsehen, denn es ist hier sehr schön, und Sie werden doch als Künstler ein Naturfreund sein.‹ Bei meinen Spaziergängen in Mödling begegnete mir Beethoven mehrere Male, und es war höchst interessant, wie er, ein Notenblatt und einen Stummel von Bleistift in der [104] Hand, öftere wie lauschend stehen blieb, auf- und niedersah, und dann auf das Blatt Noten verzeichnete. Dont hatte mir gesagt, daß, wenn ich ihm so begegnen würde, ich ihn nie anreden oder bemerken sollte, weil er dann verlegen oder gar unangenehm würde. Das eine Mal, als ich gerade eine Waldpartie aufnahm, sah ich ihn mir gegenüber eine Anhöhe, aus dem Hohlwege, der uns trennte, hinaufklettern, den großkrämpigen grauen Filzhut unter den Arm gedrückt; oben angelangt, warf er sich unter einen Kieferbaum lang hin und schaute lange in den Himmel hinein. – Jeden Morgen saß er mir ein kleines Stündchen. Als Beethoven mein Bild sah,47 bemerkte er, daß ihm die Auffassung der Haare auf diese Weise sehr gefalle, die andern Maler hätten sie bis jetzt immer so geschniegelt wiedergegeben, so wie er vor den Hofchargen erscheinen müsse, und so wäre er gar nicht. – Ich muß noch bemerken, daß das Oelbild für meinen Schwager größer als die Lithographie ist, und daß er dort ein Notenblatt in der Hand hat, und der Hintergrund aus einer Landschaft aus Mödling besteht.«

»Beethovens Wohnung in Mödling war höchst einfach, sowie überhaupt sein ganzes Wesen; seine Kleidung bestand in einem lichtblauen Frack mit gelben Knöpfen, weißer Weste und Halsbinde, wie man sie damals trug, doch war alles bei ihm sehr negligirt. Seine Gesichtsfarbe war gesund und derb, die Haut etwas pockennarbigt, sein Haar hatte die Farbe blau an gelaufenen Stahls, da es bereits aus dem Schwarz etwas ins Grau überging. Sein Auge war blaugrau und höchst lebendig. Wenn sein Haar sich im Sturm bewegte, so hatte er wirklich etwas Ossianisch-Dämonisches. Im freundlichen Gespräch nahm er dagegen einen gutmüthigen und milden Ausdruck an, besonders wenn ihn das Gespräch angenehm berührte. Jede Stimmung seiner Seele drückte sich augenblicklich in seinen Zügen gewaltsam aus. Noch fällt mir ein, daß er mir selbst erzählte, daß er fleißig in die Oper gehe, und zwar gerne ganz hoch oben, theils wohl wegen seiner steten Neigung sich abzuschließen, theils aber auch, wie er selbst sagte, weil man oben die Ensembles besser höre.«48


Die Wiener Modenzeitung vom 19. Nov. 1818 äußerte sich über das Bild folgendermaßen:


»Hr. Klöber aus Breslau hat in der letzten Zeit das Bildniß unsers berühmten und großen Meisters der Töne, Ludwig van Beethoven in Oel vollendet. Nicht bloß dessen äußere Umrisse und Züge wußte dieser ausgezeichnete Künstler treu aufzufassen und darzustellen, sondern er brachte auch [105] die höhere Ähnlichkeit, die geistige Physiognomie des genialen Mannes wahr und glücklich zur Anschauung, In der Nähe des schön gelegenen Mödlings, wo Beethoven seinen diesjährigen Sommeraufenthalt gewählt hatte, in der freien Natur, von den Bergen der herrlichen Brühl umgeben, in dem höchsten Augenblicke künstlerischer Lebensthätigkeit, im Produziren, erscheint hier der gewaltige Meister, den Blick voll heiligen Ernstes zu jenen Regionen erhoben, von wannen er die himmlischen Zaubertöne herniederholt zur Wonne der erstaunten Hörer. Die Linke hält ein Notenbuch, die Rechte hat fest und kräftig den Griffel gefaßt, die Eingebungen des Genius für die Ewigkeit hinzuzeichnen, der Wind spielt in den nachlässigen Locken des unbedeckten Hauptes; seitwärts unter einem Baume lagert ein Knabe, Beethovens Neffe, dessen Hut neben sich. – Uns scheint diese Abbildung nach der Idee und Behandlung die glücklichste und bezeichnendste von allen, die wir bisher zu sehen Gelegenheit hatten, und wir freuen uns die Freunde und Verehrer der Beethovenschen Muse zur Anschauung desselben einladen zn dürfen. Hr. Klöber, der so eben auch das Bildniß des Verfassers der Sappho, Hrn. Grillparzer, beendigt, wohnt auf den Wieden im Freyhause, Hof 5, Stiege 24 im ersten Stocke.«


Klöber ließ dann in seinem Atelier unter seiner Aufsicht eine Lithographie des Bildes und später von derselben noch eine kleinere Ausgabe anfertigen. Die Lithographie wurde von Schindler (II S. 238) mit großer Schärfe verurteilt, welcher aber hier gewiß befangen ist; war doch Beethoven mit dem ursprünglichen Bilde zufrieden. Daß in dem Bilde und seinen »groben Zügen« keine Spur von geistigem Inhalte zu erkennen, widerlegt der erste Blick; der Meister ist freilich wohl nicht, wie er sich im zwanglosen Verkehr gab, sondern in einem ernsten, gehobenen Momente, den Blick nach oben gerichtet, aufgefaßt, aber den großen Künstler ahnt man doch sofort. Mehr fällt ins Gewicht, daß Frimmel49 nach Vergleichung mit der Maske erhebliche Mängel der Zeichnung, besonders im oberen Teile des Gesichtes, nachweist. Doch mögen wir Nachgeborenen uns seinen Gesichtsausdruck gern nach diesem Bilde vorstellen.

In dieser Zeit erhielt Beethoven auch den Besuch der Familie Giannatasio; eine Entfremdung war also doch nicht eingetreten. An einem Sonntag, den 9. August, machte die Familie einen Ausflug nach Mödling. Fanny schreibt darüber:


[106] »Nachmittags besuchten wir unseren immer gleich theueren Beethoven. Wie alles was er mir anthat so verschwunden ist! Er lebt wenigstens zufriedener in den Intervallen, wo ihm die Mutter seines Neffen keinen Kummer macht in der Sorge für dessen Wohl. Er zeigte Freude uns wieder zu sehen und versprach uns, sobald er in die Stadt käme, zu besuchen. Er spielte uns auf dem ihm aus England geschickten Fortepiano. Es war nicht viel, aber Beethoven spielte. – Karl war nicht zu Hause. Ich verließ ihn nicht mit unbefriedigtem Herzen, denn ich hatte manches unangenehme, rücksichtlich seiner Gesundheit und seiner Laune befürchtet.« –


Und nun muß uns der unerquickliche Streit mit der Schwägerin wegen des Neffen Karl wieder beschäftigen. Der Schulunterricht in Mödling hatte, wie er wähnt, ein vorzeitiges Ende gefunden. Es wurde nun wieder mit einem Privatlehrer versucht, der Knabe sollte fortan eine höhere Schule in Wien besuchen, und zu den Prüfungen mußte er um Mitte August in Wien erscheinen.50 Darauf dürfte sich auch nachstehender Brief an Haslinger (Steiner) beziehen:51


»Verzeihen sie lieber 2. Kapitel. Das Jahr 181852 sie mit folgendem zu belästigen, wir kommen übermorgen in die stadt u. werden schon um 7 Uhr früh da sein, die 2 Feyertäge machen, daß wir selbigen Tag wieder fort müssen, indem Karl noch hier mit dem Lehrer für die 2te prüfung sich vorzubereiten hat indem der Lehrer eben wegen diesen Feyertägen sich am meisten mit ihm abgeben kann, nun müste ich aber wegen dem Lebens Zeichen für Karl wieder neuerdings in die stadt, u. das kostet zu viel sowohl Zeit wie Geld, indem ich nicht gerne mit dem postwagen überhaupt fahre, wo noch das besondere dabey ist, daß, man mag einen Tag, welchen immer, fahren, so ist's im postwagen Freytag, u. so christlich ich bin, so ist's mir doch genug mit einem Freytag in der woche.53 – ich bitte wens möglich ist, doch zu dem chorführer oder Brautführer (der Teufel weiß wie der Pfaffe heißt) zu schicken, daß er so gütig ist, unß selben Tag nachmittags, wann immer das Lebens Zeichen für Karl zu geben, Es könnte auch morgens um 7 Uhr, gleich wenn wir ankommen seyn, das müste aber puncto seyn, denn um halb 8 Uhr muß Karl schon bei [107] der ersten Prüfung seyn, also entweder Morgens um 7 Uhr oder Nachmittags wann immer, wir werden unß gleich morgens vor 7 Uhr bey ihnen im Gewölbe deswegen anfragen, nebst Vorbehaltung späterer Besuche.


in Eil

nebst um Verzeihung

Bittung

Amicus54

ad Amicum

Beethoven.«

Mödling

12ten Oktober.


Auf den Brief hatte der Empfänger geschrieben: »empfangen den 13. August 1818«. Beethoven hatte also in der Verwirrung einen unrichtigen Monat geschrieben. Die 2 Feiertage erklärt Nohl richtig dahin, daß am 15. August Mariä Himmelfahrt war; der 16. war ein Sonntag. Der Monatstag (12.) wird richtig sein, dann paßt das »übermorgen« auf den Freitag und stimmt zu dem Scherz Beethovens.

Die Prüfung, von welcher hier die Rede ist, wird sich auf die Aufnahme in das akademische Gymnasium bezogen haben; der Unterricht in Mödling, zumal er, wie wir hörten, die Schule des Pfarrers hatte verlassen müssen, wird wohl kein sonderlich nachhaltiger gewesen sein, wie auch die Sorge für sein äußeres Leben und seiner Aufführung bei Beethovens unpraktischem Wesen und seiner Taubheit, dazu seiner vielfachen anderweitigen Beschäftigung gewiß manches zu wünschen übrig ließ. Jedenfalls wundern wir uns nicht, wenn die Versuche der Mutter (welche durch die Dienstboten und den Pfarrer in Kenntnis gesetzt sein konnte), den Knaben an sich zu ziehen, sich wiederholten; welcher Mittel sie sich bei den Dienstleuten dabei bediente, sieht man aus dem langen Briefe Beethovens an Frau Streicher aus diesem Sommer (s. Anh. I). Die Mutter nahm von jetzt an die Hülfe des Gerichts in Anspruch und wurde bei ihren Schritten von ihrem Verwandten, dem Hofkonzipisten Jacob Hotschevar beraten und unterstützt. Mit den ausführlichen Dokumenten in dieser Sache wollen wir den Text nicht beschweren und teilen die wichtigsten derselben im Anhange (III) mit; hier soll nur der Verlauf der Sache kurz und mit Beifügung des Wesentlichsten angegeben werden. Wir bemerken nur, daß es unseres Wissens das erste Mal ist, daß auch die Darstellung der Gegenseite bekannt gemacht wird. Die gewöhnliche Anschauung von diesem ganzen Streite ist durch Schindler veranlaßt, der über die Einzelnheiten nicht genauer unterrichtet war und einseitig und befangen urteilte; Wahrheit und Gerechtigkeit [108] verlangen, daß auch der andere Teil unbefangen in seinen Motiven betrachtet und gewürdigt werde. Dabei ist, wie man sehen wird, nicht zu befürchten, daß das edle Bild des Meisters in unseren Augen verschoben werde; an den hohen und idealen Motiven, welche ihn in dieser Sache leiteten, und an der Pflichttreue, mit welcher er das von ihm als recht Erkannte festhielt, ist ebenso wenig zu zweifeln, wie an der Berechtigung der Abneigung, welche Beethoven gegen die Mutter hegte, und des Wunsches, sie von dem Knaben möglichst fern zu halten. Aber es war die Mutter, welche – wie die Dokumente ergeben – doch nicht bloß aus eigennützigen Motiven, sondern aus dem Gefühle der Mutter handelte, vielleicht das Kind wirklich liebte; das ist, wenn man dies sagen darf, ein etwas versöhnender Zug in dem Bilde dieser leidenschaftlichen, sinnlichen, in der Wahl ihrer Mittel nicht wählerischen Frau. Sie wollte ja auch, wie Beethoven selbst, für die Erziehung des Knaben sorgen, nur auf etwas anderem Wege. Sie wollte vor allem nicht ganz von ihrem Kinde abgesperrt sein, und wer will ihr das verdenken? Das System der Absperrung von der Mutter war, wie bemerkt, nicht im Sinne des Vaters, der ihm Mäßigung empfohlen hatte.55

Im September begannen diese Verhandlungen; sie bat das N. O. Landrecht, die Obervormundschaftsbehörde, Beethoven als Vormund keinen Einfluß auf die Erziehung des Neffen zu gestatten; darauf verfügte (wie ich einer Notiz bei Thayer entnehme) das Landrecht am 18. September an Beethoven, wie sich aus dem weiter Folgenden zu ergeben scheint, ablehnend. Am 21. September bat sie das Landrecht56 um obervormundschaftliche Genehmigung, ihren Sohn Karl in das K. K. Konvikt geben zu dürfen. Darauf wurde sie am 22. September sowie Beethoven selbst »als Mitvormund« und zwar letzterer nebst Mitbringung des Prüfungszeugnisses seines Pupillen aufgefordert am 23. September 10 Uhr zu erscheinen, dieser Termin aber bis zum 30. September erstreckt. Das Gesuch der Witwe wurde am 3. Oktober von dem Landrecht abgewiesen und so für jetzt die Sache zu Gunsten Beethovens entschieden.

Mit diesen Verhandlungen hängt mutmaßlich die Rückkehr Beethovens aus Mödling in die Stadt (in die Wohnung in der Gärtnerstraße) zusammen; die Verlegung des Termins war vielleicht dadurch veranlaßt. Am 6. November schreibt Fanny Giannatasio in ihr Tagebuch: »Beethoven sah den Vater heute. Er ist erst kürzlich vom Lande zurück und Karl besucht die[109] öffentlichen Schulen.« Auch aus den Magistratsakten ist zu entnehmen, daß der Knabe jetzt Schüler des k. k. akademischen Gymnasiums und zwar der dritten Grammatikalklasse wurde und dies während der Monate November und Dezember blieb. Außerdem hielt ihm Beethoven einen Korrepetitor fürs Klavierspiel, für Französisch und Zeichnen.

So schienen die Dinge einstweilen geordnet; der Knabe schien Fortschritte zu machen, und Beethoven war hoffnungsvoll. Fanny Gianatasio schreibt:


»Gestern war einmahl wieder Beethoven bei uns. Wir hatten ihm eine Wirthschafterin besorgt. Er war drei Stunden da, und da er diesen Tag besonders schlecht hörte, so schrieben wir immer. Man kann nicht mit ihm sein, ohne von seinem vortrefflichen Charakter, seinem tiefen Gefühl für das Gute und Edle, ganz eingenommen zu werden. Wenn ihm doch Karl Ersatz gäbe für so viele Aufopferungen, die er seinetwegen machte! In meine Hoffnungen mischten sich ängstliche Zweifel. Er wird wahrscheinlich diesen Frühling, eine Reise nach London machen.57 Vielleicht ist es von vielem Vortheil in ökonomischer Hinsicht für ihn.«


Und wieder am 20. November:


»Den gestrigen Abend verlebte ich recht angenehm, durch Beethovens Gesellschaft. Ich und Nanni nahmen uns einmal ein Herz und sangen in seiner Anwesenheit, und siehe da, er den wir fest bei Hogarths Kupferstichen glaubten, näherte sich bei dem ersten Duett und blieb uns immer zur Seite. Er flößte uns seinen Geist ein und spielte zum Theil mit, oder sang mit, was freilich sehr komisch klingt und wo er selten den rechten Ton trifft, doch hilft es sehr den Ausdruck zu erkennen; denn man hört doch immer das crescendo. Wir bedauerten unendlich unser kindisches Wesen, welches uns so lange abhielt, dieß Vergnügen zu ge nießen, was wir so manchen Abend, vorzüglich weil er vielleicht nicht lange hier bleiben wird, da er schon die zweite Einladung nach England erhalten;58 der besonders für B. ganz gleichgültig verging, hätten haben können. Er war recht herzlich gegen uns, was mich sehr freute. – Wenn er uns nur noch recht oft besuchte. Ich hoffe es, er muß doch einmal einsehen wie herzlich wir es mit ihm meinen.«


Die hoffnungsvolle Zeit sollte nicht lange dauern; der Leichtsinn des Knaben brachte neuen, schweren Kummer. Er entlief aus der Obhut des Oheims und ging zur Mutter. Fräulein Giannatasio erzählt:59


»Eines Tages kam B. in großer Aufregung, suchte Rath und Hilfe bei meinem Vater und klagte, daß ihm Karl davon gelaufen wäre! Bei dieser Gelegenheit, erinnere ich mich, daß er unter unserm großen und innigem Mitgefühl weinend ausrief: ›er schämt sich meiner‹.«


[110] Dieses Ereignis wird am 3. Dezember stattgefunden haben, denn am 11. sagte der Knabe im Verhör, »vor 8 Tagen«, Fanny gibt im Tagebuche am 5. Dezember dem Eindrucke weitere Worte.


»Nie im Leben werde ich den Augenblick vergessen, als er kam und uns sagte, daß Karl fort sei, zur Mutter entlaufen und seinen Brief uns zeigte, zum Beweis seiner Niedrigkeit. Diesen Mann so leiden, weinen zu sehen, es war sehr angreiffend! Der Vater nahm sich des Ganzen mit vieler Thätigkeit an; und bei allem traurigen, habe ich ein sehr angenehmes Gefühl in dem Bewußtsein, daß wir jetzt Beethoven viel, ja in diesem Augenblicke seine ganze Zuflucht sind. Er sieht auch gewiß alles ein, wenn er uns in seiner Meinung Unrecht gethan hätte. Ach! er kann es nie ermessen, wie sehr wir ihn schätzen, was ich für sein Glück [zu] thun fähig wäre! Wie zeigt sich hier wieder dieses seltene Wesen. Das böse Kind ist nun wieder bei ihm, mit Hilfe der Polizei, die Rabenmutter! ach! wie schrecklich ist es daß dieser Mensch, um solcher Auswürflinge [willen] so leiden muß. Er muß von hier weg, oder sie; das ist das Resultat. B. will ihn fürs erste in unsere Verwahrung geben, ein großer Freundschaftsdienst meines Vaters, wenn es geschieht, da er ihn als einen Arrestanten betrachten muß.«

»Jetzt eben schrieben ich und Nanni mehrere Stunden mit Beethoven; denn wenn er so ergriffen, so hört er fast gar nicht. Wir haben ein Buch vollgeschrieben. Dieser Edelmuth, diese reine kindliche Seele! es wird mir immer einer der schmerzlichsten Gedanken sein, daß dieser Mensch nicht glücklich ist! Es ist nicht in seinem Wesen, einen Menschen für durchaus bös zu halten, wie er sagt, wie es denn dies Weib doch ist. Es that mir wohl, daß er, als er ging etwas zerstreuter war, er sagte mir, er wäre von der Geschichte so angegriffen, daß er seine Gedanken erst zusammenfassen müsse. Sein Herz habe die Nacht geschlagen, hörbar. Ach! und es bleibt mir immer nichts zu sagen übrig! als: daß alles was man thun kann, doch so wenig ist! ich gäbe mein halbes Leben für den Mann! Zuletzt denkt er immer an sich. Er klagte, daß er nicht wisse, was mit seiner Haushaltung geschehen würde, wenn Karl weg wäre.60«


Den mutmaßlichen Grund von Karls Entfernung gibt Beethoven selbst in der gerichtlichen Verhandlung vom 11. Dezember an, welche man im Anhange findet (III). Es waren ihm zwei Briefe der Haushälterin an Fräulein Giannatasio und ein Brief der letzteren in die Hände gekommen, nach welchen der Knabe die Dienstboten mit Schimpfnamen belegt, außerdem von ihm Geld zurückbehalten und auf Näschereien verwendet habe. Das hatte ihm Beethoven vorgehalten; an demselben Tage [111] habe er ein Billet von ihm erhalten, »worin er sich empfiehlt.« Die Ursache der Entfernung könne er nicht genau angeben,61 vielleicht habe ihn seine Mutter Tags vorher bestellt, es könne aber auch Furcht vor der Bestrafung gewesen sein. Von diesen Vergehungen hatte auch Fräulein Giannatasio vor dem Entweichen des Knaben Kenntnis erhalten; schon am 30. November schrieb sie auf:


»Vorgestern war ich durch die Erzählung von Beethovens Haushälterin über die Niedrigkeit des Jungen empört und in's Innerste ergriffen. Das ist mehr als Leichtsinn, der Keim des bösen konnte also durch gutes Beispiel nicht ausgerottet werden! Ich kann es gar nicht ausdrücken, wie sehr mich der Undank dieses jungen Menschen ergreifst. Es ist aber nothwendig, so wehe es uns thut und wir bei B.'s unglücklicher Lage befürchten müssen, ihm zu mißfallen, ihm hier die traurige Wahrheit zu zeigen, in seiner [so!] ganzen kränkenden Wirklichkeit. Wenn es nur bald geschehen könnte, denn hier handelt es sich um Großes! Er kennt seinen gränzenlosen Leichtsinn, aber diese Züge eines verdorbenen Herzens kennt er nicht, muß sie aber kennen lernen, denn später wäre es gewiß schon zu spät, wenn es nicht jetzt vielleicht schon ist. Schreiben wäre das beste! Ach, wenn ich doch ein Mann wäre, ich wollte sein innigster Freund sein!«


Durch peinliche Erfahrungen wurde sie doch bald wieder etwas anderen Sinnes.

Beethoven war vormittags gleich zur Mutter gegangen, um den Knaben zurückzuverlangen; diese versprach die Auslieferung erst zum Abend; und da Beethoven fürchtete, sie wolle ihn wegbringen (nach Linz oder Ungarn), wendete er sich an die Polizei und gab nun den Knaben, nachdem er ihn zurückerhalten, einstweilen wieder (wie bereits oben erwähnt) zu Giannatasio in Verwahrung. Dort sollte er, wie es scheint, den Winter über bleiben.

Die Mutter handelte gleichzeitig in ihrem Sinn; aus den Akten ist folgendes entnommen.62


»Johanna van Beethoven (wohnhaft im tiefen Graben N. 238, im 2ten Stock) zeigt beim k. k. NOe. Landrecht an, daß ihr Sohn Karl v. Beeth. ohne ihr Wissen und Zuthun, sei nem Oheime und Vormunde Hrn Ludwig van Beethoven, entlaufen, demselben aber von ihr durch die k. k. Polizei-Oberdirektion wieder zurückgestellt worden sey. Sie bat zugleich, daß, da Ludwig v. Beethoven dem Vernehmen nach, [112] Willens sey, ihren Sohn in eine Erziehung und zwar ganz von hier weg, vielleicht gar in das Ausland zu geben, ihm die obervormundschaftliche Genehmigung hierzu versagt werde, und daß sie wiederholt um die Bewilligung bitten werde, ihren Sohn in das k. k. Universitäts-Konvikt in Kost u. Erziehung geben zu dürfen.«


Ihrer Ankündigung entsprechend wiederholte sie letzteren Antrag in einem zweiten Gesuche am 10. Dezember und fügte demselben außer anderen Anlagen auch die bereits erwähnte Äußerung des Pfarrers Fröhlich in Mödling bei. Im Anschlusse an ihr Schreiben hatte ihr Verwandter Jacob Hotschevar in längerer Darlegung die Berechtigung ihres Gesuches zu begründen gesucht,63 worin er sagt, daß die gänzliche Ausschließung der Mutter von der Vormundschaft keineswegs in der Absicht des verstorbenen Vaters gelegen habe, daß unter der alleinigen Obhut des zwar vom besten Willen geleiteten, aber »excentrischen« Oheims das künftige Wohl des talentvollen, aber zu Lüge und Verstellung neigenden Knaben gefährdet sei, und daß daher darum gebeten werden müsse, daß Beethoven entweder von der Vormundschaft gänzlich zurücktrete oder wenigstens anderweitigen Einfluß neben sich zulasse. Die Mutter gibt zugleich die Geldbeträge an, welche sie für die Erziehung aufzuwenden bereit sei.

Das Gericht hatte bereits am 9. Dezember die Bittstellerin, Beethoven nebst seinem Mündel auf den 11. Dezember nachmittags 4 Uhr zur Vernehmung vorgefordert.64 Das höchst interessante Protokoll über diese Verhandlung ist vorhanden und wird auf Grund einer amtlichen Ausfertigung im Anhang (III) mitgetheilt. Beethoven hatte, vermutlich des Gehörs wegen, seinen Freund Bernard mit zum Termin gebracht. In seinen Aussagen, welche im obigen zum Teil schon verwertet sind, gab Beethoven gegenüber dem Wunsche der Mutter noch an, daß er es nicht für rätlich halte, den Knaben ins Konvikt zu geben, weil dort zu viele Zöglinge seien und die dortige Aufsicht über einen Knaben, wie sein Mündel sei, nicht hinreichend sei. Ob das richtig war, können wir heutzutage nicht mehr beurteilen. Wenn wir die Aussagen der Mutter in dem Verhöre von Subjektivität nicht freisprechen können und die starke Eingenommenheit gegen Beethoven aus derselben empfinden, so können wir doch im übrigen aus diesen Verhandlungen keinen besonderen Vorwurf gegen sie entnehmen; die Absicht, für den Knaben so gut sie konnte zu sorgen, [113] das mütterliche Interesse an ihrem Kinde und wieder die Hinneigung des Knaben zur Mutter wird doch aus denselben ganz klar. Nicht aus den Ausführungen Hotschevars allein,65 sondern wesentlich aus der Betrachtung, wie tief diese unerquicklichen Verhältnisse auf Beethovens Gesundheit, Gemütsverfassung und seine Schaffensfreude einwirkten, darf uns Nachgeborenen der Wunsch erwachsen, daß Beethoven diese Vormundschaft nie übernommen hätte, aus welcher auch für den Neffen kein Segen erwachsen ist.

Während nun beide Parteien auf den Erfolg ihrer Bemühungen warteten, erging am 18. Dezember jene Entscheidung, welche Beethoven so tief verwundete. »Ueber den unterm 11. Dezember commissionaliter vorgekommenen Umstand, daß der verstorbene Gatte der Bittstellerin nicht adlich war, wurde diese Angelegenheit an den hiesigen Stadt-Magistrat unterm 18. Dezbr. 1818 abgetreten.«66 Schindler (I. S. 256) erzählt, das Obergericht sei, »wie es hieß«, infolge Denunziation des gegenteiligen Advokaten auf die Bedeutung des van aufmerksam gemacht worden; Beethoven habe im Termin, auf Kopf und Herz zeigend, erklärt: sein Adel sei hier und da. Nach dem Protokoll hat Beethoven auf die vom Landrecht gestellte Frage, welche dasselbe nach seiner Kompetenz stellen mußte, einfach erklärt: van sei ein holländisches Prädikat und werde nicht gerade Adelichen beigelegt; er besitze weder ein Adelsdiplom noch sonstige Beweismittel für seinen Adel.67 Die Witwe erklärte auf die entsprechende Frage, nach Aussage der Brüder sei ihr Mann adelich gewesen, die Urkunde sollte der älteste Bruder Ludwig besitzen; schon bei Aufnahme der Sperrsrelation [1815] sei die Ausweisung über den Adel gefordert worden, sie habe keine Dokumente darüber. Was hier etwa hinter den Kulissen gespielt hat, können wir nicht wissen; wir haben uns an Beethovens offene und wahrheitsgemäße Erklärung zu halten. Wir lassen noch einmal Schindler (I S. 257) das Wort.


[114] »In Folge der Verweisung des Processes an den Magistrat fühlte sich Beethoven wie vom härtesten Schlage getroffen. Ob er etwas darauf gehalten, in der Meinung des Volkes für einen Adelichen von Geburt zu gelten, würde schwer zu behaupten sein, war doch seine Abstammung, wie Familien-Verhältnisse, letztere auch durch die bürgerliche Stellung seiner Brüder, genugsam bekannt. Indeß ist doch soviel gewiß, daß er viel darauf gehalten, seine Rechtssache vor der exceptionellen Oberbehörde verhandeln zu können, theils darum, weil man ihn thatsächlich bei dieser Stelle besser zu würdigen verstand (wie die Dame Giannatasio ganz richtig bemerkt), theils weil der unvortheilhafte Ruf des genannten Untergerichts ihm wenig Hoffnung für einen gewünschten Erfolg eingeflößt hatte.68 Nicht minder darf für gewiß ausgesagt werden, daß weder sein Genie, noch seine Kunstwerke ihm die bis her eingenommene bevorzugte Stellung in den adelichen Kreisen verschafft hätte, ohne die Präsumption, er sei ihres Gleichen. Dies hat sich durch mehrere Beispiele erwiesen, sobald der Vorfall am Obergericht im Publicum bekannt geworden. Nicht in der Mittelklasse, wohl aber in der oberen, hat das Wörtchen ›van‹ einen offenbaren Zauber ausgeübt. Als Thatsache steht fest, daß seit jenem Vorfalle am nieder-österreichischen Landrecht das große Wien unserm gekränkten Meister zu enge geworden, und hätten ihn nicht die aus dem Testamente des Bruders übernommenen Pflichten gehalten, es wäre die wiederholt projectirte Reise nach England zu Stande gekommen und vielleicht auch ein dauernder Aufenthalt daselbst – –.«


Es steht ebenso fest, daß Schindler über die Vorgänge nicht in erwünschter Genauigkeit unterrichtet war, und sein Gedächtnis ihn öfter im Stich ließ, wie sich noch weiter ergeben wird. Auch steht er ersichtlich unter dem Eindruck einer Voreingenommenheit. Daß Beethoven seine Umgebung mit Bewußtsein in dem Glauben gelassen hätte, er sei adlig, wird niemand glauben; auch erscheint es als ausgeschlossen, daß er selbst darüber im unklaren gewesen wäre.

Auch der neue Aufenthalt des Neffen bei Giannatasio war nicht von langer Dauer. Er konnte hier, der Verabredung entsprechend, nicht unter den übrigen Zöglingen belassen werden. Da wurde Beethoven wieder weich [115] gestimmt; leider erwachte auch sein Mißtrauen und seine Unzufriedenheit wieder. Man solle, schreibt er dem Vater, das Zimmer besser heizen; der Knabe habe bei ihm nie gefrorene Füße und Hände gehabt;69 überhaupt solle man die Sache nicht so laut behandeln, das dürfte die Sache eher verschlimmern, man solle es mit dem Delinquenten nicht so weit treiben! Darin erkennt Fanny (im Tagebuch am 14. Dezember), »daß sein Grübelgeist und seine Schwäche für den Knaben volles Recht über ihn erlangt und nun ihm mehr glaubt, dem Lügner, als seinen bewährten Freunden,« und schöpft daraus die schmerzliche Erfahrung, »daß man Beethovens Vertrauen nie ganz gewinnen könne.« Sie fühlt inniges Mitleid mit dem Mann, der durch sich selbst unglücklich ist und darum auch so allein auf der Welt steht. »Der Vater schrieb ihm heute seine aufrichtige Meinung, vielleicht erkennt er uns einst. Nachmittag nahm B. selbst ihn (den Knaben) Nanni'n ab an der Brücke, als er aus der Schule kam. Was noch daraus werden wird, man kann das Schlimmste fürchten.« Sie hatte Beethoven gegenüber die Besorgnis geäußert, er möchte Karls Worten nicht trauen und von dem festen Entschluß ihn »von hier« weg zu geben nicht weichen; er hatte wiederholt gesagt, »er sehe ein, daß es bei ihm nicht gehe«, und schließlich erwidert: »Sie halten mich für schwach, glauben Sie das nicht u.s.w.« So wurde auch dieses kurze Verhältnis bald wieder gelöst, um nicht wieder angeknüpft zu werden. Beethovens Beziehungen zu der Familie blieben jedoch vorerst noch freundliche.

Die weitere Entwickelung der vormundschaftlichen Verhältnisse muß in der Geschichte des folgenden Jahres weiter verfolgt werden. –

Und nun wollen wir uns noch den musikalischen Ereignissen dieses Jahres zuwenden. Man findet mitunter in Darstellungen, die sich auf Beethovens letzte Jahre beziehen, die Meinung hervortreten, daß Beethovens Werke vernachlässigt wurden und er aufgehört habe, in Wien populär zu sein. Eine Widerlegung dieser Meinung wird schon aus den Ereignissen der Jahre 1822 und 1824 zu entnehmen sein; wir haben auch für 1818 im Anhange (IV) die Werke zusammengestellt, welche in diesem Jahre in Wien zur Darstellung kamen; ihnen ist noch die fünfmalige Aufführung des Fidelio beizufügen.

Wenn wir früher anführten, daß Beethoven gerade in dieser Zeit wieder einen starken Anlauf zu eigenem großen Schaffen nahm, so entspricht einstweilen für das Jahr der Ertrag an abgeschlossenen Werken nicht unserer [116] Erwartung. Einerseits erschwerte ihm ja vielfach Kummer und Ärger, wie aus den erzählten Ereignissen zu erraten, die produktive Arbeit; und dann arbeitete er überhaupt langsamer und grüblerischer und entschloß sich schwerer abzuschließen. Drei große Werke sind es, an deren Skizzierung und teilweiser Ausarbeitung dieses Jahr beteiligt ist: die B dur-Sonate, die neunte Symphonie und die große Messe.

Mit der Skizzierung der B dur-Sonate begann Beethoven noch im Jahre 1817, nach einem Skizzenbuche zu schließen, welches diese Jahreszahl trägt,70 und arbeitete während des Jahres 1818, großenteils in Mödling, an derselben. Im April waren die beiden ersten Sätze soweit gediehen, daß er dem Erzherzog gegenüber schreiben konnte, er habe sie an seinem Namenstage (17. April) in seiner Handschrift geschrieben;71 wobei an eine Fertigstellung noch nicht gedacht zu werden braucht. Innerhalb einer Skizze zum Schlusse des zweiten Satzes steht von Beethovens Hand


»Ein kleines Haus allda so klein, daß man allein nur ein wenig Raum hat –

Nur einige Täge in dieser göttl. Briel –

Sehnsucht oder Verlangen – Befreiung od. Erfüllung«,72


woraus hervorgeht, daß diese Skizzen und vielleicht auch die weiteren zu den folgenden Sätzen auf seinen Wanderungen in der Umgegend von Mödling aufgezeichnet sind. Wenn in dem wichtigsten der Skizzenbücher der letzte Satz noch nicht begegnet (Nott. S. 352), so steht doch in den in Mödling benutzten Taschenskizzenbüchern zwischen Skizzen zum letzten Satze der Entwurf zu einem Klavierstück, welches Beethoven der Aufschrift nach am 14. August 1818 schrieb. Demnach wurde auch am letzten Satze in diesem Sommer gearbeitet, und wenn Schindler (I S. 269) berichtet, daß im Spätherbst 1818, ehe Beethoven an die Messe ging, die Sonate beendet war, so haben wir diesmal keinen Grund, die Richtigkeit seiner Angabe zu bezweifeln. Im April 1819 befand sie sich, nach den Briefen an Ries, bereits zum Stich in London, nachdem sie Czerny bereits im Frühling 1819 in seiner Gegenwart gespielt hatte.73

Nottebohm war der Meinung, daß Schindler bezüglich der Beendigung der Sonate im Irrtum sei;74 auch seine Anmerkung auf S. 128 der [117] II. Beethov. scheint eine spätere Fertigstellung anzunehmen. Er führt hier die Worte Beethovens aus einem Briefe an den Erzherzog Rudolf an, den der Herausgeber vermutungsweise ins Jahr 1819 setzte:75 »Zu den 2 Stücken von meiner Handschrift an J. K. H. Namenstag geschrieben sind noch 2 andere gekommen, wovon das letztere ein großes Fugato, so daß es eine große Sonate ausmacht, welche nun bald erscheinen wird, und schon lange aus meinem Herzen J. K. H. ganz zugedacht ist; hieran ist das neueste Ereigniß J. K. H. nicht im mindesten Schuld.« Der Namenstag des Erzherzogs war am 17. April, da also sollen die beiden ersten Sätze niedergeschrieben sein. Den 17. April 1818 hält Nottebohm für unmöglich, da an diesem die beiden ersten Sätze noch nicht fertig sein konnten; daher bleibe nur der 17. April 1819 übrig. Dieser kann es aber auch nicht sein, da an diesem Tage die ganze Sonate längst fertig und nach London geschickt war. Da nun bei jenem Niederschreiben durchaus nicht an ein fertiges Werk gedacht zu werden braucht, sondern ebensowohl ein erstes Aufschreiben aus den Skizzen gemeint sein kann,76 so ist an den 17. April 1818 festzuhalten. Das »neueste Ereigniß« beziehen Köchel und Nottebohm wohl richtig auf die Ernennung des Erzherzogs zum Erzbischof von Olmütz, welche am 4. Juni 1819 erfolgte; also, meinte Nottebohm, werde der Brief wohl kurz nachher geschrieben sein. Nun scheint es mir nicht durchaus notwendig, gerade an das Datum der förmlichen Ernennung zu denken, da das Bevorstehen des Ereignisses schon 1818 bekannt war; von dem baldigen Erscheinen konnte Beethoven sprechen, als die Sonate beendet und nach London geschickt war; der Brief konnte ganz wohl schon Anfang 1819 geschrieben sein. Wie dem aber auch sei, für die Chronologie der B dur-Sonate kann dieser Brief an den Erzherzog nicht verwerthet werden. Wir haben bis auf weiteres an der Zeitangabe Schindlers festzuhalten. Auch Ries nennt S. 197, wo er den Brief vom 16. April 1819 wegen der beiden hinzuzufügenden Noten erwähnt, damals das Werk schon ein halbes Jahr vollendet.

[118] Die Übersendung nach London war von mehreren Briefen an Ferd.Ries begleitet, welche man in den Notizen (S. 147–152) findet, von denen aber der erste, vom 30. April, jedenfalls falsch datiert ist, wie die gleich folgenden zeigen; es muß mindestens 30. März heißen. Auch dieser nimmt auf einen noch früheren Brief Bezug, den Ries nicht beifügt und der auch sonst noch nicht veröffentlicht zu sein scheint. Ich gebe ihn hier nach Thayers Mitteilung.77


»Lieber Ries!


Ich erhole mich so eben von einem starken Anfalle den ich hatte u. gehe aufs Land – ich wünschte daß Sie sähen folgende 2 Werke, eine große Solo Sonate für Klavier und eine von mir selbst umgeschaffene clavier sonate in ein Quintett für 2 Violin 2 Bratschen 1 Violonschell an einen Verleger in London anzubringen, es wird ihnen leicht seyn wohl 50 Dukaten in gold*) für beyde Werke zu erhalten, der Verleger brauchte nur anzuzeigen, um welche Zeit er beyde Werke herausgeben wollte, so könnte ich selbe auch hier zugleich herausgeben, wo wenigstens immer mehr herauskommt, als wenn ich sie hier bloß herausgebe. – ich könnte auch ein neues Trio wieder herausgeben, fürs Klavier, Violin, Violonschell, wenn sie dazu einen Verleger fänden78 – übrigens wissen sie wohl habe ich nie rechtswidrig gehandelt, u. daher können sie unbeschadet ihrer u. meiner Ehre sich darauf in London einlassen,79 der Verleger zeigt mir, sobald er die Werke erhalten, an, wann er sie herausgeben will, er solle alsdann auch hier herauskommen werden,80 – Verzeihen Sie mir, wenn ich ihnen beschwerlich falle, meine Lage81 ist jetzt von der Art, daß auf allen Ecken nur zu thun habe, für das traurige Leben zu sorgen. Potter sagt, daß Chapphell in der Bond Street gasse einer der besten Verleger sey, ich überlasse ihnen alles, nur bitte ich sie mir so geschwind wie möglich eine antwort zu geben, damit mir die Werke nicht liegen bleiben. – Neate lasse ich bitten daß er von den vielen Werken, welche er von mir mitgenommen, doch nichts bekannt mache, bis ich selbst


*) NB. (können Sie mehr haben, desto besser.)

(Es sollte wohl seyn können!!!!)


[119] nach London komme, dieß hoffe ich sicher künftigen winter, ich muß, wenn ich nicht ein Bettler hier werden will – alles schöne an die phil: Gesellschaft – nächstens schreibe ich ihnen mehreres und bitte sie noch einmal baldigst zu antworten wie immer ihr wahrer freund


Beethoven.


Viel schönes an ihre schöne Frau.«


(Rückseite)


»A Monsieur

Ferdinand Ries

celébre Compositeur

a

Londres


chez B. A.

Goldschmidt

et Compagnie.

Verzeihen sie die doppelte Adresse Verwirrung.«


In diesem Briefe nennt also Beethoven die Sonate und das arrangierte Quintett Ries gegenüber zum ersten Male; er ging also dem Briefe vom 30. April (richtiger 30. März), den Ries in den Notizen mitteilt (S. 147), voran. Hier folgt er nochmals, da er im Zusammenhang unentbehrlich ist:


»Wien am 30. April 1819.82


Mein lieber Ries!


Erst jetzt kann ich Ihr letztes vom 18ten Dezember beantworten. Ihre Theilnahme thut mir wohl. Für jetzt ist es unmöglich, nach London zu kommen, verstrickt in so mancherlei Umstände; aber Gott wird mir beistehen, künftigen Winter sicher nach London zu kommen, wo ich auch die neuen Sinfonien mitbringe. Ich erwarte ehestens den Text zu einem neuen Oratorium, welches ich hier für den Musik-Verein schreibe, wel ches uns wohl noch in London dienen wird. Thun Sie für mich, was Sie können; denn ich bedarf es. Bestellungen von der philharmonischen Gesellschaft wären mir sehr willkommen gewesen; die Berichte, welche mir unterdessen Neate über das beinahe Mißfallen der drei Ouvertüren geschickt hat, waren mir verdrießlich; jede hat hier in ihrer Art nicht allein gefallen, sondern die in Es- und C dur- sogar großen Eindruck gemacht. Unbegreiflich ist mir das Schicksal dieser Compositionen bei der p. G. Sie werden das arrangirte Quintett und die Sonate schon erhalten haben. Machen Sie nun, daß beide Werke, besonders das Quintett sogleich gestochen werden. Mit der Sonate kann es schon etwas langsamer gehen, doch wünschte ich, daß sie wenigstens innerhalb zwei oder [120] längstens drei Monaten erscheine. Ihren von Ihnen erwähnten früheren Brief erhielt ich nicht; daher ich keinen Anstand nahm, beide Werke hier auch zu verschachern, – aber das heißt: bloß für Deutschland. Es wird unterdessen ebenfalls drei Monate, bis die Sonate hier erscheint; nur mit dem Quintett eilen Sie. Ich werde, sobald Sie mir das Geld hier anweisen, eine Schrift für den Verleger als Eigenthümer dieser Werke für England, Schottland, Irland, Frankreich u.s.w. schicken.

Die Tempo's nach Mälzels Metronom bei der Sonate erhalten Sie mit nächster Post.83 De Smidt, Courier bei dem Fürsten Paul Esterhazy, hat das Quintett und die Sonate mitgenommen. Mit nächster Gelegenheit erhalten Sie auch mein Porträt, da ich höre, daß Sie es wirklich wünschen.

Leben Sie wohl, halten Sie mich lieb ,


Ihren Freund

Beethoven.


Alles Schöne an Ihre schöne Frau!!!

Von mir!!!!!«


Der frühere, undatierte Brief muß demnach früh im Jahre 1819 (Thayer hielt für möglich noch 1818) geschrieben sein, vielleicht im Februar, wo Beethoven den Plan zu einem Sommeraufenthalte schon fassen konnte. Ob Beethoven den Brief von Ries vom 18. Dezember, auf den er antworten wollte, schon hatte, können wir nicht wissen, ist auch hier nicht entscheidend, da ja doch Beethoven in Aussicht stellt, nächstens »mehreres« zu schreiben. Jedenfalls wurde der Stich in London bald in Angriff genommen, wie aus Ries' Mitteilungen zu entnehmen ist.

In Wien wurde die Sonate an die Firma Artaria zum Stich gegeben; er erhielt dafür ein Honorar von 100 Dukaten84 Am 24. Juli 1819 ließ ihm Artaria die Korrektur zugehen.85 Am 15. September zeigte sie derselbe in der Wiener Zeitung mit folgenden Worten an: »Indem wir hier alle gewöhnlichen Lobsprüche beseitigen wollen, welche für die Verehrer von Beethovens hohen Kunsttalent ohnedem überflüssig wären, dadurch aber zugleich dem Wunsche des Autors entgegenkommen, so bemerken wir nur in einigen Zeilen, daß dieses Werk sich vor allen andern Schöpfungen dieses Meisters nicht allein durch die reichste und größte Fantasie auszeichnet, sondern daß dasselbe in Rücksicht der künstlerischen Vollendung und des gebundenen Styles gleichsam eine neue Periode in Beethovens Klavierwerken bezeichnen wird.«

Die Sonate erschien dann unter dem Titel: »Große Sonate für das Hammerklavier Seiner Kais. Königl. Hoheit und Eminenz, dem Durchlauchtigsten [121] Hochwürdigsten Herrn Herrn. Erzherzog Rudolph von Oesterreich Cardinal und Erzbischoff von Olmütz etc. etc. etc. in tiefster Ehrfurcht gewidmet von Ludwig van Beethoven.« Op. 106.86 Bald nach dem Erscheinen (am 1. Oktober) erbat sich Beethoven in einer scherzhaften Zuschrift 6 Exemplare der Sonate und 6 der Variationen über die Schottischen Lieder.87 Beethoven zeigte Ries am 10. November das Erscheinen an (s. den Brief bei Ries Notizen S. 152) und wollte ihm ein Exemplar zur Benutzung bei der Korrektur schicken; die englische Ausgabe war also noch nicht fertig.

Diese Sonate Op. 106 war also das eigentliche Hauptwerk des Jahres 1818; sie sollte, wie Beethoven zu Czerny sagte, seine größte werden, und sie ist es geworden, nicht nur dem äußeren Umfange, sondern auch dem inneren Gehalte nach.88 Es ist die Arbeit, welche neben kleineren auf den Erwerb gerichteten Arbeiten, unter dem Drucke widriger äußerer Verhältnisse seine Seele ausfüllte, die Arbeit, zu welcher er zurückkehrte, wenn ihm der Druck des Lebens etwas Ruhe verstattete. »Die Sonate ist in drangvollen Umständen geschrieben,« schrieb er an Ries (19. April 1819). »Denn es ist hart, beinahe um des Brotes willen zu schreiben, so weit habe ich es nun gebracht.« Wenn Lenz (IV S. 31) meint, die Sonate sei »der über die böse Schwägerin und, in ihrer Person, über die Kleinbürgerlichkeit im Leben davongetragene Sieg der künstlerischen Seele,« so gibt er ihr doch einen etwas zu kleinlichen Hintergrund. Außer dieser Sorge um den Neffen waren doch noch andere Momente vorhanden, welche sein Gemüt drückten: seine Gehörlosigkeit, seine fortgesetzt leidende Gesundheit, seine[122] Vereinsamung und der gestörte Verkehr mit Welt und Publikum, die Unsicherheit seiner äußeren Existenz und die in diesem allen begründete Hemmung in der Verfolgung seiner künstlerischen Absichten. Von diesen trüben Eindrücken durch eine künstlerische Tat sich zu befreien, strebt er, wie durch andere Werke dieser Zeit, so auch durch diese Sonate, die in diesem Sinn ein großes Selbstbekenntnis ist. Und vor wem legt er dieses Bekenntnis zunächst ab?

Die Sonate ist dem Erzherzog Rudolph gewidmet und war ihm von Anfang an zugedacht. Wie sehr er diesen Fürsten, trotz mancher unmutigen Äußerung, innerlich verehrte, beweisen alle seine Briefe an ihn, beweist vor allem sein freier Entschluß, zu seiner Inthronisation eine Messe zu schreiben. Unter den Skizzen zum ersten Satze findet sich der Anfang zu einem Liede zu Ehren des Erzherzogs (»vivat Rudolphus«), welches weiterhin als Chor behandelt werden sollte; ein Motiv, welches sich hier findet, sieht der Hauptfigur der Sonate sehr ähnlich, wenn es nicht überhaupt für dieselbe bestimmt war. War es das nicht, dann dürfen wir darin mit Nottebohm die Absicht erkennen, die Widmung gleichsam vorwegzunehmen.

Jedenfalls führt uns der erste Satz in den Ausdruck festlicher Freude ein, der Freude über ein Fest, mit welchem es dem Meister hoher Ernst ist und dem er seine beste Kraft widmen will. Mit gebietendem Nachdruck, scharf rhythmisch, in wahrhaft antiker Würde und Festigkeit tritt das Eröffnungsthema auf, und in graziöser Bewegung huldigt ein zartes Gegenthema, bis gleichsam voller Chor den Preis anstimmt; was wir in Erinnerung an die Skizze wohl sagen dürfen. Nachdem das Hauptthema wiedergekehrt ist und nach D geführt hat, beginnt ein lebhaftes Spiel, zum Teil in eilenden Gängen, dann in einem stolzen und festen Thema in G; weitere lebhafte, stellenweise scharf markierte Bewegung führt zum Höhepunkte der festlichen Freude.89 Hier senkt der Meister, der all sein frisches und entschiedenes Wollen und Hoffen in das Stück hineinverwebt, zweifelnd und wehmütig die Augen – es ist das überaus innige G dur-Thema S. 57 am Schluß – um sie jedoch bald zu dem langen Triller wieder zu erheben und in voller Kraft zu schließen. Schon hier läßt ein Rückblick den ungemeinen Reichtum der Erfindung in diesem Satze erkennen, die große Zahl selbständiger Motive ist allein schon hinreichend, dem Satze eine mehr wie übliche Ausdehnung zu geben. Diese Motive in schöner Gegensätzlichkeit schließen sich organisch aneinander, ohne daß mit Übergängen und Füllstücken Aufwand gemacht wird; vielleicht wird man gerade darum so[123] von der Wucht des einzelnen gefangen und erdrückt, weil der Reichtum des Ganzen so erstaunlich ist; die schöne Entwickelung der Stimmungen erschließt sich erst allmählicher Aufnahme. Daß im Durchführungssatze das Thema einer kunstvollen fugierten Behandlung unterliegt, entspricht der gewichtigen Bedeutung dieses Hauptmotivs und Beethovens besonderer Neigung in diesen späteren Jahren. Die weitere Entwickelung des Satzes können wir hier nicht beschreiben,90 sondern müssen auf aufmerksames Hören und Studium verweisen. Hervorzuheben ist der Schluß, in dessen kurzer aus dem Thema hervorgewachsenen Figur, das, an die Molltonart erinnernd, gar nicht etwa Trübung und Zweifel, sondern Trotz und ahnende Voraussicht siegreichen Ausgangs atmet. Die vielen schönen Einzelzüge in diesem reichen Stücke, die Kühnheit der Übergänge, die verschiedene Beleuchtung, in welcher er das Hauptthema oder Teile desselben erscheinen läßt, ergänzen sich zu dem Bilde der Kraft und hoher Schaffensfreude; hier haben »drangvolle« Umstände keinen Einfluß geübt. Über die Klaviertechnik sprechen wir nicht besonders, das müssen wir den Meistern des Klavierspiels überlassen, sie ist ja auch nur Mittel zum Zweck, zum Ausdruck der Stimmung. Trotz der Schwierigkeit der Gänge und Läufe, welche alle von thematischem Gehalte erfüllt sind, spielen doch die gewohnten Klavierpassagen eine mehr untergeordnete Rolle, aber an rasches Treffen und Sicherheit des musikalischen Verständnisses werden um so stärkere Anforderungen gestellt; der Spieler muß der Technik Herr sein, musikalisch empfinden und seinen Beethoven kennen; die Bemerkung Reineckes (S. 89), daß Beethoven in den späteren Sonaten gern die äußersten Regionen des Tonsystems benutze, ohne die dadurch entstehende Kluft auszufüllen, was der Klangwirkung nicht günstig ist, findet auch auf diese Sonate Anwendung; Beethoven [124] hätte vielleicht in früherer Zeit, als er noch seine Sachen selbst am Klavier versuchen konnte, manches anders geschrieben.

Der zweite Satz (Scherzo B dur) ist nicht erheblich ausgedehnter, als die entsprechenden Sätze in anderen Werken, aber doch in seiner Entwickelung und in sei nen Bestandteilen ganz eigenartig. Die siebentaktige rhythmische Periode, aus der Wiederholung der eintaktigen Themafigur, gibt dem Ausdruck etwas Unruhiges, Unstetes; wir begleiten den Meister auf einer mühsamen Wanderung zur Höhe, welche erst allmählich festeren Schritt annimmt und in den gewohnten Rhythmus übergeht. In dem Trio (B moll), welches in seiner Fortsetzung kanonisch gebaut ist, ruht er sinnend aus, der Sinn ist aber trübe, unsicher, wenn auch die beiden wiederholt auftretenden (am Anfang des sich wiederholenden Motivs, als Fortsetzung der Schlußnoten des Scherzo), treibenden Noten auf der Tonika ihn aufzurütteln suchen; die Hoffnung auf Erreichung des Zieles ist noch fern. Es entwickelt sich ein unruhiges rasches Zwischenstück, wie zu neuem Aufraffen mahnend, welches in eine kurze Kadenz übergeht; nach kurzem Besinnen91 wird das Scherzo wiederholt, etwas belebter durch das Betonen des zweiten Achtels. Sehr sprechend ist am Schlusse, nach den kräftig treibenden Schlußnoten, die kurze Berührung von H moll – ein verlangendes Weiter-Ausschauen – nach welcher in wenigen Takten mit dem Anfangsthema geschlossen wird.92

Die Krone des ganzen Werkes ist das Adagio (Fis moll, con molto sentimento), welches gebührend zu schildern, Worte unvermögend sind. Das ist gewiß der ergreifendste Klagegesang, der je für Klavier geschrieben ist; das ist der ganze Mensch, es ist der ganze Beethoven, der hier dem von ihm verehrten Fürsten sein ganzes Innere zeigt. Schon an äußerem Maße übertrifft er alle früheren ähnlichen Sätze; weit ausgespannte, groß angelegte Themen, die voll austönen, geben dem Satze die weitesten Verhältnisse und dies im vollsten harmonischen Ebenmaße, so daß derselbe nicht aufhört bis ans Ende zu fesseln. All das tiefe Leid, das des Meisters Seele in diesem Jahre in sich aufgenommen, ist hier gesammelt und drängt sich kundzugeben. In vollen Akkorden, doch in gedämpftem Klange (una [125] corda); in sprechender melodischer Führung hebt der Gesang an, Erinnerung an verlorenes Glück klingt hinein, um gleich wieder der trauervollen Wirklichkeit zu weichen. Aus der Klage ringt sich, indem die Dämpfung verschwindet, heißes verlangendes Flehen empor, zuerst verschleiert in tiefer Lage, dann sich höher hebend; warme Trosteshand umfängt ihn, – doch umsonst, nur unruhiger und leidenschaftlicher tritt die Klage wieder auf. Bei der Wiederholung des Themas verwendet er schön die ihm so geläufige Form der Figural-Variation, das scheinbar äußerliche Spiel dient aber hier der tiefsten Innerlichkeit. Der Trost verliert seine Kraft, der Mangel desselben führt zu lautem Hülferufe, immer in Schranken gehalten durch den weisen Kunstverstand des hohen Meisters, der die Schönheitslinie nie verläßt. Wie denn die Ergebung in das Unabänderliche langsam sich vollzieht und in dem Fis dur-Akkord ahnungsvoll ausklingt – auch das kann mit Worten gar nicht beschrieben werden. Gewiß, ein schöneresAdagio für Klavier ist nie geschrieben, und wir haben auch keine Hoffnung, daß je wieder Ähnliches hervortreten werde.

Auf dieses Adagio bezieht sich Beethovens Äußerung in dem Briefe an Ries vom 16. April 1819 (Notizen S. 148), worin er die metronomischen Bezeichnungen für die Sonate mitteilt und die Einschaltung des Anfangstaktes für das Adagio verlangt, a cis, der Terz und Quinte der Tonart. Ries äußert sich darüber (S. 107) sehr entzückt, und in der Tat hebt die Voranstellung der beiden Noten den Eintritt der Melodie ungemein. Aber, was auch Ries anzudeuten scheint, der Gedanke war bei Beethoven gewiß nicht erst im letzten Augenblick entstanden, sondern vorher erwogen worden. Es war Ries offenbar entgangen, daß dieser kurze Gang wiederholt im Verlaufe des Satzes als Begleitung zum ersten Takte des Themas vorkommt; er gehört also organisch zu dem Satze, Beethoven wollte ihn durch die Voraussetzung in seiner Bedeutung klarstellen.93

Das große Werk mußte einen seiner würdigen Abschluß erhalten; Beethoven wählte dazu wieder die Fuge, aber in einer Gestalt und Ausdehnung, wie man sie auf dem Klavier wohl kaum je gehört hatte; sie sollte offenbar den Schluß und Gipfelpunkt des ganzen Stimmungsbildes bilden. Als Vorbereitung läßt er ihr ein Largo vorhergehen, unsicher beginnend mit tastenden Gängen auf F, der Dominante der Haupttonart, die zu wechselnden Harmonien führen; charakteristisch für dieselben ist das allmähliche Hinabgehen des Grundtons in einem Terzenzirkel bis D, welches[126] dann zu A führt; aus diesem entwickelt sich dann in mächtigem Ansturm die Haupttonart.94 Zwischen mehreren der einzelnen Stufen werden kurze phantasieartige Sätzchen eingemischt; das Ganze erweckt den Eindruck des Tastens und Suchens, der Komponist strebt nach allem Ungemach sich selbst wiederzufinden und bricht nun, da er das Ziel sieht, in helle Befriedigung aus, die zunächst in dem langen Triller ihren bewußten Ausdruck findet. Nun tritt das Thema ein, in welchem der Triller durch das ganze Stück hindurch seine deutlich fühlbare Rolle spielt; es zeigt kräftiges selbstbewußtes Wollen und sieghafte Festigkeit. Er hat diese dreistimmige Fuge, wie er selbst darüber schreibt, con alcune licenze behandelt und bedient sich dieser Freiheit, bei klar erkennbarer Fugenform, in ausgedehnter Weise; die Phantasie soll, wie er ja zu Holz sagte, auch ihr Recht haben. Er läßt schon den Gefährten in etwas unregelmäßiger Weise eintreten, verändert in den Stimmen die Fortsetzungen des Themas und läßt sie überhaupt in einer Ausdehnung der Lagen auftreten, wie sie auch der Klaviersatz nur schwer ermöglicht, wie sie bei einem anderen Instrumente ausgeschlossen wäre. Der Form, der kontrapunktlichen Setzart ist er völlig Herr, aber von der Strenge derselben, die der Theoretiker hier und da vermissen mag, befreit er sich mit Bewußtsein und Absicht. Nichts war thörichter, als das ehemalige Gerede von Beethovens Unvermögen, in diesem Stile zu schreiben. Wenn wir bei näherem Eingehen die Struktur des großen Satzes als klar und wohl geordnet anerkennen müssen, so konnte doch die alte Strenge des Stiles seinen Forderungen an den Ausdruck der Empfindung nicht mehr entsprechen, er mußte suchen, sie mit letzterem in Einklang zu bringen. Er weitet die Form aus und bringt, während er die Grundbewegung festhält, neue Motive, wodurch kleine Zwischensätze entstehen, und moduliert dabei in entlegene Tonarten, aus denen er in bekannter genialer Weise wieder zurückleitet. Da ist die ausdrucksvolle Episode in H moll (S. 88 der N. A.), welche wie eine Mahnung, wie ein Nachlassen der Kraft klingt; die zagende, abgebrochene Figur aus der Sechzehntelbewegung ist dabei besonders sprechend – vielleicht nicht eben anmutend. Einmal (S. 92) wird die Bewegung durch einen kurzen D dur-Satz vollständig unterbrochen, der beruhigt und sicher klingt und sich dem Siege nahe fühlt; das wird noch anschaulicher dadurch, daß das Motiv dieses gleichfalls polyphon gestalteten[127] Sätzchens sich nachher mit dem Fugenthema verbindet. Diese Episoden sind gleichsam retardierende Momente, nach welchen die Herrschaft des Hauptgedankens um so nachdrücklicher sich geltend macht. Die neuen Eintritte des Fugenthemas vollziehen sich organisch und regelmäßig, besonders beherrscht die Trillerfigur desselben den ganzen Satz und bringt überall, wo die Kraft nachzulassen scheint, neue Entschiedenheit. Dazu kommen alle bekannten Künste der Fugenform, Umkehrung des Themas, Verdopplung seiner Notenwerte, Engführungen, Orgelpunkte, wo sogar kurz einmal die vierte Stimme hinzugenommen werden muß; wie überhaupt gegen den Schluß das Auseinanderhalten der Stimmen schwierig ist. Der Schluß mit seiner frischen Bewegung, den wechselnden Trillern, dem pompösen Unisono verbürgt den vollen Sieg der edlen und stolzen Erhebung über alle Störungen des Daseins.

Bei unserer vollen Bewunderung des letzten Satzes in seinen Motiven, der Kunst der Ausgestaltung, der Stimmungsentwicklung im Verhältnis zu den früheren Sätzen dürfen wir aber nun auch unseren Bedenken darüber Ausdruck geben, daß er an dieser Stelle steht. Als polyphoner, also an sich schon schwer aufzufassender Satz ist er, wie wir meinen, zu lang, und der melodische Reiz wird mehrfach zurückgedrängt durch die zwar kunstvolle und strenge, mehrfach aber zu verstandesmäßige Detailarbeit, unter welcher auch der Wohlklang stellenweise gelitten hat. Auch wird das Verständnis erschwert durch das zu ausgedehnte Modulieren in ferne Tonarten. Dazu dannnoch die große technische Schwierigkeit; auch für durchgebildetste Künstler dürfte es zu den schwersten Aufgaben gehören, das Stück nicht bloß notenrichtig, sondern auch in der Verflechtung der Stimmen klar zur Darstellung zu bringen; und diese Schwierigkeit teilt sich naturgemäß auch dem Hörer mit und erschwert das Verständnis. Wer von dem Vollgenusse der späteren Werke Beethovens kommt, wird uns kaum widersprechen, wenn wir sagen für seine Eigenart, sein tiefstes Empfinden war die Fugenform nicht der naturgemäße Ausdruck. Es mußte ein Widerstreit entstehen zwischen dem vollen Strom der Empfindung, den er der Regel nach walten läßt, und der strengen Gesetzmäßigkeit der bestimmten polyphonen Form, der er zu genügen strebt. Daher haben seine Arbeiten dieser Art aus späterer Zeit so vielfach etwas abstraktes, verstandesmäßiges. Wir bewundern die starke Willenskraft, die zähe Gewissenhaftigkeit, die staunenswerte Kunst, mit welcher er hier arbeitet, meinen aber zu empfinden, daß er die Spur des mühsamen Arbeitens nicht ganz verwischt hat. Wir scheiden von dem Satze, so gut wir seine Bedeutung für das Ganze zu verstehen meinen, und so hell uns die Kunst des Meisters, [128] die Energie der Tongedanken entgegenleuchtet, doch nicht mit der vollen Erhebung und inneren Erwärmung, die von anderen Sätzen jener Zeit erzeugt wird. Reinecke95 wollte es keinem »Nicht-Musiker« glauben, wenn er behaupte, diesen Satz zu lieben; wir fürchten, daß auch manche Musiker ihn nicht so sehr lieben, und er selbst scheint diesem Standpunkte nicht fern zu sein; sonst hätte er doch der wißbegierigen Freundin etwas Belehrendes über den Satz gesagt. So fürchten auch wir keine Versündigung an Beethoven zu begehen, wenn wir unseren Bedenken darüber Ausdruck geben, daß der herrliche Eindruck der früheren Sätze der Sonate durch diesen schwierigen Satz, der auch in seiner Weise scharfe Aufmerksamkeit fordert, gewissermaßen in den Hintergrund gedrängt wird. Beethoven würde ihn in früheren, frischeren Jahren ohne Zweifel anders gestaltet haben, und wir dürfen bedauern, daß er nicht, wie es später bei dem B dur-Quartett geschah, statt dieser hochbedeutsamen Arbeit im polyphonen Stile dem herrlichen Werke einen den übrigen Sätzen entsprechenden Schlußsatz beigegeben hat, der den herrschenden Gedanken mit gleicher Entschiedenheit hätte aussprechen können. –

Gleichzeitig mit der Sonate arbeitete Beethoven an der neunten Symphonie, welche dann aber liegen blieb, als ihn die große Messe vollständig in Anspruch nahm. Skizzen und Bemerkungen96 lassen erkennen, daß er zwei Symphonien schreiben wollte, in deren einer auch Singstimmen eintreten sollten; an die Verwendung von Schillers »Freude« dachte er aber damals noch nicht. Diese Sache verfolgen wir an einer anderen Stelle.

[129] Daß auch die große Messe schon in diesem Jahre begonnen wurde, ist bereits oben nach Schindler mitgeteilt. »Im Spätherbst 1818,« erzählt er (I S. 269), »sah ich diese Partitur beginnen, nachdem so eben die Riesen-Sonate in B dur, Op. 106, beendet war.« Wie weit Beethoven in diesem Jahre mit der Arbeit vorrückte, kann nach den bisher bekannten Skizzen nicht festgestellt werden; daß das Kyrie begonnen, vielleicht im Entwurf fertiggestellt wurde, darf angenommen werden. Und da er im Jahre 1819 anhaltend amCredo arbeitete, kann auch das Gloria schon im Jahre vorher in Angriff genommen worden sein. Auch auf dieses Werk haben wir noch im Zusammenhange zurückzukommen.

Im Anschlusse an die Erwähnung dieses Werkes fügen wir eine Stelle aus dem mehrerwähnten Tagebuche ein, welche nach der Umgebung, in welcher sie steht, in diesen Mödlinger Sommer gehört:


»Um wahre Kirchenmusik zu schreiben – – alle Kirchenchoräle der Mönche [als] durchgehen [er] auch zu suchen, wie die Absätze in richtigsten Uebersetzungen nebst vollkommener Prosodie aller christkatholischen Psalmen u. Gesänge überhaupt.

Opfere noch einmal alle Kleinigkeiten des gesellschaftlichen Lebens Deiner Kunst. O Gott über alles! Denn die ewige Vorsicht lenkt allwissend das Glück oder Unglück sterblicher Menschen.

Es sind ja den Menschen nur wenige Tage beschieden.«


»Wer nur grausam denkt und grausame Handlungen ausübt

Diesen wünschen alle so lange er lebet nur Unglück!

Und noch selbst im Tode wird sein Gedächtnis verabscheut.

Aber wer edel denkt und edle Handlungen ausübt

Dessen würdigen Ruhm verbreiten die Fremdlinge weithin

Ueber die Menschen auf Erden und jeder segnet den Guten.«


Homus [sic].97


»Gelassen will ich mich also allen Veränderungen unterwerfen und nur auf Deine unwandelbare Güte o Gott! mein einziges Vertrauen setzen. Dein Unwandelbarer Diener soll sich meine Seele erfreuen. Sei mein Fels, mein Licht, ewig meine Zuversicht!«


Mitten zwischen den Skizzen zur B dur-Sonate begegnen Ansätze zu Vokalkompositionen, wie sie auf den Wanderungen bei Mödling entstanden sein werden; darunter einige Takte zu Goethes, »Haidenröslein«, welches er noch mehrmals in Angriff nahm, um dann schließlich für dieses Lied Fr. Schubert die Palme zu überlassen.98 Dann begegnet ein kurzes[130] Klavierstück in B dur, welches als Beilage der Berliner musikal. Zeitung vom 8. Dezember 1824 erschien, mit der Überschrift, »Auf Aufforderung geschrieben Nachmittags am 14. August 1818 von Beethoven.« Weiter wird dort gesagt, Beethoven habe das Stück »für eine ihm fremde Dame auf deren dringendes Bitten geschrieben.« Diese Dame war nach Marx99 die Pianistin Sczimanowska, für deren Stammbuch das Stück bestimmt war. Das kleine Stück, welches Beethoven wie immer vorher entwarf,100 trägt durchaus den Charakter des Gelegenheitsstücks, überrascht aber auch in der knappen Form durch kühne Modulation und sprechende Motive, und birgt mehr Gehalt, als man bei seiner Kürze und Anspruchslosigkeit erwartet; ein Nebengedanke eines gleichzeitig mit hohen Plänen beschäftigten Geistes. Bei Schlesinger ist es dann seltsamerweise alsDernière pensée musicale herausgegeben.101

Die musikalisch gehobene Stimmung in der Zeit, da er in Mödling an der Sonate schrieb, spricht auch aus den Motiven, die er »auf dem Wege Abends zwischen den und auf den Bergen« zu frommen und ernsten Texten niederschrieb.102 Eine setzen wir hierher:


2. Kapitel. Das Jahr 1818

Wenn Beethoven sich in einem Briefe an Hauschka (oben S. 100) klagend darüber aussprach, daß er »in Klüften und Thälern« umherwandelnd so viel um des Geldes willen, »schmieren« müsse, um Ruhe zu erhalten zu einem großen Werke, so darf darauf hingewiesen werden, daß auch in diesem Jahr die Arbeiten für Thomson in Edinburgh ihren Fortgang nahmen, wie aus den im Anhange mitgeteilten Briefen hervorgeht.103 Thomsons V. Band, der alle die bekannten Schottischen Lieder Op. 108 enthält,104 erschien in diesem Jahre; sein Inhalt kann also als 1818 komponiert nicht [131] in Anspruch genommen werden; die von Thomson herausgegebenen irischen und wallisischen Lieder stammen ohnehin aus den früheren Jahren. Dagegen dürften die meisten der in Bd. VI von Thomson herausgegebenen, sowie mehrere der in der 1822–24 veranstalteten Oktavausgabe erschienenen in dieser Zeit bearbeitet sein, wenn auch das Jahr nicht genau festzustellen ist. In den zuletzt entstandenen Liedern scheint Beethoven mit Vorliebe mehrstimmige Bearbeitung gewählt zu haben.

Trotz der starken Betonung des Geldverdienstes in dem Briefe an Thomson sieht man doch bei näherer Prüfung, daß Beethoven mit ganzer Liebe und Aufwendung seines künstlerischen Vermögens an dieser Arbeit war. Er schätzt, wie er schreibt, die schottische Nation und ihre Nationalmelodien; er ist eifrig besorgt, den ihm übersandten Melodien die richtige melodische Gestalt in angemessener Tonart zu geben, erbittet sich die Texte, wenn möglich in Prosa, um die richtige Stimmung zu erkennen und auszudrücken, und erfindet, nachdem er sich in dieselbe versenkt hat, die Begleitung nach Harmonie und Bewegung ganz selbständig; hier ist er ganz der eigenartige Komponist, wie wir ihn kennen, besonders in den aus dem Charakter der Melodien heraus erfundenen Vor- und Nachspielen, wo denn auch die Instrumente feinsinnig und ihrer Natur entsprechend, ohne sich vorzudrängen, behandelt sind. Überall wird die Melodie und die Gesamtstimmung ihrem Charakter nach ins rechte Licht gestellt und gehoben; Beethoven hat sich in den eigentümlichen, mehrfach trüben und melancholischen Charakter dieser schottischen Weisen ganz eingelebt, während er auch den mehr heiteren, wozu namentlich die wallisischen Melodien gehören, gerecht zu werden sucht. Es sind durchweg ganz selbständige, echt Beethovensche Gebilde, man vergißt mitunter ganz, daß die zu grunde liegenden Melodien nicht von ihm sind; er lebt ganz in ihnen, die Mittel, sie zu höherer Bedeutung zu heben, konnte nur Beethoven so erfinden und beherrschen. Wir können das hier nicht ins einzelne verfolgen, diese Seite von Beethovens Tätigkeit, wenn er sie auch nur in fremdem Auftrage und aus äußeren Rücksichten aufgenommen hatte, verdiente wohl eine eingehende, monographische Behandlung, zumal jetzt der größte Teil des Bestandes in der neuen Gesamtausgabe vorliegt; im Rahmen unserer gegenwärtigen Arbeit können wir das jetzt nicht unternehmen.105 Beethoven hatte Interesse [132] an der Arbeit gewonnen und wollte eine Sammlung von Volksliedern verschiedener Nationen (Chansons de divers Nations) herausgeben, doch wollte Thomson auf den Gedanken nicht eingehen.106 Doch hat er noch eine ziemliche Zahl solcher Arbeiten gemacht, von welchen nach Thayers Meinung noch manche aufzufinden sein werden. Eine Anzahl (12) hat Espagne nach den auf der Berliner Bibliothek befindlichen Autographen 1860 herausgegeben,107 darunter zwei italienische, ein venetianisches und O sanctissima, 3 stimmig gesetzt. Manche dieser Volkslieder können in der Zeit, in welcher wir stehen, bearbeitet sein; wir erfahren, daß er noch 1821 diese Arbeit verfolgte. Eines dürfen wir bedauern: daß es ihm versagt blieb, in den Vorn des eigenen vaterländischen Volksliedes herabzusteigen; ihn reizte das Fremdartige. Doch schickt er 1820 Simrock zwei österreichische Volkslieder und schreibt dazu »ich denke eine Volkslieder Jagd ist besser als eine Menschen-Jagd der so gepriesenen Helden«. (Nohl N. Br. Nr. 252) Jenes blieb Brahms vorbehalten. –

Der Bearbeitung der Lieder sind noch die Variationen beizufügen, welche Beethoven in diesem und dem folgenden Jahre teils über Themen aus diesen Liedern, teils über andere volksmäßige Motive schrieb und für Klavier allein oder mit Flöte oder Violine als Op. 105 und 107 erscheinen ließ. Der Gedanke daran war schon 1816 von Birchall in London angeregt worden; auf Beethovens hohe Forderung wollte aber der englische Verleger nicht eingehen, und auch, nachdem die Forderung ermäßigt worden war, wurde nichts aus der Sache. Nun bot er am 21. Februar 1818 (vgl. Anh.) Thomson 12 Ouvertüren108 für 140 Dukaten und 12 Themen mit Variationen für 100 Dukaten an, oder wenn er beides zusammen oder gleichzeitig haben wolle, das Ganze für 224 Dukaten. Die 12 Themen wurden an Thomson geschickt und von ihm auch herausgegeben.109 Er komponierte im ganzen 16 Themen mit Variationen und gab sie in zwei Sammlungen [133] heraus, die erste (6 enthaltend) alsOp. 105 1819 bei Artaria in Wien,110 die zweite (10 Themen)1820 als Op. 107 bei Simrock in Bonn.111

Die Arbeit hing mit der Beschäftigung mit ausländischen, vorzugsweise schottischen Volksweisen (dem Worte schottisch gab Beethoven eine ziemlich weite Ausdehnung) eng zusammen; er gesellte ihnen noch einige andere (z.B. zwei Tiroler Melodien) hinzu.112 Diese Variationen sind im ganzen wenig bekannt geworden; auch die über Beethoven geschrieben haben, wissen über dieselben wenig oder nichts zu sagen.113 Und doch verdienen sie nicht übersehen zu werden. Das alte Geschick im Figurieren des Themas, in der Bildung neuer Motive im Anschlusse an dasselbe, im Gestalten einheitlicher kleiner Gebilde bewährt sich, wie man erwarten kann, auch hier; nur ist alles knapper, wie es die größere Zahl der zu bearbeitenden Melodien mit sich bringt, und es strömt nicht so unmittelbar aus dem Vollen; man merkt mehr den reflektierenden, mit Bewußtsein sich zurückhaltenden Künstler. Wer dem nun eine triviale Deutung geben will, mag sagen, Beethoven habe sie des Verdienstes wegen geschrieben, und kann sich dafür auf Beethovens eigenes Zeugnis berufen. Davon ist aber noch ein weiter Schritt bis zu der Behauptung, er habe sie darum mit weniger Sorgfalt und Anteil geschrieben. Er hat sie ebenso wie andere Werke skizziert und war keineswegs in kurzer Zeit mit ihnen fertig. Er will vor allem den Gehalt der Melodie zu klarer Anschauung bringen und hat es gar nicht auf besondere Künste und Wirkungen abgesehen; wer tiefe seelische Eindrücke, wie in den großen gleichzeitigen Werken, vermißt, dem kann in Beethovens Sinne einfach geantwortet werden, daß hier eben die Liedmelodien wirken sollen und nichts anderes. Die Weise des späteren Beethoven empfinden wir mehrfach in dem Figurenwerk und den kühnen Harmoniefolgen; man [134] beachte z.B. den Schluß von Var. 3 inOp. 105, 4; auch im übrigen wird man den Geschmack und die Sorgsamkeit des Meisters nicht verkennen. Die Klaviertechnik berührt sich mehrfach mit gleichzeitigen Werken, z.B. der Sonate Op. 109; ungewöhnliche Schwierigkeiten sind nicht geboten, aber saubere Ausführung wird verlangt. Man sollte aufhören, dieses Werk mit Geringschätzung beiseite liegen zu lassen.

Von Werken, die in diesem Jahre zur Veröffentlichung kamen, ist nicht viel hinzuzufügen. Am 1. Juni 1818 erschien der schon erwähnte V. Band der Thomsonschen Ausgabe der Lieder; nach seinen Worten in der Vorrede the fifth Volume of Select Scottish Melodies with Symphonies and Accompaniments to each Melody for the Pianoforte, Violin and Violoncello composed by Haydn and Beethoven.114

Außerdem wurde das Lied»Resignation« (S. o. S. 75) in diesem Jahre (31. März) veröffentlicht als Beilage der Wiener Modenzeitung.

Fußnoten

1 S. Anh. 33 und Köchel Br. S. 42.


2 Vgl. auch Breuning, aus d. Schwarzspanierhause S. 84.


3 Wegeler, Nachtrag zu den Notizen, S. 12.


4 Mälzl schrieb ihm am 19. April aus Paris, daß er fleißig an der verabredeten Gehörmaschine zum Dirigieren gearbeitet und ihr auch eine gefällige Form gegeben habe, und daß er, wenn es zum wirklichen Antritt der projektierten gemeinsamen Reise komme, mit derselben vor ihm erscheinen werde. Es kam zu keiner Reise und wir hören auch nichts weiter von dieser Sache. Auch vorher hatte Mälzl schon Hörrohre für Beethoven verfertigt, s. Bd. III S. 219, Wasielewsky II S. 89.


5 In Czernys Mitteilungen an O. Jahn. Vgl. hier auch die Betrachtungen Wasielewskys II S. 268 fg. An einer anderen Stelle sagt Czerny: »Da Beethoven gewohnt war, alles mit Hülfe des Klaviere zu komponiren, und manche Stelle unzählige Male zu probiren, so kann man sich auch denken, welchen Einfluß es hatte, als seine Gehörlosigkeit ihm dieses unmöglich machte. Daher der unbequeme Klaviersatz in seinen letzten Sonaten, daher die Härte in der Harmonie und wie Beethoven selbst vertraulich gestand, daher der Mangel an fließendem Zusammenhang und das Verlassen der älteren Form.« Wir geben diese Äußerung, ohne sie uns in ihrem ganzen Inhalt anzueignen. vgl. dazu Seite 56 die Warnung an Potter. Czernys Aussage ist hier wohl allzuviel Gewicht beigelegt.


6 Ich entnehme diese Angaben einem Briefe von Herrn A. I. Hipkins an Grove vom 28. Aug. 1876, den ich in Thayers Materialien finde.


7 In einer 1862 in London erschienenen Broschüre:International Exhibition 1862. List of Pianoforte... exhibited by John Broadwood and Sons, London, with an historical introduction etc. heißt es S. 24: »On the 27th of December 1817the grand Pianoforte, No. 7, 362, was forwarded to Beethoven at Vienna. It had been tried by Clementi, J. B. Cramer and Ferdinand Ries (Beethovens favorite pupil, and subsequently his biographer), whose names, with those of other professors of less eminence, were inscribed upon it. It was unpacked at Vienna by Streicher, and Mr. Cipriani Potter, then happening to be at Vienna, was the first to try it. Beethoven set such value in it that he would allow no one but himself to play upon it, and, only as a great favour, used to permit Stumpff to time it.«


8 Diesen Brief erhielt I. Fr. Haast in Frankfurt a. M. 1850 von der Tochter Lichnowskys; von ersterem ging er an den jetzt verstorbenen Kaufmann Herrn C A. Bausch in Köln über. Die Erben gaben freundlich die Erlaubnis zum Abdruck.


9 Wiener Zeitung vom 8. Juni 1818: »Herr Ludwig van Beethoven, dem nicht nur Oesterreich, sondern auch das Ausland durch Anerkennung seines hohen, weit umfassenden musikalischen Genies huldigt, erhielt aus London von einem seiner dortigen Verehrer ein sehr seltenes und kostbares Pianoforte zum Geschenke, welches demselben frachtfrei bis nach Wien geliefert ward. Mit besonderer Liberalität erließ die K. K. allgemeine Hofkammer den Eintrittszoll, dem sonst fremde musikalische Instrumente unterliegen, und gab dadurch wieder den schönen, für die Künste erfreulichen Beweis, wie sehr man beflissen sei, in eben dem Maße so seltene musikalische Genies durch humane Werthschätzung zu ermuntern.«


10 Joseph Anton Bridi, in Firma Bridi, Parisi u. Co., Wollzeile Nr, 820.


11 Das Autograph befand sich nach Thayer im Besitze von Herrn Hollowey in London. Wir geben ihn in Beethovens Schreibweise. Der Brief war, wie man Thayer erzählte, entwendet worden und kam einige Jahre später zur Versteigerung.


12 Der Brief, den Thayer in diesem Zusammenhang einfügen wollte, steht nach Jahns Abschrift bei Kalischer S. 26.


13 Die Verhandlung Bridis mit dem englischen Absender und der Zollbehörde mögen das längere Lagern erklären.


14 Die weiter ins einzelne gehende Beschreibung dürfen wir hier wohl übergehen.


15 Das kann nicht richtig sein, es soll wohl Ende März heißen. Vor dem 8. Juni war das Instrument in Beethovens Besitz, der damals schon in Mödling war.


16 Auch das ist unrichtig, das Instrument war nach C. Potters Mitteilung bei der Ankunft verstimmt.


17 Rellstab, aus meinem Leben II. S. 255, gibt die Namen etwas andere an; bei ihm fehlt Ries und die beiden zuletzt Genannten, er fügt Moscheles und Clementi hinzu. Die Namen Cramer, Ferari und Kuyvelt nennt auch Smart in seinem Tagebuch, s. 1825.die Namen der Begutachter des englischen Flügels (nicht wie Frimmel [Beethoven-St. II. 225] meint, Geschenkgeber; »Beethoven« Seite 82 nennt er als solcjem richtig Broadwood selbst) sind zu lesen: Fr. Kalkbrenner, Ferd. Ries, G.G. Ferrari, J.B. Cramer, C. Knyvett.


18 So o. S. 85. Der Brief Broadwoods folgt hier:


»Londres ce 17. Juillet 1818.«


»Mon cher Monr Beethoven


Mon ami Monr Stumpff (porteur de cette lettre) a intention d'aller à Vienne, je n'ai pas besoijn de vous dire qu'il l'envie generalle de tout ceux qui ont jamais entendue la Musique de faire votre connaisance, ou même de vous voir, seulement de vous parler, et si vous voulez lui permettre d'accorder et de regler le piano que j'ai eu le plaisir de vous envoyer et que j'espere a merité votre approbation – je suis extremement faché d'entendre dire la semaine passé que vous avez été encore malade – mais j'espère que les nouvelles prochaine que je receverez de vous, ou de mon respectable ami Monsr Bridi me dira que vous vous portez bien encore


Toujours à vous

mon cher Monr Beethoven

votre ami sincere

Thomas Broadwood.


Je vous prie de faire bien mes compliments respectueux a monr Bridi.«


Der Brief folgt hier nach dem Original auf der Berliner Bibliothek. Nicht alle Ungenauigkeiten desselben habe ich entfernen können.


19 Daß die Mutter bei ihren Bestrebungen auch ein Geldinteresse haben konnte, kann in diesem Zusammenhange nicht in Betracht gezogen werden, da sie sich ja nicht lange vorher vertraglich verpflichtet hatte, ihren Beitrag zu den Erziehungskosten abzuführen.


20 Die Briefe können bei ihrer Einförmigkeit und Kleinlichkeit dem Texte nicht einverleibt werden; wir haben sie, auch die bereits gedruckten, im Anhange zusammen-gestellt. In einem der in der Zeit der Einrichtung des Haushalts geschriebenen Briefe kommt der Wunsch zum Ausdruck, wieder ganz seiner Kunst leben zu können.


21 Peinlich berührt in dem Briefe an Frau Streicher die etwas wegwerfende Art, wie Beethoven von der Familie Giannatasio spricht, im Gegensatze zu den Ausdrücken der Freundschaft und Dankbarkeit, die er sonst Giannatasio gegenüber anwendet.


22 Der Brief wird von Ries Not. S. 145 nicht ganz vollständig mitgeteilt. Ich gebe ihn nach Thayer. S. auch Schindler I. S. 264.


23 Es scheint also ein neuer Brief von Ries vorhergegangen zu sein. Darauf deutet auch die Erwähnung Potters.


24 Wir nehmen hier Bezug auf Frimmels Aufsatz »Beethoven in Mödling« in den neuen Beethoveniana S. 173 fg. Ob die ergötzliche Art, wie er dort ankam und seine auf dem Markte ausgeladenen Musikalien ins Haus schaffen ließ (vgl. auch Seyfrieds Studien, Anhang S. 14), in dieses Jahr oder eins der folgenden Jahre gehört, ist nicht auszumachen.Hier wäre wohl darauf hinzuweisen, daß im Sommer 1818 Beethoven selbst einige Zeit den Neffen im Klavierspiel unterrichtete »täglich durch drittehalb Stunden« (Grenzboten 1875 III. 22), daß er in dieser Zeit ernstlich mit der Idee umging, auch eine Klavierschule zu schreiben und zwar eine von allen existierenden stark abweichende (vgl. Wegelers Nachträge zu den »Biogr. Notizen« S. 23) und daß aus Schindlers Nachlasse die beiden ersten Hefte der Cramerschen Etüden mit hochinteressanten Anmerkungen Beethovens (freilich nur in Abschrift Schindlers) in den Besitz der Berliner Bibliothek gelangt sind, welche 1893 J.G. Shedlock unter dem Titel ›The Beethoven-Cramer-Studies‹ herausgegeben hat. Schindler bezeugt ausdrücklich (Beethoven 1860, II. S. 183) daß Beethoven diese 20 (oder 21) Nummern so für den Unterricht Karls vorbereitet habe. Durch diesen persönlichen Unterricht seitens des Oheims fand wohl die Tätigkeit Karl Czernys als Klavierlehrer des Neffen (seit 1816) ihr Ende, und es erfolgte weiterhin die Betrauung Joseph Czernys mit Karls Weiterbildung (vgl. Schindler das. 182). Über Beethovens Klavierspiel und seine Anforderungen an den Vortrag vgl. auch Frimmel, Beethovenstudien II. 201–272.


25 Eine Köchin scheint schon vorhanden zu sein. »Den 8. Juni 1818 ist die neue Haushälterin eingetreten« heißt es im Tagebuche.


26 Wir verweisen auf seine Erklärung im Anhang III.


27 Vgl. auch Hanslick, Gesch. des Concertwesens in Wien, S. 145 fg.


28 Vgl. über ihn Hanslick S. 115. 133. 163. Nach Frimmel Neue Beethov. S. 102 war er nachmals Rechnungsrat bei der Familienfond-Buchhalterei. S. auch Ziegler Adressenbuch 1823 S. 112.


29 Pohl S. 73.


30 Schindler II. S. 92. Pohl S. 9.


31 Schindler a.a.O. Das genaue Datum in den Materialien Thayers, das Jahr 1818, wird außer der in diesem Punkte authentischen Angabe Schindlers auch dadurch als richtig erweisen, daß man in diesem Jahre schon öffentlich der Hoffnung Ausdruck gab, im nächsten Jahre dieses Oratorium zu erhalten.


32 Dieser Brief stand bereits ungenau und unvollständig bei Schindler II. S. 94 und bei Nohl Br. B. Nr. 210, und wurde zuerst vollständig nach dem Original, welches sich im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien befindet, mitgeteilt von Nottebohm, Allg. Mus. Ztg. 1870 S. 68. Durch Mandyczewskis Güte war ich in den Stand gesetzt, das Original zu vergleichen. Auch Kalischer (Neue B. Br. S. 162) hat den Brief abgedruckt.


33 Die beiden ersten Worte sind nicht ganz deutlich, wie überhaupt das ganze mit nicht kräftiger, leicht verwischbarer Tinte geschrieben ist. Doch scheint Nottebohm das Richtige getroffen zu haben.


34 Auch die Noten sind nicht sehr deutlich, eilig geschrieben, zuweilen durch Konjektur zu ergänzen. So am Ende der ersten Notenzeile. Auch die Schlüssel sind zweifelhaft, doch wohl von Nottebohm richtig gedeutet. In der zweiten Notenzeile könnte das dritte Viertel 2. Kapitel. Das Jahr 1818 oder 2. Kapitel. Das Jahr 1818 heißen. Der Analogie entspricht ersteres, wie es Nottebohm gibt.

Z. 6. »so eine«, auch hier nicht ganz deutlich, zwischen so und eine kann noch ein Wort gestanden haben – allerdings ist grade da ein Flecken auf dem Papier, der auch auf die folgende Seite geht (so steht gegen Ende der Zeile, dann etwas Spatium, wo noch etwas gestanden haben könnte, dann der Fleck und in der neuen Zeile eine).

Z. 2. ehmalichen steht im Original, nicht »schmählichen«, wie Schindler gibt. ehmalichen kann ebensogut ehmaligen heißen, B. macht in dem vorhergehenden »allgewaltigen« das g fast ebenso, das ch meist deutlicher und bestimmter. Mehrfach 2. Kapitel. Das Jahr 1818 (4. Takt) 2. Kapitel. Das Jahr 1818 könnte auch 2. Kapitel. Das Jahr 1818 gelesen werden, was aber unrichtig wäre und von Beethoven nicht geschrieben sein kann.

Z. 6. euch könnte allenfalls auch heißen, steht aber dem euch näher; Beethovens a ist sonst nicht zu verkennen.


35 Erste Notenzeile, im 2. Takt, stehen zwei Achtelpausen. Die erste sollte doch wohl Baßschlüssel sein.

Die letzten Buchstaben des Namens sind zusammengedrängt und etwas undeutlich.


36 Da Beethoven auch 1819 den Sommer in Mödling zubrachte, so könnte auch dieses Jahr passen. Doch hat Beethoven seinen Freund Hauschka schwerlich so lange mit der Antwort warten lassen. Auch die Äußerung, er müsse des Verdienstes wegen noch einiges Kleinere schreiben, um Zeit für ein großes Werk zu gewinnen, paßt mehr zu 1818: in diesem Jahre wurde der Plan zu der großen Messe gefaßt, an welchem 1819 schon eifrig gearbeitet wurde.


37 Schindler II. S. 92. Mir liegt noch eine weitere Abschrift des Protokolls vor.


38 Diesen Brief veröffentlichte der Besitzer Karl Blaha, »Küchenmeister Sr. Eminenz des Fürst-Primas von Ungarn«, in der N. Fr. Presse vom 6. Mai 1880. Nach ihm Frimmel, N. Beethov. S. 112, der auch die Zeit zu bestimmen versucht (April oder Mai 1818 oder 1819).


39 Nicht 1819, wie Pohl S. 73 angibt. Ich verdanke die genaueren Angaben der Güte des Herrn Dr. Mandyczewski.


40 Derselbe befand sich in der Autographensammlung des verstorbenen Grafen Eugen Czernin von Chudenitz zu Neuhaus in Böhmen. Thayer erhielt Abschrift von Dr. Schebek in Prag. Gedruckt ist er bei Frimmel, N. Beeth. S. 101.


41 I S. 269 fg.


42 Dieselben wurden mit seiner Erlaubnis abgedruckt in der Allg. Mus. – Ztg. von 1864, S. 324 fg. In der Vorbemerkung zu denselben und auf dem Bilde selbst ist irrtümlich das Jahr 1817 genannt; die Mitteilungen werden sofort ergeben, daß der Verkehr 1818 statt fand. Vgl. Nohl III S. 846. Den Mitteilungen lag eine Zuschrift Klöbers an Professor Jähns in Berlin zu Grunde, welche Kalischer in dem gleich zu nennenden Aufsatze benutzt hat; durch seine Mitteilungen wird der Bericht der Allg. Mus. – Ztg. teils bestätigt, teils in einzelnen Punkten berichtigt und ergänzt.


43 Von einer näheren Freundschaft Donts und Beethovens wissen wir sonst nichts.


44 Das war wohl früher, in den letzten Jahren aber nicht geschehen.


45 Der Neffe Karl.


46 Daraus ergibt sich, daß der Besuch nicht schon 1817 stattgefunden haben konnte.


47 Damit war die Herausgabe als Zeichnung gemeint, auf welcher, nach Kalischer, nur der Kopf erschien, »getreu der Zeichnung nach der Natur, wie das Original ist«. »Als Beethoven die Klöbersche Zeichnung sah, gefiel ihm besonders die Auffassung der Haare, er lobt das Natürliche daran, denn ›sie hätten ihn bis jetzt imer so geschniegelt herausgegeben‹ « usw. Kalischer a.a.O.


48 Hieraus und aus dem oben über das Spiel des Neffen Gesagten darf man schließen, daß Beethoven damals noch Musik besser hörte wie Gesprochenes.


49 Frimmel, neue Beethoveniana S. 248 fg. Auf Frimmels Aufsatz über die Beethoven-Bildnisse sei hier nachdrücklich hingewiesen. Zu vergleichen ist aber hier auch Kalischers Aufsatz »Der Maler F. A. von Klöber und sein Beethoven-Porträt« in der Sonntagsbeilage der Bossischen Zeitung, 1889, Nr. 8. Nach seiner Angabe ist die Originalkreidezeichnung Klöbers in neuerer Zeit in den Besitz der Firma Peters in Leipzig übergegangen.


50 Ob sich darauf eine Äußerung in einem Briefe an Frau Streicher bezieht: »Carl hat morgen um 11 Uhr Prüfung« ist nicht klar.


51 Der Brief folgt hier nach dem Original auf der Berliner Bibl. Er steht bei Nohl Br. B. Nr. 220 nicht ganz genau.


52 Der Buchstabe kann A, H oder St. sein, wie bei Beethoven die Anfangsbuchstaben so manchmal undeutlich sind. A las anfangs Nohl und deutete es auf Artaria, was er später berichtigte (Biogr. III S. 847). Mit Haslinger–Steiner stand Beethoven näher wie mit Artaria; auch das amicus ad amicum kommt sonst in den Briefen an die Haslingersche Firma vor, und die Bezeichnung »im Gewölbe« wie eines bekannten Ortes paßte dazu. Es wird wohl Steiner sein.


53 Nohl unrichtig »in dem Jahr«.


54 Amicus ist über ein anderes nicht deutlich zu lesendes Wort geschrieben, anscheinend »Freund«, jedenfalls nicht »Ihr«, wie bei Nohl steht.


55 Man vergleiche das Bd. III S. 355 fg. mitgeteilte Testament des Bruders nebst dem Kodizill.


56 Auch die folgenden Angaben, die Thayer beibringt, sind den Akten entnommen.


57 Der Prozeß sorgte dafür, daß es dazu wiederum nicht kam.


58 So in der Abschrift; vielleicht ein nachträglicher Zusatz des Abschreibers.


59 Grenzboten XVI Jahrg. (1857) S. 31.


60 Hier folgt noch: »Eine seiner schönen Aeußerungen war auch wegen der körperlichen Nahrung, er habe das System, daß alles was hierin zu viel gethan würde, er als einen Diebstahl ansehe, welchen man anderen nöthigeren Ausgaben mache, als da sind: Arme, überhaupt Verwendung für den Geist.«


61 Später schreibt einmal Beethoven im K. B. unter mehreren Punkten, die man Karl vorwarf und wegen deren er vermutlich befragt werden sollte: »wegen der Beichte« (Anm.) »wo er statt zu beichten zu ihr geloffen.« Ob sich das auf die hier besprochene Sache bezieht, können wir nicht erkennen.


62 Die Angaben entnehme ich alle den Materialien in Thayers Nachlaß. Das Empfangsdatum des Berichts der Witwe lautete vom 7. Dezember.


63 Wir geben es im Anh. III.


64 Darauf bezieht sich vermutlich der Brief an den Erzherzog bei Köchel Nr. 42, wo er ins Jahr 1819 gesetzt wird. Er entschuldigt dort sein Ausbleiben durch eine gerichtliche Verhandlung wegen seines Neffen.


65 Wir müssen wiederholt bitten, die Aktenstücke im Anhang zu lesen, da sie zur Erlangung eines objektiven Urteils dienen.


66 Den Wortlaut des Schreibens des Landrechts an den Magistrat geben wir ebenfalls im Anhange. Auch Fräulein Giannatasio (Grenzb. 1857 S. 29) erzählt, daß diese Entscheidung Beethoven sehr gekränkt habe, ihre Angabe aber, auch die Bestreitung des Adels sei eine Intrigue der Mutter gewesen, ist gewiß unrichtig.


67 In dem Konv. – Buch vom Dez. 1819 steht von Beethovens eigener Hand: »Van bezeichnet den Adel u. das Patriziat nur, wenn es zwischen zwei Eigennahmen in der Mitte steht, z.B. Bentick van Dieperheim, Hooft van Vreeland etc. etc. Bei Niederländern würde man die beste Auskunft über diese unbedeutende Bedeutenheit erhalten.«


68 Thatsächlich liest man später (1820) von Beethovens eigener Hand in K. B. »da es erfuhr, daß mein Bruder nicht von Adel sei. Es ist auffallend, so viel ich weiß, daß hier eine Lücke herrschte, die sollte ausgefüllt werden, denn ich gehöre nicht gemäß meiner Beschaffenheit unter diese plebs –« Und im Febr. 1820 schreibt er für Peters im K. B., als dieser seine unzufriedene Stimmung bemerkt hatte: »abgeschlossen soll der Bürger vom höheren Menschen sein, und ich bin unter ihn gerathen.« »In drei Wochen,« sagt ihm Peters, »werde er mit dem Bürger und dem Magistrat nichts mehr zu thun haben. Man werde ihn noch um seine Unterstützung ansuchen und ihm von der Appellation die freundlichste Zustellung machen.« Nicht lange nachher erfolgte die Appellationsentscheidung.


69 Es sieht so aus, als habe Beethoven von den Vorwürfen Hotschevars Kenntnis erhalten.


70 Vgl. die Artikel bei Nottebohm II. Beeth. S. 123 fg., S. 349 fg.


71 Von diesem Briefe muß noch weiter die Rede sein. Wir werden zu bemerken haben, daß nur der Namens tag des Jahres 1818 gemeint sein kann.


72 Nottebohm a.a.O. S. 132. »Briel« – Brühl, das Tal bei Mödling.


73 Dies erzählt Schindler, Niederrhein. Musikzeitung 1854 Nr. 28 (15. Juli).


74 Handschr. Bemerkung zu Thayers chron. Verzeichniß Nr. 215.


75 Köchel Nr. 49.


76 Thayer deutete die Worte so, daß von Beethoven die beiden Stücke dem Erzherzog an seinem Namenstag überreicht worden seien. Dazu zwingen Beethovens Worte nicht; wäre es aber auch so gewesen, dann braucht auch noch nicht an fertige Werke gedacht zu werden, sondern an eine erste Niederschrift. An den Namenstag von 1819 kann nicht gedacht werden, da damals die ganze Sonate fertig war und Beethoven nicht so schreiben konnte, wie er geschrieben hat. Daß im April 1818 die beiden ersten Sätze schon weiter gediehen waren, als bis zum ersten Entwurfe, ist durchaus glaublich; aber seit dem 19. April konnte nichts mehr hinzukommen, da alles fertig war.


77 Den Brief erhielt Thayer von Herrn I. Marschall in London, welcher die beiden Hälften desselben (der Brief war auseinandergerissen) auf zwei verschiedenen Verkäufen erwarb und die Zusammengehörigkeit erkannte.


78 Ein Trio in F moll skizzierte Beethoven 1816 neben dem Liederkreise und der A dur-Sonate. Ein Motiv, von Nottebohm II. B. S. 345 angeführt, kommt in einem Entwurf zum ersten Satze vor, der sich auf der Berliner Bibliothek befindet. Es ist ein vielversprechender Anfang von tief-ernstem, düsterem Ausdrucke. Wir teilen ihn vielleicht an anderer Stelle unserer Arbeit mit.


79 Hier begann die zweite Seite.


80 Falsch kopiert, hieß es vielleicht »wo selbe« alsdann usw.?


81 In der Abschrift steht Frage, was unmöglich ist.


82 Dieses Datum kann (wie schon Thayer und Nohl sahen) nicht richtig sein, weil die beiden folgenden, welche sich wieder auf die Sonate beziehen, vom 16. und 19. April (beide aus Wien) datiert sind; es wird mindestens März heißen müssen, wenn nicht gar Februar. Am 19. April hatte Ries die Sonate schon längere Zeit in Händen, da Beethoven an diesem Tage auf einen Brief von ihm antwortet (Not. S. 150).


83 Dies geschah durch Brief vom 16. April, Ries Notizen S. 148.


84 Nottebohm, handschr. Bemerkung zu Thayers chronol. Verz.


85 Schindler I S. 203.


86 Die Sonate steht in der Br. u. H. Gesamtausgabe S. 16 Nr. 152. Vgl. Thayer Chronol. Verz. Nr. 215.


87 Das Original ist bei Artaria, ich finde den Brief auch in Thayers Materialien, verzichte aber hier auf die Wiedergabe; er findet sich bei Nohl Br. B. Nr. 218. – Unter verschiedenen Ausgaben der Sonate bei Artaria befand sich auch eine mit französischem Titel (Grande Sonate pour le Pianoforte etc.); welche Musikdirektor Steingräber aus Altenburg in einem Briefe an Thayer für die älteste erklärt. Thayer glaubte das durch die Anzeige des Intelligenzblatts der Allg. Mus.-Ztg. vom 1. März 1820 bestätigt zu finden, wo dem französischen Titel beigefügt ist: Edition originale. Das würde bei Beethovens damaligen Grundsätzen sehr auffallend sein. Nach Nottebohm (handschr. Bem. zu Thayers Vz.) bezeugte Herr August Artaria ausdrücklich, daß im Artariaschen Verlag nie eine Ausgabe mit französischem Titel erschienen sei, die Artariasche Ausgabe vielmehr von Anfang an einen deutschen Titel getragen habe. Es kann sich aber um einen in Frankreich geschehenen Nachdruck handeln.


88 Außer den früheren und bekannten Besprechungen der Sonaten verweisen wir noch hier auf die Darlegung bei W. Nagel, Beethoven und seine Klaviersonaten, II. S. 254 fg. Der Herausgeber hat erst jüngst (1905) von derselben Kenntnis genommen, als die folgenden Bemerkungen schon in ihrem wesentlichen Bestande für den Druck niedergeschrieben waren.


89 S. 57 der Ausg. Die kräftigen Akkorde gegen den Takt sind ganz Beethovensch, man denke an die Eroica.


90 Wir gedenken noch des kurzen schnellen Rückganges zum Hauptthema (S. 60 unten), wo bei dem Übergang aus H dur nach B Beethoven vergessen hat das Ais in A aufzulösen. Deshalb wollte H. von Bülow Ais gespielt wissen, so:


2. Kapitel. Das Jahr 1818

Eine Skizze bei Nottebohm (II B. S. 126) belehrt aber, daß nach Beethovens Absicht A stehen muß. Vgl. Reinecke, Beeth. Claviersonaten S. 88.


91 Der kurzen Tremolofigur mit der kleinen Note(ges) hatte Beethoven im Entwurfe ein pp. beigefügt, dasselbe aber im Druck weggelassen. Notteb. S. 132.


92 In den Entwürfen hatte Beethoven den eigentümlichen Schluß mit dem Quartsectakkord vermeiden wollen, hat ihn dann aber doch beibehalten; vielleicht hat er damit das Ungewisse, nicht Fertige der Stimmung ausdrücken wollen. »Sehnsucht oder Verlangen. – Befreiung oder Erfüllung« steht innerhalb der Skizzen zu diesem Satze, Notteb. II. B. S. 132.


93 Dieses spätere Vorkommen war auch, wie es scheint, von Séroff bemerkt, vgl. Lenz 5. Th. S. 42.


94 Wir weisen hier auf die Skizze bei Nottebohm II. B. S. 135 hin. Bei dem tiefen A schreibt er hinzu »Orgelpunkt« und notiert einen Triller; hier sollte also ein vorbereitender Ruhepunkt eintreten. In der Ausführung hat er das anders gestaltet.


95 Beeth. Claviersonaten S. 89.


96 Wir verweisen hier auf Nottebohm II. Beeth. S. 157 fg. Die Skizzen beziehen sich vorzugsweise auf den 1. Satz, teilweise auch auf den 2., dessen Hauptthema aber schon früher (1815) aufgezeichnet war. Eine Bemerkung Beethovens setzen wir nach Nottebohm (S. 163) hierher (nach Nottebohms Annahme aus dem Jahr 1818):


»Adagio Cantique.


Frommer Gesang in einer Sinfonie in den alten Tonarten – Herr Gott Dich loben wir – allelujah – entweder für sich allein oder als Einleitung in eine Fuge. Vielleicht auf diese Weise die ganze 2te Sinfonie charakterisirt, wo alsdann im letzten Stück oder schon im Adagio die Singstimmen eintreten. Die Orchester Violinen etc. werden beim letzten Stück verzehnfacht. Oder das Adagio wird auf gewisse Weise im letzten Stück wiederholt, wobei alsdann erst die Singstimmen nach u. nach eintreten – im Adagio Text griechischer Mithos Cantique ecclesiastique – im Allegro Feier des Bachus« –

Hier ist also noch kein Gedanke an Schillers Ode.


97 So in meiner Abschrift. Vgl. Homer, Odyss. XIX. 329. Beethoven hat also die Odyssee fleißig gelesen.


98 Nottebohm II. B. S. 137, 474, 576. Von Interesse ist die Wahrnehmung, daß Beethoven das Lied in der Molltonart beginnen lassen wollte.


99 Beethoven, 4. Aufl. I. S. 76.


100 Nottebohm II B. S. 137.


101 In der Gesamtausgabe steht es S. 25 (Supplement) Nr. 301. Vgl. Thayers Chron. Verz. Nr. 212. Die erste Ausgabe hat die Tempo-Bezeichnung »ziemlich lebhaft«. In der Haslinger Rudolfinischen Sammlung trägt es die Überschrift: Andante pour le Pianoforte.


102 Nottebohm, a.a.O. S. 137.


103 Anh. V zu diesem Bande.


104 Drei derselben, Nr. 1, 15, 16 erschienen nochmals in dem VI. 1841 herausgekommenen Bande.


105 Br. u. H. G. A. S. 24. Dort möchten namentlich die Lieder unter Nr. 260 in diese Zeit gehören. Wegen der Zeitbestimmung verweisen wir auf Thayers chron. Verz. Nr. 176 fg. Bei einer etwaigen neuen Bearbeitung dieses Verzeichnisses würden auch Nottebohms handschriftliche Bemerkungen zu berücksichtigen sein.


106 Vgl. Thayers chron. Verz. Nr. 177.


107 In der Br. u. H. Gesamtausgabe S. 24 Nr. 259. Vgl. dazu den Aufsatz Thayers in der Deutschen Musikzeitung 1861 S. 372, Espagnes Erwiderung S. 394 und Thayers Replik S. 413.


108 Sicherlich sind hier nicht große Ouvertüren gemeint, sondern Einleitungsstücke zu Gruppen von Gesängen. Thomson hatte früher von Beigabe »charakteristischer Symphonien« zu Anfang und Ende jedes Liedes gesprochen, vgl. den oben erwähnten Art. von Thayer. Wir können darüber nicht urteilen, da die Ouvertüren nicht geschrieben wurden.


109 Thayer, chron. Verz. Nr. 218.


110 Nach der bei Artaria befindlichen Quittung erhielt er für dieselben 50 Dukaten nach Nottebohms handschr. Bemerkung zu Thayers Verz. Nr. 217.


111 Beide Sammlungen in der Br. u. H. Gesamtausgabe S. 14 Nr. 113–119.


112 10 derselben findet man in den Liedern mit Klavier, Violine und Violoncell: Op. 105, 1 = Br. u. H. S. 24, 263 Nr. 3 (wallisisch); Op. 105 4–6 unter den irischen 262, 6; 258, 6; 261, 12; Op. 107, 2, 8–10 unter den schottischen Op. 108 Nr. 7, 17, 11, 22; Op. 107, 4 unter den irischen Br. u. H. 258, 4; Op. 107, 6 unter den wallisischen 263, 11; außerdem finden sich zwei russische Melodien (Op. 107, 3, 7), letzteres die bekannte Weise »Schöne Minka«, 2 Tiroler (Op. 107, 2, 5), ein österreichisches (Op. 105, 3) und noch ein schottisches (Op. 105, 2).


113 Wenn Lenz (krit. Kat. IV S. 29. 53) dieselben interesselos und unbedeutend nennt und meint, sie seien viel früher entstanden, so zeigt er ebenso mangelndes Verständnis wie Unkenntnis der Tatsachen.


114 So nach Thayer, Verz. 176, nach dessen Angabe 4 von Haydn, die übrigen von Beethoven bearbeitet sind.

Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 4, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1907..
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