Schluß.

[283] Nachdem ich an den Schluß meiner Arbeit gelangt bin, begrüße ich meine Leser und danke ihnen, daß sie mir ihre Aufmerksamkeit bis zum Ende geschenkt haben. Soll ich sie um ihre Nachsicht angehen? Es ist dieß der gewöhnliche Gebrauch der Dilettanten, die Nachsicht in Anspruch zu nehmen. Welchen Nutzen würde sie aber gewähren? Ein Dilettant, der schlecht über Dinge schreibt, die er nicht kennt, oder die er besser kennen sollte, verdient sicher weniger Nachsicht, als viele Männer vom Fach, welche in Ermangelung irgend eines Talentes zu spielen, zu singen, zu componiren und zu unterrichten, sich auf der Literatur der Musik herumtummeln, als wie auf dem einzigen Existenzmittel, das ihnen verbleibt, und welche die anonymen Correspondenten irgend einer Zeitung werden, wenn das Talent zu denken und zu schreiben ihnen eben so fehlt, wie die musikalischen Talente. Dinge zu schreiben, welche gelesen zu werden die Mühe verlohnt, ist eine ziemlich allgemeine Pflicht für Diejenigen, die von sich etwas drucken lassen; aber nicht Hunger zu sterben ist eine andere, noch viel allgemeinere und gebieterische Pflicht; und daran scheint die Kritik, sowohl die musikalische als die literarische, in ihrer Gerechtigkeit nicht immer zu den ken. Da ich das Unglück habe, keine derartige Entschuldigung für mich anführen zu können, so muß [284] ich es für Recht erkennen, daß man mir die Wahrheit eben so frei sagt, als ich sie gesucht und selbst gesagt zu haben glaube. Der Beifall unterrichteter Männer würde mir allerdings und zwar sehr schmeicheln; aber ebenso gewiß ist es, daß ich mit ebenso vielem Vergnügen als das Lob selbst eine wohlwollende Kritik aufnehmen würde, welche dazu diente, die Ungenauigkeiten in Thatsachen und die Irrthümer im Urtheile zu berichtigen, in welche ich in einer so ausgedehnten und so verwickelten Arbeit gefallen sein dürfte. Das Interesse des Gegenstandes, so wie ich ihn aufgefaßt habe, ist hinreichend groß, denke ich, um selbst die Interessen der Eigenliebe des Verfassers zu überwiegen. In einem Werke dieser Gattung ist der Heros desselben Alles, der Biograph Nichts. Wenn ich einen literarischen oder pecuniären Erfolg vor Augen gehabt hätte, so würde ich nicht zehn Jahre meines Lebens verloren haben, um einige Bände zu schreiben, welche in meinem Vaterlande nur wenige Leser zählen, welche sie zu beurtheilen vermögen; ich hätte nicht für Anschaffung von Büchern und Musik, für die Kosten der Aufführung und anderer, damit unzertrennlicher Ausgaben eine Summe Geldes ausgegeben, welche der Absatz des Buches mir nie einbringen wird; endlich hätte ich die an und für sich schon so bescheidenen Aussichten des Erfolgs gewiß vermindert, indem ich an einige der in unseren Tagen beliebtesten Ansichten anstieß.

Indessen hatte ich, wie alle Diejenigen, welche schreiben, ebenfalls meinen Zweck beim Schreiben; einen Zweck, welcher, wenn er erreicht würde, mir ebenso viele Freude verursachte, als der schönste literarische Triumph, und einen Zweck, welcher mich alle Hindernisse übersehen ließ, die ich etwa in den theilweisen Kritiken über meine Arbeit, so zahlreich und verdient sie auch sein mögen, begegnen dürfte. Eine uninteressirte und tiefe Ueberzeugung, ein [285] durch das Studium immer mehr aufgeklärter und verstärkter Enthusiasmus haben meine Feder geführt. Meine Absicht ging dahin, Denen, welche mich lesen würden, einen Glauben beizubringen, der einen Theil meines persönlichen Glückes ausmacht, nämlich: darzuthun, durch für Jedermann bündige Beweise, welchen erhabenen und einzigen Rang Mozart für ewige Zeiten auf dem musikalischen Parnaß einnehmen wird. War aber dieser Glaube nicht bereits festgestellt, dieser Zweck nicht schon erreicht, lange vor der Veröffentlichung meines Buches? Sollte ich mir eine vergebliche Mühe gegeben haben?

Eine Menge Musiker, unter welchen wir so glücklich sind, die gelehrtesten Theoretiker und die größten Componisten unserer Epoche zu zählen, erweisen ohne Zweifel Mozart die Verehrung, die ihm gebührt; beinahe alle wahren Musikfreunde schätzen es sich zum Ruhme, von unserem Heros so zu denken, wie ein Cherubini, Marx und Fétis von ihm dachten; ich weiß es, ich weiß aber auch, daß ihre Meinung, auf Beweise des Gefühls und der Kunst gegründet, die ihrer Natur nach immer bestreitbar sind, noch nicht auf eine solch' fest bestehende Weise vorherrscht, daß die Welt nicht jeden Tag ihre Götzen ihr entgegensetzte; so daß der Parteigeist mit seinen Ausschließungen, welche sich in schneidenden Aussprüchen kundgeben; die Unwissenheit, deren Ungewißheit und Verlegenheit etwas zusagen – weßhalb sie sich hinter Gemeinplätze musikalischer Kritik verschanzt – immer noch einen großen Einfluß ausüben. Sie herrscht sogar noch nicht einmal so weit vor, daß man nicht noch fast alle Tage Vergleichungen zu völligem Nachtheile Mozart's hören muß, der vernünftigerweise eigentlich mit keinem Andern verglichen werden kann, als in specieller Beziehung oder beziehungsweise in einzelnen Zweigen der Musik.

[286] Ich hatte gehofft, daß durch Zusammenstellung der biographischen Thatsachen mit den Werken, deren wunderbare Wechselbeziehung auf die schlagendste Weise in die Augen fallen würde; ich glaubte darzuthun, daß der Charakter und das Schicksal Mozart's mit seinen Arbeiten in so genauer Beziehung stünden, als die Mittel sich auf einen Zweck beziehen können, und daß dieser Zweck eine göttliche Mission gewesen sei, welche mit derselben Evidenz sowohl die allgemeine Geschichte der Musik, als die Geschichte des Menschen insbesondere in allen ihren Einzelnheiten beweisen. Wenn nun die Musiker sehen, und zwar auf eine Weise, daß sie nicht mehr daran zweifeln können, daß Nichts jemals dem Geschichte, dem Talente und dem Charakter Mozart's glich, werden sie dann nicht auch viel klarer und allgemeiner einsehen, daß Nichts den Werken gleichen könne, welche das Resultat dieser einzigen Individualität, dieses universalen Genius, dieses zum Voraus geordneten Schicksals waren?

Ich täusche mich, oder ich schmeichle mir vielleicht; aber es scheint mir, daß mein Buch auf die Ueberzeugung selbst Derjenigen einwirken müsse, welche Nichts von Musik verstehen, wenn ausnahmsweise Nicht-Musiker sich entschließen wollten, die für sie unverständlichen Theile zu lesen. Ohne die Musik zu kennen oder zu lieben, kann man sich doch für Mozart als für ein intellectuelles Phänomen interessiren, das sich noch nie wiederholt hat. Für ein Wesen, dessen Existenz von der Wiege bis zum Grabe das unabänderliche Gepräge eines erhabenen Verhängnisses repräsentirte. Zu was wäre aber ein solches Gepräge, wenn nicht dazu, um die Auserwählten Gottes zu bezeichnen, die erhabene Intelligenz, welche so zu sagen die Sphäre der Handlung oder den Zweig der menschlichen Kenntnisse, auf die sie sich geworfen haben, in sich personificirt.

[287] In der That der Name Mozart gäbe, wenn es nöthig wäre, die gerechteste Metonymie, um die musikalische Kunst in ihrer Abstraction zu bezeichnen. Als Schüler aller alten Schulen ist Mozart einerseits der allgemeine Repräsentant der Musik, bis zum Anfange des neunzehnten Jahrhunderts. Als Reformator dienen seine Leistungen noch zur Basis unseres gegenwärtigen Compositions-Systems. Mozart in allen seinen Meisterwerken zu lieben, heißt soviel als keiner Partei in der Musik angehören; es schließt jede Endigung in isten in sich (wie z.B. von Gluckisten und Piccinisten, von Beethovenisten und Rossinisten) sammt den Gedanken an das Ausschließliche und den Fanatismus, die sich daran knüpfen; das heißt soviel als sich für das Schöne und Gute in jeder Gattung zu erklären; es heißt mit einem Worte die Musik rein, einfach, absolut lieben.

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 283-288.
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