Volksleben in München

[255] Und dieß Volk war kräftig, genußsüchtig, derb und tüchtig; es liebte es, die stämmigen Beine unter mit gutem Bier und handfester Kost bedeckte Tische zu stecken, es liebte sich mit Weib, Bier und Gesang zu freuen, ohne über die, im Lebensgenusse von seinem Nebenmenschen gethanen Fehltritte, das Maul pietistisch zu verziehen und seine Freuden neidisch zu bekritteln, darum war die Moral etwas lax in München, aber das Volk als solches deshalb nicht weniger gut als anderswo, am wenigsten aber konnte man behaupten, daß es entnervt oder innerlich entsittlicht sei, denn es wollüstelte und verschwendete nicht, sondern es genoß die guten Bissen, die Gott bescheerte und war derselben ohne Hehl und Augenverdrehen froh. Treu, der Neuerung abgeneigt, hielt es an seinen alten Lebensformen, von Mieder und Riegelhaube der Mädchen und Frauen an, bis zu dem Glauben, den es von den Vätern[255] überkommen hatte, ohne Grübeln und Reflexionen, aber auch ohne Tendenz nach Oben und dem Besseren.

Durch ein solches Volk und in demselben blüht die Kunst freiwillig nicht auf, aber aus demselben wird auch niemals der Mehlthau blasirter Skepsis auf die Blüthen fallen, die freisinnige Fürsten in seiner Mitte ziehen, und die hagebüchenen Geister jener Männer werden für den erleuchtet Suchenden leichter das Holz liefern, aus dem man große Künstler haut, als die übermäßig-überspitzig zugeschnitzten Denkerseelen, welche die norddeutsche Civilisation polirt.

In München berühmt zu werden, war schwer für den Künstler, geliebt zu werden sehr leicht, wenn er es redlich meinte und deutsch sprach, malte oder tönte.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 255-256.
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