Friedrich v. Drieberg

[343] Die Liedertafel führte Weber auch mit einer jetzt fast vergessenen Persönlichkeit zusammen, die damals für das höhere Musikleben Berlins aber von großer Bedeutung und dazu auch durch sehr gewichtige Gaben berechtigt war. Es war dieß der Kammerherr Friedrich von Drieberg. Von umfassender Gelehrsamkeit, talentbegabt in den meisten Disciplinen menschlicher Thätigkeit, versplitterte er zwar seine Kräfte bei den heterogensten Bestrebungen, indem er heute einen Tauchetapparat erfand, morgen ein »Wörterbuch der Musik der Althellenen« in dickleibigen Quartanten herausgab, übermorgen eine akustische Polee mit Chladni führte und am vierten Tage eine Oper schrieb, aber gewann durch diese Kundgebung seines immensen Wissens eine außerordentliche Autorität und den Namen eines bedeutenden, wenn auch etwas verschrobenen Gelehrten und Künstlers. Einen großen Theil seines Lebens und ansehnliche Geldsummen hat er darauf verwendet, die Musik der Griechen nach allen den sparsamen Quellen, die von[343] ihr Kunde geben, zu studiren und diese Musik betreffende Fragen: »Ob die Griechen Harmonie gehabt?«, »Ob ihre Chöre (und wie) musikalisch begleitet wurden?« nebst einer Menge einschlagender Beziehungen in einer Menge gründlicher und gelehrter Schriften und Bücher, die indeß von eben so geistreichen als kühnen Hypothesen strotzten, zu ventiliren. Im Jahre 1812 war er mit Vollendung seiner komischen Oper »Don Tacagno« beschäftigt, der später noch »Der Hechelkrämer«, »Frau Rußkachel«, »Der Sänger und Schneider« folgten. »Don Tacagno« wurde am 15. April 1812 gegeben, konnte aber, trotz der wirksamen, im italienisch melodiösen Charakter geschriebenen Musik, wegen des unsinnigen Textes (das Ganze spielt im Irrenhause unter Irren und Blödsinnigen) zu keinem Erfolge kommen. Von seinen musikalischen Werken errang einen solchen nur »Der Sänger und Schneider«.

Weber's, wohl von seiner Freundschaft und Verehrung für Drieberg gefärbte Ansicht von der Oper »Don Tacagno« geben wir durch Mittheilung einer Besprechung, die er im XIV. Bande der Leipziger Musik-Zeitung drucken ließ, im III. Bande dieses Werkes.

Drieberg war eine offene, freie, liebenswürdige, im Umgange manchmal etwas derb zufahrende und durch hartes Urtheil verletzende Persönlichkeit. Das Orakelhafte, was man damals seinen Aussprüchen beimaß, hatte ihn verleitet, sich Selbst für ein solches zu halten, besonders da er, bei seiner großen geistigen Schärfe, wohl gewahr werden mußte, daß sein Urtheil über Werke und Talente in der That meist ein viel klareres und berechtigteres war, als das der meisten Künstler und Kunstkenner seiner Umgebung. Diese Eigenschaften ließen Drieberg für Weber, der ihm eine Art Divinationsgabe, in Bezug auf die geistigen Begabungen der mit ihm Verkehrenden beigemessen zu haben scheint, eine Art künstlerische Zuflucht werden, deren aufrichtende und tröstende Kraft er, bei den geheimen und offenen Kämpfen um die Aufführung seiner »Sylvana«, wahrscheinlich oft in Anspruch genommen haben mag. Drieberg war aber nicht der Charakter, der in allen diesen Fällen ohne Weiteres eine weiche, hilfreiche Hand gereicht hätte, sondern, wo er die Vergrößerung des Leides und Kampfes für die Hebung der[344] Kraft des Künstlers für nöthig hielt, zauderte er keinen Augenblick in den Wermuthskelch desselben noch bittere Medizin zu werfen.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 343-345.
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