[71] Weber schrieb im October 1802 zu Hamburg das erste, wirkliche Lied. Er componirte Matthissons schönes Gedicht: »Die Kerze«. Damit gewann seine Subjectivität die Zunge und diese wurde dem deutschen Volke lieb und werth in seinen Liedern, welche es in Hütte und Wald, durch Trübsal und Licht, durch Liebe und Haß und endlich durch Begeisterung, Sturm und Kampf zu Sieg und Glorie begleiteten.

Was Weber durch alle seine Compositionen, bis hin zu seinen großen Opern, nicht vermocht hatte, das wurde er durch seine Lieder. Seine Piano- und Orchesterwerke, seine Kammermusik hatten ihn höchstens zu einem bedeutenden Künstler in den Kreisen musikalischen Lebens und des Dilettanten- und Virtuosenthums gemacht, seine Lieder aber, so wenig gesungen sie auch in diesem Augenblicke sein mögen, erheben ihn zum Herzensfänger seines Volks, der diesem auch ganz allein, als sich seine künstlerische Intuition zur Meisterschaft und Objectivität emporgerungen hatte, die Kunstwerke spenden konnte, in denen es sein eignes Leben pulsen fühlte, deren Jauchzen es zum jauchzen, deren Weinen es zum weinen unwiderstehlich fortriß. Nur durch Weber's Lieder führte der Weg zu Weber's Opern, nur durch das Anstönen seiner Selbstanschauung zu der musikalischen Verkörperung seiner Weltanschauung.

Es gehört zu den räthselhaften Erscheinungen im Bereiche des Kunstlebens, daß der Preis in denen Kunstprodukte im Geschmacke des Publikums und der Liebe des Volkes stehen, wie auf weitschwingenden Undulationen steigt und fällt. So sind in diesem Augenblicke wie[71] erwähnt, Weber's Lieder, diese warmen, melodischen Gesänge voll Humor und tiefen Gefühls, überreich an dramatischem Leben und innerlichster Liebes- und Lebenskraft, deren Vortrag überdieß fast nie verfehlt durchschlagende Wirkung hervorzubringen, bis auf einige wenige fast ganz aus dem Munde der Nation verschwunden, aus der Mode würden wir sagen, wenn der Ausdruck nicht unpassend wäre.

Aber sie, wie alles wahrhaft Echte in der Kunst, werden ihre, sie wieder hebende, Oscillation haben und ihre Auferstehung feiern.

Wir erwähnten oben, daß kein historisch nachweisbarer Einfluß von außen her auf dieser Reise bestimmend auf das Kunstleben des jungen Componisten eingewirkt habe, um so sicherer dürfen wir annehmen, daß ihn ein mächtiger innerer Impuls auf die neue Bahn gedrängt habe und täuschen uns gewiß nicht, wenn wir glauben, daß die erste Liebe das junge Herz berührt und es gezwungen habe, Lieder zu singen.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 71-72.
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