Vorrede.

Als, vor jetzt mehr als 12 Jahren, meine, nun in Gott ruhende, geliebte Mutter mich aufforderte und wiederholt in mich drang, die Biographie meines Vaters zu schreiben, traten mir die Schwierigkeiten, welche dieses Unternehmen für mich als Sohn, Beamten des Staats, in dem er zuletzt gewirkt hatte, und im Bereiche der Musik Ungelehrten haben mußte, so überwältigend entgegen, daß ich der theuren Frau die Freude versagen mußte, den Gatten vom Sohne geschildert zu sehen.

Welche Kämpfe mußte dem Sohne beim Darstellen des Lebens seines Vaters, das Ringen nach der nöthigen Thatsächlichkeit bereiten, und welche Gefahren lief er, selbst wenn er sie gewann, daß die Welt doch immer seine Feder von der Liebe, oder, was fast nachtheiliger noch, von dem Bestreben, sie um dieser historischen Objektivität willen zu verläugnen, geführt finden werde. Wie konnte es ausbleiben, daß hier Einer Gebotenes indiskret zu tief aus dem, man verzeihe den Ausdruck, privatesten Seelen- und Familienleben geschöpft, dort ein Anderer Verhältnisse und Thaten von der kindlichen Rücksicht mit zu weichen Falten drappirt nennen würde! Der Blick auf staatliche und gesellschaftliche Verhältnisse,[5] die aus der Zeit, wo Carl Maria von Weber in meinem Vaterlande wirkte, in die unsere herüberragen, schien mir den freien Athem zum Schildern der bedeutungsvollsten Periode seines Wirkens zu verkümmern, ganz abgesehen von der Schonung, welche die Empfindungen noch lebender Zeitgenossen verdiente. Endlich war ich, wie gesagt, einer musikwissenschaftlichen Darstellung seines Schaffens in keiner Weise gewachsen.

Aber Marius gewöhnte seine Hastaten und Peltasten durch häufige kleine Scharmützel selbst an den, ihnen anfänglich unerträglichen, Anblick der Cimbern, – so gewöhnten sich meine intellectuellen Kräfte nach und nach, beim Sammeln des Materials zu einer Biographie C. M. von Weber's, an das Anschauen jener Schwierigkeiten und die anfangs Unbesieglichen schwanden in Dimension und Bedeutung zusammen, bis ich den Muth gewann, sie, mit Pietät und Treue, in Gottes Namen anzugreifen.

Ich erwog, daß der lange, seit dem Scheiden des Meisters verstrichene Zeitraum, mir das Gewinnen der nöthigen Objectivität erleichtere, daß es immer besser sei, wenn treue Liebe mit allen Gefahren, die sie im Gefolge hat, sich an die Darstellung des theuren Meisters mache, als wenn etwa einmal kühle, zersetzende Kritik, oder blinder Enthusiasmus das Werk unternähmen, oder gar ein Künstler von Fach die Feder dazu ergriffe. Denn je bedeutender dieser wäre, um so gefährlicher würde es für die Treue der Darstellung sein, weil, je ausgeprägter, tiefer und originaler ein Künstler in seiner Richtung ist, es ihm um so schwerer werden muß, den Fachgenossen mit wahrem Gewichte zu wägen, mit redlichem Maße zu messen. Ist doch eigentlich jedes Anerkennen, das der wahrhaft für sein Streben begeisterte Künstler seiner Intelligenz für abweichende Richtungen abgewinnt, eine Art von Verläugnung des Evangeliums, welches ihm der Gott geoffenbart hat, den er als einzigen erkennen soll.

Ich panzerte mich ferner gegen den peinlichen Gedanken, von der Welt hier zu vieler, dort zu geringer Liebe geziehen zu werden,[6] mit dem Bewußtsein, das rechte Maß davon gewiß im Herzen getragen zu haben, wenn ich es auch hie und da in meiner Darstellung verfehlt haben sollte und endlich beruhigte mich auch über meine Unzulänglichkeit in musikwissenschaftlicher Beziehung die immer klarer werdende Anschauung von der eigentlichen Natur des Stoffs einer Künstler-, und besonders Musiker-Biographie. Mendelssohn sagt irgendwo in seinen Briefen, daß, wenn man Musik mit Worten schildern könnte, er keine Note mehr schreiben würde, und Weber schrieb an Lichtenstein: »Von meinen Werken schreibe ich Euch Nichts, hört sie!« und später: »In dem Klange meiner Lieder findet ihr mich wieder«. Hierin liegt eigentlich das Gesetz für die Abfassung einer Künstlerbiographie. Sie soll ihrem Leser den Mann als Menschen kennen lehren, den er schon in seinen Werken als Künstler liebt und ehrt.

Wen könnte die Lebensbeschreibung eines Künstlers interessiren, von dessen Werken er gar Nichts kennt?

Deshalb ist es auch mit Zergliederung, Kritik und sogenannter Erläuterung der Werke eines Künstlers und besonders wieder eines Musikers, in dessen Lebensbeschreibung eine eigene, zweifelhafte Sache. Dem, der die Werke nie gesehen oder gehört hat, geben alle Schilderungen und Zergliederungen gar kein oder ein total falsches Bild; dem aber, der sie kennt, gewährt die Erwähnung ihres bloßen Namens eine so klare Anschauung, als sie ihm seine Erinnerung überhaupt zu bilden gestattet.

Nichts wäre leichter gewesen, als viele Seiten dieses Buches mit den üblichen Musikkritik-Tiraden über Weber's Werke zu füllen, die allenthalben ihr unbestreitbares Recht gehabt hätten, da in der Musik eben jeder seine Wahrheit für sich hat und daher die Darlegung des Empfindens eines Subjects fast absolut werthlos für das andere ist.

Eine eben so seltene als treffliche Gelegenheit, den Nachweis, in welchem Umfange dieß Axiom Gültigkeit hat, durch Thatsachen zu führen, bot sich bei dem Sammeln des Materials zu diesem[7] Werke dar. Die Musik einer ältern, unbekannten Gelegenheitsarie Weber's, in die aber kein Text eingeschrieben war, wurde entdeckt, sehr schön und besonders so unbestreitbar nur eine bestimmte Gefühlsrichtung ausdrückend gefunden, daß es ein Leichtes schien, einen vollkommen anpassenden Text dazu zu schreiben. Einer der besten Kenner von Weber's musikalischem Denken und Arbeiten dichtete auch einen solchen, der allgemein trefflich, besonders als der Musik genau im Denken und Empfinden nachgehend gefunden wurde. Er behandelte im großen Style, der Treue Versicherung einer Dame an den Geliebten. Einige Wochen darauf fand sich ein zweites Exemplar der Arie, in der der richtige, von Weber componirte Text stand, und siehe da, die Arie wurde von einem Blumenmädchen an ihre Blumen gesungen! – Für beide so ganz heterogene Texte galt die Musik gleich charakteristisch! – –

Neben dem Festhalten dieser Gesichtspunkte ertheilte sich mir die Aufgabe meiner Arbeit nun mit der Klarheit eines präcisen Pensums und war keine andere, als die Erzählung der positiv darstellbaren, inneren und äußeren Ereignisse im Leben Carl Maria von Weber's in steter Beziehung zu der Schöpfung seiner Werke, und wiederum von deren Wirkung auf die Außenwelt (denn im Schaffen weniger Künstler macht sich die Wechselwirkung zwischen ihrem Genius und der hörenden Welt so prägnant geltend, als bei Weber), aber ohne Versuche zu kritischer Beleuchtung oder Darstellung derselben1.

Man kann aber eine Biographie mit zweierlei Tendenz[8] schreiben. Einmal um zum Studium einer Persönlichkeit, ihrer Thaten und Werke und ihrer Zeit anzuleiten, und dann wird man der fortlaufenden, strengen Darstellung der Ereignisse, gleichsam wie eine große Topographie des durchforschten Terrains, Notizen über alles benutzte Material, alle Quellen, aus denen man schöpfte, alle Wege, die man zur Ermittelung der Thatsachen einschlug, alle Maschinen, die man zum Bewältigen des Stoffs anwandte, in Form von Noten und Beilagen etc. beizugeben haben, damit das Weiterergründen jeder Specialität, das Verfolgen jedes in den großen Strom mündenden Gewässers, bis in die letzte Verästelung, allenthalben angebahnt sei.

Diese Form der Biographie ist in Deutschland, als deutscher Gründlichkeit vorzüglich anmuthend, mit Vorliebe gepflegt worden und hat, besonders in Darlebungen wie die Arbeiten von Pertz, Jahn etc, ihre vollste und höchste Berechtigung.

Aber die andere Form biographischer Darstellung besitzt diese in nicht minderem Maße. Diese hat das Gerüst, welches zum Errichten ihres Baues diente, entfernt, ein Weiterführen desselben verneint und giebt das Werk, als ein enger umrahmtes, aber fest abgeschlossenes, gerundetes Bild. Sie gewährt nicht die Mittel, das geschilderte Dasein noch weiter zu studiren, sondern verlangt vom Leser, daß er das ihm vor Augen gestellte Portrait eines Lebens, auf Treu und Glauben für treu und redlich gemalt und ähnlich nehme. Ihre Darstellung soll gleichmäßig vorüberfließen, wie ein Strom, dessen mehr oder weniger aufleuchtende Wellen die Ereignissebilden und aus dessen Fluth, durch ihr Entstehen schon erklärt, die Werke des großen Menschen, welchen das Werk schildert, hervorblühen, wie beseelte Emanationen der Zeugungskraft des Lebensstroms, wie Lotosblumen aus der Fluth des allerzeugenden Ganges.

Diese Form der biographischen Darstellung schien mir die Passendste für Weber's Leben, dessen Werke specifischer durch ihr Erscheinen als durch ihr Studium wirken, dessen Existenz so unendlich viel von menschlichem und künstlerischen Schicksal, Lust,[9] Lieb' und Leid enthält, daß es so recht zum Ausmalen des Lebensbildes eines edeln, vielverkannten und gekränkten Mannes, der ein großer Künstler war, sich eignete.

Und mich drängte es von Herzen, dieß einmal nicht mit prätentiösem, historischem Pinselschwunge, sondern mit der liebevollen Sorgsamkeit Gerhardt Dows und Terbourgs, nicht im Style der Werke des Mannes, sondern im Style von dessen Leben zu thun, den Leser mit ihm wandeln, reisen, lachen und weinen, triumphiren und fluchen, ihn an Weber's Tisch, im Kreise seiner Lieben sitzen zu lassen, ihm zu gestatten, dem Meister in den Mühen und Seligkeiten des Schaffens an seinem Schreibtische über die Schulter zu sehen, seinen Herzschlag zu hören, wenn er den Dirigentenstab hob, ihn zu belauschen, wenn er, mit seinen Kindern spielend, im Grase kroch, sein Aeffchen tanzen und seinen Jagdhund apportiren lehrte!

Mich drängte es, den Meister der »Euryanthe«, des »Freischütz« und »Oberon« nicht blos mit Lyra und Lorbeerkranz, sondern auch im Hoffrack mit Schuh und Escarpin, und in seinem grauen Hausrocke, und als armen Reisenden, und als frohen oder verdrossenen Hausherrn, kurz in all dem Großen und Kleinen zu malen, das die Welt ausmachte, in dem seine Werke als goldne Früchte wuchsen; mit einem Worte: den Leser mit ihm leben zu lassen.

Ich habe dabei nicht ängstliche Sorge getragen, ob sich nicht hier oder da eine Nase über dieß oder jenes Gegebene rümpfen sollte. War doch Alles, was ich von ihm und den Seinen zu schreiben hatte, gut und recht. – Zu solcher realistischen Detailmalerei leitete auch unwillkürlich die Masse des historischen Materials hin, das mir zu meiner Arbeit gewährt war.

Abgesehn von dem gewaltigen, gedruckten Stoffe, den die Journale, Brochüren und Werke der damaligen schreibseligen Zeit lieferten, bot sich mir der reiche Inhalt der, mir meist mit großer Liberalität geöffneten, Theater-, Kirchen- und politischen Archive dar, bei deren Benutzung ich, von vielen Seiten her, mit[10] großer Liebenswürdigkeit unterstützt worden bin. Den weitaus kostbarsten Theil dieses Materials aber bildeten fast tausend Briefe von und an Weber und Weber's Familie, Aufsätze und Mittheilungen aus dessen eigner Feder und von Freunden und Zeitgenossen herrührend, die mir zum Theil zur Benutzung gelassen, theils besonders für meine Zwecke niedergeschrieben wurden, und endlich Weber's eigne, vom 26. Februar 1810 an, bis 3 Tage vor seinem Tode consequent fortgeführten Tage- und Notizbücher. Man darf sich indeß unter diesen nicht Tagebücher denken, die ausführliche Niederschriften im Memoirenstyle, etwa nach Art der Varnhagen'schen oder dergl. enthielten. Sie setzen sich zusammen aus losen Blättern in Kapseln und enthalten, neben, mit der Genauigkeit eines Staatskassirers geführten Verrechnungen seiner Einnahmen und Ausgaben und Extrakten hieraus, welche die Aufwände für die verschiedenen Branchen des Hausstandes, Kleidung, Wäsche, Bücher etc. nachweisen, nur sehr kurze Notizen über die Ereignisse des Lebens. Sehr selten findet sich darin nur eine flüchtige Reflexion. Als Beispiel für die Kürze dieser Notizen gebe ich hier diejenige über einen der wichtigsten Tage seines Lebens, den der 1. Aufführung des »Freischütz« in Berlin. Er schreibt:


»Den 18. Juni 1821.


Abends als erste Oper im neuen Schauspielhause: ›der Freischütz‹ wurde mit dem unglaublichsten Enthusiasmus aufgenommen. Ouvertüre und Volksliedda capo, überhaupt von 17 Musikstücken 14 lärmend applaudirt, alles ging aber auch vortrefflich und sang mit Liebe. Ich wurde herausgerufen und nahm Mad. Seidler und Mad. Eunicke mit heraus, da ich der andern nicht habhaft werden konnte. Gedichte und Kränze flogen. Soli deo Gloria! Dann noch bei Jagor in froher Gesellschaft bis 12 Uhr.«


Der Bedeutung gemäß, sind die andern Notizen abgerissener, so daß sich auch nicht eine Seite des Tagebuches zum Abdrucke[11] geeignet hätte. Aber als Unterlagen für Darstellung von Weber's sehr genau darin verzeichneter Thätigkeit, das Studium seiner Verbindungen, seiner Correspondenz, und zur Feststellung der Daten, waren sie von ganz unschätzbarem Werthe. Trotz der Fülle dieses Stoffs habe ich doch, bei Niederschrift fast jeder Zeile, tief zu beklagen gehabt, daß der bei weitem größte Theil von Weber's Correspondenz, (besonders die an ihn gerichteten Schreiben), unter der sich z.B. der Briefwechsel mit Beethoven über Aufführung des »Fidelio« und der »Euryanthe« befand, kurz nach seinem Tode, der trauernden Gattin und den unmündigen Kindern, in unbegreiflicher Weise, abhanden gekommen ist.

Dieß große Material ist von mir mit viel Vorsicht benutzt worden. Als gedruckte Quellen habe ich nur die bestredigirten Zeitschriften und anerkannt gute Bücher zugezogen, von Briefen fast nur solche benutzt, deren Autograph ich, oder eine vertrauenswürdige Autorität, gesehen hatte. Die Daten habe ich fast immer nur da gegeben, wo ganz verläßliche, oder zwei übereinstimmende Nachrichten, mich von der Richtigkeit versicherten.

Am vorsichtigsten habe ich mündliche oder schriftliche Reminiscenzen, in so weit erstere nicht auf frühere Niederschriften gegründet waren, von Zeitgenossen, ja selbst die Familientraditionen und die Erzählungen meiner Mutter benutzt. Es ist in der That unglaublich, wie der Strom des Lebens in der Erinnerung die Ereignisse nach der Richtung von Zeit und Dimension, durcheinander wirrt. Es sind mir ausführliche Mittheilungen höchst ehrenwerther Zeitgenossen, von Beamten an Theatern und von Freunden meines Vaters über Thatsachen, Ereignißreihen und Vorkommnisse zugegangen, deren Korrektheit dieselben versicherten und in denen oft, wie die Vergleichung mit zuverlässigen Zeitquellen lehrte, alle Data unrichtig und, durch lange Zeiträume getrennte Ereignisse, in eins zusammengezogen waren. Ja, ich habe meine Vorsicht der Benutzung, besonders in Betreff der Schilderungen subjectiver Zustände, auch auf die Correspondenzen ausgedehnt, da[12] ich sehr gut weiß, daß der Mensch am Schreibpulte von dem im Kampfe des Lebens sehr verschieden ist, und sogar Weber's eigene Briefe, besonders die an seine Gattin, davon nicht ausgenommen. Dieser theuren Frau, der Weber's Leben und Ruhm werther war als ihm selbst und die mit der nervösesten Spannung guten Nachrichten von ihm entgegen sah, hat er die Ereignisse, ohne jemals non der Wahrheit der Thatsache abzuweichen, liebevoll oft in anmuthigerm Lichte als das war, welches sie hie und da wirklich ausströmten, erscheinen lassen. Solche, von der zartesten Sorge umgefaltete Schleier waren immer leicht zu heben. Bei Mittheilung von Weber's Briefen ist meist seine eigenthümliche, zuweilen fehlerhafte Orthographie und Interpunktion beibehalten worden. Nur in sehr wenigen Stellen habe ich mir gestattet, allzustörende Nachlässigkeiten zu beseitigen.

Meine Schilderungen des Aeußern der Persönlichkeiten habe ich immer auf die besten, oft mit vieler Mühe aufgesuchten und in der Ferne aufgefundenen Portraits gegründet, so daß es mir nöthig wurde, zu deren Anschauung manche Reise zu unternehmen. Reisen wurden aber hauptsächlich, zum Zweck des Sammelns von Material nach mehr als 10 verschiedenen Städten Deutschlands, dann aber auch zur Kenntnißnahme von Localitäten, in denen sich Weber's Leben bewegt hatte, von Nöthen, von denen ich denn auch alle Hauptsächlichsten in Augenschein genommen habe.

Trotz alledem weiß ich sehr wohl, daß meine Arbeit nicht frei von thatsächlichen Irrthümern (der subjectiven natürlich zu geschweigen) sein wird, aber ich hege das Bewußtsein, 61/2 Jahr lang, Fleiß und Mühe nicht gescheut zu haben, das Wahre zu ermitteln und niederzuschreiben.

Was nun die äußere Form der Darstellung des, aus dieser Masse von Material heraus zu formenden, Lebensbildes betrifft, so schien es mir, daß ein Künstlerleben in anderem Tone erzählt, in anderem Style geschildert werden müsse, als das eines Helden oder Gelehrten. Ich bin bemüht gewesen, meiner Erzählung den Localton der geschilderten Lebensperioden zu geben, das Ganze[13] aber in dem Tempo strömen zu lassen, in dem Weber's kurzes Leben sich emsig, hastig und ruhelos verathmete. Durch dieß Bemühen, verbunden mit der Benutzung der außerordentlichen Masse der mir zur Hand befindlichen Einzelheiten, hat die Darstellung hie und da, wie ich mir nicht verberge, einen Charakter bekommen, als seien die Lücken des Verlaufs der historisch begründeten Thatsachen durch hinzugedichtetes Detail ausgefüllt und so, dieser oder jener Abschnitt, zur romanhaften Erzählung abgerundet worden,

Dem ist aber Nirgends so! Selbst im Detail bin ich nie bewußter Maßen vom Gegebenen abgewichen und obwohl ich keine Quellen angegeben habe, doch gern erbötig, auf an mich ergehende, begründete Anfragen, diejenigen nachzuweisen, aus denen ich jede Thatsache geschöpft oder in erlaubtester Weise vorsichtig Muthmaßungen hergeleitet habe.

Das consequente Durchführen des Princips meiner Darstellung bedingte es, daß ich, und dieß wird mir vielleicht von prüden Diskretionsfanatikern verdacht werden, auf diejenige Sphäre von Weber's Seelenleben, welche als primum mobile seine Welt umschloß, das Wirken seines Herzens und die Gegenstände desselben, mehr und helleres Licht fallen ließ, als dieß bisher – Mode war, Aber mir schien es, obgleich die meisten Biographen, in mißverstandenem Zartgefühle, von diesem Sonnenscheine in der Welt einer Künstlerseele, nur andeutungsweise, schüchterne und blasse Reflexe zu geben gewagt haben, als hieße das ein Panorama ohne Himmel malen.

Ich hab's daher gewagt und durfte es, wie ich glaube; denn wie große Menschen nach ihrem Tode immer wachsen, während kleine wie Irrlichter verschwinden, so wird auch das Fühlen, das bei menschlichen Nullen Schwärmerei und Jugendthorheit heißt, bei bedeutenden Männern zu gewaltiger zeugender und gestaltender Kraft. Auch lag es nirgend in meiner Absicht einen Panegyrikus auf meinen Vater zu schreiben.

Die Schatten seiner Schwächen aus dem Bilde seines Lebens[14] weglassen, hieße aber feige bekennen, daß es nicht Licht genug enthalte, um jene als Nüancen erscheinen zu lassen, die uns den herrlichen Menschen nur plastischer zeigen, eher nähern als entfremden.

In gleicher Weise bin ich bei Darstellung von Weber's dienstlichen Verhältnissen vielleicht über die »Mode« hinaus und mit etwas, das wie Wagniß aussieht, vorgegangen.

Seine Stellung beim Dresdener Hoftheater war eine Peinliche. Es war ihm nicht möglich, sich das Vertrauen der ihm vorgesetzten Männer, den Grafen Vitzthum ausgenommen, weder in künstlerischer noch in politischer Beziehung, zu erringen. Eben so wenig würdigte man seine Bedeutung im Allgemeinen, so daß einst sein letzter Chef, auf einer Reise mit ihm die Kundgebungen hoher Verehrung wahrnehmend, die ihm von allen Seiten dargebracht wurden, ganz erstaunt ausrief: Weber, sind Sie denn wirklich ein berühmter Mann?!

Mit dem Vertrauen, das er so reich verdiente, und oft so schmerzlich entbehrte, beschenkte man dagegen blindlings einen verschlagenen, die Mittel zum Erreichen seiner Zwecke nicht streng abwägenden Ausländer, gegen den der gerade, ehrliche Weber keine andern Waffen in Händen hatte, als Klagen, die oben meist nur halb gehört wurden. Es war nicht mein Amt, in diesem Buche Kränze zu flechten und Namen an den Pranger zu nageln, aber diese Verhältnisse, die im Begriff standen, Weber von Dresden zu verdrängen, als er starb, ernst und ungehässig, jedoch furchtlos, ohne Rückhalt und Menschenfurcht, historisch treu darzustellen, habe ich für heilige Pietätspflicht gegen das Andenken des geliebten Todten gehalten, damit ihm und den speichelleckenden, schleichenden Liebedienern, an denen damals die schöne Residenz, die es werth wäre, der Fokus aller Thätigkeit im Bereiche des Schönen und Wahren zu sein, so reich war, ihr Recht werde.

Ein Gleiches gilt von schamlosen Gerüchten, mit denen die öffentliche Lästerzunge sein so glückliches Familienleben zu beflecken[15] suchte, die damals, wie heut, im scheelsüchtigen Bemäkeln sich hervorthuender Männer so rüstig thätig war. – –

Das Buch zerfällt in vier große Hauptabtheilungen, von denen die drei ersten das »Lebensbild« des Meisters selbst enthalten und die ersten beiden Bände füllen. Die vierte besteht aus Weber's eigenen, hinterlassenen Schriften, von denen schon 1828 Theodor Hell eine bei Arnold erschienene Ausgabe veranstaltet hat. Diese, nach den Manuscripten berichtigt, anders geordnet, hier vermehrt, dort vermindert, bilden den dritten Band. Die beiden ersten Hauptabtheilungen haben den Namen erhalten, mit denen Weber selbst die entsprechenden Abschnitte seines Lebens zu bezeichnen pflegte.

Wenn ich nun auf die letzte und süßeste Pflicht blicke, welche mir die Niederschrift dieser Vorrede auferlegt, nämlich denen, die mir halfen, zu danken, so stehe ich fast rathlos vor meiner Aufgabe: Wem soll ich meinen Dank bringen, da ich so unendlich vielen, die mich mit Rath und That und Mittheilungen unterstützten, mir die werthvollsten Beiträge zu meiner mühevollen Arbeit lieferten, zu danken habe?

Wollen die trefflichen Männer und Frauen und zuvorkommenden Behörden alle meinen Dank für empfangen nehmen, wenn ich ihn in die Hände nur einiger edeln Repräsentanten niederlege, und so, an ihrer aller Statt, in wärmster Erkenntlichkeit den Herrn: Generaldirektor Giacomo Meyerbeer zu Berlin, Professor Moscheles in Leipzig, Capellmeister Julius Benedikt in London, Professor Kahlert in Breslau, Dr. Krönlein in Carlsruhe, Minister von Dusch in Heidelberg, Assessor Weber in Darmstadt, Gesandten von Dusch in Stuttgart, Weitzmann zu Freiburg, Amtmann Lebting zu Schönau (in Baden), Bürgermeister v. Fordrann in Augsburg, Regierungsrath Hellwag in Eutin, Bürgermeister Müller in Chemnitz, Professor Lobe in Leipzig, Hofrath Pabst, Redacteur Drobisch, Kammermusikus Schlick zu Dresden, Generaldirektor von Hülffen zu Berlin,[16] Direktor Stöger zu Prag, Sir George Smart zu London, Carl von Holtei zu Gratz, von Sonnleithner in Wien, und der Frau Dora Walther in Dresden und Frau von Dreßler in Salzburg, die Hand drücke?

Nicht ohne ein wundersames Gefühl, das ich nicht Bangen nennen möchte, lasse ich das Buch, das mich eine Reihe von Jahren in allen Mußestunden, auf allen meinen Reisen beschäftigte, in die Welt hinauswandern. Ist mir's doch, indem ich ihr das treue Spiegelbild vom Leben meines Vaters hinhalte, als hätte ich ihr mein Bestes und Heiligstes hingegeben! –

Wohl weiß ich, daß ich tief unter meinem Stoffe geblieben bin und daß er allein meine Arbeit anmuthend machen kann, wenn sie nicht auch die Liebe vielleicht ein wenig schmückt, die dem Leser auf jeder Zeile entgegen blühen muß, dafern nicht meine Feder ganz anders schrieb als mein Herz empfand.

An ihr und treuem Wollen allein hat es bei Niederschrift des Werkes niemals gefehlt, und so möge denn auch die Liebe, die das deutsche Volk für seinen volksthümlichen Sänger hegt, als bester Segen mit dem schwachen Werke des Sohnes sein und es milde richten lassen!


Dresden, 15. Oktober 1863.

Der Verfasser.

Fußnoten

1 Mein Buch in künstlerischer Beziehung ergänzend, aber als vollkommen selbständigen Werk, erscheint demnächst ein musikwissenschaftlich organisirtes Verzeichniß sämmtlicher musikalischer Arbeiten C. M. von Weber's aus der Feder des rühmlich bekannten Tonkünstlers Musikdirektor F. W. Jähn's zu Berlin, der wahrscheinlich der gründlichste lebende Kenner der Musikwerke Weber's ist. Ich verweise hiermit auf dieses Buch, das, im Ganzen, nach dem Muster der Meisterarbeit Köchel's über Mozart behandelt werden wird.

D. Verf.


Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864.
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