Weber's amtliche Wirkungssphäre

[30] Nach dieser Umschau über die Lebens-Verhältnisse, die Kreise und die Persönlichkeiten, in denen Weber fortan verkehren sollte, denen er sich anzuschmiegen oder die er zu beherrschen hatte, die auf ihn, sein Wirken, sein Talent Einfluß zu üben, sich wechselseitig mit ihnen zu bedingen bestimmt waren, ist dem Leser auch noch ein Einblick in die Sphäre seiner amtlichen Thätigkeit mit den darin herrschenden und gehorchenden Individualitäten, zu gönnen. Es wird ihm leicht sein, die Wirkung der offen und geheim, amtlich und privatim in diesem Mikrokosmus thätigen Kräfte zu verfolgen und zu verstehen, wenn er sich der oben skizzirten historischen Entwickelung der Dresdener Oper und des Dresdener Publikums erinnern will. Bis zur Zeit der russischen und preußischen Occupation Sachsens hatte es, wie erwähnt, die Aufführung von Singspielen abgerechnet, eigentlich keine deutsche, sondern nur italienische Oper in Dresden gegeben. Die, in der erwähnten Zeit in der Luft schwebenden Ideen von nationaler Entwickelung in jeder Richtung, hatten auch die der Errichtung einer deutschen Oper in Dresden in Anregung kommen lassen, doch geschah nichts Positives zur Ausführung derselben. Erst nach Rückkehr des Königs nahmen die Grafen Carl und Heinrich Vitzthum, in ihren aufeinander folgenden Amtirungen als Intendanten des Theaters, sich des Gedankens mit großer Lebhaftigkeit wieder an, und, in ihren Bestrebungen vom Wunsche des großen Publikums getragen, brachten sie denselben, trotz des stillen Widerstandes des Grafen Einsiedel, der der Sache schon als Neuerung abhold war, die ihren Ursprung aus der Zeit der russisch-preußischen Herrschaft herleitete, und trotz der Adelspartei, welche das Institut schon seines deutschen Namens wegen und als Rivalin der »vornehmen Kunst« detestirte, endlich zur Ausführung und bewirkten die Berufung Weber's.

Diesem wurde die Schöpfung des neuen Instituts mit dem ausdrücklichen Bemerken übertragen, daß die Kräfte der Capelle demselben[30] zur Verfügung ständen, auch das Gesangspersonal, so weit es dafür geeignet sei, dabei zur Verwendung zu kommen und im Ganzen bei Beschaffung neuer Kräfte thunlichste Oekonomie zu walten habe.

Weber erkannte sehr bald, unter welchen erschwerenden Verhältnissen er zu wirken haben werde, daß die Gleichgültigkeit des Hofes, dse Antipathie des Adels gegen die neue Kunstanstalt ihm unendliche Schwierigkeiten bereiten müsse, das ganze Personal der italienischen Oper, auf ihre alten Rechte und die Vorliebe von Oben gestützt, ihm als Gegner gegenüber stehe und ihn, außer eigner Kraft und der ausgedehntesten Erfahrung in solcher Thätigkeit, Nichts stütze, als die bescheidene Stimme des Publikums und das Vertrauen und die Zuneigung seines Chefs.

Er griff das wohl für die Meisten unüberwindlich schwere Schöpferwerk, in Gottes Namen, furchtlos und treu an.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 30-31.
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