[545] Ein Zeitraum von vierzehn Monaten liegt zwischen der Niederschrift der letzten Note an »Euryanthe« und der ersten am »Oberon«. Die künstlerische Ausbeute der nächsten beiden Monate ist dann ein halb Dutzend Lieder, auf die wir unten zurückkommen, und vier Nummern des »Oberon«.

Wer unserm Entrollen von Weber's Lebensbilde gefolgt ist, sein emsiges Ausnutzen des ihm gegönnten, kurzen Tags beobachtet hat, den muß die Länge dieser Pause in seiner Thätigkeit Wunder nehmen, die weit über das Maß hinausging, dessen seine sonst so elastische Seele zur Wiederherstellung ihrer Spannkraft nach großer Anstrengung, unter gewöhnlichen Verhältnissen, bedurft haben würde.

Aber der Geist, der gesund im gesunden Körper so fröhlich und sangesreich aus den Kämpfen mit Sorgen und Widerwärtigkeiten hervorgegangen war, begann, im immer hinfälliger werdenden Leibe beängstigt hausend, dem ermattendsten aller Geistesaffekte, einem unablässigen Aerger gegenüber, der durch unaufhörlichen Fall kleiner Gallentropfen das feste Herz des Meisters aushöhlte, die Spontaneität des Schaffens zu verweigern. Und dieser Verdruß, dieser Aerger kam ihm von einer Seite, von der her ihm bisher fast nur Freude und Ehre zu Theil geworden war, aus einer Stadt, die er mit Recht die eigentliche Wiege seines Ruhmes nannte, in der er sich am besten verstanden wußte.

So heiß Weber's Wünsche für den Erfolg der »Euryanthe« waren, so geneigt er sich zeigte, ihre Wirkungen im freundlichsten Lichte zu sehen, so konnte es ihm doch nicht entgehen, daß dieselben durchaus getheilter Art waren. Die Oper hat in einigen Städten (Frankfurt, Prag, Kassel etc.) völlig kalt gelassen, in andern einen zweifelhaften, in dritten gar keinen, in sehr wenigen einen vollen Succeß gehabt.[545]

Dieses unwiderlegliche Facit, von dem sich nur wenig à Conto unvollkommener Darstellung abziehen ließ, war er berechtigt, zum großen Theile dem Umstande zuzuschreiben, daß die musikalische und ästhetische Capacität des Publikums vieler der betreffenden Städte sich entweder gar nicht auf dem Niveau des Werkes befand, oder doch der Richtung seiner Muse nicht gemäß gestimmt war.

In Berlin, der zweiten Stadt Deutschlands, dem Centralpunkte nordgermanischen Denkens und Empfindens, fielen alle Motive hinweg, die a priori aus dem Publikum heraus einen Succeß des Werks hätten verhindern können.

Gerade dem halben Erfolge der Oper im übrigen Deutschland gegenüber, wurde es für Weber zu einer Angelegenheit höchster Wichtigkeit, ja zu einer Lebensfrage für die Richtung seines Genius, dieselbe, von den besten Kräften ausgeführt, vor das Forum des Berliner Publiknms gebracht zu sehen.

Jede der Schwierigkeiten, die sich dem entgegenstellten, war ein tieferer Schnitt in sein abwelkendes Leben, als er den Seinen, oder der Welt, oder auch sich selbst gestehen mochte.

Und ihrer waren Legion!

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 545-546.
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