Castil Blaze's Unredlichkeiten

[623] Der Advokat Castil Blaze, ein talentvoller Schriftsteller und glühender Musikfreund, hatte seiner Zeit durch seine Aufsätze im[623] Journal des Debats, dessen Feuilleton er redigirte, nicht wenig dazu beigetragen, gute neuere deutsche und italienische Musik in Frankreich einzubürgern. Ein verdienstvolles Werk über die Oper in Frankreich und ein in Nachfolge Tinctor's, Brossard's, Rousseau's und der Encyclopädisten, nicht ohne Geist geschriebenes Wörterbuch der Tonkunst rührte von ihm her, und so hatte er sich bis dahin in nur ehrenvoller Weise bekannt gemacht. Plötzlich begann er aber auch praktisch auf die Verbesserung der Musikzustände in Frankreich hinwirken zu wollen, indem er nichts Geringeres that, als Mozart's und Rossini's Opern in der absurdesten und verwerflichsten Weise für die französische Bühne zu bearbeiten. Das Glück, das er, trotz ihrer grausamen Verstümmelung, mit diesen Werken machte, der Ruhm und das Geld, das ihre Aufführung, von denen er ohne Scham die den Autoren gebührenden Honorare und Tantièmen bezog, ihm einbrachte, machten ihn nach Fortsetzung dieser Industrie lüstern, und kaum hatten daher Weber's Opern die Aufmerksamkeit Deutschlands erregt, als er sich beeilte, die neuen Erscheinungen zu seinem Vortheile auszubeuten. Er verschaffte sich auf unrechtmäßige Weise, das heißt nicht vom Componisten, die Partitur des »Freischütz«, und brachte die Oper, mit einem von ihm und Sauvage bearbeiteten, neuen Texte, der die Scene nach Schottland verlegt und die Fabel umgestaltet, unter dem Titel: »Robin des bois, ou les trois balles« im Theater de l'Odeon am 7. Dec. 1824 zur Aufführung. Er entblödete sich nicht, die Autorenvortheile, die das mit großem Beifalle (obwohl man in den ersten drei Vorstellungen die Zauberscenen auspfiff und auslachte) aufgenommene Werk gewährte, für sich und Sauvage in Anspruch zu nehmen, als ob sie Dichter und Componist seien. Der Direktor dieses Theaters, Chevalier Pickencourt, sowohl, wie der der Opera Comique, dem Castil Blaze die »Bearbeitung« der »Euryanthe« offerirte, fanden dieß Arrangement, trotzdem sie wußten, daß Weber lebe und Ansprüche habe, annehmbar. Da Castil Blaze die Partitur der »Euryanthe« zu theuer oder zu schwer erreichbar erschienen war, so erfand er das neue Auskunftsmittel, daß er einen Clavierauszug bezog und danach eine neue Partitur schuf, indem er mit »Weglassung aller Recitative«, die in Dialog[624] verwandelt wurden, die Oper neu instrumentirte. In dieser Gestalt bot er sie den Theatern zum Verkauf.

Dieß war auch Weber zu viel, »der gewohnt war, die Erndte seiner Saaten von Andern sammeln zu sehen«. Vor sittlicher Entrüstung und Aerger krank, schrieb er, erst sehr höflich und gemäßigt, dann schärfern Tones an Castil Blaze. Zugleich wandte er sich mit der Bitte, ihm in Wahrung seiner Rechte beizustehen, an den Direktor Pickencourt und den Orchesterchef des »Odeon,« den verdienten Cremont. Diese Herren, außer Cremont, der ihm wenig nützlich sein konnte, blieben ihm Antwort schuldig, wohl aber erhielt er gegen Ende des Jahres die Nachricht, daß die Castil Blaze'sche »Euryanthe« im »Odeon« richtig in Scene gegangen und dessen Bearbeitung der »Preciosa« auf derselben Bühne so total durchgefallen sei, daß man das Stück nicht habe zu Ende spielen lassen!

Das war der Anfang der Ruhmes-Laufbahn, die man ihm und die er sich selbst von Einführung seiner Werke bei dem leicht empfänglichen Volke der Franzosen vorgespiegelt hatte! – – Da auch weitere Briefe ohne Resultat blieben, so beschloß er, alle ferneren Schritte in dieser Sache bis zu seiner Anwesenheit in Paris, auf der Reise nach England, aufzuschieben.

Fast zu gleicher Zeit erfuhr er, daß ein Mr. Livius, der die Erwerbung des »Abu Hassan« und »Freischütz« für das Drury-Lane-Theater zu London von ihm vermittelt hatte (die Opern wurden am 22. Juli 1824 und 5. April 1825 gegeben), sein Interesse nicht angemessen wahre, so daß auch dort pekuniäre Vortheile verloren zu gehen drohten..

In diese Zeit des bittersten Aergers, des allerweltlichsten Zornes, fällt die Vollendung des ersten und zweiten Aktes des »Oberon«, bis auf das Finale des letzteren!!

Dieses Leben und musikalische Licht und diese tongewordene Heiterkeit und Frische schrieb ein kranker, gebeugter, verdrossener Mann, den trockener Husten Tag und Nacht quälte, der, in Pelze gehüllt, die geschwollenen Füße in Sammetstiefeln, am Schreibtische saß und im stark geheizten Zimmer fror.[625]

Wie hat doch der Genius so wenig mit dem Leibe, der ihn hegt, zu schaffen!

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 623-626.
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