Reise nach Ems

[605] Bei schönstem Sommerwetter fuhr er daher, nachdem der immer schwere Abschied von Carolinen und den Kindern überstanden war, »wie spazieren« in seinem schönen, bequemen Wagen am 3. Juli zum Thore hinaus, »wie der Hoffnung entgegen«. –

In Naumburg a.d. S., das er am 5., nachdem auf der preußischen Grenze die Nennung seines Namens ihm die Zollrevision seines Gepäcks erspart hatte, erreichte, bekam er die, ihm wie ein gutes Omen[605] erscheinende Nachricht, daß Spontini in verflossener Nacht, auf zehnmonatlicher Urlaubs-Reise begriffen, den Ort passirt habe. Nun war die Luft in Berlin für das Gedeihen seiner »Euryanthe« rein!! –

In Weimar galt es, im Kreise der liebenswürdigen Familie Hummel's, den Weber immer als einen der glücklichsten Menschen durch Naturell, Talent und äußere Verhältnisse zu bezeichnen pflegte, längeren Rasttag zu machen, und Gerstenberg und Frau Schoppenhauer zu sehen. Göthe's Sohn, den er zufällig traf, überredete ihn, seinem großen Vater einen Besuch abzustatten. Der Dichterfürst war, wie schon früher erwähnt, durch seines Freundes Zelter Einfluß, gegen Weber eingenommen. Der gewaltig aufgeschossene Ruhm des Tonmeisters erschien ihm, durch das gefärbte Glas der Meinung des alten, trocknen Berliner Musik-Professors gesehen. wie ein »Schwammgewächs ohne Kernholz«. Er ließ Weber, der an solche Aufnahme schon längst nicht mehr gewöhnt war, im Gegentheil gerade auf dieser Reise den Sonnenschein seines Ruhms recht erwärmend fühlte, im Vorzimmer warten, sogar ein zweites Mal nach seinem Namen fragen. Als der Geärgerte und allerdings wenig zu freundlicher Conversation Aufgelegte endlich eintreten durfte, empfing er ihn mitten im Zimmer stehend und mit einer stolzen Handbewegung zum Sitzen einladend, that dann einige höchst unbedeutende Fragen über Dresdener Persönlichkeiten, berührte das Thema der Musik gar nicht und stand nach einer Viertelstunde zuerst auf, den Abbruch des Gesprächs bezeichnend und andeutend, daß er Weber's Besuch in keiner Weise anders klassifizire, als den junger Literaten und Künstler, die täglich, um sagen zu können: »Ich habe Göthe gesprochen!« sein Haus in oft höchst lästiger und doch von dem alten Hohen-Priester gewiß nur ungern vermißter Weise, belagerten.

Weber war in der That schwerer geärgert, als er, wie er selbst sagte, für möglich gehalten hätte. Ein Fürst hätte ihn durch solches Verhalten nicht verletzen können, von Göthe kränkte es ihn und zwar in solchem Maße, daß er sich leidenschaftlich darüber aussprach. Eine leichte Erkältung trat dazu, er fühlte sich unwohl und hatte zwei Tage lang im »Erbprinzen«, auf das Sorgsamste und Liebreichste von[606] Hummel's Familie gepflegt, das Bett zu hüten. Der Verdruß hinderte indeß den kranken Meister nicht, einen jungen Musiker (den später se rühmlich bekannt gewordenen Professor), Lobe, der, als einer seiner glühendsten Verehrer, den Eintritt bei ihm fast erzwang, höchst freundlich aufzunehmen und, im Bett liegend und mit leiser Stimme sprechend, jene denkwürdigen Gespräche über die Composition des »Freischütz« mit ihm zu pflegen, die Prof. Lobe 1855 in seinen »Fliegenden Blättern für Musik« drucken ließ.

Aus Weimar schreibt Weber an Caroline folgende interessante, durch die geschilderten Verhältnisse commentirte Briefstelle:


»etc. Etwas Merkwürdiges muß ich dir noch von der Ordens-Geschichte erzählen. Gerstenberg hat eine Gräfin Häsler geheirathet, die mit dem Minister E. verwandt ist. Wie lebhaft dieser nun sich für mich interessirt und für wie sicher er die Sache hielt, kannst du daraus ersehen, daß er der Frau von Gerstenberg geschrieben hat, ich würde den Orden bekommen. Aus Discretion gegen eine solche Mittheilung hatte es aber Gerstenberg nicht öffentlich erzählt. Gratulirte mir aber mit ungeheuchelter Freude, und in solches Billigen der Sache ausbrechend, daß ich gar nicht zu Worte kommen konnte, um ihm begreiflich zu machen, daß es, und warum es nichts sey und nicht seyn könne. – Sein Erstaunen war gränzenlos. etc.«


Mit hoher Freude begrüßten Weber in Gotha C. A. Varnhagen, seine Gattin Rahel und ihr Bruder Ludwig Robert, die, auf der Reise nach Baden-Baden begriffen, sogleich beschlossen, mit ihm bis Frankfurt zu gehen und gemeinsam die Reise zu genießen. Die große und geistvolle Frau, die Weber als unbeschreiblich liebenswürdige und mit hohem Zauber die Geselligkeit beherrschende Dame vom Hause immer als ein Phänomen erschienen war, hörte kaum, wie leidend der Meister sei, als sie ihn unter mütterliche Obhut nahm. Sie wies ihm die gedeihlichsten Speisen bei dem gemeinsamen Mittagsmahle an, und maß ihm sorgsam den Thee am Abend zu. – Der seine Schönheitssinn, der zu jeder Erscheinung immer den rechten und bleibenden Ausdruck findende Takt der edeln Frau, verklärte Weber die gemeinsame[607] Reise, die das goldenste Sommerwetter, durch nächtliche Gewitter am Tage abgekühlt und erfrischt, begünstigte.

Nur mit wirklichem Schmerz trennte er sich von dem geistvollen Paare in Frankfurt, im Augenblicke, wo sein alter, trauter Freund, Gottfried Weber, ihn zu begrüßen von Darmstadt herüber gekommen war.

Am 15. Juli (nach zwölftägiger Reise) kam Weber in Ems über Wiesbaden an. Sein kurzer Aufenthalt in diesem reizenden Orte brachte ihm ein anmuthiges Abenteuer, das wir ihn selbst in einem Briefe an Caroline vom 16. Juli schildern lassen:


»etc. In Wiesbaden aber hatte ich wirklich eine rührende Szene der Art. Es saß ein Dr. Horn neben mir, ein höchst gebildeter Mann und großer Musikfreund. Nachdem wir über Litteratur und viele Dinge recht interessante Gespräche geführt hatten, und er bemerkte daß ich aus Sachsen sey, und er früher in Leipzig studirt hatte, so frug er mich nach tausend Dingen, Böttger u.s.w. Die Tafelmusik brachte dann endlich das Gespräch auch auf den Freyschütz u.s.w. Ich wich auf's Künstlichste allen Fragen, die mich hätten verrathen können, aus, bis denn endlich der Mann ganz erstaunt, mich in Allem so zu Hause zu wissen, nach meinem Namen frug; nun, das ist ein ehrlicher Name, und ich konnte also nicht verschweigen, daß ich Weber heiße. Weber? rief er, ganz gespannt, Gottfried Weber? Nein! sagte ich; also aus Berlin? – der ist lange todt. Also – mit einer Pause, wie Jemand dem ein freudiger Schreck den Athem verhält – doch nicht – Carl Maria von Weber, sagte ich ganz ruhig, indem ich mir einschenkte. – Da hättest du sehen sollen wie der Mann, wie vom Donner gerührt, fünf Minuten unbeweglich still und starr saß, und endlich, indem ihm die Augen feucht wurden, ganz andächtig stille sprach – Was hat mich Gott für ein Glück erleben lassen. – Du weißt, liebe Lina, daß die größten, dicksten Weihrauch-Wolken weder meine Nase kitzeln, noch meinen Sinn affiziren. Aber hier, ich gestehe es, mußte ich dem Schöpfer innig ergeben danken, daß er mir Macht gegeben, so tief eines guten Menschen Herz zu ergreifen, und daß wohl kein besserer[608] Lohn mir je wieder geboten werden wird. Johann hatte angespannt – ich mußte fort – und wir schieden Beide mit dem schönsten Eindruck, den der Himmel geben kann. – –«


Der Aufenthalt in Ems, diesem fashionablen und aristokratischen Bade, sollte Weber in vollen Zügen den Hochgenuß des Bewußtseins des Ruhms trinken lassen!

Die Wirthin des starkbesetzten und beliebten Hotels »zu den vier Thürmen« hatte den ihr nicht angekündigten, schlichten, kleinen, lahmen Herrn mit verdrießlicher Miene aufgenommen und ziemlich schlecht einquartiert, sich mit Ueberfülltheit ihres Hauses entschuldigend. Weber war in seinem bescheidenen Stübchen schon mit Auspacken beschäftigt, und stand, sich rasirend, vorm Spiegel, als großer Lärm im Hause entsteht, in den lautes Ausrufen seines Namens sich mischt. Wirthin, Ober-, Unter- und Zimmerkellner dringen in sein Zimmer und erstere ruft in größter Aufregung: »Ach hätte ich es gewußt! – Freischütz! – Preciosa! – ich werfe Alles zum Hause hinaus! –« Unter Lachen mit Mühe von Weber beschwichtigt, verschwindet sie, klingelt bei verschiedenen Miethern an, ruft, daß C. M. v. Weber im Hinterhause wohne und in die besten Zimmer müsse etc. – In kurzer Zeit stellten sich denn auch bei dem mehr peinlich als angenehm berührten Weber verschiedene Miether ein, die ihm durchaus ihre Appartements abtreten wollten. Ein Herr Block erschien sogar gleich mit dem Koffer vor Weber's Thür und ruhte nicht, bis er sein Balkon-Zimmer in Besitz genommen hatte.

Am nächsten Mittag saß Weber an der Tafel des Cursaals, in seiner Weise still und unscheinbar, und hatte seine Freude dran, über sich sprechen zu hören: daß er kommen solle, ja schon da sei, wie er aussehe, daß er sehr krank sei, etc. Dieser oder jener rühmte sich, ihn zu kennen und erzählte ihm selbst Anekdoten aus Weber's Leben, die er, mit dem ihm so trefflich lassenden, scurrilen Ernste und regem Interesse anhörte, bis sich die Kunde, daß er an der Tafel sitze, herumflüsterte, die Lautsprecher über ihn immer stiller wurden, man ihn endlich erkannte – ihm ein Hoch brachte – das Orchester »den Freischütz[609] verarbeitete«. – – Er verschwand gepeinigt, so still und eilig als er konnte.

Den andern Morgen brachte ihm die Bademusik, am dritten Tage die Militärmusik ein Ständchen mit obligatem »Freischütz« und »Preciosa«.

»Ich hätte es verwünschen mögen, jemals eine Note geschrieben zu haben bei dem ewigen Mich selbst hören müssen!« –

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 605-610.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Goldoni, Carlo

Der Diener zweier Herren. (Il servitore di due padroni)

Der Diener zweier Herren. (Il servitore di due padroni)

Die Prosakomödie um das Doppelspiel des Dieners Truffaldino, der »dumm und schlau zugleich« ist, ist Goldonis erfolgreichstes Bühnenwerk und darf als Höhepunkt der Commedia dell’arte gelten.

44 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon