Oeffentliche Meinung über »Oberon«

[686] So unglaublich es auch für Ohren unsrer Zeit klingen mag, denen die überaus reiche Fülle von Melodie im »Oberon« geläufig ist, eine Fülle, die von strengen Musikkritikern ernster Schule sogar »Melodie-Verschwendung« genannt wurde, so leicht faßlich, in den Sinn fallend und merkbar uns diese Melodien erscheinen, so war dieß doch ganz anders in England vor Beginn der Epoche des Musiklebens, in der wir jetzt stehen. Die Urtheile über »Oberon« geben davon Zeugniß, welche die Musik-Zeitungen Londons füllten. Als charakteristisch und die allgemeine Meinung, welche »Morning Chronicle«, »Literary Gazette«, »Musical Magazine«, »New Times«, »Literary Chronicle« etc. mit mehr oder weniger Beimischung von Ausdruck der Enttäuschung und Klage über Mangel an Melodie und über schwere Musik ziemlich übereinstimmend aussprachen, angenähert repräsentirend, geben wir den Artikel des »Harmonicon« in wortgetreuer Uebersetzung:


»Oberon.


Der poetische Theil dieses Werkes sollte blos zum Vehikel der Musik dienen, und darf daher nicht mit kritischer Strenge beurtheilt werden. Manche Verse erheben sich weit über das Mittelmäßige und zur wahren Poesie; doch hat der Plan, wie die Behandlung der Geschichte überhaupt, unleugbare Mängel und Schwächen. Die Ausstattung der Schaubühne ist glänzender, als wir sie selbst in diesem Hause, das doch in dieser Hinsicht berühmt ist, gesehen zu haben uns[686] erinnern. Die Maschinerie ist sehr geschickt angelegt und ausgeführt, die Decorationen sind reich und angemessen. Von der Musik bemerken wir hier im Allgemeinen, daß sie mehr auf das wissenschaftliche Urtheil der Kenner, als auf die große Menge berechnet ist. Sie ist nicht ohne Melodie – wie Manche behaupteten – doch ist diese für ungeübte Ohren durch eine fast übermächtige Fülle der Instrumentalbegleitung meist verdeckt. Wir hörten die Probe und bewunderten viele Partien derselben; wir wohnten der ersten Aufführung bei, und bemerkten manches, was uns am Abend zuvor entgangen war, und wir zweifeln nicht, daß öfteres Anhören uns Schönheiten offenbaren werde, die bis jetzt unserer Aufmerksamkeit entgingen, welche noch zwischen Drama, der Musik, dem Bühnenschmuck und den auftretenden Personen getheilt war. Herr von Weber führte selbst das Orchester an; er wurde mit einer Wärme empfangen, die selten, vielleicht nie, in einem Theater übertroffen worden ist, viele Beifallszeichen rings umher, mit bewillkommnenden Hüten und Tüchern und jedem andern Merkmale der Gunst, bezeugten die starke Vorliebe des Publikums für diesen Meister. Alles dies wiederholte sich zu Ende der Oper, wo er – zufolge einer gemeinen und häßlichen Sitte, die sich in dies Land einzuschleichen beginnt, aber jetzt in Frankreich, wo sie zuerst entsprang, verboten ist – auf die Bühne gerufen ward: ein Ruf, dem er, sehr zu seiner Ehre, sich auf eine Art fügte, die seine Abneigung gegen eine solche Vorladung ausdrückte.

Die Oper wurde wirklich in jeder Hinsicht mit einer Genauigkeit und Sorgfalt gegeben, die allen Mitwirkenden zur großen Ehre gereichte. Miß Paton sang nie mit mehr Fertigkeit und Wirkung. Mad. Vestris unterstützte in ihren zwei ausdrucksvollen Arien trefflich die Absicht des Componisten. Der Miß Cawse fehlte es freilich an Kraft, außerdem aber waren wir mit ihrer Leistung als Puck zufrieden. Hr. Braham that sein Bestes für diese Oper; er war nie bei besserer Stimme und wurde nie mehr zu seinem Vortheil gehört, als in der großen Scene: ›Yes! even love to fame must yield!‹. In den sanftern Gesängen war er nicht minder glücklich. Was seine Action betrifft, so lange nur ein Sänger das Lächerliche meidet und sich vor[687] Verstößen hütet, so wäre es unbillig, ihn hierin scharf zu beurtheilen. Von Mr. C. Bland können wir nicht günstig sprechen, seine Stimme ist unangenehm, und seine Manieren nicht viel besser, als seine Stimme. Warum übernahm nicht Hr. Durnset Oberons Rolle? Wie wagte man sie in solche Hände zu legen? Das Orchester erfüllte seine Pflicht gut, der Chor verdient besonders Lob für Genauigkeit sowohl in Hinsicht der Musik, als der Aufmerksamkeit in der Scene.«


Das rühmliche Resultat der fortgesetzten Aufführungen des »Oberon« war das, was Klingemann später mit den wenigen Worten berichtet:


»Oberon erfreut sich hier des ruhigen Beifalls der zahlreichen Gebildeten, die seit Kurzem angefangen haben, deutsche Musik zu kennen und zu lieben. Der Masse, welche durch die schlagendere Musik und das stofflichere Interesse des ›Freischützen‹ in Enthusiasmus versetzt war, spricht er weniger an.«


So lange Weber den »Oberon«, sei es nun in seiner Gesammtheit im Theater, oder in Theilen in Concerten zu London dirigirte, dokumentirte sich jederzeit derselbe, zum Theil vielleicht durch die Vorliebe für den Componisten des »Freischütz« getragene Enthusiasmus.

An seinen Chef Lüttichau schrieb Weber nach der ersten Vorstellung:


»London, den 14. April 1826.


etc. Oberon ist vorgestern, den 12., in Scene gegangen, und mit unglaublichem, einstimmigem, ungetrübtem Enthusiasmus aufgenommen worden, ebenso die gestrige Wiederholung. Er wird nun täglich fast gegeben mit geringen Unterbrechungen zur Erholung der Sänger. Die Aufführung war vortrefflich, die Sänger sehr ausgezeichnet, ebenso Chöre und Orchester. Ueber alle Beschreibung aber vollkommen und einzig Decorationen, Maschinerien und Costüme. Schwerlich möchte ein anderes Theater in diesem Punkte Coventgarden erreichen. Die Bauart und Einrichtung der englischen Theater ist aber auch höchst geeignet zu solchen Dingen, Zuvörderst sind sie[688] sehr breit, und haben hinter den Coulissen denselben Raum, wie die Bühne selbst. Deßhalb haben sie meistens feste Wände statt Gardinen, die von beiden Seiten auf Rollen kommen und in der Mitte zusammenstoßen. Ich werde von den meisten Dingen Modelle und Zeichnungen mitbringen, da ich überzeugt bin, daß vieles sehr vortheilhaft bei uns benützt werden kann. Viele der wunderbarsten Effekte sind mit so einfachen Mitteln bewirkt, daß man sich ordentlich, wie bei dem Ei des Columbus ärgert, nicht selbst darauf verfallen zu sein, z.B. die stürmische See, in der sich dann die untergehende Sonne spiegelt etc. Sobald ich die ersten 12 Vorstellungen des Oberons dirigirt habe, werde ich immer auf der Bühne mich mit der Maschinerie beschäftigen, um unserm Theater doch auch von einigem Nutzen zu sein.

Mein Aufenthalt hier wird sich wohl in die Länge ziehen, und ich desto mehr den Pariser Aufenthalt auf der Rückreise abbrechen müssen. London ist aber eine solche Riesenstadt, alles ist in so großartigem Zuschnitt, alles bedarf aber auch so mächtiger Hebel und langer Vorbereitungen, daß man durchaus hier mit anderem Maß messen muß, als in irgend einer Stadt der Welt. Ich baue daher auf Ihre Güte, Ihre Hülfe, Ihren Schutz, wenn aus 4 Monaten 5 werden sollten. Daß ich die größte Sehnsucht nach Hause habe, kann ich aus ehrlichem Herzen versichern, aber die eigentliche Saison geht jetzt erst an, und mit ihr die Ernte-Zeit. Daß ich keinen Tag um meines Vergnügens willen verzögern werde, ist gewiß, ich finde mein Glück nur bei den Meinigen, und in der Erfüllung meiner Pflicht, möge auch die Welt auswärts mir die höchsten Ehren geben, und ich mich zu Hause unbeachtet wissen. – etc.«

Fußnoten

1 Später trat Miß Paton an ihre, Pearman an Braham's Stelle.

D. Verf.


2 Weber erhielt für diese Direktion das ungewöhnlich niedrige Honorar von 15 Liv. Sterl.

D. Verf.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866.
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