An die kunstliebenden Bewohner Dresdens.

[126] (26. Januar 1817.)


Indem die Bewohner Dresdens durch die huldvolle Vorsorge und bewährte Kunstliebe ihres erhabenen Monarchen, vermöge der vor sich gehenden Gründung einer deutschen Opern-Anstalt, eine[126] schöne Bereicherung ihres Lebensgenusses erhalten sollen, scheint es dem Gedeihen der Sache zuträglich, ja vielleicht nothwendig, daß derjenige, dem die Pflege und Leitung des Ganzen für jetzt übertragen ist, die Art, Weise und Bedingung zu bezeichnen sucht, unter welcher ein solches Unternehmen in's Leben treten kann.

Es tritt des Menschen Herzen das näher, was es gründen, wachsen und fortschreiten sehen kann. Es wird ihm das lieber und werther, was es auch in seinen Theilen und Bau beobachten lernt; und was soll ihn zunächst freundlicher ansprechen, als das Treiben und Wirken der Kunst: das schöne Erzeugniß des erhöhten Lebens, zu dem jeder Einzelne im Volke eine unsichtbar mitwirkende Triebfeder ist, und sich auch als solche gewiß fühlt.

Es ist daher sogar den Verwaltern des ihnen anvertrauten öffentlichen Kunstschatzes Pflicht, dem Publikum zu sagen, was es zu erwarten und zu hoffen habe, und in wie fern man auf freundliche Aufnahme und Nachsicht von seiner Seite rechnen müsse.

Leicht und schnell sind große Erwartungen erregt, schwer ist es, vermöge der Natur der Sache, selbst nur gerechte Forderungen zu befriedigen.

Die Kunstformen aller übrigen Nationen haben sich von je her bestimmter ausgesprochen, als die der Deutschen. In gewisser Hinsicht nämlich. – Der Italiener und Franzose haben sich eine Operngestalt geformt, in der sie sich befriedigt hin und her bewegen. Nicht so der Deutsche. Ihm ist es rein eigenthümlich, das Vorzügliche aller Uebrigen wißbegierig und nach stetem Weiterschreiten verlangend an sich zu ziehen: aber er greift alles tiefer. Wo bei den Andern es meist auf die Sinnenlust einzelner Menschen abgesehen ist, will er ein in sich abgeschlossenes Kunstwerk, wo alle Theile sich zum schönen Ganzen runden und einen.

Hieraus folgt, nach der Ansicht des Verfassers, daß die Aufstellung eines schönen Ensemble's die erste Nothwendigkeit ist.

Hat eine Kunstdarstellung es erreicht, in ihrem Erscheinen nichts Störendes mitgebracht zu haben, so hat sie schon etwas Verdienstliches,[127] das Gefühl der Einheit – bewirkt. Dieses ist durch Eifer, Liebe zur Sache und richtige Benutzung der dabei beschäftigten Kräfte zu erreichen.

Schmuck, Glanz und Enthusiasmus werden einer Kunstanstalt nur durch ausgezeichnete hohe Talente verliehen. Diese sind in der ganzen Welt selten. Bewahrt und festgehalten, wo sie sind, sind nur die Zeit, und der Segen, der jedem menschlichen Beginnen allein Gedeihen bringen kann, im Stande, diese in der Folge zu verschaffen. Wenn daher jetzt von Eröffnung der deutschen Opern-Vorstellungen die Rede ist, so können solche nur als Versuche zur Bildung eines Kunstkörpers eines Theils betrachtet werden, andern Theils als Mittel, fremde Talente, darin erscheinend, würdigen und kennen zu lernen; und endlich als eröffnete Laufbahn zur weitern Kunstbildung.

Was mit den schon vorhandenen Mitteln geleistet werden soll, empfehle ich der freundlich nachsichtsvollen Güte des richtenden Publikums. Durch die spätere Bereicherung des Personals wird nicht nur manches schon gegenwärtige Vorzügliche, zweckmäßig an seinen Platz gestellt, im vortheilhaftesten Lichte erscheinen, sondern überhaupt dann erst ein planmäßiger Gang in Hinsicht der Wahl der Opern und deren abwechselnder Folge, sich auf Musikgattung und scenische Tendenz beziehend – eintreten können, der dem Publikum das Beste aller Zeiten und Orte mit gleichem Eifer wiederzugeben suchen soll.

Um die Anschaulichkeit dieses Willens den Kunstfreunden näher zu bringen, hoffe ich durch nachfolgende Notizen, die jedesmal dem Erscheinen einer neuer Oper vorangehen werden, wenigstens mein Verlangen an den Tag zu legen, das Gute so weit zu fördern, als meine Kräfte es erlauben, und möge mir dabei der Wunsch nicht verargt werden, dieß nicht mißdeutet, sondern mit Liebe aufgenommen zu sehen.

Dresden, den 27. Januar 1817.[128]


1.


– – Der rohe Mensch ist zufrieden, wenn er nur etwas vorgehen sieht; der Gebildete will empfinden, und Nachdenken ist nur dem ganz Ausgebildeten angenehm. – –

Goethe.


– – Der Lauf der Begebenheiten hat dem Genius der Zeit eine Richtung gegeben, die ihn je mehr und mehr von der Kunst des Ideals zu entfernen droht. Diese muß die Wirklichkeit verlassen und sich mit anständiger Kühnheit über das Bedürfniß erheben; denn die Kunst ist eine Tochter der Freiheit, und von der Nothwendigkeit der Geister, nicht von der Nothdurft der Materie, will sie ihre Vorschrift empfangen. Jetzt aber herrscht das Bedürfniß und beugt die gesunkene Menschheit unter sein tyrannisches Joch. Der Nutzen ist das große Idol der Zeit, dem alle Kräfte fröhnen und alle Talente huldigen sollen. Auf dieser groben Wage hat das geistige Verdienst der Kunst kein Gewicht, und, aller Aufmunterung beraubt, verschwindet sie vor dem lärmenden Markte des Jahrhunderts.

Schiller.


Die trefflichen Worte Goethe's und Schiller's mögen hier zur Einleitung dienen, und es wird zugleich der Leser – auf dessen Nachsicht ich bei meinen Versuchen rechne – es mir nicht verdenken, wenn ich hinter den Aeußerungen großer Männer zugleich eine Art von Schutzwehr bei meinem neuen, etwas gewagten, Unternehmen suche. Ich fühle mich zu demselben durch die Stelle, auf der ich stehe, aufgefordert, indem die schöne Pflicht auf mir ruht, durch die freundlichen Leistungen der Kunst auf die Gemüther und den Geschmack des Publikums zu wirken.

Die schöne Zeit, wo die Segnungen der allgemeinen, dauernden Ruhe jeden Menschen befeuerten und aufmunterten, seine freien Stunden den schönen Künsten und Wissenschaften zu widmen, – wo die Erscheinung eines neuen Kunstwerkes das Gespräch des Tages und aller geselligen Kreise war, wo Jedermann – nicht von stürmischen[129] Anregungen von außen gedrängt – sich frei und gern mit dem Höhern des Lebens beschäftigte, als Bedürfniß einer fühlenden Seele und Nahrung des Geistes; – diese schöne Zeit war uns lange geraubt, und dadurch natürlich auch die nothwendig theilnehmende Aufmerksamkeit des Publikums auf die Erzeugnisse der Kunst.

Ein wahrhaft gutes Werk bewährt freilich in der Länge der Zeit seine Vorzüge, und weiß sich die Theilnahme der Menge zu verschaffen, indem es endlich durch wiederholte Anklänge zum Gemüthe spricht. Ganz anders ist aber doch die Wirkung, wenn das Gemüth schon gleichsam vorbereitet auf den Genuß ist, der seiner wartet.

Es ist mit allen Verhältnissen im Leben so. Sucht nicht Jeder, in den Kreis einer Gesellschaft von einem schon geachteten Theile derselben eingeführt zu werden, während dieser durch einige bezeichnende Worte das Wesen seines Eingeführten der Gesellschaft kenntlich zu machen sucht? Von der Geburt bis zum Tode haben wir Pathenstelle vertretende Freunde.

Es sei also auch mir erlaubt, die meiner Obhut und Pflege anvertrauten Werke bei ihrem Erscheinen demjenigen zu empfehlen, dessen Dienst, dessen Erheiterung, dessen Bildung sie geweiht sind.

Ich habe dabei freilich mich vorzüglich vor einer gefährlichen Klippe zu hüten; nämlich davor, daß – indem ich die ihn vorzüglich bezeichnenden Eigenthümlichkeiten, den Kunstlebenslauf und Charakter meines Pfleglings und dessen Schöpfers berichte, – nicht etwa das, was blos einen Gesichtspunkt zur richtigen Beurtheilung desselben aufstellen soll, – schon als ein vorgegriffenes Urtheil über ihn erscheine. Dieß hieße die schönsten und heiligsten Rechte der Volksstimme verletzen.

Indem ich die Gefahr kenne, glaube ich sie auch schon halb überstanden zu haben, und mein Streben, die Klippe zu umgehen, wird es beweisen.

Dessen ungeachtet halte ich es für nothwendig, auch hier auf Nachsicht für den Eifer zu rechnen, der mich vielleicht zuweilen für die gute Sache zu weit führen möchte; indem auch hier nur der[130] Enthusiasmus, der den Künstler belebt, und den er so gern aller Welt einzuflößen wünschte, mich zuweilen über die Grenzen des trockenen Berichts leiten könnte.

Vor allem wird mir eine heilige Wahrheitsliebe das erste Gesetz sein; sie ist die strengste Pflicht vor dem Richterstuhl des Publikums. Ich werde die früheren Schicksale der erscheinenden Werke nicht mit Stillschweigen übergehen, ohne dabei für ihr künftiges besorgt zu sein. Nicht jede Pflanze gedeiht in jedem Boden. Was ihr in einem Klima Blüthen und Schönheit schenkt, kann ihr im andern verderblich werden. Eine sorgfältige Pflege wird wenigstens Mißgestalten verhüten, und in dem Streben zum Guten sollen mich auch einseitige Meinungen Einzelner, die, ohne ein eigenes Urtheil zu besitzen, nur vergleichungsweise zu richten im Stande sind, nicht irre machen, denn die Erfahrung hat gelehrt, daß die Gesammtstimme des Publikums beinahe immer gerecht sei.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 3, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 126-131.
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