Ueber: »Joseph in Aegypten«,

[131] Oper von Mehul.


(Dresden 28. Januar 1817.)


Donnerstag den 30. Januar 1817 erscheint zum ersten Male auf unserer Bühne die Oper: Jakob und seine Söhne in Aegypten, nach dem Französischen des Alex. Duval. Musik von Mehul.

Mehul behauptet ohnstreitig, nächst Cherubini, den ersten Rang unter den Componisten, die auf ihrer künstlerischen Laufbahn in Frankreich sich vorzugsweise entwickelten und bildeten, und durch die Wahrheit ihrer Leitungen endlich ein Eigenthum aller Nationen wurden. Wenn vielleicht Cherubini noch viel genialer zu halten ist, so tritt dagegen bei Mehul mehr Besonnenheit, die weiseste Berechnung[131] und Anwendung seiner Mittel und eine gewisse gediegene Klarheit hervor, die deutlich das angelegentliche Studium der ältesten italienischen Meister und vorzugsweise der Gluck'schen dramatischen Schöpfungen beurkundet.

Große dramatische Wahrheit und lebendiges Fortschreiten ohne zweckwidrige Wiederholungen, die Erreichung großer Effekte mit den oft einfachsten Mitteln, und eine Oekonomie der Instrumentation, die gerade nur das giebt, was durchaus nothwendig ist, sind ihn vorzüglich bezeichnende Eigenschaften.

Von seinen Hymnen und Liedern sind in der Revolutionszeit viel in's Volk übergegangen, und namentlich schreibt man ihm die Marseiller Hymne zu. Von einigen zwanzig Opern, die er geliefert, haben hauptsächlich Euphrosyne (zuerst 1791 in Paris gegeben), Adrien, Ariodant, une Folie, Helene, Joseph, und die Blinden von Toledo seinen Ruf begründet, und ihn als Meister der Kunst in den verschiedensten Musikgattungen bewährt. Enthusiasmus erregte auch besonders seine Ouverture de jeune Henri,, obwohl diese Oper selbst ganz durchfiel, und nur die Ouverture viele Tage nach einander allein, und jedesmal da Capo gerufen, gegeben werden durfte. In Deutschland haben sich beinahe alle oben benannten Werke verbreitet; am wenigsten Adrien undAriodant, am meisten une Folie, unter dem Titel: Je toller je besser, oder: die beiden Füchse, überall mit ausgezeichnetem Beifall aufgenommen, dann Helene, und die Blinden von Toledo, neuestens aber die Oper Joseph, oder Jakob und seine Söhne in Aegypten; die uns hier zunächst angeht.

Wer die leichtfertige Lieblichkeit, das fröhliche volkseigene Aufjauchzen und den durchaus heiter gaukelnden Sinn in der Musik zu une Folie kennt und achten gelernt hat, wird mit Recht die Vielseitigkeit des Geistes und Gefühls dieses Meisters bewundern, wenn er Joseph hört.

Ein wahrhaft patriarchalisches Leben und Farbengebung erscheint hier mit ächt kindlich rein frommem Sinne gepaart. Haltung der[132] Charaktere und erschütternde Wahrheit des leidenschaftlichen Ausdruckes ist unverkennbar mit großer Meisterschaft, Theaterkenntniß und klarer Anschauung des dem Ganzen Nothwendigen gegeben.

Aller unnöthige Klingklang und Flitterstaat ist hier vom Componisten verschmäht; die Wahrheit war sein Streben, und schöne, rührende Melodieen führte ihm sein Genius zu.

Die Anzeige ist der Verf. noch den Zuhörern schuldig, daß der Schluß der Oper mit dem kurzen Sologesange des Josephs und darauf folgendem Chore, vom Hrn. Musikdirektor Fränzel in München, ganz dem Geiste Mehuls sich anschmiegend, dazu componirt ist. Der Verfasser ist ein erklärter Widersacher aller Einschiebsel, Weglassungen und sonstigen Verstümmelungen des Originalwerkes, und wird darüber später öfter Gelegenheit haben, sich auszusprechen. Wenn er es aber hier erduldsam findet, so liegt dieses in einer lokalen Kunsteigenheit aller französischen Opern, deren Schlußchöre, durchaus beinahe, bedeutungslos sind, weil der rege Sinn der Franzosen, nach Lösung des Knotens, gleich alles unbedeutend finden, und es nicht beachtend, fortstürmen heißt. Der Deutsche läßt sich gern noch in den erzeugten angenehmen Gefühlen wiegen, und folgt theilnehmend dem Darlegen derselben von den ihm lieb gewordenen Charakteren auf der Bühne. Die Rücksicht also, daß die Oper wirklich durch diesen Zusatz gewonnen habe, und die geringere, daß sie so in ganz Deutschland gegeben wird, bewogen ihn, es in dieser Gestalt zu lassen.

Mehul privatisirt jetzt, seit der Auflösung des National-Instituts und Musik-Conservatoriums, wo er Mitglied und Professor war, in Paris, und arbeitet, dem Vernehmen nach, an einer großen Oper.[133]

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 3, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 131-134.
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