Einige Bemerkungen,

[172] das von dem Buchstaben C. über die Aufführung der Vestalin den 14ten Januar in Nr. 19 der Abendzeitung Niedergeschriebene betreffend.


(Dresden 18. Januar 1818.)


Es ist eine schöne Sache um den Enthusiasmus. Dem Künstler muß er besonders theuer sein; und ich ehre ihn, selbst wenn er sich in südlich helle Dünkelheit und alle erdenkliche Blumendüfte gehüllt – hinreißen läßt, seine Puppe mit dem purpurfarbensten Glanze zu umgeben.

Wenn nun aber dieses zarte Pflänzchen – vom Ausland oft mit verwundernden Blicken betrachtet – bei uns, von allen Wohldenkenden und Unterrichteten bisher recht freundlich geduldet, im fetten Boden nun gar zu ungestört so heranwächst, daß es glaubt, Alles was es ausduftet, sei auch wirklich wahr und richtig, weil es noch keinen Widerspruch empfunden, so muß ich zur Steuer der Wahrheit, und mit offenem Helme – wie ich es gewohnt – ihm begegnen. Möge es ruhig die Begegnung empfangen, und glauben daß sie wahrhaft wohlwollend für den Buchstaben C. sei, von dessen Willen zum Guten ich gern überzeugt sein will, der aber nur immer die fast entgegengesetzt wirkenden Mittel wählt.

Ich kann mich bei dieser Gelegenheit mit um so größerer Beruhigung aussprechen, als das mir gespendete Lob bei weitem den Tadel überwiegt, und es desto klarer am Tage liegt, daß ich nicht persönlich beleidigt, –sondern nur als Anwalt der Wahrheit auftrete, die gegründete Urtheile fordert.

Es ist alten Herkommens, daß man die Sache, die man beurtheilen will, auch verstehen soll. Sollte dies hinlänglich bei dem Buchstaben C. der Fall sein???

Was das Klassische des gewiß hochzuehrenden, genialen und feuriglodernen Spontini's betrifft, höre man das Wort Försters:


[172] Das Klassische.


Hier erfreut der Geist und dort der Reiz der Gestaltung.

Aber im Klassischen schmilzt Wesen zusammen und Form.


Die lobende Anerkennung der Sängerleistungen ist die Steuer der Wahrheit, und höflichen Dank für das dem weiblichen Chor und mir Gespendete.

Die Chöre dieser Oper überhaupt betreffend, so treten, der Sache gemäß, die Weiberchöre herrschend hervor und stellen die der Männer in Schatten11, wenn auch sonst die vereinte Stimmenzahl in gutem Verhältniß gegenseitig stünde. In Dresden mangelte früher der weibliche Chor gänzlich, daher das heute in überwiegendem Lichte Hervortreten desselben, welches sonst umgekehrt der Fall war. Bei den vorigen Chören, wie bei dem jetzigen, fehlte den Männern, namentlich den Bässen, die kräftige Fülle, die nur das mit dem männlichen Alter sich erzeugende physische Vermögen geben kann. Dieser Mangel muß mit dem Verlauf jedes Tages weniger fühlbar werden, welches bei den sich halbjährig stets erneuenden Kreuzschüler-Chören nicht möglich war. Künftige größere Auswahl ungerechnet.

Rücksichtlich des Fehlens des Männer-Chors, hat der Buchstabe C. wohl etwas bemerkt, aber nicht gewußt, wo es herkam noch wie es entstand. Eben der weibliche Chor war es, der zu spät eintrat und den unmittelbar daran sich schließenden Männer-Chor zu demselben veranlaßte.12

Wer aber das falsche Eintreten des Weiber-Chors veranlaßte, auszusprechen, verbietet mir die Achtung und Nachsicht, die jedem unwillkührlichen Versehen gebührt und die jeder wahre Kritiker, freilich nicht der Krittler – hat und haben muß.

Alles so ins Blaue hinauswallende Loben oder Tadeln, ist gleich wirkungslos zum Guten, und der grundlose Tadel kann[173] höchstens bewirken, daß ein Theil gezwungen wird, zur Selbstvertheidigung Dinge zu entwickeln, die nicht für das größere Publikum gehören, oder als Ankläger der andern aufzutreten. Z.B. sollten sonst wirklich die Chöre nicht gewankt haben???

Die Stellung der Instrumente eines Orchesters richtet sich nach dem Bedarf der jeweiligen Oper und ihr Haupterforderniß ist, daß kein Instrument wirkungslos versteckt stehe, der Direktor Bühne und Orchester gleich gut übersehen, und eben so von allen einzelnen Gliedern wieder gesehen werden könne. Die Wirkung ist auf das ganze Haus berechnet. Die Bänke dicht hinter dem Orchester sind in allen Theatern am übelsten berathen; aber eine Kunstanstalt kann keine so höflichen Rücksichten wie ein Gesellschaftszirkel beachten.

Hält der Buchstabe C. es vielleicht für besser, wenn die Trompeten und türkische Musik so unter den Bogen versteckt sind, daß sie weder sehen noch hören? und immer außer dem Takte sein müssen? wie ich öfter gehört habe. Sollen die so sehr bedeutenden Violoncell-Figuren, auf deren Wirkungen Spontini so viel hält, ferner auch noch blos von einem Violoncell gespielt werden, das mühsam unter und über dem Arm des Dirigirenden sich ängstlich durchwinden muß, um seine Noten zu erhaschen?

Die Zeiten sind vorbei, wo der Baß einer italienischen Oper so friedlich 8 oder 10 Takte auf die nämliche Note gelagert – und durch unzählige Proben fast auswendig gelernt war, daß er gefahrlos aus der Partitur gespielt werden konnte. Ueberhaupt der am Clavier Sitzende nur sein höflicher Blattumwender war, und das meiste dem Primo Violino überlassen blieb. Dies alles geht bei den Musikern unserer Zeit nicht mehr oder höchst unsicher; in Deutschland und Frankreich nirgends mehr, nur noch in Italien kaum.

Doch würde es sehr weit führen zu rechtfertigen, was eigentlich keiner Rechtfertigung bedarf, und was hier ausgesprochen wurde, geschah aus Achtung gegen Etwas, das der öffentlichen Meinung angehörig ist, und, meiner Ueberzeugung, akustischen und andern langjährigen Beobachtungen und Erfahrungsgründen gemäß, angeordnet wurde.[174]

Endlich erlaube ich mir noch die Frage: warum der Buchstabe C. nur so ganz ausschließlich den italienischen Leistungen des Königl. Theaters seine Dinte geweiht hat? Es ist ein übel Ding um einseitigen Enthusiasmus. Es gereicht fast immer dem Lieblingskinde zum Schaden, und die Kunst ist eine gute Mutter, die alles mit gleicher Liebe, gleicher Strenge umfaßt.

Festes, gegründetes Urtheil gebt, und ladet durch Anderes nicht den Verdacht der Parteilichkeit auf Verwaltung, Publikum und Redaktion. Will Letztere doch individuelle Entzückungen drucken lassen, so möge der Entzückte nur auch sagen: der bin ich.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 3, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 172-175.
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