Jahn über Mozart

[215] Otto Jahn's Werk über Mozart, dessen Bedeutendheit und Musterhaftigkeit schon an anderer Stelle (S. 59) anerkannt worden, ist eigentlich nur eine vierbändige Apotheose dieses Tonheros. Jedoch bezeichnend sind die Worte dieses Biographen, die er, gleichsam einen letzten Rückblick werfend auf das reiche Leben des Verewigten, dessen Studium er sich mit voller Liebe hingegeben, niederschreibt und so gleichsam in einige Sätze die Ergebnisse seiner Anschauungen über Mozart zusammenfaßt: »Mit welchem Blick und von welcher Seite wir auch Mozart anschauen mögen, immer tritt uns die echte reine Künstlernatur entgegen, in ihrem unbezwinglichen Schaffensdrang und in ihrer unerschöpflichen Schaffenskraft, erfüllt von der unversiegbaren Liebe, die keine Freude und Befriedigung kennt, als im Hervorbringen[215] des Schönen, beseelt von dem Geiste der Wahrheit, der Allem, was er ergreift, den Odem des Lebens einhaucht, gewissenhaft in ernster Arbeit, heiter in der Freiheit des Erfindens. Alles, was den Menschen berührt, empfindet er musikalisch, und jede Empfindung gestaltet er zum Kunstwerk; was dem musikalischen Ausdruck dienen kann, erfaßt er mit scharfem Sinn und eignet es sich an, damit zu schalten nach den Gesetzen seiner Kunst. Die Universalität, welche mit Recht als Mozart's Vorzug gepriesen wird, beschränkt sich nicht auf die äußerliche Erscheinung, daß er in allen Gattungen der Tonkunst sich mit Erfolg versucht hat, in Gesang und Instrumentalmusik, in geistlicher und weltlicher Musik, in der ernsten und komischen Oper, in Kammer- und Orchestermusik, und wie man dies weiter verfolgen will. Schon eine solche Fruchtbarkeit und Vielseitigkeit wäre zu bewundern, allein an Mozart bewundern wir ein Höheres: daß ihm das ganze Gebiet der Musik nicht ein eroberter Besitz, sondern die angeborne Heimat war; daß jede Weise des musikalischen Ausdrucks für ihn die notwendige Aeußerung eines innerlich Erlebten war; daß er in jeder Form ein im Geiste Erschautes und im Gemüthe Empfundenes barg; daß er jede Erscheinung mit der Fackel des Genius berührte, deren heller Funke Jedem leuchtet, der keine Binde vor den Augen trägt. Seine Universalität hat ihre Schranke in der Beschränkung der menschlichen Natur überhaupt und demgemäß in seiner Individualität, allein diese spricht sich voll und rein in jeder einzelnen Erscheinung aus. Seine Universalität ist nicht zu trennen von der Harmonie seiner künstlerischen Natur, welche sein Wollen und sein Können, seine Intentionen und seine Mittel nie mit einander in Conflict kommen[216] ließ. Der Kern seines innersten Wesens war stets der Mittelpunkt, von dem die künstlerische Aufgabe sich wie nach einer natürlichen Notwendigkeit gestalten mußte. Was seine Sinne gewahrten, was sein Geist erfaßte, was sein Gemüth bewegte, jede Erfahrung wandelte sich in ihm in Musik um, die in seinem Innern lebte und webte; aus diesem Leben schuf der Künstler nach ewigen Gesetzen und in bewußten Bildern, wie wir das Schaffen des göttlichen Geistes in der Natur und in der Geschichte ahnen, jene Werke von unvergänglicher Wahrheit und Schönheit. – Und schauen wir mit Bewunderung und Verehrung zu dem großen Künstler auf, so ruht unser Blick mit immer gleicher Theilnahme und Liebe auf dem edlen Menschen. Wohl erkennen wir in seinem Lebensgange, der klar und offen vorliegt, die Fügung, die ihn auf diesem Wege sein Ziel erreichen ließ; und hat ihn auch des Lebens Noth und Jammer hart gedrückt, so ist ihm die höchste Freude, welche dem Sterblichen vergönnt ist, die Freude am glücklichen Schaffen in vollstem Maße beschieden gewesen. Auch er war unser! sagen wir mit gerechtem Stolz, denn wo man die höchsten und die besten Namen jeglicher Kunst und aller Zeiten nennt, da nennt man unter den ersten Wolfgang Amade Mozart

Quelle:
Mozart-Buch. Von Constantin von Wurzbach, Wien 1869, S. 215-217.
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