Vom Däumling.

[7] Es waren einmal zwei Leute, ein Mann und eine Frau, die hatten keine Kinder, waren aber reich. Mit der Zeit bekamen sie einen Knaben, der war nur daumenslang. Als eines Morgens seine Mutter dem Vater das Frühstück bringen wollte, da bat er, sie solle es ihn tragen laßen; aber die Mutter sagte ›Was wirst du tragen, du kleiner Wicht!‹ Er ließ aber nicht nach, bis sies ihn tragen ließ. Als er das Frühstück seinem Vater hin getragen, bat er den Vater, er möge ihn pflügen laßen; aber der Vater sagte ›Was wirst du pflügen? laß bleiben!‹ Der Junge sagte ›Ich werde in des Ochsen Ohr kriechen.‹ Und er kroch hinein und pflügte. Da kam ein Herr gefahren, der sagte ›Aber, Mensch, gehen denn deine Ochsen so ohne Pflüger?‹ Der Mann erwiderte ›Mein Sohn pflügt; er sitzt in eines Ochsen Ohre.‹ Der Herr sagte ›Verkauf du mir deinen Sohn!‹ Aber der Mensch wollte nicht. Da sagte sein Sohn ›Aber, Väterchen, verkauf du mich nur; bedeckt er mich mit Geld, so kann er mich nehmen.‹ Der Herr dachte ›Ich werfe einen Silbergroschen auf ihn.‹ Aber er warf einen Sack voll Geld auf ihn, der Bursche war immer oben auf; er warf einen zweiten Sack voll auf ihn und er war noch oben auf, bis er ihn endlich mit einem Thaler zudeckte. Da nahm ihn der Herr mit sich nach Hause. Eines Abends sagte der Junge zum Herren ›Ich will in den Stall gehen und bei den Ochsen schlafen, damit sie niemand stehle.‹ Und der Herr ließ ihn dahin. Er gieng in den[7] Stall und hockte sich in eines Ochsen Ohr. Die Nacht kamen drei Diebe, um Ochsen zu stehlen; da sagte er in dem Ohre sitzend ›Die da sind die besten Ochsen; ich bin auch ein Dieb, wie ihr drei, laßt uns Kameraden sein!‹ Wie sie nun aufs Feld heraus kamen und die Ochsen schlachteten, sprachen sie unter sich ›Wer von uns wird gehen die Därme ausspülen?‹ Da sagte der Junge ›Ich bin der Jüngste, ich bin der Flinkste, ich will gehen.‹ Die Diebe meinten, er sei wirklich auch ein Dieb, denn es war finster und sie konnten nichts sehen, und sagten ›Gut, spüle du!‹ Er trug die Därme ans Waßer, und wie er spülte, fieng er an fürchterlich zu schreien ›Ach, bester Herr, ich hab nicht allein gestohlen; dort braten noch drei Männer das Fleisch am Feuer.‹ Wie sie dies vernahmen, fiengen sie sämmtlich an zu laufen; denn sie dachten, der Besitzer habe den Burschen erwischt und prügle ihn, und ließen das Fleisch auf dem Felde im Stiche. Da lief der Junge nach Hause zu seinem Vater und erzählte ihm die Sache. Schnell spannte der Vater die Pferde an, fuhr hin und holte sich das Fleisch. Nun hatte er seinen Sohn wieder und so viel Geld und Fleisch noch dazu.

Quelle:
Schleicher, August: Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder. Weimar: Böhlau, 1857, S. 7-8.
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