37. Die Schlangenkönigin.

[78] Eines Tages fand ein Hirtenmädchen auf einem Felsen eine kranke Schlange liegen, die eben am Verschmachten war. Das dauerte das Mädchen, und es reichte ihr den Milchkrug hin, den es an der Hand trug. Die Schlang ließ sich nicht zweimal einladen, sie lappte begierig von der Milch und erholte sich zusehends, bis sie endlich wieder so viele Kräfte gewonnen hatte, daß sie davon kriechen konnte. Bald darauf meldete sich bei dem Vater des Mädchens ein armer, junger Hirte, der bat ihn, daß er ihm seine Tochter zur Frau geben möchte. Der alte Hirte war aber ein reicher und stolzer Mann und sagte spöttisch: »Wenn du erst einmal so viel Herden hast wie ich, dann geb ich dir meine Tochter.«

Das ging aber nicht lang. Denn von der Zeit an kam alle Nächte ein feuriger Drache und verwüstete dem Alten die Triften, daß er bald kein Futter mehr für seine Herden finden konnte, und ihm eine um die andere zugrunde ging. Da kam der junge Hirte wieder, denn er war jetzt so reich wie der Vater, und bat um die Hand des Mädchens; und der Alte konnte sie ihm nicht mehr verweigern. Am Hochzeitsmorgen aber kam plötzlich in das Zimmer der Braut eine Schlange, auf derselben saß eine schöne Jungfrau, die sagte: »Da hast du meinen Dank dafür, daß du mich in der Not mit Milch gespeist hast!« Damit nahm sie eine glänzende Krone von ihrem Haupt und warf sie der Braut in den Schoß. Hierauf verschwand sie samt der Schlange wieder, wie sie gekommen war. Die Braut aber hob die Krone auf und hatte lauter Glück und Segen damit ihr Leben lang.[79]

Quelle:
Sutermeister, Otto: Kinder- und Hausmärchen aus der Schweiz, Aarau: H.R. Sauerländer, 1869, S. 78-80.
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