Der Einbau der dreiteiligen Achse

[99] Schon im Jahre 1884 wollte ich einen Vierräderwagen bauen. Doch machte mir die Steuerung des Wagens Schwierigkeiten. Ich lehnte es von vornherein ab, das Lenken durch Drehung der ganzen Vorderachse zu bewerkstelligen, wie es vom Pferdewagen her jedermann bekannt ist (Abb. 25). Die Abb. 25 zeigt deutlich, aus welchen Gründen:[99]

1. Ist bei dieser Lenkungsart ein großer Kraftaufwand erforderlich. Jedes Vorderrad bewegt sich nämlich auf einem Kreise, dessen Durchmesser gleich der Länge der Vorderachse ist. Dabei fällt der zu überwindende Reibungswiderstand der Straße ziemlich schwer ins Gewicht, weil er am Ende eines Hebelarms gleich der halben Vorderachse angreift. Liegt ein Stein im Weg, so entsteht plötzlich ein großes Stoßmoment, dem das Zugtier leicht, der Kraftfahrer aber nur schwer begegnen kann.

2. Nimmt die Stabilität bei dieser Lenkungsvorrichtung beim Kurvennehmen ab. Die Berührungspunkte der vier Räder bilden bei geradliniger Vorwärtsbewegung die Ecken eines Rechtecks. Bei der Fahrt in Kurven stärkerer Krümmung nähert sich die Unterstützungsfläche des Wagens der Form eines Dreiecks. Die Stabilität wird also gerade in dem Augenblick kleiner, wo die Zentrifugalkraft den Wagen am meisten umzuwerfen droht – ein Mißstand, der bei größerer Geschwindigkeit üble Folgen haben konnte. Ich wollte von einer so schwerfälligen Lenkungsart nichts wissen. Ein unreifer Verlegenheitswagen von einer Straßenecke zur anderen durfte mein Wagen nicht werden. Wie sehr mir von Anfang an insbesondere die Sicherheit der Lenkung am Herzen lag, das zeigt ja schon der Einbau des Differentials am ersten Modellwagen. Daher zog ich es vor, so lange beim Bau des einwandfrei zu lenkenden dreiräderigen Motorwagens zu verharren, bis mir die einzig richtige Lösung der Lenkungsfrage geglückt war.

Sollen nämlich die vier Räder in der Kurve rollen – nicht gleiten, so muß jedes einzelne Rad die zu beschreibende Kurve tangieren, d.h. senkrecht zum Kurvenradius stehen[100] (Abb. 23). Die Verlängerungen der Radachsen müssen daher im Kurvenmittelpunkt M zusammenlaufen. Wie schon der Münchener Georg Längensperger (bzw. nicht unabhängig von ihm der Engländer Ackermann, »Ackermannsches Patent« 1818) gezeigt hatte, kann das Schneiden der Achsenverlängerungen auch erreicht werden, indem man die ganze Vorderachse fest läßt und unbeweglich, dagegen die Vorderräder aufsetzt auf bewegliche, kurze, angelenkte Achsstummet.

Wir wollen uns das Prinzip zunächst klarmachen an der Abb. 24. Die Achsstummet sind nichts anderes als zweiarmige Winkelhebel, auf deren einem Schenkel das Rad sitzt, während die anderen Schenkel durch die Spurstange gelenkig miteinander verbunden sind. Durch Verschieben der Spurstange[101] nach links (Abb. 24) oder rechts können die Räder so gelenkt werden, daß bei jeder Stellung die Verlängerungen der Radachsen sich in einem Punkte schneiden. Dabei ist ein ganz geringer Kraftaufwand nötig, weil ja jetzt jedes Rad einfach um seinen eigenen Drehpunkt geschwenkt wird und der Hebelarm des Straßenwiderstandes auf ein Mindestmaß verkleinert ist. In Abb. 26 ist dargestellt, um welche Lenkzapfen sich die Vorderräder drehen können.

Anfang der neunziger Jahre ist es mir nach mehrfachen Versuchen geglückt, dieses Prinzip der Lenkung am vierrädrigen Benzinautomobil zum ersten Male zu verwirklichen und die dreiteilige Achse in die Automobiltechnik einzuführen. Meine Wagenlenkvorrichtung mit tangential zu den Rädern zu stellenden Lenkkreisen wurde am 28. Februar 1893 patentiert (DRP. Nr. 73515).

In der Patentschrift ist eine Wendung nach rechts gezeichnet (Abb. 25). Durch Drehen eines kleinen Zahnrades mit Hilfe des Lenkrads wird die Zugstange Z und der Hebelarm g nach hinten, Z' und g' dagegen nach vorn geschoben. Gleichzeitig beschreiben die Punkte s und s' des Gabelhebels d gleich große Kreisbögen. »Jedoch sind die Wege, die die betreffenden Zugstangen machen, voneinander sehr verschieden und macht in gegebenem Falle die Zugstange s einen größeren Weg als s', wodurch das rechte oder innere Rad eine größere Drehung als das linke oder äußere erhält.«

An dieser Patentzeichnung sieht man deutlich, wie ängstlich ich um die Sicherheit der Lenkung besorgt war. Mochte auch einmal eine Zugstange brechen, die andere Zugstange für sich allein genügte vollkommen zur Betätigung der Steuerung.[102]

Daß meine Versuche in der Lenkungsfrage bestimmend geblieben sind und die Steuerungen am heutigen Vierräderwagen auch jetzt noch auf der Grundlage des damals geschaffenen Systems gebaut werden, ist mir eine um so größere[103] Genugtuung, als jüngere Firmen später lange Zeit Benzinautomobile bauten – mit der unvollkommenen Lenkungsvorrichtung des Pferdewagens und ohne Differential.

»Viktoria« hieß der erste Wagen mit Achsschenkelsteuerung (3–5 PS). Damit war die Automobiltechnik in ihren Fundamenten fertig.

Quelle:
Benz, Carl Friedrich: Lebensfahrt eines deutschen Erfinders. Die Erfindung des Automobils, Erinnerungen eines Achtzigjährigen. Leipzig 1936, S. 99-104.
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