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[94] Um dieselbe Zeit wird der Wagenaufbau netter und bequemer, so daß der Benzinwagen in der Gesellschaft der stolzesten Pferdekutschen sich zeigen und bewegen kann. Das horizontale Schwungrad mußte dem vertikalen, die Schiebersteuerung der Ventilsteuerung weichen. Schon fahre ich mit meinem Wagen bis zu den Anhöhen des Odenwaldes und jenseits des Rheins bis hinüber zu den Anhöhen des Hardtgebirges. Wohin ich komme – überall ein allgemeines Staunen und Bewundern. Überall in Stadt und Land wird der Kraftwagen zum sensationellen Ereignis. Aber ein Käufer findet sich nirgends im weiten deutschen Vaterlande.
Dafür stellte sich im Jahre 1887 ein Franzose ein, Monsieur Emil Roger aus Paris. Die guten Erfahrungen, die Roger bis dahin mit den ortsfesten Benz-Zweitaktmotoren gemacht hatte, legten es ihm nahe, auch Versuche mit den neuen Benzmotorwagen zu machen. Er kam, sah und – kaufte, erst einen Wagen, dann mehrere, schließlich viele. Als ich im März 1888 nach Paris kam, traf ich im Hause[94] Panhard & Levassor einen dieser Wagen wieder. Panhard & Levassor, welche die Ausführung des französischen Patents für meine ortsfesten Zweitaktmotoren übernommen hatten, zeigten für den selbstbeweglichen Benzinwagen ein auffallend reges Interesse. In Gegenwart von Levassor fuhr ich in jenen Tagen durch die Straßen von Paris. Durch diese denkwürdige Fahrt gab ich vermutlich nicht nur den ersten Anstoß zur Gründung der späteren Automobilfabrik Panhard & Levassor, ich machte auch die Bahn frei für die volkstümliche Anerkennung und öffentliche Bewertung meiner Wagen.
Ein Wagen um den anderen wandert jetzt nach Paris. So groß wird in der Folge die Nachfrage Frankreichs nach Benzinwagen, daß ich bald nicht mehr allen Bestellungen gerecht werden kann. Die Fabrik wächst. Eine besondere Abteilung für Motorwagenbau gliedert sich an. Schon arbeiten fünfzig Leute allein auf Benzinwagen. Schon stellen sich außer aus Frankreich auch Käufer aus England und Amerika ein.
Während aber Frankreich und Amerika den in der Kulturwelt auftauchenden Kraftwagen stürmisch begrüßen, liegt das sonst so verkehrsfreundliche England zunächst noch in den Fesseln einer veralteten Tradition. Als nämlich der erste Käufer durch die Straßen Londons fahren wollte, nahm sich gleich die hohe Polizei des neuen Verkehrsmittels liebevoll an. Der Wagen mußte halten, und die ahnungslosen Insassen wurden abgeführt – auf die Polizeiwache. Hier wird ihnen feierlich verkündet: »Ihr habt gesündigt wider das Gesetz.« »Gegen welches Gesetz denn, wenn man fragen darf?« »Gegen die Lokomotive-Act.«[95]
Man hatte nämlich meinen Motorwagen kurzerhand in die Klasse der Straßenlokomotiven gerechnet, wie sie am Anfang des 19. Jahrhunderts als »Dampfwagen und Dampfomnibusse« auf den englischen Landstraßen herumpolterten.
Auf seinem Werdegang hatte ja auch der »Dampfwagen« nicht nur zu kämpfen gegen technische Schwierigkeiten und schlechte Wegverhältnisse. Verhängnisvoller wurde für ihn der Kampf gegen verkehrsfeindliche Zeitmeinungen. So hatte der Engländer Gurney 1831 seine Fahrten aufgegeben, weil er für jede bei einer Strecke von 8 englischen Meilen 22 Schilling an Schlagbaumabgaben zahlen mußte (also beinahe 2 Mark je Kilometer!). Dazu der liebe Konkurrenzneid der Fuhrherren, Pferde- und Eilwagenbesitzer, kurzsichtige Polizeivorschriften, bestochene Witzblätter, aufgepeitschte Volksleidenschaften, die Kiesmassen, Holz- und Eisenstücke auf die absichtlich aufgerissenen Straßen warfen – das alles konnte den dampfgetriebenen Emporkömmling nicht so vernichtend schlagen wie die berüchtigte englische »Lokomotive-Act« des Jahres 1836. Im Anschluß an einige Unglücksfälle vermochten die Eisenbahngesellschaften ein Gesetz durchzudrücken, das einem Todesurteil für »den Dampfwagen auf gewöhnlicher Straße« gleichkam.
Dieses leuchtende Dokument schildbürgerlicher Staatsweisheit bestimmte: 1. daß »pferdelose Wagen« durch Ortschaften nur mit einer Stundengeschwindigkeit von 3,2 Kilometer (auf freier Strecke mit einer Höchstgeschwindigkeit von 4 Kilometer) fahren dürfen und 2., daß hundert Meter vor jedem pferdelosen Wagen ein Mann zu gehen habe, ausgerüstet mit einer roten Fahne, um Fußgänger und Pferdelenker zu warnen. Damit war der Straßendampfwagen dem[96] Totenschauster verfallen; die Eisenbahnlokomotive aber triumphierte. –
Noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts also legte sich beim Auftauchen des neuen Motorwagens diese »Lokomotive-Act« wie ein klotziger Schlagbaum quer über den Weg. Erst im Jahre 1896 wurde die Vorschrift über das Schneckentempo in einem neuen Gesetz über leichte Kraftfahrzeuge aufgehoben.
Überhaupt fiel es den Engländern nicht leicht, die Erfolge des deutschen Wagens anzuerkennen. Die »Daily Mail« hatte unseren Londoner Vertreter herausgefordert, einen unserer Motorwagen 100 Meilen (= 160 km) ohne Defekt und ohne Betriebsstörung laufen zu lassen. Um die öffentlich erhobenen Zweifel zu entkräften, fuhr der Vertreter mit zwei Personen und dem offiziellen Kontrolleur des Englischen Autoklubs auf dem kleinsten und billigsten Benzwagen (23/4-PS-Einzylindermotor) die Strecke London-Oxford via Uxbridge, Stockenchurch und zurück nach London = 160 km. Teilweise waren die Wege gut, teilweise aufgeweicht, schlecht und nicht ohne erhebliche Steigungen. Der kleine Benzwagen durchfuhr die Strecke anstandslos mit der durchschnittlichen Geschwindigkeit von 131/2 Meilen. In ihrer Nummer vom 18. Oktober 1899 gratulierte uns die »Daily Mail« mit der vielsagenden Bemerkung, daß der Benzwagen, obgleich in Deutschland gebaut und billig, vorzüglich funktioniert und ohne Defekt und ohne jede Betriebsstörung 100 Meilen zurücklegte.
Wie rückhaltlos im Gegensatz zu diesem englischen Urteil der Selbstbewegliche auf französischem Boden anerkannt wurde, das möge ein Artikel dartun, der in der bedeutendsten[97] französischen Sportzeitung »Le Vélo« etwa zu derselben Zeit erschienen ist (29. 12. 1899) wie der Artikel in der »Daily Mail«:
»Von allen auf der momentan stattfindenden Automobilausstellung gezeigten Motorwagen muß ich die weitaus bekannte Type unbedingt an erster Stelle erwähnen, und dieses ist die Marke ›l'Eclair‹ (Comfortable) der Firma Maison Parisienne ›System Benz‹ (Pariser Haus der Firma Benz & Co.).
Der billige Preis setzt jeden in den Stand, sich einen solchen Wagen anzuschaffen, und der Mechanismus ist so einfach, daß kurze Zeit genügt, um ohne Furcht große Reisen damit unternehmen zu können.«
Was kann wohl für die Güte eines Fabrikates besser Zeugnis ablegen als der untenstehend veröffentlichte Brief eines Kunden:
»La Loupe (Eure et Loir), 25. 12. 1899.
Herrn Labauré!
Ich habe das Vergnügen, Ihnen anzuzeigen, daß ich mit meinem Wagen ›Eclair‹ bis heute mehr als 9000 Kilometer zurückgelegt habe, und noch immer warte ich vergebens auf die erste Betriebsstörung.
Ich hoffe, Ihnen den Wagen im Laufe des Monats Januar vorführen zu können, und zwar, noch ehe ich einen neuen Ausflug unternehme.
gez. F. de Laperolle, Besitzer.«
Wenn auch in Deutschland keine Lokomotive-Act existierte, so hatte doch die öffentliche Meinung einen Schlagbaum heruntergelassen, der an Klotzigkeit keineswegs hinter[98] dem englischen Schlagbaum zurückblieb. Deutschland ignorierte meine Erfindung lange, vielleicht gerade deshalb, weil ihr Schöpfer »nur ein Deutscher« war. Es ist leider zu wahr, was die »Automobilwelt« in ihrer Nr. 11, Jahrgang XV, über »Große Männer und ihre Bewertung« behauptet:
»Wir wollen hier nicht noch einmal ausführlich darauf hinweisen, mit welchen Vorurteilen, welchem Spott und welchen bitteren Anfeindungen im Anfang ein Benz, ein Daimler, ein Graf Zeppelin zu kämpfen hatten, wie wenig sie von der Öffentlichkeit, wie wenig vom Kapital unterstützt wurden, und wie auch der Staat viele Jahre mißtrauisch und zögernd beiseite stand und alle diese Entwicklungen lediglich persönlicher Tatkraft und dem Zufall überließ.«
Und doch hat der neue Wagen auch in Deutschland kein Versteckspiel getrieben. Immer mehr appellierte er an die Öffentlichkeit, indem er bald da, bald dort auf den Straßen und Plätzen des Verkehrs auftauchte. Erinnert sei nur an die erste Fernfahrt und das erste Auftreten des Wagens auf einer öffentlichen Ausstellung.
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