Der neue Zweitaktmotor

[45] Da stand ich nun zunächst allein. Unverzagt und unbeirrt wie ein wetterharter Pilot halte ich in dunkler Nacht das Steuer meines Lebensschiffleins eingestellt auf das Leuchtfeuer meines Ideals.

Nur ein Mensch harrte in diesen Tagen, wo es dem Untergang entgegenging, neben mir im Lebensschifflein aus.

Das war meine Frau. Sie zitterte nicht vor dem Ansturm des Lebens. Tapfer und mutig hißte sie neue Segel der Hoffnung auf. Nicht umsonst! Nach einigen sorgenschweren Tagen kam ein alter langjähriger Bekannter, der Kaufmann M. Rose, zu mir. Der hatte von meinem Geschäftsaustritt[45] gehört. Da er über ziemliche Geldmittel verfügte und ich sein Vertrauen genoß, schlug er mir eine neue Geschäftsverbindung vor. Hocherfreut gründete ich mit ihm das Unternehmen Benz & Co., Rheinische Gasmotorenfabrik Mannheim.

Damit legte ich ein Samenkorn in die Furche, das später zu einem Werk von Weltruf sich fortentwickeln sollte.

Aber auch bei dieser Gründung mußte ich die Richtigkeit des Dichterworts schmerzlich empfinden: »Des Lebens ungemischte Freude ward keinem Irdischen zuteil.« Herr Rose war entzückt von meinen reellen Größen – den Zweitaktmotoren. In bezug auf meine imaginären Größen aber sollte ich mich vorerst noch in der Geduld üben. Wohl wurde von vornherein der Bau von Motorwagen in das Programm der neuen Firma aufgenommen, aber nicht auf der ersten Seite, sondern auf der zweiten. Wie der Name Gasmotorenfabrik es schon ausdrückt, stand auf der ersten Seite des Programms: Bau von Benzmotoren als ortsfeste Kraftquelle. Erst nachdem auf dem Boden fester Wirklichkeitsarbeit so viel Werte geschaffen waren, daß die Weiterentwicklung des Geschäftes auf sicherer Grundlage ruhte, wollte man den Sprung in die Zukunft wagen und dem »Vorwärtsdrängenden« Brücken bauen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als auf diese Bedingungen einzugehen. Daß aber auch so gar niemand an mein »Luftbild« glauben wollte, schnitt mir tief ins Herz. Ich kam mir vor wie ein gefangener Vogel hinter goldenen Gittern, der mit unterbundenen Flügeln nach seinen fliegenden Kameraden in die Höhe schaut.

Doch die Gefangenschaft war nicht so schlimm, wie ich in meiner ersten Niedergeschlagenheit fürchtete. Mit doppeltemEifer warf ich mich jetzt auf die Zweitaktmotoren, die den Zauberschlüssel der Erlösung bargen.

Zunächst suchte ich das Zweitakt – Gasmotorensystem zu vervollkommnen, nach welchem meine stationären Motoren arbeiteten. Das Ansaugen und Verdichten der zur Verbrennung notwendigen Luft sollte nicht mehr durch eine besondere Luftpumpe vorgenommen werden. Der Hauptkolben (Abb. 6 zwischen A und B) mußte künftig diese Arbeit mit übernehmen. Die Arbeitsweise der Maschine ist leicht nach folgender Erklärung zu verstehen: Geht der Kolben von rechts nach links, so saugt er durch den Schieber a Frischluft an und verdichtet sie beim Rücklauf nach rechts. Sie entweicht hierbei vermittels der Schiebersteuerung durch b in den Druckluftbehälter, der in Abb. 6 gestrichelt umrandet ist. Der Überdruck in diesem Behälter wird indessen nur etwa 1/10 Atmosphäre groß. Diese Luftpumpenarbeit verrichtet der Kolben auf seiner Rückseite.

Auf der Vorderseite des Kolbens spielen sich folgende Vorgänge ab: Geht der Kolben nach links, so öffnet sich, betätigt durch die Ventilsteuerung (einem Gestänge, das mit der Kurbelwelle verbunden umläuft) das Ventil ci und kurz darauf auch das Ventil e. Alle seitherigen Schieber, die zu Störungen Veranlassung gaben, hatte ich nämlich durch Ventile ersetzt, deren Steuerung verhältnismäßig einfach zu bewerkstelligen war. Die Verbrennungsgase der vorangegangenen Explosion im Zylinderraum A werden also nicht nur durch den nach links gehenden Kolben zum Ventil d hinausgedrückt, sondern auch durch die aus dem Luftdruckbehälter durch das geöffnete Ventil e einströmende Preßluft weggespült. Der Zylinderraum A wird dadurch bis auf geringe[48] Rückstände frei von Verbrennungsgasen, wenn der Kolben etwa die Hälfte seines Hubes von rechts nach links zurückgelegt hat. In diesem Augenblick schließt die Ventilsteuerung die beiden Ventile e und d. Dafür öffnet sie das Ventil c, durch welches die in Abb. 6 unter dem Hauptzylinder angeordnete Gaspumpe C die erforderliche Frischgasladung in den Zylinderraum A preßt. Es war notwendig, das Frischgas (es handelt sich je nachdem um Leuchtgas, Karbidgas, Ligroingas oder Benzingas) unter Überdruck hineinzupressen, weil der von rechts nach links gehende Kolben schon angefangen hat, die im Zylinderraum A befindliche Luft zu verdichten. Die Gaspumpe C wurde mit einer Steuerung so betätigt, daß sie Frischgas einpreßte, kurz bevor der Hauptkolben am Ende seines Hubes angelangt war.

Die Hauptsache war damals, das verdichtete Gas-Luft-Gemisch rasch und einwandfrei zu entzünden, damit es seine Arbeit leisten kann. Ein Funkeninduktor1, der mit einer kleinen Dynamomaschine in Verbindung stand, erzeugte den notwendigen hochgespannten elektrischen Strom, um im Zylinderraum A zwischen zwei hineinragenden Platinspitzen einen Funken überspringen zu lassen. Das Gas-Luft-Gemisch wird dadurch entzündet, explodiert und treibt nun den Kolben-Arbeit leistend – von links nach rechts. Nach Beendigung des Arbeitshubs beginnt das Spiel links und rechts des Kolbens aufs neue. Die Maschine erzeugte also bei jedem zweiten Kolbenhub Kraft.

Durch weitere Vervollkommnung der Zündung, deren Arbeitsweise in einem folgenden besonderen Kapitel genauer[49] beschrieben wird, gelang es mir, diesen Zweitaktmotor sehr zuverlässig und leistungsfähig zu machen, so daß er bald den Namen »Benz« im In- und Ausland gut einführte.

Im Jahre 1886 erklärte die Prüfungskommission der Karlsruher Ausstellung, daß die Benz-Motoren von allen geprüften Maschinen bei Vollgang den geringsten Gasverbrauch je Stunde und Pferdestärke zeigten. Auf der »Kraft- und Arbeitsmaschinenausstellung München« im Jahre 1888 sagte Professor Schröter über die Benz-Motoren in seinen Vorträgen wörtlich: »Wir kommen damit zu den beiden interessantesten Maschinen der Ausstellung, welche das herkömmliche Viertaktverfahren verlassen und neue Bahnen eröffnet haben; ich meine die Motoren von Benz, ausgestellt von der Rheinischen Gasmotorenfabrik Benz & Cie. in Mannheim, und die Maschine von Atkinson, vorgeführt in einem aus England stammenden Exemplar von der Gräflich Stolberg-Wernigerödischen Faktorei Ilsenburg.«

Dank der laufenden Herstellung und des ebenso flotten Absatzes der nunmehr rühmlich bekannten ortsfesten Benz-Zweitaktmotoren dauerte die Geduldsprobe für mich nicht sehr lange. Schon nach einem Jahr konnte ich an die Weiterbearbeitung meiner Erfindung, des motorgetriebenen Fahrzeugs, gehen.[50]

1

Die Erzeugung der Zündspannung wird in einem besonderen Kapitel Seite 56 besprochen.

Quelle:
Benz, Carl Friedrich: Lebensfahrt eines deutschen Erfinders. Die Erfindung des Automobils, Erinnerungen eines Achtzigjährigen. Leipzig 1936, S. 51.
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