Der schönste Silvesterabend

[41] So blieb mir denn nichts anderes übrig, als mein Glück auf eigene Faust zu probieren und selber eine gute Lösung aufzuspüren. Ich wandte mich dem Zweitaktverfahren zu und hatte Glück. Aber das Glück kam nicht auf Windesflügeln. Es war auch nicht das Glück des erfinderischen Zufalls. Es war vielmehr das Glück der zähen, unverdrossenen Arbeit, die im systematischen Verfolgen eines Ziels das Pendel schließlich zum Schwingen bringt. Um aber auf den Schultern des Experimentes arbeiten zu können, ist Geld nötig.

Ich weiß es noch so gut wie heut. Es war an einem Silvesterabend. Den letzten Groschen hatten wir bei den langwierigen Versuchen hineingesteckt in den embryonalen Zweitakter. Und die Sorge stand vor der Tür.

Sovielmal wir auch die Maschine schon »angedreht« hatten,[41] sooft wurden unsere hochgespannten Hoffnungen und Erwartungen von dem »Taktlosen« zerstört.

Nach dem Nachtessen sagte meine Frau: »Wir müssen doch noch einmal hinüber in die Werkstätte und unser Glück versuchen. In mir lockt etwas und läßt mir keine Ruhe.«

Und wieder stehen wir vor dem Motor wie vor einem großen, schwer enträtselbaren Geheimnis. Mit starken Schlägen pocht das Herz. Ich drehe an.

Tät, tät, tät! antwortet die Maschine. In schönem, regelmäßigem Rhythmus lösen die Takte der Zukunftsmusik einander ab. Über eine Stunde schon lauschen wir tiefergriffen dem einförmigen Gesang. Was keine Zauberflöte der Welt zuwege gebracht hatte, das vermag jetzt der Zweitakter. Je länger er singt, desto mehr zaubert er die drückend harten Sorgen vom Herzen. In der Tat! War auf dem Herweg die Sorge neben uns hergegangen, so ging auf dem Rückweg die Freude neben uns her. Auf die Glückwünsche der Welt konnten wir an diesem Neujahrsabend verzichten. Denn wir hatten ja das leibhaftige Glück an der Arbeit gesehen in unserer ärmlich kleinen Werkstätte, die an diesem Abend zur Geburtsstätte eines neuen Motors wurde.

Lange noch standen wir aufhorchend im Hofe und immer noch zitterte es verheißungsvoll durch die Stille der Nacht: Tät, tät, tät! –

Auf einmal fingen auch die Glocken zu läuten an. Silvesterglocken! Uns war's, als läuteten sie nicht nur ein neues Jahr, sondern eine neue Zeit ein, jene Zeit, die vom Motor den neuen Pulsschlag empfangen sollte.[42]

Quelle:
Benz, Carl Friedrich: Lebensfahrt eines deutschen Erfinders. Die Erfindung des Automobils, Erinnerungen eines Achtzigjährigen. Leipzig 1936, S. 41-43.
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