Eigene Heim- und Werkstätte

[39] Soviel Schönes und Angenehmes auch der Aufenthalt in der Schwarzwaldstadt Pforzheim bot, nach zwei Jahren trieb mich das technische Interesse wieder zurück nach Mannheim. Diese Stadt mit ihrem lebendigen Arbeitsgetriebe einer erwachenden Industrie zog mich ganz in ihren Bann. Hoffnungsfreudig und stark setzte meine Unternehmungslust hier ein. Der Arbeit hatte ich bis auf den Grund geschaut. Das gab mir den Mut, über mich und meine Arbeit hinauszubauen. Neue Wege wollte ich suchen, neue Wege gehen. So legte ich im Jahre 1871 den Grundstein zu einem eigenen Geschäft mit Hilfe eines kleinen Vermögens, das ich mir zum Teil selbst erspart hatte. Diese »mechanische Werkstätte« bildet den Anfangs- und Ausgangspunkt einer industriellen und kulturellen Kurve ausgesprochener Emporentwicklung. Wenn ich damals auch noch keine Ahnung hatte[39] vom Verlauf dieser Kurve – daß es eine steigende Kurve werde, das fühlte ich im Vertrauen auf die Wunderkraft der Pike. Jetzt glaubte ich so viel praktisch und theoretisch gelernt zu haben, um mich nun selber auf den Ausguck zu stellen, selber die Fahrtrichtung zu bestimmen, selber in die Speichen des Rades zu greifen.

Klein und bescheiden fing das Geschäft an, Wurzeln zu schlagen. Da ich in Mannheim geschäftlich immerhin ein Fremdling war, wurde es mir sehr schwer, festen Fuß zu fassen.

1872 heiratete ich. Damit trat mir ein Idealist zur Seite, der weiß, was er will: Vom Kleinen und Engen hinaus zum Großen, Lichten, Weiten! Was bis dahin Plan war und Traum, das mußte jetzt Flügel bekommen und sich aufschwingen zur Tat. Alles Glauben und Hoffen, alles Kämpfen und Ringen, aber auch alles Erfüllen und Vollenden wurde nun zum heißen gemeinsamen Miterleben.

Plötzlich stand er vor uns, der Pfadfinder, der glückverheißend in die Zukunft wies. Und dieser Pfadfinder heißt Gasmotor. Es stand die Überzeugung in mir auf, daß der Gasmotor dazu berufen sei, als leistungsfähiger Konkurrent neben die Dampfmaschine zu treten und für den Antrieb von Arbeitsmaschinen und Fahrzeugen die allergrößte Rolle zu spielen.

Die Gasmotoren waren damals noch jung und litten an allerlei Kinderkrankheiten. Da war z.B. ein Gasmotor, erfunden von dem Franzosen Lenoir im Jahre 1860. Ein Erstling, der die löbliche Eigenschaft hatte, bei guter Laune zehn Minuten lang zu funktionieren und zu arbeiten, aber ein Ölschlemmer und Schmiermaterialverbraucher, daß[40] man ihn scherzweise einen »rotierenden Ölklumpen« nannte. Er war ein Imitator der Dampfmaschine mit Schiebersteuerung. An die Stelle des einströmenden Dampfes trat das eingesaugte Luft- und Gasgemisch. Entzündet erreichte dieses eine Spannung von 5 oder 6 Atmosphären und trieb den Kolben nach außen bzw. nach innen. Auch die atmosphärische Gasmaschine von Otto & Langen – ein Imitator der atmosphärischen Dampfmaschine – zeigte geringe Entwicklungsmöglichkeit. Das neuaufgekommene Viertaktverfahren aber war um jene Zeit noch durch Patent geschützt.

Quelle:
Benz, Carl Friedrich: Lebensfahrt eines deutschen Erfinders. Die Erfindung des Automobils, Erinnerungen eines Achtzigjährigen. Leipzig 1936, S. 39-41.
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