Sardelle (Engraulis encrasicholus)

[317] Die Alten kannten weder den Häring, noch den Pilchard, noch die Sprotte, wohl aber die Sardelle oder Anchovis (Engraulis encrasicholus, vulgaris, meletta und Desmarestii, Clupea encrasicholus, Argentina sphyraena), welche wegen ihres zusammengedrückten Leibes, der glatten Bauchkante, des weiten, bis hinter die Augen gespaltenen Maules, der in stumpfer Spitze vortretenden Schnauze, kleinen Augenlider, schmalen, geradlinigen Oberkieferknochen und sehr spitzigen Zähne auf den verschiedenen Knochen des Maules als Vertreter einer besonderen Sippe angesehen wird, höchstens funfzehn Centimeter an Länge erreicht und auf der Oberseite bräunlichblau, an den Seiten und dem Bauche weiß, am Kopfe goldig gefärbt ist.

In sehr zahlreicher Menge bewohnt die Sardelle das Mittelländische Meer, verbreitet sich aber von hier aus längs der europäischen Küsten im Atlantischen Weltmeere bis in den nördlicheren Theil der Nordsee, dringt auch in die Ostsee ein. Für die nördlichen Theile des Verbreitungsgebietes hat der Fang dieses geschätzten Fisches keine besondere Bedeutung, obgleich er auch hier betrieben wird; anders jedoch verhält es sich in südlicheren Gegenden. Schon in der Bretagne bringt die Sardellenfischerei Millionen ein; im Mittelmeere zählt das Fischchen zu den von den Anwohnern am meisten geschätzten Mitgliedern seiner Klasse. In Lebensweise und Betragen unterscheidet sich die Sardelle wenig von anderen Häringen. »Aelianus schreibt, daß diese Fischlein so in mächtiger schar, dicke, so nahe zusammen behafftet schwimmen, daß sie auch ein Schifflein, so in solche käme, nit zertheilete, ja also, daß man sie mit einem Ruder hart zertheilen vnd zerrütteln mag. Es mögen auch die Fischer aus solchen scharen nicht anderst schopffen, nemmen usw., als wenn man von einem haufen Korn mit der Hand nemme. Item, so sollen sie auch in solchem fahen so starck in einander hafften, daß sie selten gantz außher gerissen werden, sondern einer ohn den Kopff, der ander ohn den Schwantz, das vberig dahinden gelassen. Sollen von solchen hauffen zu zeiten viel Barcken oder Schifflein füllen.« Diese Angaben Geßners sind im wesentlichen richtig; Sardellen treten in der That in solchen Massen auf, daß man oft in einem einzigen Zuge mehr als vierzig Tonnen, zu je sieben- bis achttausend Stück, aus dem Wasser hebt. Man trennt ihnen nach dem Fange die Köpfe ab, nimmt die Eingeweide heraus und salzt oder macht sie ein. Letztere Arbeit wird hauptsächlich von den Weibern der Fischer betrieben, welche eine erstaunliche Fertigkeit besitzen, mit ihrem sorgsam gepflegten Daumennagel den Kopf abzuschneiden, gleichzeitig die Eingeweide zu fassen und mit dem abgetrennten Kopfe bei Seite zu werfen. Im Handel heißen die gesalzenen Fischchen Sardellen, die eingelegten Anchovis.

[317] Schon die Alten wußten diese Fischchen in ähnlicher Weise zu verwerthen und benutzten sie hauptsächlich zur Herstellung ihres Garum. »Diese Fischlein«, sagt Geßner noch, »sind in grossem brauch in der speiß zur zeit der Fasten, fürnehmlich in Italien, dann man pflegt solche einzusaltzen, vnd auß dem Saltz, auff mancherley weiß zu essen, dann sie widerbringen vnd stercken die begird zu essen, verzehren den kalten dicken Schleym deß Magens, dienen auch den Krankheiten, so auß solchen vrsachen kommen. Solcher Fisch werden vnzal in der Prouintz, in Frankreich gelegen, gefangen, bei der Nacht mit angezündtem Feuwr in den Schifflinen. Man pflegt sie auch roh zu essen mit Oel vnd Peterle. Item, so macht man auch ein gute Galvey oder Saussen auß jnen, in dem daß man die Fischlein auß der gemeinen Galvey nimpt, in ein Blatten thut, darüber schüttet Essig, Oel vnd Peterlebletter, demnach auff einer Glut so lang bewegen, biß die Fischlein in ein Safft schmeltzen vnd zergehen.«

Seit Ende des siebzehnten Jahrhunderts, um welche Zeit Richter in Guayana reiste, haben verschiedene Aerzte und Naturforscher über einen Fisch berichtet, dessen Fähigkeit, elektrische Schläge zu entladen, größer ist als bei allen übrigen, welche bisher bekannt wurden. Alexander von Humboldt erwarb sich das Verdienst, uns genauer unterrichtet zu haben, und erst in den letztvergangenen Tagen sind dessen Mittheilungen durch Sachs vervollständigt worden.

»Die Spanier«, sagt Humboldt, »begreifen unter dem Namen Tembladores, Zitterer, alle elektrischen Fische. Es gibt solche im Antillenmeere an den Küsten von Cumana. Die Guayqueries, die gewandtesten und fleißigsten Fischer jener Gegend, brachten uns einen Fisch, welcher, wie sie sagten, ihnen die Hände starr mache. Es war eine neue Art Rochen mit kaum sichtbaren Seitenflecken, dem Zitterrochen ziemlich ähnlich. Er war sehr munter, seine Muskelbewegung sehr kräftig, die elektrischen Schläge aber, welche wir von ihm erhielten, waren äußerst schwach. Andere Zitterer, echte Nackt- oder Zitteraale, kommen im Rio Colorado, im Guarapiche und verschiedenen kleinen Bächen in den Missionen der Chaymas-Indianer vor. Auch in den großen südamerikanischen Flüssen, im Orinoco, im Amazonenstrome, im Meta, sind sie häufig, aber wegen der starken Strömung und des tiefen Wassers schwer zu fangen. Die Indianer fühlen weit häufiger ihre elektrischen Schläge beim Schwimmen und Baden im Flusse, als daß sie dieselben zu sehen bekommen. In den Llanos, besonders in der Nähe von Calabozo, zwischen den Höfen Morichal und den oberen und unteren Missionen, sind die Zitteraale in stehenden Gewässern und in den Zuflüssen des Orinoco sehr häufig.

Wir wollten zuerst in unserem Hause zu Calabozo unsere Versuche anstellen; aber die Furcht vor den Schlägen des Zitteraales ist im Volke so übertrieben, daß wir in den ersten drei Tagen keinen bekommen konnten, obgleich sie sehr leicht zu fangen sind und wir den Indianern zwei Piaster für jeden recht großen und starken Fisch versprochen hatten. Diese Scheu der Indianer ist um so sonderbarer, als sie von einem nach ihrer Behauptung ganz zuverlässigen Mittel gar keinen Gebrauch machen. Sie versichern die Weißen, so oft man sie über die Schläge der Tembladores befragt, man könne sie ungestraft berühren, wenn man dabei Tabak kaue. Dieses Märchen vom Einflusse des Tabakes auf die thierische Elektricität ist auf dem Festlande von Südamerika so weit verbreitet wie unter den Matrosen der Glaube, daß Knoblauch und Unschlitt auf die Magnetnadel wirken.

Des langen Wartens müde, und nachdem ein leben der, aber sehr erschöpfter Zitteraal, den wir bekommen, uns höchst zweifelhafte Ergebnisse geliefert, gingen wir nach dem Caño de Bera, um unsere Versuche im Freien, unmittelbar am Wasser anzustellen. Mit Netzen läßt sich der ausnehmend bewegliche Zitteraal schwer fangen, weil er sich, gleich den Schlangen, in den Schlamm eingräbt. Die Wurzeln der Piscidea Erithryna, der Jacquinia armillaris und einiger Arten von Phyllanthus haben die Eigenschaft, daß sie, in einen Teich geworfen, die Thiere darin berauschen oder betäuben: dieses Mittel, den sogenannten Barbasco, wollten wir nicht anwenden, [318] weil die Zitteraale dadurch geschwächt worden wären. Da sagten die Indianer, sie wollten mit Pferden fischen. Nicht lange, so kamen unsere Führer aus der Steppe zurück, wo sie ungezähmte Pferde und Maulthiere zusammengetrieben, brachten ihrer etwa dreißig und jagten sie ins Wasser.

Der ungewohnte Lärm vom Stampfen der Rosse treibt die Fische aus dem Schlamme hervor und reizt sie zum Angriffe. Der Kampf zwischen den so verschiedenen Thieren gibt das malerischste Bild. Die Indianer mit Wurfspeeren und langen, dünnen Rohrstäben stellen sich in dichter Reihe um den Teich; einige besteigen die Bäume, deren Zweige sich wagerecht über die Wasserfläche breiten. Durch ihr wildes Geschrei und mit ihren langen Rohren scheuchen sie die Pferde zurück, wenn sie sich aufs Ufer flüchten wollen. Die Zitteraale, betäubt vom Lärme, vertheidigen sich durch wiederholte Schläge. Lange scheint es, als solle ihnen der Sieg verbleiben. Mehrere Pferde erliegen den unsichtbaren Streichen, von denen die wesentlichsten Organe allerwärts getroffen werden; betäubt von den starken, unaufhörlichen Schlägen, sinken sie unter. Andere, schnaubend, mit gesträubter Mähne, wilde Angst im starren Auge, raffen sich wieder auf und suchen dem um sie tobenden Ungewitter zu entkommen: sie werden von den Indianern ins Wasser zurückgetrieben. Einige aber entgehen der regen Wachsamkeit der Fischer: sie gewinnen das Ufer, straucheln jedoch bei jedem Schritte und werfen sich in den Sand, zum Tode erschöpft, mit erstarrten Gliedern. Ehe fünf Minuten vergingen, waren zwei Pferde ertrunken. Der anderthalb Meter lange Aal drängt sich dem Pferde an den Bauch und gibt ihm nach der ganzen Länge seines elektrischen Organes einen Schlag; das Herz, die Eingeweide und die Bauchnerven werden dadurch zumal betroffen. Derselbe Fisch wirkt so begreiflicherweise weit stärker auf ein Pferd als auf den Menschen, wenn dieser ihn nur mit der Hand oder dem Fuße berührt. Die Pferde werden ohne Zweifel nicht todtgeschlagen, sondern nur betäubt, sie ertrinken, weil sie sich nicht aufraffen können, so lange der Kampf zwischen den anderen Pferden und den Zitteraalen fortdauert.

Wir meinten nicht anders, als alle Thiere, welche man zu dieser Fischerei gebraucht, müßten nach einander zu Grunde gehen. Aber allmählich nimmt die Hitze des ungleichen Kampfes ab, und die erschöpften Aale zerstreuen sich. Sie bedürfen jetzt langer Ruhe und reichlicher Nahrung, um den erlittenen Verlust an galvanischer Kraft wieder zu ersetzen. Die Indianer versichern, wenn man Pferde zwei Tage hinter einander in einer Lache laufen lasse, welche sehr viele Zitterer beherbergt, gehe am zweiten Tage kein Pferd mehr zu Grunde. Maulthiere und Pferde verriethen weniger Angst; ihre Mähne sträubte sich nicht mehr, ihr Auge blickte ruhiger. Die Aale kamen scheu ans Ufer des Teiches geschwommen, und hier fing man sie mit kleinen, an langen Stricken befestigten Wurfspeeren. In wenigen Minuten hatten wir fünf große Aale, die meisten nur leicht verletzt. Auf dieselbe Weise wurden abends noch andere gefangen.

Den ersten Schlägen eines sehr großen, stark gereizten Zitteraales würde man sich nicht ohne Gefahr aussetzen. Bekommt man zufällig einen Schlag, bevor der Fisch verwundet oder durch lange Verfolgung erschöpft ist, so sind Schmerz und Betäubung so heftig, daß man sich von der Art der Empfindung gar keine Rechenschaft geben kann. Ich erinnere mich nicht, je durch die Entladung einer großen Leidener Flasche eine so furchtbare Erschütterung erlitten zu haben, wie die war, als ich unvorsichtigerweise beide Füße auf einen Zitteraal setzte, welchen man eben aus dem Wasser gezogen hatte. Ich empfand den ganzen Tag über heftigen Schmerz in den Knien und fast in allen Gelenken. Will man den ziemlich auffallenden Unterschied zwischen der Wirkung der Volta'schen Säule und der der elektrischen Fische genau beobachten, so muß man diese berühren wenn sie sehr erschöpft sind. Die Zitterrochen und die Zitteraale verursachen dann ein Sehnenhüpfen von dem Gliede an, welches die elektrischen Organe berührt, bis zum Elnbogen. Man glaubt bei jedem Schlage innerlich eine Schwingung zu empfinden, welche zwei, drei Sekunden anhält, und welcher eine schmerzhafte Betäubung folgt. In der ausdrucksvollen Sprache der Tamanacos heißt daher der Temblador Arimna, das heißt ›der die Bewegung raubt‹. Die Empfindung bei schwachen Schlägen des Zitteraales schien mir große Aehnlichkeit zu haben mit [319] dem schmerzlichen Zucken, welches ich fühlte, wenn auf den wunden Stellen, welche ich auf meinem Rücken durch spanische Fliegen hervorgebracht, zwei entgegengesetzt wirkende Metalle sich berührten. Dieser Unterschied zwischen der Empfindung, welche der Schlag des elektrischen Fisches, und der, welche eine Säule oder schwach geladene Leidener Flasche hervorbringt, ist allen Beobachtern aufgefallen; derselbe widerspricht indeß keineswegs der Annahme, daß die Elektricität und die galvanische Wirkung der Fische dem Wesen nach eins sind. Die Elektricität kann beide Male dieselbe sein; sie mag sich aber verschieden äußern infolge des Baues des elektrischen Organes und Stärke und Schnelligkeit des elektrischen Stromes oder einer eigenthümlichen Wirkungsweise. Im Holländischen Guayana, zum Beispiele zu Demerary, galten früher die Zitteraale als ein Heilmittel gegen Lähmungen. Zur Zeit, in welcher die europäischen Aerzte von der Anwendung der Elektricität Großes erwarteten, gab ein Wundarzt in Essequibo, namens van der Lott, in Holland eine Abhandlung über die Heilkräfte des Zitteraales heraus. Solche elektrische Heilweisen kommen bei den Wilden Amerikas wie bei den Griechen vor: Scribonius Largus, Galenus und Dioscorides berichten uns, daß der Zitterrochen Kopfweh und Gicht heile. In den spanischen Ansiedelungen, welche ich durchreist, habe ich von dieser Heilart nichts gehört; aber so viel ist gewiß, daß Bonpland und ich, nachdem wir vier Stunden lang an Nacktaalen gearbeitet, bis zum anderen Tage Muskelschwäche, Schmerz in den Gelenken, allgemeine Uebelkeit empfanden, eine Folge der heftigen Reizung des Nervensystemes.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 317-320.
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