Sechste Ordnung: Die Haftkiemer[336] (Plectognathi)

»Wer die göttliche Weisheit in der belebten Schöpfung mit menschlichen Zweckmäßigkeitsansichten ermitteln will«, sagt Giebel wahr und treffend, »findet bei der Betrachtung der Haftkiemer seine Forschung völlig undurchdringlich. Dem Menschen nützen diese absonderlichen Geschöpfe durchaus nicht: ihr Fleisch schmeckt schlecht und soll von einigen zu gewissen Zeiten sogar giftig sein; im natürlichen Haushalte spielen sie ebenfalls eine höchst untergeordnete Rolle; denn sie vertilgen weder große Mengen übermäßig wuchernder Thiere, noch dienen sie anderen als wichtiges Nahrungsmittel; ihr Betragen ist ebenso absonderlich wie ihre Gestalt und ihre äußere Erscheinung überhaupt. Es sind wunderliche Fische, welche eben nur durch ihre Absonderlichkeiten unsere Aufmerksamkeit fesseln.«

Die Eigenthümlichkeit der Haftkiemer in Gestaltung und Wesen ist so auffallend, daß Cuvier sich veranlaßt fand, aus ihnen eine besondere Ordnung zu bilden. Als wichtigstes Merkmal der Gesammtheit gilt das kleine Maul, in dessen Oberkinnlade die Knochen fest und unbeweglich unter einander verwachsen sind. Dieses Merkmal ist allerdings nicht allen Mitgliedern der Ordnung gemeinsam, und es kommt auch bei anderen Fischen eine ähnliche Verwachsung vor; allein die Haftkiemer zeichnen sich außerdem sehr durch ihre Leibesbekleidung aus, welche von der aller anderen Fische abweicht. Bei einzelnen ist die Haut ganz nackt und glatt, bei anderen wird sie von Rautenschildern oder Stacheln bedeckt, welche wesentlich zum äußeren Gepräge dieser Fische beitragen. Die Kiemendeckel werden von der Haut überzogen und öffnen sich nur in einer engen, vor den Brustflossen gelegenen Spalte. Absonderlich wie die Fische überhaupt ist auch das Gebiß. Es bewaffnen nämlich die Kiefer entweder starke Zähne, oder sie selbst bilden jeder gleichsam nur einen einzigen Zahn, indem sie unmittelbar mit Schmelz überzogen sind. Auch die Beflossung weicht von der anderer Fische ab: die senkrechten Flossen sind stets vorhanden, Schwanz- und Brustflossen ebenfalls entwickelt; die Bauchflossen dagegen fehlen regelmäßig. Bei einer Untersuchung des inneren Baues findet man, daß die Rippen bis auf kleine Spuren verkümmert sind, die Knochen erst spät erhärten, der weite Darmschlauch keine Blinddärme hat, der Magen oft einen weit ausdehnbaren Vormagen besitzt, welcher aufgebläht werden kann, eine ansehnliche Schwimmblase meist vorhanden ist usw.

Alle Haftkiemer gehören den warmen Ländern an und verirren sich selten in den nördlichen oder südlichen Theil der beiden gemäßigten Gürtel. Sie leben im Meere; doch gibt es unter ihnen einzelne, welche von hier aus in den Flüssen emporsteigen, ja möglicherweise in diesen den größten Theil ihres Lebens verbringen. Ihre Bewegungen im Wasser weichen von denen anderer Fische [336] wesentlich ab, weil sie eben mit der sonderbaren Gestalt im Einklange stehen. Zur Nahrung wählen sie Krebse und Weichthiere oder Seetange; einzelne Arten nähren sich zeitweilig mehr oder weniger ausschließlich von Quallen und Madreporenthierchen, und ihr Fleisch nimmt dann, wahrscheinlich infolge dieser Nahrung, giftige Eigenschaften an. Ueber Fortpflanzung und andere Lebensthätigkeiten wissen wir übrigens noch sehr wenig, obschon von einzelnen Arten ziemlich ausführliche Schilderungen vorliegen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 336-337.
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