Sandlanze (Ammodytes lanceolatus)

[187] Als Vertreter der einzigen Sippe dieser Familie führt man gewöhnlich den Tobiasfisch oder Sandaal, Sandspirling und Sandspirring (Ammodytes Tobianus, aliciens und lancea) an, Tobiasfisch genannt, weil sich kindische Gläubigkeit an die morgenländische Sage darin gefallen hat, das kleine, zierliche Fischlein als den großen Tigrisbewohner anzusehen, welcher den ängstlichen Tobias fressen wollte, auf den Rath des Engels aber an den Floßfedern gepackt, auf das Land gezogen, aus einander gehauen und des Herzens, der Galle und der Leber beraubt wurde. Häufiger als der zu Ehren des frommen Tobias genannte Fisch ist die ihm sehr verwandte Sandlanze (Ammodytes lanceolatus). Beide unterscheiden sich dadurch, daß beim Tobiasfische die Rückenflosse hinter, bei der Sandlanze über der Brustflosse eingelenkt und erstere größer ist als letztere. Die Färbung der Oberseite ist bräunlich, die der unteren silberglänzend. In der Rückenflosse des Tobiasfisches stehen fünfundfunfzig, in der Brustflosse funfzehn, der Afterflosse neunundzwanzig, der Schwanzflosse siebzehn, in der Rückenflosse der Sandlanze einundfunfzig, der [187] Brustflosse dreizehn, der Afterflosse fünfundzwanzig, der Schwanzflosse funfzehn Strahlen. Die Länge jenes beträgt bis vierzig, die der Sandlanze sechsundzwanzig bis einunddreißig Centimeter.

Beide Sandaale bewohnen die nördlicheren Meere und zwar flache, sandige Küsten, schwimmen während der Flut oft in zahlreicher Menge sehr rasch umher, auf allerlei Würmer und junge Fischbrut jagend und namentlich an warmen Abenden durch wiederholte Sprünge über die Oberfläche des Wassers sich vergnügend, während sie bei rückkehrender Ebbe sich in den Sand zu graben und hier bis zur Wiederkunft der Flut zu verweilen pflegen. Ueber ihre Fortpflanzung ist man noch immer nicht im klaren. Die Monate Mai, August und December werden als die Laichzeit angegeben; Junge von etwa zehn Centimeter Länge bemerkt man im April und hält sie für die Brut des vorhergehenden Jahres.


Tobiasfisch (Ammodytes Tobianus). 2/5 natürl. Größe.
Tobiasfisch (Ammodytes Tobianus). 2/5 natürl. Größe.

Unsere Fischer gebrauchen die gefangenen Sandaale einzig und allein als Köder für andere Fische. Am Mittelländischen Meere soll man die dort vorkommende Art auch essen, und an der Küste Grönlands wird der Tobiasfisch und die Sandlanze ebensowohl frisch wie getrocknet verzehrt; an unseren Küsten erachtet man, obschon mit Unrecht, ihr Fleisch für werthlos.

Ebenmäßige Anordnung der Glieder gilt mit Recht als eines der wesentlichen Kennzeichen aller Wirbelthiere. Möge die Gestalt uns so verzerrt erscheinen, wie sie wolle: die eine Seite des Leibes gleicht mehr oder weniger genau der anderen. Es gibt jedoch eine Fischfamilie, welche sich dadurch auszeichnet, daß sie eine Ausnahme von jener Regel bildet. Wer eines ihrer Glieder oberflächlich beschaut, ist geneigt zu glauben, daß bei ihr der Leib von oben nach unten abgeflacht und nach den Seiten hin verbreitert sei, überzeugt sich aber bald durch Betrachtung des, wie Geßner sagt, »gantz widerwertig gesetzten«, das heißt merkwürdig verdrehten Kopfes, daß dem nicht so sein kann, und Untersuchung des Knochengerüstes, falls auch dieselbe am gebratenen Fische geschähe, belehrt ihn, daß er es mit einem höchst absonderlich gebauten Geschöpfe zu thun hat.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 187-188.
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