Lotsenfisch (Naucrates ductor)

[103] Der Lotsenfisch (Naucrates ductor, noveboracensis, indicus und Koelreuteri, Gasterosteus ductor und antecessor, Scomber ductor und Koelreuteri, Centronotus conductor, Thynnus pompilus) vertritt die nur wenige Arten zählende Sippe der Leitfische (Naucrates), welche sich durch folgende Merkmale kennzeichnet.


Lotsenfisch (Naucrates ductor). 1/3 natürl. Größe.
Lotsenfisch (Naucrates ductor). 1/3 natürl. Größe.

Die Gestalt ist lang eiförmig, die Schnauze stumpf, die erste Rückenflosse bis auf wenige freistehende Strahlen verkümmert, der Schwanz seitlich gekielt, die Bekleidung aus kleinen, ungleichartigen Schuppen zusammengesetzt; den Mund waffnen kurze Sammetzähne, welche in jeder Kinnlade und auf jedem Gaumenknochen ein schmales, auf dem Pflugscharbeine und auf der Mitte der Zunge ein breiteres Band bilden.

Mit anderen Makrelen theilt der Lotsenfisch die Schönheit seines Schuppenkleides. Die Grundfärbung ist ein bläuliches Silbergrau, welches auf dem Rücken dunkelt und nach dem Bauche zu ins Reinsilberfarbene übergeht; die Zeichnung besteht aus fünf dunkelblauen breiten Bändern, welche den Leib umgeben und auch in die Rücken- und Afterflossen sich fortsetzen; die Brustflossen sind schwarzblau, die Bauchflossen weiß; die Schwanzflosse ist am Grunde blau, gegen das Ende hin dunkler gesäumt. In der ersten Rückenflosse zählt man drei oder vier Stacheln, in der zweiten sechsundzwanzig, in der Brustflosse achtzehn, in der Bauchflosse einen und fünf, in der Afterflosse zwei stachelige und sechzehn weiche, in der Schwanzflosse siebzehn Strahlen. Die Länge beträgt zwanzig bis dreißig Centimeter.

»Ich habe immer«, sagt Commerson, »die Erzählung von dem Lotsen des Haifisches für eine Fabel gehalten, mich nun aber doch durch den Augenschein überzeugt, so daß ich nicht mehr an der Wahrheit zweifeln kann. Daß diese Lotsen die Brocken verzehren, welche der Hai fallen läßt, begreift man; daß er sie nicht verschlingt, wenn sie ihm immer um die Nase schwimmen, begreift man nicht. Oft habe ich gesehen, wie ein Lotsenfisch nach dem ausgeworfenen Specke schwamm und dann zurück zum Haie ging, worauf dieser sogleich selbst kam. Fängt man den Hai, so folgen ihm seine Lotsen, [103] bis man ihn emporwindet, und erst dann fliehen sie. Finden sie aber keinen anderen Hai, so halten sie sich an das Schiff selbst und folgen diesem oft mehrere Tage lang, bis sie wieder ihr Glück gemacht haben.« Mit dieser Angabe stimmen alle Beobachter überein, welche dieses Fisches Erwähnung thun, und nur Bennett bemerkt noch ergänzend, daß man einen einzelnen Hai regelmäßig von Lotsenfischen begleitet sähe, während diese, wenn mehrere Haie zusammenschwimmen, ebenso regelmäßig fehlen.

Die Ursache des Freundschaftsverhältnisses zwischen beiden Fischen hat man verschieden gedeutet. Einige glauben, daß der Lotsenfisch seinen Hai zum Raube führe, vielleicht in der Hoffnung, von demselben auch seinen Theil zu erhalten, andere, wohl mit mehr Recht, daß er im Geleite des fürchterlichen Raubthieres sich vor den Nachstellungen seiner schlimmsten Feinde, behender Raubfische, sicher fühle, dem Haie aber durch die Gewandtheit seines Schwimmens leicht zu entgehen wisse. Ein Verhältnis zwischen beiden scheint übrigens bestimmt obzuwalten, der Lotsenfisch also nicht allein um den Hai, sondern dieser auch um seinen Führer sich zu bekümmern. »Auf der Fahrt nach Egypten«, erzählt Geoffroy, »kam während einer Windstille ein Hai gegen das Schiff geschwommen, nebenher zwei Lotsenfische, welche immer eine gewisse Entfernung hielten, bei ihrer Ankunft das Schiff zweimal von einem Ende zum anderen untersuchten und, da sie nichts für ihren Gaumen fanden, weiterzogen, ihren Hai mit sich nehmend. Inzwischen hatte ein Matrose einen Haken mit Speck geködert und warf ihn ins Meer. Die Fische waren bereits ziemlich weit entfernt, hörten jedoch das Plumpen, kehrten um und begaben sich, sobald sie den Speck ausgekundschaftet, wieder zu ihrem Gebieter, welcher sich währenddem an der Oberfläche des Wassers durch Umwälzen und dergleichen belustigt hatte. Sogleich wandte er um, auf jeder Seite begleitet von einem seiner kleinen Freunde, wurde von diesen förmlich auf den Speck, welchen er nicht gewittert zu haben schien, gestoßen, biß zuerst ein Stück des Köders ab, schnappte noch einmal zu, hing an der Angel und ward an Bord gezogen. Zwei Stunden später fing man auch einen von den Lotsenfischen, welche das Schiff noch nicht verlassen hatten.«

Andere Beobachter erzählen mehr oder weniger dasselbe. Mayen berichtet, daß der Lotsenfisch dem Haie gewöhnlich vorausschwimme, in der Regel in der Nähe seines Rachens verweile oder unter eine seiner Brustflossen sich begebe, zuweilen auch nach rechts oder links schieße, als ob er auf Entdeckungen ausgehe, und darauf treulich wieder zum Haie zurückkehre. Eines Tages wurde von dem Schiffe, auf welchem gedachter Forscher sich befand, eine geköderte Angel ausgeworfen, da ein Hai in einer Entfernung von etwa vierzig Meter folgte. Mit Blitzesschnelle schoß der Lotsenfisch auf die Lockspeise los, schien sie sogar zu versuchen, kehrte darauf zum Haie zurück, umschwamm denselben zu wiederholten Malen, peitschte das Wasser mit dem Schwanze und trieb es so fort, bis der Hai unter seiner Leitung sich in Bewegung setzte und wenige Minuten später ein Opfer seiner Freßgier geworden war.

Die meisten Berichterstatter glauben, daß der Lotsenfisch vom Unrathe des Haies sich ernähre; Bennett aber meint in den Ueberresten, welche er in dem Magen eines gefangenen fand, kleine Fische erkannt zu haben. Möglicherweise frißt der Lotsenfisch den einen wie die anderen.

Daß sich nach und nach eine gegenseitige Anhänglichkeit zwischen beiden ausbildet, läßt sich erklären, da wir ja auch anderweitige Belege für den Verstand der Fische haben und ähnliche Freundschaftsverhältnisse unter höheren Thieren durchaus verschiedener Art keineswegs selten sind. Die Gewohnheit trägt unzweifelhaft auch das ihrige zur Befestigung des Freundschaftsbundes bei; denn, wie schon bemerkt, fast ebenso treu wie dem Haifische folgt der Lotse auch Schiffen und wahrscheinlich keineswegs bloß dann, wenn er seinen Hai verloren hatte, sondern, um mit unserem Geßner zu reden, »aus sonderbarer Anmuthung«, vielleicht aus demselben Grunde wie der Hai: in der Hoffnung, vom Borde aus gefüttert zu werden. In den nördlichen Meeren kommt der Lotsenfisch ständig nicht vor; wiederholt aber hat er sich verleiten lassen, den Schiffen bis in den Kanal zu folgen. Im Januar 1831 traf der »Peru«, von Alexandrien her kommend, nach einer Reise von [104] zweiundachtzig Tagen in Plymouth ein. Etwa zwei Tage nach der Abreise erschienen zwei Lotsenfische in der Nähe des Schiffes, schwammen zur Seite desselben und wurden nunmehr beständig in annähernd derselben Entfernung vom Schiffe gesehen. Nachdem der »Peru« zu Catwater Anker geworfen hatte, schien sich ihre Anhänglichkeit noch zu vermehren; sie blieben in unmittelbarer Nähe desselben und wurden zuletzt so dreist, daß man einen von ihnen von einem kleinen Boote aus fangen konnte. Durch eine glückliche Kraftäußerung gelang es ihm, zu entkommen und das Wasser wieder zu gewinnen. Fortan trennten sich beide Fische, aber leider nicht zu ihrem Heile; denn einer nach dem anderen ward gefangen. Bennett versichert, daß man die so gewandten Thiere einzig und allein dann erlangen könne, wenn man vorher einen Hai geangelt habe. Die kleinen, treuen Begleiter wollen sich von ihrem großen Beschützer nicht trennen und umschwimmen ihn, wenn er aus dem Wasser herausgezogen wird, bis er verendet ist, dabei mehr als sonst der Oberfläche sich nähernd. Unter solchen Umständen hält es durchaus nicht schwer, sie mit einem langstieligen Hamen aufzufischen.

Das Fleisch des Lotsenfisches kommt nach übereinstimmenden Berichten derer, welche das seltene Glück hatten, es zu genießen, dem der Makrelen an Güte vollständig gleich.

»Nicht anderst dann wie man bey vns die Hasen auff weitem Feld fähet mit jaghunden, Item die vögel mit dem Habich oder Stoßvogel, also fahen auch etliche Völcker in frembden Inßlen die Fisch deß weiten Meers, durch andere Fisch so zu solcher arbeit genaturt und gewönet worden sind. Solcher werden zweyerlei gestalt beschrieben. Die erste sol sich vergleichen einem grossen Aal, allein daß er einen grösseren kopff hat. Auff seinem genick sol er haben ein fel oder haut, gleich einer grossen, weiten, langen taschen oder wie ein sack. Solchen pflegen sie angebunden zu führen im wasser her, am Schiff also daß er den Lufft nit erreichet, dann gentzlich mag dieser Fisch den Lufft oder daß licht nicht erleiden. Wo sie nun einen raub ersehen, er sey von großen Schiltkrotten oder andern Fischen, so lösen sie das seyl auff, der Fisch, sobald er vermerckt daß solch seyl nachgelassen, so scheußt er nach dem raub wie ein Pfeil, wirfft auff jn sein fel oder taschen, also daß er jn damit ergreifft so starck, daß solcher raub mit keiner arbeit mag von jm entledigt werden, so lang er lebet: er werde dann nach vnd nach mit dem seyl herauff an den Luft oder tag gezogen, welchen so balt er sihet, so lest er den Raub den Jägern oder Fischern, welche jn so vil widerumb ledigen, daß er sich möge in das wasser an seinen alten sitz oder ort halten. Den raub oder fang theilen sie vnd lassen ein theil dem Fisch herab an einem seyl zu seiner speiß vnd narung. Mit solchem jagfisch sollen sie in kurtzer Zeit viel fahen.«

Also berichtet Geßner, die in seiner Zeit und viel später noch allgemein geglaubte Erzählung wiedergebend. Colombo, Dampier, Commerson, Sloane und andere Reisende wollen gesehen haben, daß man an den afrikanischen und amerikanischen Küsten Fische in Fässern mit Seewasser hält und diese, ganz wie es Geßner beschreibt, zum Fange benutzt, das heißt sie an einer Leine fesselt und angesichts einer erspähten Schildkröte losläßt. Sie sollen zu entfliehen suchen und sich, wenn sie nicht von der Leine loskommen können, so fest an die Schildkröte heften, daß diese mit Leichtigkeit zum Schiffe emporgezogen werden kann.

Der Schiffshalter, welchen Geßner und seine Gewährsmänner meinen, war schon den Alten wohl bekannt, und seine Art, an Schiffen oder großen Seefischen sich festzusaugen, ist unzweifelhaft die Ursache zu seinem Namen und den auf diesen Namen gegründeten Fabeln geworden. Im Alterthume glaubte der eine oder der andere, daß dieser Fisch im Stande sei, Schiffe wirklich aufzuhalten; später mag die Meinung entstanden sein, daß man ihn wohl zum Fange anderer Seethiere benutzen könne: anders wenigstens lassen sich die von verschiedenen alten Reisenden gegebenen übereinstimmenden Mittheilungen nicht wohl erklären; denn man muß bezweifeln, daß irgend einer von ihnen [105] wirklich die beschriebene Verwendung des Fisches mit angesehen hat, weil die neueren Seefahrer ihre Angaben durchaus nicht bestätigt haben.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 103-106.
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