Maulbeerspinner, Seidenspinner (Bombyx mori)

[385] Der Seidenspinner, Maulbeerspinner (Bombyx mori), steht heutzutage im System einzig da, indem der Gattungsname Bombyx, welchen Linné der ganzen Familie verlieh, ihm allein noch geblieben ist. Wie die schönsten Sänger unter den Vögeln das schlichteste Kleid tragen, so der nützlichste unter allen Schmetterlingen. Er hat 40 bis 45,5 Millimeter Flugweite, ist mehlweiß, an der Doppelreihe der bei beiden Geschlechtern langen Fühlerzähne schwarz. Von den kurzen Flügeln erhalten die vorderen durch tiefen Bogenausschnitt des Saumes eine sichelförmige Spitze; eine gelbbräunliche Querbinde über beide ist ebenso oft sichtbar wie ausgewischt. Der äußeren Erscheinung, aber auch dem Drange nach, sofort sich zu paaren, wenn er die Puppe verlassen hat, ist der Schmetterling ein echter Spinner, die nackte Raupe, gemeinhin »Seidenwurm« genannt, die [385] vollendetste aller Spinnerinnen, ihrer äußeren Tracht nach dagegen schwärmerartig; denn sie führt hinten ein kurzes Horn, auch verdickt sie ihren Hals fast in der Weise, wie die Raupe des mittleren Weinschwärmers (Sphinx Elpenor). Sie ist grauweiß, auf dem Rücken mit braunen Gabel- und rothgelben Augenflecken an den Seiten der vorderen Ringe veränderlich gezeichnet. Ihre einzige Nahrung bilden die Blätter des Maulbeerbaumes. Die eiförmigen, geleimten, auswendig von losen Seidenfäden umgebenen Gehäuse sind entweder weiß oder gelb, die beiden Farben, in denen bekanntlich die rohe Seide vorkommt. Zwillingsgespinste gehören keineswegs zu den Seltenheiten, kommen auch in Form der einfachen vor und liefern doch zwei Schmetterlinge.

Aller Wahrscheinlichkeit nach stammt der Schmetterling aus China, dem Vaterlande seiner Futterpflanze, und verbreitete sich mit ihr von Norden nach Süden in der nächsten Umgebung, bis unter der Regierung des Kaisers Justinianus zwei persische Mönche Maulbeerpflanzen und Eier (Graines), welche sie entwendet und in ihren ausgehöhlten Wanderstäben verborgen hatten, nach Konstantinopel einschmuggelten. Hier wenigstens ward in Europa zuerst seit 520 n.Chr. der Seidenbau betrieben, blieb aber bis in das 12. Jahrhundert Einzelrecht des griechischen Kaiserreichs, wo die Insel Kos die bedeutendste Rolle in dieser Beziehung spielte. Von Griechenland aus ward der Seidenbau durch Araber nach Spanien verpflanzt. In der Mitte des 12. Jahrhunderts kam er durch den Krieg, welchen Roger II. mit dem Byzantiner Emanuel führte, nach Sicilien und breitete sich allmählich über Florenz, Bologna, Venedig, Mailand und das übrige Italien aus, unter Heinrich IV. nach Frankreich und von da weiter nach Norden. In Deutschland bildete sich 1670, und zwar in Bayern, die erste Seidenbaugesellschaft. Friedrich der Große nahm sich dieses Erwerbszweiges in seinen Ländern auf das wärmste an, und so fand in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts der Seidenbau überall in Deutschland Eingang. Die Freiheitskriege gaben der neuen Errungenschaft einen gewaltigen Stoß; denn die Zeiten waren nicht dazu angethan, Seidenraupen zu pflegen und Maulbeerblätter zu pflücken. Die Bäume wurden älter, mehrten sich nicht, und man achtete ihrer kaum, höchstens die Dorfjugend um der süßen Früchte willen. In neueren Zeiten ward der Gegenstand wieder angeregt, von den Regierungen, in Preußen wenigstens, begünstigt. Man setzte Belohnungen auf eine gewisse Menge erzielter Gespinste aus, pflanzte statt der bisher benutzten Bäume Maulbeerhecken, welche weit schneller und bequemer das nöthige Futter liefern, und schien so auf dem besten Wege zu sein, dem Nebenerwerbszweige einen neuen Aufschwung verleihen zu wollen – da mehrten sich die Berichte aus den seidenzüchtenden Ländern im Süden Europas über die Krankheitserscheinungen der »Seidenwürmer« und mochten die Anfänger in Deutschland kopfscheu machen; es begannen die Zuchtversuche mit anderen Spinnern und lenkten von dem edelsten aller ab; kurz, Deutschland erzeugt, so viel mir bekannt, bis auf den heutigen Tag im Verhältnisse zu dem Seidenbedarf so gut wie keine Seide!

Bei der Zucht dieser Seidenraupen ist gleichmäßige Wärme (bis cirka 18° R.) wesentlicher als bei den vorigen, und trockenes Futter die Grundbedingung eines fröhlichen Gedeihens. Sie erscheinen gleichfalls nur einmal im Jahre. Die erwachsene Raupe klebt ihren Spinnstoff, welcher den zwei dicht beisammen liegenden mikroskopischen Oeffnungen der Unterlippe entquillt, an einen Zweig der Futterpflanze oder an die ihr dargebotene Hürde, zieht denselben als einzelne lose Fäden, die hier und da weiter befestigt werden, um ihren Körper, damit sie zunächst eine Hängematte gewinne. Dieselbe wird dichter und dichter, umschließt den Raupenkörper immer enger und verbirgt ihn schließlich vollständig dem Blicke des Beobachters. Einige Zeit danach hört man die webende Thätigkeit im Inneren, bis zuletzt vollkommene Ruhe eintritt, nachdem die letzte Larvenhaut abgestreift ist. Die kräftigen Gespinste, gleichviele von jedem Geschlechte, werden zur Weiterzucht ausgewählt. Die männlichen Puppen sind nämlich walziger, in der Mitte mehr oder weniger eingeschnürt, die weiblichen eiförmig. Die Gespinste, welche Seide liefern sollen, müssen der Backofenwärme oder heißen Wasser dämpfen ausgesetzt werden, damit die Puppen sterben und der [386] ausschlüpfende Schmetterling beim Durchbohren des Gespinstes den einen, bis sechshundert Meter langen Faden nicht zerstöre und unbrauchbar mache. Diesen von außen nach innen, dem hohlen Knaule, als welcher sich das Gespinst darstellt, abzuwickeln, ist die nächste Aufgabe. Zu diesem Zwecke werden die Gehäuse in fast kochendem Wasser mit Reisbesen bearbeitet, bis sich der die Fäden zusammenhaltende Leim löst und die Anfänge jener zeigen. Die in solcher Weise vorbereiteten Gespinste kommen nun in ein anderes, aber nur mit warmem Wasser gefülltes Becken, welches mit einer Haspel in Verbindung steht, deren Einrichtung verschiedener Art sein kann. Da der Faden des einzelnen Gespinstes zu fein sein würde, so haspelt man deren, je nach den Bedürfnissen, drei bis acht und noch mehr gleichzeitig ab, welche auf dem »Fadenleiter«, durch gläserne Ringe gehend, infolge des ihnen noch innewohnenden Leimes alle zu einem Faden sich vereinigen. Bei dieser in der Regel von Mädchen ausgeführten Arbeit ist auf Gleichmäßigkeit des Fadens zu achten, der, je weiter nach innen, an jedem Gespinste feiner wird und daher nach dem Ende hin der Zuziehung neuer Fäden bedarf. Die nächste Umhüllung der Puppe läßt sich nicht abwickeln, sondern bleibt als pergamentartiges Häutchen zurück. Zehn bis sechzehn Kilogramm frische (»grüne«) Gespinste oder sieben bis neun gebackene geben nach dem Abhaspeln ein Kilogramm Rohseide, deren weitere Behandlung Gewerken anheimfällt, die uns hier nicht interessiren.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 385-387.
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