Dritte Ordnung: Die Schmetterlinge, Falter[341] (Lepidoptera, Glossata)

Unter Berücksichtigung des Gesammteindruckes, welchen die Körpertracht eines Kerbthieres bei dem Beschauer hervorruft, müssen wir den Hautflüglern die Schmetterlinge, jene bunten Lieblinge unserer naturforschenden Jugend, folgen lassen. Die drei vollkommen verwachsenen Brustringe, welche naturgemäß den Mittelleib abschließen, der frei davorsitzende Kopf mit seinen geraden, immer deutlich bemerkbaren Fühlern, der vorwiegend gestreckte, durchweg mit Chitinmasse gepanzerte Körper und die vier Flügel, welche ihre Inhaber befähigen, den feuchten, unsaubern Erdboden zu verlassen und im lustigen Gaukelspiele die würzigen Lüfte zum gewöhnlichen Aufenthalte zu wählen, dies alles, aber auch außerdem das Verlangen nach Süßigkeit und nach den Perlen des Thaues, um das kurze Leben zu fristen, und die scharf geschiedenen drei Entwickelungsstufen haben die Schmetterlinge mit den Aderflüglern gemein. Auch sie grenzen sich sehr bestimmt von allen anderen Kerfen ab durch die Bildung ihrer Mundtheile und die Beschaffenheit der Flügel und können darum unmöglich mit dem Gliede einer anderen Ordnung verwechselt werden, selbst dann nicht, wenn in einzelnen Fällen durch Verkümmerung der Flügel das Luftleben versagt worden ist.

Die Mundtheile sind saugende. Wie schon früher bemerkt, bildet hier der Unterkiefer, auf der Innenseite jeder Hälfte halbröhrenförmig ausgehöhlt, einen längeren oder kürzeren, aufrollbaren Saugapparat, die sogenannte Rollzunge (Fig. 10, S. 5), welche Bezeichnung freilich die Wissenschaft nicht billigen kann. Oberlippe und Oberkiefer werden von den Forschern in drei unbeweglichen Hornplättchen wieder erkannt, welche so klein und durch die Bekleidung des Gesichts so versteckt sind, daß ein Uneingeweihter wohl vergeblich danach sucht; ein kleiner dreieckiger Zipfel mit jederseits dreigliederigen Tastern läßt sich dagegen bequem als Unterlippe unter dem Saugapparate erkennen. Die Taster geben als Freßspitzen (Palpen) besonders bei Kleinfaltern wichtige Unterscheidungsmerkmale ab. Die Kiefertaster endlich finden sich meistentheils vor, verkümmern aber zu kurzen zweigliederigen Anhängseln und erlangen nur bei den Schaben (Tineina) als »Nebenpalpen« mitunter in Länge und Gliederzahl eine ungewöhnliche Ausbildung.

Die vier Flügel, deren vordere die hintersten an Größe in den meisten Fällen bedeutend übertreffen, werden in ziemlich gleichmäßiger Weise vorherrschend von Längsadern durchzogen. Weil die neueren Systematiker ein großes Gewicht auf deren Verlauf legen, so können wir die wesentlichen Verhältnisse und die dafür üblichen Bezeichnungen nicht gänzlich mit Stillschweigen übergehen. Aus der Mitte der Wurzel entspringt eine Zelle, die Mittelzelle (Diskoidalzelle), welche ungefähr in der Mitte der Flügelfläche durch eine kurze, meist gebogene oder gebrochene [341] Querader geschlossen wird, in selteneren Fällen aber auch offen bleibt. Die dem Vorderrande des Flügels (costa) zugewandte Grenze der Zelle heißt vordere Mittelrippe, die entsprechende der entgegengesetzten Seite die hintere Mittelrippe. Diese beiden Benennungen ergeben sich aus derjenigen Lage der Flügel, welche man ihnen zu geben pflegt, um den Schmetterling in einer Sammlung aufzustellen; nach ihrer Richtung zum Leibe würden sie bezüglich äußere und innere Mittelrippe zu nennen sein. Aus beiden Mittelrippen und aus der Querrippe entspringt eine Anzahl von Längsrippen, welche in den Saum und Vorderrand des Flügels münden. Diese werden am Saume vom Innenwinkel an gezählt, wobei man von zwei anfängt, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob sie gesondert aus den beiden Mittelrippen und der Querrippe kommen, oder ob zwei oder mehrere sich wurzelwärts vereinigen und auf gemeinschaftlichem Stiele aus jenen entspringen. Außer den eben besprochenen finden sich amInnenrande eine bis drei Rippen und zwar auf dem vorderen meist nur eine, selten zwei, welche aus der Flügelwurzel kommen und in den Saum oder Innenrand verlaufen. Diese heißen Innenrands-oder Dorsalrippen und führen alle die Zahl 1; wo mehrere vorhanden sind, unterscheidet man sie von der Wurzel nach dem Saume, also dem Innenwinkel zu durch 1a, 1b, 1c. Am Außenrande entspringt die Vorderrandsrippe (Costalrippe, Costa) unmittelbar aus der Wurzel des Flügels; sie erhält beim Zählen stets die höchste Nummer. Im Hinterflügel verbindet sich dieselbe bei vielen Nachtfaltern mit der vorderen Mittelrippe in der Nähe der Wurzel auf eine kurze Strecke oder bis zu dieser hin und scheint in diesem letzteren Falle aus der Mittelzelle zu kommen. Die Vertheilung ist indeß nicht so einfach, wie man hiernach glauben sollte, weil im Vorderflügel die vordere Mittelrippe hinter einander drei Aeste aussendet und dadurch allerlei Unterschiede bedingt, welche für viele Schmetterlinge charakteristisch werden können. Im Hinterflügel sendet dieselbe nur zwei Aeste aus, welche in den Saum verlaufen und größere Uebereinstimmung zeigen.

Die durch zwei auf einander folgende Rippen und das Stückchen Flügelrand zwischen ihnen gebildeten Zellen bezeichnet man ebenfalls mit der Zahlenreihe, so zwar, daß die Zelle jedesmal die Ziffer derjenigen Rippe erhält, auf welche sie in der Richtung von innen nach außen folgt. So wird beispielsweise eine offene Mittelzelle zu der sehr langen Zelle 4, weil sie zwischen Rippe 4 und 5 liegt. In anderen Fällen wird die genannte durch eine oder auch durch zwei überzählige Längsrippen getheilt; bisweilen gabelt sich eine dieser Rippen saumwärts und bildet am Ende der Mittelzelle, in ihr selbst eine kleine, dreieckige, die sogenannte eingeschobene Nebenzelle. Auch an ihrem Vorderwinkel kann durch eigenthümlichen Aderverlauf eine Anhangszelle entstehen, und endlich ist im Hinterflügel vor ihrem Wurzeltheile eine größere Nebenzelle möglich. Dies in allgemeinen Umrissen das mehr verborgene Skelett der Flügel; den höchsten Werth aber für das Auge und für ihre Schmetterlingsnatur verleiht ihnen die äußere Bedeckung. Wenn man sagt, die Schmetterlingsflügel seien mit abwischbarem Staube überzogen, so drückt man sich mindestens sehr ungenau aus, denn jedermann weiß, daß es nicht formlose, beliebig aufgestreute, außerordentlich seine Körperchen sind, für welche wir eben keinen anderen Ausdruck als »Staub« haben, welche den Flügeln ihre Schönheit verleihen, sondern sehr zarte Schüppchen von ganz bestimmtem regelmäßigen Zuschnitte. Dieselben heften sich mit längeren oder kürzeren Stielchen lose an die Flügelhaut in bestimmten Reihen an, decken sich, hier dichter, dort loser, wie die Ziegel auf dem Dache und haben in einem und demselben Flügel, je nach der Stelle, welche sie einnehmen, je nach der Schmetterlingsart, verschiedene Größe, Form, Farbe, Oberfläche. In der Mitte der Flügelfläche pflegt die meiste Uebereinstimmung zu herrschen, wenn wir die Farbe ausschließen, an dem Innenrande und Saume gehen die Schuppen in haarartige Gebilde oder in wirkliche Haare über, wie auch häufig auf der Unterseite; die den Saum einfassenden heißen Fransen. Es gibt brasilische Schmetterlinge, deren Flügel gar keine Schuppen tragen und auch in Europa eine Sippe zierlicher Falter, die Glasflügler, bei denen ein großer Theil des Flügels durchsichtig bleibt, dafür nehmen die Schuppen des übrigen Theiles die verschiedensten Formen an. Das Streichen der Reihen, ob [342] sie gerade oder gebogen, das festere oder losere, bisweilen sogar senkrechte Aufsitzen der einzelnen Plättchen, bieten neben der Größen-, Formen-und Farbenverschiedenheit eine nicht geahnte Abwechselung und verleihen dem unnachahmlichen Gemälde den höchsten Zauber.

Der »Naturselbstdruck«, in welchem auf verschiedenen Gebieten bisher die Wiener Staatsdruckerei das Beachtenswertheste im großen geleistet hat, wurde längst schon auf sehr einfache, aber wesentlich verschiedene Weise zum Uebertragen von Schmetterlingen auf Papier angewendet. Dieses Verfahren, welches sogleich näher angegeben werden soll, hat gelehrt, daß in sehr vielen Fällen, ganz besonders bei den Tagschmetterlingen, welche sich dazu am besten eignen, die Rückseite der Flügelschüppchen mit ihrer Oberseite übereinstimmt. Dies gilt beispielsweise nicht von denjenigen, deren Flügel je nach dem verschieden auffallenden Lichte anders gefärbt erscheinen, von den sogenannten Schillerfaltern. Selbstverständlich kann man nur die Flügel auf Papier übertragen, den Leib mit den Fühlern und Beinen muß man mit dem Pinsel ergänzen. Wer sich ein Schmetterlings-Bilderwerk auf diese Weise selbst beschaffen will, merke folgendes. Eine nicht zu flüssige Lösung von recht reinem Gummi arabicum mit einem geringen Zusatze von Trachantgummi, welches jenem den Glanz benimmt, wird als Bindemittel benutzt. Man bestreicht nun, annähernd in der Form, welche etwa die vier Flügel eines gut ausgebreiteten Schmetterlings einnehmen würden, mit dieser Lösung das Papier in dünner Schicht, muß aber wegen des raschen Trocknens die Flügel, welche abgedruckt werden sollen, in Bereitschaft halten. Ein frischgefangener Schmetterling eignet sich dazu am besten, ein alter muß auf feuchtem Sande erst aufgeweicht werden, weil seine Schuppen fester sitzen, als bei jenem. Mit Vorsicht gibt man nun, natürlich ohne zu schieben, den Flügeln auf dem Gummi die Lage, welche sie einnehmen sollen, läßt für den nachzutragenden Mittel- und Hinterleib den nöthigen Zwischenraum zwischen der rechten und linken Seite, legt dann ein Stück glattes Papier über die Flügel und reibt mit dem Fingernagel vorsichtig, damit keine Verschiebung möglich, unter mäßigem Drucke über die abzuklatschenden Flügel, alle ihre einzelnen Theile berücksichtigend. Ist alles in Ordnung, so muß man beim nachherigen Abheben der Flügel das Bild derselben auf dem Papier, keine Schuppe mehr auf der Innenseite dieser finden. Die über die Ränder hinausstehenden, das Auge möglicherweise verletzenden Fleckchen des Bindemittels lassen sich durch Wasser und Pinsel ohne Mühe entfernen. Dieses Verfahren kann man durch Umbrechen des Papiers, wenn man Vorder- und Rückseite zugleich haben will, in Kleinigkeiten abändern, wird aber bei Beachtung der Hauptsache und bei einiger Uebung immer den gewünschten Erfolg haben.

Die Hinterflügel sind nicht selten mit einem feinen Dorn oder einem Büschel feiner Borsten versehen, welche in die vorderen eingreifen und das Zusammenhalten beider bewerkstelligen. – Man hat, um sich bei Beschreibung der Zeichnungen bestimmter ausdrücken und auf dem Vorderflügel, welcher auch hier wie der die wichtigste Rolle spielt, zurecht finden zu können, seine Fläche in drei Haupttheile, das Wurzel-, Mittel- und Saumfeld zerlegt. Da es eine große Menge von Schmetterlingen gibt, bei denen durch zwei einfache oder zusammengesetzte Querbinden eine solche Eintheilung markirt wird, die vordere Querbinde das Wurzel- vom Mittelfelde, die hintere dieses vom Saumfelde trennt, so hält man diese Anschauungsweise auch da fest, wo durch das Fehlen jener Binden keine sichtlichen Grenzen gezogen werden. Wie Form, Zeichnung und Aderverlauf der Flügel für die Arten charakteristisch sind, so auch die Haltung derselben in der Ruhe.

Außer Mundtheilen und Flügeln, als den Trägern des Ordnungscharakters, verdienen auch die übrigen Stücke des Körpers eine wenigstens flüchtige Beachtung. Am zottig behaarten oder gleichfalls beschuppten Kopfe nehmen den größten Theil der Oberfläche die halbkugelig vortretenden, großen Netzaugen ein; einfache verstecken sich, und zwar nur zu zweien vorhanden, ebenso häufig auf dem Scheitel, wie sie gänzlich fehlen. Die vielgliederigen Fühler sind in den meisten Fällen borsten- oder fadenförmig und werden für die Tagfalter durch eine knopfähnliche Anschwellung an der Spitze zu einem Erkennungszeichen, weichen aber auch vielfach von dieser Bildung ab. Auch [343] hier sind es wieder die Männchen, welche durch einfache oder doppelte Reihen einfacher oder doppelter Kammzähne vor den Weibchen etwas voraus haben und hierdurch, wie zum Theil durch das lebhaftere Farbenspiel, durch schlankere, mehr Ebenmaß herstellende Gestalt des Hinterleibes für gewisse Fälle das Streben der Natur andeuten, dieses Geschlecht vor dem weiblichen zu bevorzugen.

Der Mittelleib, bei den einen vorherrschend mit wirklichen, bei den anderen mit mehr schuppenartigen Haaren dicht besetzt, läßt darum die drei Ringe nicht unterscheiden, und doch markirt sich der kurze Vorderrücken als Halskragen durch zwei größere Schuppen, welche sich auf seiner Mitte in ihren schmalen Seiten berühren und nach außen und unten spitz verlaufen. An sie stößt jederseits die Schulterdecke, eine größere dreieckige Schuppe, welche die kahle Flügelwurzel bedeckt. Nicht selten erhebt sich die Bekleidung in der Mitte des Rückens und Halskragens in zierlichster Weise gegen die glattere Umgebung und bildet einen sogenannten Schopf.

Am angewachsenen, wenigstens nie gestielten Hinterleibe kommen sieben bis neun Ringe zur Entwickelung. Seine plumpere, durch die Eierstöcke geschwellte Gestalt verräth in sehr vielen Fällen das Weibchen, bei dem überdies noch eine lange, vorstreckbare Legröhre dann die Spitze kennzeichnet, wenn die Eier weniger oberflächlich abgesetzt werden, als es gewöhnlich geschieht. Von der Bekleidung des Hinterleibes gilt dasselbe, was vom Brustkasten gesagt wurde; auf dem Rücken der vorderen Glieder kommen gleichfalls Schöpfe vor, und die Spitze verläuft dann und wann, besonders beim Männchen, in zierliche Haarbüschel, welche gewisse Arten nach Belieben fächerartig ausbreiten können.

Obschon die Beine durch ihre bisweilen dichte und lange Bekleidung einen größeren Umfang einnehmen, müssen sie doch als schlank, zart und lose eingefügt bezeichnet werden; denn der Schmetterling kann leicht um eins derselben kommen. Die Schienen bewehren verhältnismäßig lange Sporen, nicht bloß am Ende, sondern oft auch an den Seiten, fünf Glieder setzen die Füße zusammen, welche in kleinen Krallen auslaufen.

Somit stände die den Körper und seine Theile, Flügel und Beine dicht deckende, vorherrschend schuppige Bekleidung der Schmetterlinge der vollkommenen Nacktheit oder sparsamen Behaarung der Aderflügler, wenn wir etwa von den Blumenwespen und einigen Heterogynen absehen, sowie das thatenlose, faule Leben der Falter dem vielbewegten, öfters hohen Kunstsinn verrathenden Treiben der Hautflügler gegenüber.

Die Larven oder Raupen der Schmetterlinge kennt man vollständiger als diejenigen irgend einer anderen Kerfordnung, weil sich nirgends mehr, wie hier, die – – Laien der Erforschung unterzogen haben. Wir haben allen Grund, die einen ebenso wegen ihrer Schönheit zu bewundern, wie die anderen um ihrer Gefräßigkeit willen zu fürchten. Jede Raupe besteht außer dem hornigen Kopfe aus zwölf fleischigen Leibesgliedern, von welchen die drei vordersten je ein Paar hornige, gegliederte und in eine Spitze auslaufende Brust- oder Halsfüße tragen. An dem Leibesende stehen mit wenigen Ausnahmen zwei fleischige und ungegliederte Füße nach hinten hervor, die sogenannten Nachschieber. Zwischen diesen und jenen befinden sich noch zwei bis acht saugnapfartige, kurze Beine am Bauche, welche so gestellt sind, daß zwischen den Brustfüßen mindestens zwei und vor den Nachschiebern ebenso viele Glieder frei bleiben. Sonach kann eine Raupe höchstens sechzehn, aber auch nur zehn, in sehr seltenen Fällen sogar nur acht Füße haben, ein Mehr kennzeichnet sie als Afterraupe einer Blattwespe. In Südamerika soll es indeß Schmetterlingsraupen mit zwanzig Beinen geben. Wo nur ein oder zwei Paare am Bauche vorkommen, wird der Gang ein eigenthümlicher, den Raum durchspannender, die Raupe streckt sich lang aus, und wenn sie mit dem Vordertheile Fuß gefaßt hat, zieht sie den Hinterkörper, die Mitte in eine Schleife biegend, nach, setzt die vordersten Bauchfüße hinter die hintersten der Brust, läßt letztere los, streckt den Vorderkörper lang vor und kommt auf diese Weise sehr schnell von der Stelle. Man nennt diese Raupen Spannraupen und ihre Schmetterlinge Spanner. Die neun Luftlöcher an den Körperseiten lassen sich bei nicht zu kleinen Raupen leicht erkennen; sie fehlen nur [344] dem zweiten, dritten und letzten der Glieder. Bei den einen ist die Haut nackt, oder so gut wie nackt, weil nur sehr vereinzelte Haare hier und da kaum bemerkbar sind, bei den anderen verdeckt ein dichtes Haarkleid den Untergrund, ein Haarkleid, welches, abgesehen von der Färbung, den verschiedensten Eindruck auf das Auge des Beschauers machen kann, je nach der Vertheilung, der Gedrängtheit und der Länge der Haare. Nicht selten stehen sie in Büscheln, welche auf diesem und jenem Gliede lang über die anderen hervorragen. Außer Haaren bilden aber auch Warzen (Knospenwarzen), auf denen die Haare meist stehen, Fleischzapfen, einfache oder dornenartig verzweigte, nackte oder behaarte, auch Anhängsel anderer Art allgemeine Verzierungen der Oberfläche oder Auszeichnungen für bestimmte Ringe. Wir werden mit der Zeit einen Begriff von der unendlichen Mannigfaltigkeit bekommen, welche in Bezug auf die Gestalt und die äußere Erscheinung der Raupen überhaupt herrscht, und begnügen uns jetzt mit diesen kurzen Andeutungen, und fügen nur noch eins hinzu: der Kopf, welchen im wesentlichen zwei seitliche Hornschalen zusammensetzen, hat vollständig entwickelte beißende Mundtheile, und eine mikroskopische Oeffnung in der Unterlippe, aus welcher der in den beiden Spinndrüsen sich entwickelnde Spinnstoff in Form feiner Fäden entleert wird, da fast jede Raupe spinnen kann. An der vorderen Ecke jeder Schale steht eine Gruppe von fünf bis sechs Aeugelchen und davor ein aus wenigen zapfenartigen Gliedern zusammengesetzter Fühler.

Auch in Ansehung der Lebensweise kommen größere Unterschiede vor, als man denken sollte. Die einen finden sich immer nur einzeln, weil die Eier vereinzelt wurden, die anderen für kürzere oder längere Zeit gesellschaftlich bei einander, mit oder ohne gemeinsames Gespinst, in welchem sie wohnen. Die meisten leben auf den Blättern der verschiedensten Pflanzen, und außer den Kryptogamen dürfte es wenige geben, an denen nicht wenigstens eine Raupenart Geschmack fände; wird doch die Eiche, welche wir schon als den Liebling der Gallwespen kennen lernten, bei uns von einhunderteinundzwanzig Arten aufgesucht. Wie sie sich auf ihren Blättern einrichten, ist eine andere Frage, deren Beantwortung je nach der Art sehr verschieden ausfällt. Beim Fressen pflegt eine jede wenigstens mit dem vorderen Körpertheile auf dem Blattrande zu reiten, weil die Schmetterlings raupen, sobald sie die ersten Tage zarter Jugend hinter sich haben, nur vom Rande her die Blätter abweiden, sie nicht durchlöchern, wie manche Afterraupen, Käferlarven und die blätterfressenden Käfer selbst; daher ist der Raupenfraß als solcher immer leicht zu erkennen. Die Unterschiede in den Gewohnheiten beziehen sich also auf die Ruhe. Die einen pflegen derselben auf dem Blatte selbst, an einer beliebigen Stelle der Fläche oder lang ausgestreckt auf der Mittelrippe, oben oder auf der schattigen Unterseite, andere verlassen das Blatt und kriechen auf den benachbarten Stengel, bei Bäumen an den Stamm, zwischen die Risse der Rinde, oder unter die Futterpflanze auf die Erde, von den Wurzelblättern jener bedeckt, auch flach unter die Erde, wie besonders die an Gras und anderen niedrigen Pflanzen bloß im Dunkeln fressenden Raupen vieler Nachtschmetterlinge. Diese ziehen mit wenigen Fäden einen Theil des Blattrandes über sich und sitzen in der dadurch gebildeten Höhlung, oder verwandeln das ganze Blatt in eine Röhre, in welcher sie mit gleicher Gewandtheit rück- und vorwärts kriechen, um sich vor feindlichen Angriffen zu schützen; jene wieder kleben zwei Blätter mit ihren Flächen an einander und betten sich zwischen dieselben, oder sie fertigen ein verschieden geartetes Säckchen aus den Abnagseln der Futterpflanze, in welchem sie leben, wie die Schnecke in ihrem Hause. Es gibt aber auch zahlreiche Raupen, welche sich für immer unseren Blicken entziehen, weil sie entweder im Holze oder in den Stengeln krautartiger Gewächse, besonders der Gräser, in Früchten, Blättern oder Wurzeln leben und das Tageslicht scheuen. Dergleichen Raupen sehen meist bleich, schmutzigweiß aus und jede hat wieder ihre besondere Art, wie sie minirt oder bohrt, und verräth dadurch ihre Gegenwart.

Manche Raupen gelten dem gemeinen Manne für giftig und werden darum oft mehr gefürchtet, als wegen des Schadens, den sie an Kulturpflanzen anrichten. Giftorgane hat keine Raupe, bei manchen aber sind die Haare oder die fleischigen, mit beweglichen Seitenästen reichlich versehenen [345] Zapfen hohl, enthalten sehr verdichtete Ameisensäure und nesseln daher beim Abbrechen der Spitzen. So haben wenigstens einige Larven ein Schutzmittel, während auch nicht ein Schmetterling im Stande ist, sich zu vertheidigen, sondern bei drohender Gefahr durch seine Schwingen einzig auf schleunige Flucht angewiesen ist, oder durch Herabfallen von seinem erschütterten Ruheplatze und Erheucheln des Todes auf dem Boden seine Verfolger zu täuschen sucht.

Unter mehreren Häutungen, mit welchen häufiger ein Farben- als ein Formenwechsel verbunden ist, wachsen die Raupen in kürzerer oder längerer Zeit, welche nicht selten einen Winter in sich schließt, heran und werden reif zur Verpuppung. Die Puppe ist hier mehr verwahrt, als bei jedem anderen Kerbthiere; denn die einzelnen Glieder hüllen sich nicht nur in die zarten Häute, welche wir auch anderwärts finden, sondern werden außerdem noch von einer gemeinsamen, gegliederten Chitinschale umschlossen, weshalb man die Puppe eine bedeckte genannt hat. Sie athmet durch die ihr an jeder Seite bleibenden neun Luftlöcher, deren hintere sich mit der Zeit schließen, und läßt auf dem Rücken meist neun Ringel unterscheiden, mithin drei weniger als die Raupe hatte, indem die vordersten zum künftigen Brustkasten verwachsen sind. An der Bauchseite sind die Flügel, Fühler, Augen und der Rüssel, mehr oder weniger deutlich auch die Beine zu unterscheiden. In Ansehung der Form und Farbe, welch letztere sich manchmal nach dem Alter verändert, der Bekleidung und Bildung der Afterspitze (Kremaster) sowie der Art der Anheftung kommen wieder eine Menge Unterschiede vor, welche theilweise auf die Sippe schließen lassen, welcher der künftige Schmetterling angehört. So heften sich zum Beispiel die eckigen Puppen der meisten Tagfalter, welche vorzugsweise Chrysaliden heißen, mit der Schwanzspitze an irgend einen Gegenstand, umgürten wohl auch mit einem zweiten Faden ihren Leib und hängen dann wagerecht oder aufrecht. Die Puppen der meisten Spinner stecken in einem besonderen Gehäuse, welches sie zwischen Blätter oder an Zweige befestigen; andere ruhen mit oder ohne solchem in der Erde. Wenn zuletzt die Zeit der Entwickelung gekommen ist, so löst sich im Nacken die Naht, welche hinter den Fühlerscheiden hinläuft, und mit ihr die Gesichtsseite der Puppe bis zu den Flügelscheiden, der Rücken des Mittelleibes spaltet sich von oben her der Länge nach, und der Schmetterling kommt heraus, früh am Morgen, wenn er den Tag und die Sonne liebt, gegen Abend, wenn er zur Nachtzeit seine Thätigkeit entfaltet. Hat er erst Fuß gefaßt, so sitzt er vollkommen still und ruht von den gehabten Anstrengungen aus. Die zu erwartenden Flügel stehen auf dem Rücken wie ein Paar gekrümmte, zarte Läppchen, mit den Außenseiten gegen einander gekehrt. Man kann sehen, wie sie wachsen. In Zeit einer halben Stunde bei Schmetterlingen gewöhnlicher Größe, in etwas längerer Zeit bei den größten Arten, haben sie ihre volle Entwickelung erreicht, die Zeichnung war schon beim Auskriechen deutlich vorhanden, indem die bunten Schuppen sich sehr früh in der Puppe entwickeln. Die Flügel verharren noch kurze Zeit in dieser Lage, dann bringt sie der Schmetterling in die seiner Art eigenthümliche und beweist damit, daß er nun vollständig entwickelt sei. Aber auch jetzt noch sind sie zart und weich und erhärten erst an der austrocknenden Luft. Nach wenigen Stunden können sie ihre Thätigkeit übernehmen, bei den kleinen Faltern früher als bei den großen. Haben die meisten, auch der größten Arten, nach wenigen Stunden ihre naturgemäße Ausdehnung noch nicht erlangt, so bekommen sie dieselbe nie und bleiben krüppelhaft.

Speyer schätzt die Anzahl sämmtlicher Schmetterlinge auf zweihunderttausend, welche in gewissen Arten beinahe überall auf der Erde vertreten, im wesentlichen aber von der Pflanzenwelt, als der Ernährerin ihrer Raupen, abhängig sind. Wegen ihrer Zartheit konnten sich fossile Ueberreste schwieriger erhalten, als von anderen Kerfen und kommen daher auch seltener vor; indessen haben wir aus dem Tertiärgebirge mehrere wohl erhaltene Schwärmer und als Einschluß in Bernstein kleinere und zartere Formen.

Lange Zeit begnügte man sich mit der Linné'schen Eintheilung in Tag-, Dämmerungs- und Nachtfalter, von welchen nur die beiden ersten natürlich begrenzte Familien bilden, die letzteren dagegen aus den verschiedenartigsten Formen zusammengesetzt sind. Das Bestreben, auch [346] die mit den Jahren bekannt gewordenen zahlreicheren Arten ferner Länder einzuordnen und die genaueren Untersuchungen längst bekannter Inländer zu verwerthen, ergab allmählich eine Reihe von mehr oder weniger natürlichen Familien, deren wesentliche nun zur Sprache kommen sollen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 341-347.
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