1. Sippe: Spinnerartige Eulen, Bombycoinen

Schematischer Vorderflügel einer Eule. a Halbe, b vordere, c hintere Querlinie, d Ring-, e Nieren-, f Zapfenfleck. h Wellenlinie.
Schematischer Vorderflügel einer Eule. a Halbe, b vordere, c hintere Querlinie, d Ring-, e Nieren-, f Zapfenfleck. h Wellenlinie.

[404] Die Eulen, Noctuen (Noctuina), bilden eine sehr große Familie, deren Mitglieder meist von nur mittlerer Größe sind und sich mit Ausnahme weniger Gattungen wegen des übereinstimmenden Baues und der stets wiederkehrenden Zeichnungsanlage leicht als hierher gehörig erkennen lassen. Der Körper ist in der Regel kräftig, ohne gerade plump genannt werden zu können, der Hinterleib meist zugespitzt, länger als der Innenrand des Hinterflügels, die Behaarung dicht, auf Mittel- und Hinterleib nicht selten durch Schöpfe von verschiedener Form ausgezeichnet. Die behaarten oder nackten Augen leuchten im Dunkeln, Nebenaugen nahe den zusammengesetzten fehlen nur in seltenen Fällen, sind aber unter der dichten Behaarung versteckt. Die borstigen Fühler sind etwas länger als der halbe Vorderflügel, stehen auf verdicktem Grundgliede und tragen in der Regel Wimperborsten, bei den Männchen weniger Arten Kammzähne oder pinselartig bewimperte Sägezähne. Die Taster, mehr oder weniger kräftig entwickelt, überragen fast immer den Kopf, steigen nur mäßig auf, ihr zweites Glied ist dick behaart oder beschuppt, das letzte weniger und erscheint darum immer dünner; bloß in einer früher zu den Kleinfaltern gerechneten Sippe, den Herminiden, erreichen dieselben eine ungewöhnliche Länge. Nur in sehr seltenen Fällen gelangt die Rollzunge nicht zur vollen Entwickelung, sondern bleibt weich oder auch ganz aus. Die Beine sind kräftig, stärker und besonders die hintersten länger als bei den Spinnern, die Vorderschienen kürzer, die hintersten länger als ihre Schenkel, diese unten, die Schienen außen mehr oder minder stark behaart, seltener anliegend beschuppt, die Schienen und Füße öfters mit Längsreihen feiner Dornen und jene an den Hinterbeinen mit zwei Sporenpaaren bewehrt. An den kräftigen Vorderflügeln erreicht der Innenrand stets eine größere Ausdehnung als der Saum; zwölf Rippen durchziehen sie meist, deren Verlauf wenig Unterschiede und mit Ausnahme weniger Sippen eine Anhangszelle zeigt, welche dadurch entsteht, daß die aus der vorderen Mittelrippe entspringende zehnte Rippe einen Schrägast in die aus der vorderen Ecke der Mittelzelle in die Spitze gehende Rippe entsendet, welcher diese meist schneidet und als siebente Rippe in den Saum ausläuft. Hinsichtlich der Zeichnung, für welche bei der großen Uebereinstimmung alle möglichen und feinsten Unterschiede aufgesucht werden müssen, wenn man eine Art genügend beschreiben will, gelten allgemein eingeführte Ausdrücke, welche an obenstehender schematischer Figur mit wenigen Worten erläutert werden müssen.

Nahe der Wurzel zieht die halbe Querlinie (a); die beiden ganzen, die vordere (b) und die hintere (c), wurden schon öfters erwähnt, und wir wissen, daß sie das Mittelfeld begrenzen. In diesem können drei anders gefärbte Flecke (Makeln) vorkommen: der Ringfleck (d) in der Mittelzelle, der Nierenfleck (e) auf der Querader, beide in der Regel mit einem lichteren Kerne [404] versehen, und der schon weniger beständige, nur dunkler gefärbte Zapfenfleck (f). Wenn zwischen den beiden ersteren eine dunklere Färbung durch die Fläche zieht, so führt diese den Namen Mittelschatten, welcher andeutet, daß an eine scharfe Grenze dabei nicht gedacht werden dürfe. Im Saumfelde, dasselbe etwa in der Mitte durchziehend, bemerkt man die Wellenlinie (h), an welcher oft zwei Zacken (1. Sippe: Spinnerartige Eulen, Bombycoinen) als sogenannte W-Zeichnung deutlich hervortreten; die dunklen, von der Wellenlinie nach innen zwischen einigen Rippen ausstrahlenden Spitzen heißen Pfeilflecke. Es braucht wohl nicht erst bemerkt zu werden, daß alle diese Zeichnungen nicht immer in jedem Flügel vorkommen. Die kürzeren und breiteren Hinterflügel pflegen zeichnungslos und düster gefärbt zu sein, meist am Saume allmählich dunkler als an der Wurzel; haben sie eine lichtere, lebhafte Färbung (gelb, roth, blau), so fehlt in der Regel auch die Zeichnung nicht, und sollte sie nur in einer schwarzen Saumbinde bestehen. Die Flügel bedecken in der Ruhe dachartig den Hinterleib, manchmal liegen sie ihm aber auch wagerecht auf, was besonders von den Ackereulen (Agrotis) gilt.

Die Raupen dieser Familie bilden drei natürliche Gruppen. Die einen stehen durch ihre auffallende Behaarung und sechzehn Füße den meisten Spinnerraupen zunächst und ruhen, für jedermann offenkundig, bei Tage an ihren Futterpflanzen. Die anderen haben gleichfalls sechzehn Füße, aber keine merkliche Behaarung, halten sich am Tage meist versteckt und kommen nur des Nachts zum Fraße hervorgekrochen, wo sie dann der eifrige Sammler beim Scheine der Laterne bequemer aufzufinden versteht als bei Tage. Ihre Anzahl überwiegt alle. Eine dritte Gruppe endlich hat ein oder zwei Fußpaare weniger, ist nackt, sitzt bei Tage frei an den Futterpflanzen und baut in ihrer ersten Eigenschaft den Eulen die Brücke zur nächsten Familie, den Spannern. Sämmtliche Raupen spinnen bei der Verpuppung, jedoch unvollkommen, die frei auf Pflanzen ruhenden an diesen oder an dürrem Laube auf der Erde, die der zweiten Gruppe in der Regel unter der Erde, deren Krümchen sie mit verweben oder mit ihrem Speichel nur lose zusammenleimen.

Wegen der großen Uebereinstimmung der Eulen sind die Sippen bei einer Eintheilung von wenig Werth, selbst die Gattungen haben vielfach gewechselt, weshalb die Unsitte der Sammler, einen Schmetterling nur mit einem Namen, dem der Art, zu benennen, leicht erklärt, wenn auch nicht gerechtfertigt werden kann. Die etwa zweitausendfünfhundert bekannten Arten vertheilen sich über die ganze Erde. Wenn deren nahezu tausend auf Europa kommen, so ist daraus der Schluß zu ziehen, daß die Arten unseres Erdtheils am sorgfältigsten erforscht, in anderen, kerfreicheren Ländern wegen der versteckten Lebensweise und des weniger in die Augen fallenden Aeußeren übersehen worden sind. Ueberdies dürfen wir nicht unbeachtet lassen, daß in den Gleicherländern, welche weit vollkommener von der Sonne beherrscht werden als unsere Gefilde, die nächtlichen Eulen gegen die bunten Tagfalter, großen Spinner und anderen Schmetterlinge bedeutend zurücktreten und in an sich geringerer Artenzahl dort leben. Von den deutschen Arten überwintern auf hundert vier im Eie, siebenundfunfzig als Raupen, fünfunddreißig im Puppenstande und nur vier als Schmetterlinge.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 404-405.
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