1. Sippe: Spindelleibige Schwärmer, Sphinginen

[367] Der äußeren Erscheinung wie der Lebensweise nach stehen die Schwärmer, Dämmerungsfalter (Sphingidae oder Crepuscularia), als zweite Schmetterlingsfamilie im geraden Gegensatze zu den Tagfaltern. Ein dicker und umfangreicher Körper, welchen ein dichtes Schuppen- oder Haarkleid deckt, unterwärts kräftig geaderte, oft zottig behaarte Flügel, deren vorderste meist schmal und gestreckt, die hintersten gerundet und klein im Vergleiche zu den Vorderflügeln sind, auch vorn eine Haftborste tragen, sowie ein spindelförmiger, dem Brustkasten eng sich anschließender Hinterleib unterscheiden sie auch bei dem flüchtigsten Blicke von den im Körper schmächtigen, in den Flügeln weit sich ausbreitenden Tagfaltern. Infolge kurzer und breiter Taster läuft der verhältnismäßig kleine Kopf nach vorn stumpfspitzig aus, bleibt ohne Nebenaugen und trägt kurze, dicke Fühler. Dieselben sind dreikantig, an der Wurzel meist etwas dünner als im weiteren Verlaufe und enden in eine haarfeine, nach hinten hakig umgebogene Spitze. Die Rollzunge kommt hier zu ihrer vollkommensten Entwickelung und übertrifft bisweilen an Länge die des Körpers um das Doppelte. Die Bekleidung des Mittelrückens und Hinterleibes liegt bei unseren heimischen Arten glatt an und nur bei einigen ausländischen erhebt sie sich dort zu einem sehr unscheinbaren Schopfe. Den Vorderflügel zeichnen eine wurzelwärts gegabelte Innenrandrippe, den kurzfransigen Hinterflügel zwei Innenrandrippen und ein schräger Verbindungsast zwischen der Rand- und vorderen Mittelrippe aus. Die Vorderbeine bleiben in ihrer Entwickelung nie gegen die übrigen zurück, und die Schienen der Hinterbeine sind mit zwei Paaren von Sporen bewehrt. Wie bei vielen Tagfaltern treten auch bei den Schwärmern die Geschlechtsunterschiede äußerlich wenig hervor.

Am Tage sitzen die Schmetterlinge mit wenigen Ausnahmen ruhig an schattigen, versteckten Plätzchen und lassen dabei die Flügel etwas klaffend und lose wagerecht auf dem Körper liegen, drücken die nach hinten gerichteten Fühler dicht an die Flügelwurzeln an, so daß man dieselben nicht bemerkt, und schlafen, wenigstens lassen sie sich, wenn man einen und den anderen in seinem Schlupfwinkel zufällig antrifft, ergreifen, ohne nur einen Versuch zum Entweichen zu machen. Sobald aber die Abenddämmerung gekommen, fangen ihre Augen an zu leuchten. Sie verlassen ihre Verstecke, um sich einander und Blumen aufzusuchen, und man hört sie in der Regel früher, als man sie zu sehen bekommt, denn in stark brummendem Tone sausen sie durch die Lüfte, summend schweben sie vor der Blume, während sie mit ihrer langen Rollzunge den Honig aus derselben saugen. So träge sie am Tage scheinen, so wild und unbändig sind sie jetzt. Pfeilschnell fahren sie dahin von Blüte zu Blüte und huschen in größeren und größeren Bogen oder schnurstracks von dannen, wenn hier nichts mehr zu finden, oder wenn irgend eine Störung von außen kommt, etwa ein Jäger am Natterkopfe, am Salbei, am Geisblatte usw. auf der Lauer steht. Ihr rascher Flug dauert ohne Unterbrechung bis zum späten Abend, bis sich die Geschlechter zusammengefunden, wenn es sich darum handelt, oder bis die Muskeln nach stundenlanger, ununterbrochener Thätigkeit endlich erschlaffen und der Ruhe bedürfen. Diese außerordentliche Flugfertigkeit hängt entschieden zusammen mit den schmalen und langen Flügeln, mit einem sehr ausgebildeten Luftröhrennetze im plumpen Körper; ihr haben wir es zuzuschreiben, daß einige südeuropäische Schwärmer, wie der Sphinx Nerii, Celerio und lineata, in heißen Sommern, vielleicht durch aus Süden wehende Winde unterstützt, bis zu den nördlichen Küsten des deutschen Gebietes vordringen und daselbst ihre Brut absetzen. Die Sippe der Zackenschwärmer, welche wir bald nachher kennen lernen werden, entbehrt dieser außerordentlichen Flugfertigkeit infolge ihrer anders geformten Flügel, stimmt aber in der Entwickelung und im Baue der Raupen mit den anderen überein. Diese sind alle nackt, gestreckt, meist nach vorn etwas verdünnt, sechzehnfüßig und tragen auf dem Rücken des vorletzten Gliedes ein längeres oder kürzeres Horn, sind häufig sehr lebhaft gefärbt und [367] gezeichnet und sitzen, wie die Schmetterlinge, am Tage träge und festgeklammert an ihrer Futterpflanze. Des Nachts entwickeln sie ihre volle Freßgier und setzen die Kinnbacken in gleiche rührige Thätigkeit, wie der Schmetterling seine Flügel. Sie leben niemals gesellig. Ist ihre Zeit gekommen, so bohren sie sich ausnahmslos in die Erde ein, glätten um sich ein Lager, ohne irgend welches Gespinst, und werden zur spindelförmigen, düsteren, mitunter auch lichteren Puppe, welche lebhaft den Hinterleib bewegt, wenn man sie stört, und häufig an der Rüsselscheide eine besondere Auszeichnung, bis zu einem vollständigen Henkel, aufzuweisen hat. Jede bedarf der Regel nach die Winterzeit zu ihrer Entwickelung, manche haben dieselbe ausnahmsweise erst nach Verlauf mehrerer Jahre vollendet. – Die Familie enthält in runder Zahl nur vierhundert Arten, von welchen die meisten auf Südamerika, die wenigsten auf Neuholland kommen; Europa ernährt mit voller Sicherheit nur fünfunddreißig, von welchen die deutschen Arten sämmtlich im Puppenstande überwintern.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 367-368.
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