Erste Familie: Tagfalter (Diurna, Rhopalocera)

[347] An der Spitze stehen die Tagfalter, Tagschmetterlinge (Diurna, Rhopalocera), Linné's Gattung Papilio. Ein dünner, schmächtiger Körper mit schwächlicher Bekleidung, große und breite Flügel, welche in der Ruhe aufrecht getragen werden, so daß sich die Oberseiten berühren, und schlanke Fühler, welche an der Spitze selbst oder unmittelbar vor ihr die größte Dicke erlangen, bilden in ihrer Vereinigung die untrüglichen Merkmale, an welchen man die zahlreichen Glieder dieser ersten Familie erkennt. Nur bei den Spinnern wiederholen sich die Größenverhältnisse von Flügel und Körper bisweilen, aber die Fühler folgen einem anderen Bildungsgesetze. Die Tagfalter haben nie Nebenaugen, keine Haftborsten an den Hinterflügeln, meist bloß zwei Endsporen an den Hinterschienen und fliegen nur bei Tage. Doch sind darum keineswegs alle Schmetterlinge, welche bei Tage sich lebhaft zeigen, Glieder dieser Familie. Sie erscheinen mit derselben Beharrlichkeit als die geputzten, liebenswürdigen Tagediebe, mit welcher ihre Raupen die unersättlichen Vertilger der Pflanzen sind. Dieselben gehen aber mit ihrem äußeren Wesen zu sehr auseinander, um über sie im allgemeinen mehr sagen zu können, als daß sie sechzehn Füße haben und kein dichtes und langes Haarkleid tragen. Alle heimischen Dornenrau pen gehören hierher. Die Puppen der Tagfalter sind von lichter Farbe, ausgezeichnet durch allerlei Ecken auf dem Rücken und Endspitzen auf dem Scheitel, so daß sie, wie aus den folgenden Abbildungen zu ersehen ist, nicht selten in ihrem vorderen Rückentheile ein fratzenhaftes Gesicht zeigen. Die Raupe heftet mittels eines Endhäkchens die Spitze ihres Hinterleibes einem feinen Polster auf, welches sie an eine Planke, einen Ast, Baumstamm usw. spinnt, krümmt sich bogenförmig, streift durch Windungen ihres Körpers die Haut ab und erscheint nun als eine mit dem Kopfe nach unten gerichtete Puppe, oder stützt sich vorher durch einen Gürtel um den Leib und ruht senkrecht oder wagerecht mit der Bauchseite auf ihrer Unterlage; in selteneren Fällen findet man die Puppe auch unter Steinen, nie aber hat sie weder ein geschlossenes Gehäuse noch loses Gespinst um sich. Abgesehen davon, daß einige Raupen in ihrer Jugend ein Nest fertigen, welches ihnen besonders für den Winter als Schutz dient, haben sie wenig Veranlassung zu spinnen, darum bleibt auch das dazu dienende Organ ziemlich unentwickelt.

Hinsichtlich des Verhaltens der Tagschmetterlinge zu dem Winter läßt sich wenigstens für die deutschen Arten der Entwickelungsstand angeben, auf welchem sich eine jede während dieser Zeit befindet. Nach Werneburg stellt sich heraus, daß von hundert nur neun als Ei, etwa eine gleiche Zahl als Schmetterling, neunundfunfzig als Raupe und achtundzwanzig als Puppe überwintern.

Welchen Einfluß Licht und Wärme gerade auf die Glieder dieser Familie ausüben, ersieht man aus der örtlichen Verbreitung und der Farbenpracht, welche nur solchen im vollen Maße zukommt, die unter fast immer senkrechten Sonnenstrahlen heimisch sind, wo sie stellenweise in solchen unglaublichen Massen vorkommen, daß sie den Mangel an Blüten im Urwalde reichlich ersetzen. In den nördlicheren Breiten, für welche der vierundsiebzigste Grad die äußerste Grenze des Schmetterlingslebens bildet, und auf höheren Gebirgen, deren Schmetterlingsgrenze je nach den Breitengraden zwischen zweitausendachthundertundzwölf und viertausendundachtzig Meter schwanken kann, werden jene Grenzen von den Tagfaltern meist nicht erreicht. Während in Deutschland nicht volle zweihundert Arten von Tagfaltern angetroffen werden, in ganz Europa, einschließlich der asiatischen, in dieser Beziehung nicht wohl zu trennenden Grenzländer, kaum vierhundert, fliegen bei Pará in Brasilien sechshundert Arten. Dies eine Beispiel wird genügen, um ihren vorwaltenden Reichthum in den Gleichergegenden erkennen zu lassen. Die Annahme von fünftausend Tagfalterarten dürfte daher eher zu niedrig, als zu hoch gegriffen sein. Dieser Reichthum erschwert die Auswahl der wenigen Arten, welche hier zur Besprechung kommen können, wesentlich.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 347.
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