1. Sippe: Nachtpfauenaugen, Saturninen

[380] Was von dickleibigen, breitflügeligen, im männlichen Geschlechte stark kammfühlerigen Schmetterlingen noch übrig, zählt zu der Familie der Spinner (Bombycidae), welche an Reichthum der Arten den vorigen nicht nachstehen, an Uebereinstimmung der Körpertracht sie übertreffen. Die Spinner, meist von mittlerer, aber auch von außergewöhnlicher Größe, sind der Mehrzahl nach von trüber, blasser und wolkiger Flügelfärbung, meist ohne Nebenaugen, sehr allgemein durch auffallende Unterschiede der beiden Geschlechter in Form und Größe ausgezeichnet. Die an sich borstigen Fühler bleiben so oder versehen sich nur mit Säge- oder kurzen Kammzähnen bei dem Weibchen, während die männlichen ungemein lange, nicht selten sehr buschige Kammzähne führen. Die breiten Flügel werden in der Regel dachartig getragen. Der dicht und wollig behaarte Körper, bei beiden Geschlechtern durch diese Behaarung plump, erscheint indeß beim Männchen oft schlank gegen den bedeutend größeren, durch zahlreiche Eier geschwellten Hinterleib der Weibchen. Hiermit geht die größere Flugfertigkeit und Beweglichkeit jener im Vergleiche zu diesen Hand in Hand. Denn viele Männchen sausen bei Tage unstet und hastig in ausdauerndem Fluge zwischen Gras und Gebüsch umher, indem es sich um das Aufsuchen der Weibchen handelt, denen sie mit scharfem Witterungsvermögen nachspüren. Es geschieht dies bald, nachdem sie die Puppe verlassen haben, sobald sie, nicht hinter den Ohren, sondern an den Flügeln trocken geworden sind. Die Weibchen dagegen entfernen sich meist nicht weit von ihrer Geburtsstätte, manche können es sogar nicht, weil ihnen regelrecht entwickelte Flügel dazu fehlen. Wegen ihrer Schwerfälligkeit legen sie gewöhnlich die Eier auch in gedrängte Haufen bei einander, so daß die Raupen zahlreich zusammenhalten und, sofern sie sich von angepflanzten Bäumen ernähren, in den Obstgärten und in dem Walde den bedeutendsten Schaden anrichten können. Dieselben sind unter sich sehr verschiedenartig, stimmen aber alle darin überein, daß sie bei der Verpuppung ein Gespinst fertigen, welches sie an einen Gegenstand ihrer Umgebung anheften; daher der Familienname.

Wie Ornithoptera und Morpho für die Tagfalter, Sphinx für die Schwärmer, so ist die alte Gattung Saturnia der Stolz der ganzen Familie, ja der ganzen Ordnung; denn unter den sogenannten Nachtpfauenaugen treffen wir nicht nur die Riesen aller Schmetterlinge, sondern auch kühn geschwungene Formen der ungeheueren Flügel, deren Mitte entweder ein Glasfenster oder ein prächtiger, großer Augenfleck auszeichnet. Sie sind hier zu groß, um dachartig getragen werden zu können; den vorderen fehlt eine Anhangszelle, den breiten hinteren, welche unter allen Umständen den Hinterleib weit überragen, die Haftborste, sie haben nur eine deutliche Innenrandsrippe, und alle vier entsenden die fünfte Längsrippe aus der vorderen Ecke der Mittelzelle. Die doppelte Reihe der langen, nach beiden Enden hin abnehmenden Kammzähne an den kurzen männlichen Fühlern bringt einen blattähnlichen Umriß derselben zuwege. Die Nachtpfauenaugen kommen in allen Erdtheilen vor, besonders zahlreich in Amerika. Um den größten aller Schmetterlinge nicht mit Stillschweigen zu übergehen, sei der Atlas (Saturnia Atlas) aus China genannt. Seine ausgespannten Flügel würden beiderseits die äußersten Zeilen mit den Spitzen erreichen, wenn wir uns den Schmetterling in die Quere auf ein Blatt dieses Buches gesetzt dächten; dabei mißt sein Körper nur 37 Millimeter.

Bekanntlich ließen es die verschiedenen Krankheiten, welche seit dem Anfange der funfziger Jahre unter den »Seidenwürmern« bedeutende Verheerungen anrichteten und deren Züchtern schwere Verluste beibrachten, wünschenswerth erscheinen, sich nach anderen Spinnern umzuschauen, welche möglicherweise durch das Gespinst ihrer Raupen eine Seide liefern könnten, die den Ausfall wenigstens einigermaßen deckte. Die in allen größeren Staaten Europas verbreiteten, so heilsam wirkenden Vereine für Einbürgerung ausländischer Thiere und Pflanzen (Akklimatisationsvereine) [380] nahmen sich auch dieser Angelegenheit an und sorgten für Beschaffung verschiedener Spinner, denen man schon längst in Ostindien in dieser Beziehung Aufmerksamkeit geschenkt und durch künstliche Zucht Seide abgewonnen hatte. Seitdem sind Zuchtversuche von den verschiedensten Liebhabern angestellt worden, welche gegen die Verpflichtung, die Ergebnisse derselben gewissenhaft zu berichten, von den einzelnen Vereinen mit Eiern dieser und jener Art versorgt worden sind. Für Deutschland können selbstverständlich nur solche eine Zukunft erlangen, deren Raupen sich mit heimischen Pflanzen ernähren lassen. Wir könnten höchst beachtenswerthe Erfahrungen mit den verschiedensten Arten verzeichnen, wenn der knapp zugemessene Raum uns nicht nöthigte, uns nur auf die drei wichtigsten zu beschränken.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 380-381.
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